Die Schlange im Paradiese.

[117] »Ohne Umstände, – bat der Eintretende, – ohne Umstände, wenn ich bitten darf; betrachten Sie mich als Ihren besten Freund!«

»Sie übernehmen sohin selbst die Entschuldigung einer Unschicklichkeit, die ich nicht zu verantworten gewagt hätte. Welchem Zufalle verdanke ich die hohe Ehre Ihres Besuches?«

Nichts von Dank, und nichts von hoher Ehre, schöne Rosa! der Zufall aber hat allerdings einigen Antheil an meinem frühen Besuche; ich würde sonst eine für Sie bequemere Zeit dazu mir erbeten haben. Dem Gesandten, Grafen L**, begegnete ich eben, als ich aus dem Kabinete des Fürsten kam. Er machte mir eine so lockende Schilderung von dem kleinen Maskenballe, der gestern hier so unvermuthet gehalten wurde, und auf dem er sich, wie er mir ausführlich erzählte, so göttlich unterhielt. –

Hier faßte sie der Schlaue fest in's Auge, und sein stechender Blick wurde durch ein höhnisches Zucken der Oberlippe nur noch widriger; allein Rosa schaute ihm ohne die mindeste Verlegenheit mit der Unschuldsmiene eines Engels unbefangen in das dürre Inquisitorgesicht, das nun aus Aerger über den verfehlten Eindruck, über das Ausbleiben[118] des erwarteten Erröthens, in eine nichtssagende Starrheit der Züge zurückfiel.

»– Daß ich dem Verlangen nicht widerstehen konnte, mich sogleich persönlich nach Ihrem Befinden zu erkundigen, und um Ihre Freundschaft zu bitten.«

»Ich danke Ihnen herzlich für diese Auszeichnung, Herr Graf! Sie kommen eben recht, um die feinsinnigen Beweise der Anerkennung meines geringen Talentes zu beschauen, womit mich das Wohlwollen hiesiger Kunstfreunde beehrt hat.«

Auf einen Wink Rosa's entfernten sich die beiden Mädchen, und brachten bald darauf ein elegantes Frühstück, wozu Rosa den Grafen einlud, der mit den ausgesuchtesten Schmeicheleien an ihrer Seite Platz nahm.

Sie waren nun allein.

»Warum sind Sie denn in einem Gasthof abgestiegen, liebenswürdige Rosa, und nicht in einer Privatwohnung? Es stand Ihnen mein Hôtel offen, und Sie haben in jedem Augenblicke darüber zu verfügen?«

»Sehr verbunden, Herr Graf! allein man wohnt nirgend bequemer, als in einem wohleingerichteten Gasthofe, wo die Dienerschaft jedem Winke des Gastes lauscht, und jede Gefälligkeit taxirt ist. Da lebt jeder ungestört nach seiner Weise, und ist durch keine Schicklichkeit verpflichtet, sich nach fremden Launen zu richten. Nur ein eigenes Haus würde ich dem Gasthofleben vorziehen, und will heute[119] noch meinen Pflegevater Walter bitten, mir in der Nähe der Stadt ein romantisches Landhaus zu wählen, das ich zu kaufen, und nach meinem etwas sonderlichen Geschmacke einzurichten gedenke.«

»Sie werden also unsere Stadt mit Ihrer Gegenwart dauernd beglücken?«

»Wenn mich das Theater anständig verwenden will, ja!«

»Daran möchte wohl nicht zu zweifeln seyn, wenn der Vorstand desselben die öffentliche Stimme des Publikums berücksichtiget, die sich gestern mit unbegränzter Begeisterung für Sie entschieden hat. Sie haben hier höchstens eine einzige Gegnerin, die Chiaretti!«

»Ich habe von ihr sprechen hören, sie soll eine ausgezeichnete Künstlerin seyn.«

»Nun ja, sie singt charmant, wenigstens findet man dieß so, oder glaubt es zu finden, weil man sie gewohnt ist. Ein großer Theil des Beifalles, den ihr das Publikum spendet, ist auch auf Rechnung der Anhänger des Erbprinzen zu setzen, die ihr oft Kränze auf die Bühne werfen, nur um den Fürsten zu ärgern.«

»Wie so?«

»Der Fürst ist mit dem Erbprinzen etwas gespannt, weil dieser alle Vorschläge zu einer vortheilhaften Vermählung von sich weiset. Ich habe schon alles Mögliche gethan, den Fürsten von dem Vorsatze, den Erbprizen zu verheirathen,[120] vorläufig ganz abzubringen, indem dieser noch jung genug ist, als daß es nöthig wäre, eine so wichtige Sache zu übereilen. Man verbreitet zwar das Gerücht, aus Liebe zur Chiaretti entstehe des Erbprinzen Widerwille gegen eine Vermählung, allein dieß ist ein leeres Geschwätz. Ich bin der Vertraute des Erbprinzen, kenne seine Gesinnungen genau, und kann Sie versichern, daß er die Chiaretti niemals weniger geliebt habe, als gerade jetzt.« –

»Nach Allem, was ich bisher von diesem Verhältnisse gehört habe, möchte ich beinahe an der Richtigkeit Ihrer Ansicht zweifeln, wenn Sie mir keine Beweise dafür aufstellen können.« – »Mir fehlt es nicht an Beweisen, die selbst Ihren letzten Zweifel zu besiegen vermögen. Erlauben Sie mir zu diesem Zwecke eine Frage, die Sie mir jedoch aufrichtig beantworten müssen. Von wem erhielten Sie den goldenen Käfig mit der Nachtigall?«

»Auf meine Ehre, ich weiß es nicht!«

»Er ist vom Erbprinzen!«

»Unmöglich, der Erbprinz kennt mich gar nicht!«

»Da irren Sie sich sehr! Er sah Sie in Paris im zweiten Akte des Othello als Desdemona, war Zeuge des rasenden Beifalles, den Sie erhielten, und würde Ihnen noch an demselben Abende auf der Bühne seine Liebe bekannt haben, wäre nicht schon vor dem Eingange des Theaters der Reisewagen des französischen Gesandten am[121] hiesigen Hofe bereit gestanden, in dessen Gesellschaft er die Rückreise in die Heimath antreten wollte.«

»Sonderbar!«

»Lesen Sie doch gefälligst die Worte auf dem Thürchen des Käfiges!«

»Ewig Die Unübertrefflich Anmuthvolle Reizende Dame!«

»Finden Sie in diesen Worten den Geber nicht?«

»Vergebens strenge ich meine Augen an, ich sehe nichts und gewahre keine Lösung des Räthsels!«

»So lesen Sie nur die Anfangsbuchstaben dieser sechs Worte zusammen; welches Wort kommt dann zum Vorschein?«

»Bei Gott! Eduard!«

»Da haben Sie nun mein unzweifelhaftes Beglaubigungsschreiben als Abgesandter und Vertrauter des Erbprinzen; ja ich gestehe Ihnen, schöne Rosa! daß mich nur die innigste Freundschaft, die ich für den edlen Prinzen fühle, bewegen konnte, den Werber für ihn zu machen, während ich diese Rolle so gerne für mich selbst übernähme. Sie sind eine Dame von Welt, Sie kennen den guten Ton in den vornehmen Salons, wozu also Umwege von meiner Seite? Zudem werden Ihnen gewisse Notizen über Ihr Privatleben, die den Eingeweihten nicht blos durch den Druck bekannt sind, wie heute Graf L**** triumphirend versicherte, die Ueberzeugung erleichtern, daß man[122] unter solchen Umständen schon mit einiger Offenheit sprechen dürfe; kurz, der Erbprinz wünscht sehnlich eine vertraute Zusammenkunft mit Ihnen, wobei Ihr Benehmen über die Dauer seiner Neigung entscheiden soll. Der Prinz kennt Ihre Ansichten über die Liebe; er ist zu delikat, um den Punkt der Taxe persönlich erörtern zu wollen, und hat mich daher ersucht, Ihnen die bestimmten 20,000 Franken in Napoleons für die Seligkeitsstunde zu bezahlen, die Sie ihm, wie er hoffe, zu bewilligen geneigt seyn möchten.« Bei diesen Worten legte er die Rollen mit Gold auf den Tisch und küßte zärtlich ihre seidenweiche Hand, die innere Lust ob des vermeinten Gelingens seiner fein gesponnenen Intrigue mühsam verhehlend.

»Es wäre albern von mir,« erwiederte Rosa, die an die Warnung in Hetzers Denkschrift dachte, und alle Ursache hatte, den Grafen für die versuchende Schlange im Paradiese zu halten, »wenn ich vor Ihnen die keusche Lukretia spielen wollte, nachdem ich doch aus meinem Leben gegen Niemand ein Geheimniß mache der sich mit dem nöthigen Golde an mich wendet. Soll ich die Blüthe meiner Jugend in den Umarmungen eines schmachtenden Geliebten verwelken sehen, der vielleicht in kurzer Zeit meiner Liebe spotten und sein Herz einer Andern schenken könnte? Dieß würde mich höchst elend machen und einst den Rückblick auf die jugendlichen Festtage meines Daseyns verbittern. Auf dem Wege aber, den ich mir gewählt[123] habe, gelange ich zur Macht, denn Geld ist Macht, und darf nicht fürchten, die Sclavin eines wankelmüthigen Herzens zu werden. Ich nehme Ihren Antrag an, den Sie mir im Namen des Erbprinzen so eben gemacht haben.«

»Recht so, lieber Engel! recht so! Was kümmern Sie die engherzigen Träume von weiblicher Sittsamkeit, von mädchenhafter Schüchternheit; von keuschen Gesinnungen! Tausend Weiber und Mädchen plaudern davon, und sündigen im Stillen; diese Alle sind elende Heuchlerinnen, die mit einem tugendverbrämten Mantel die Lumpen ihres Gewissens verhüllen möchten; Sie aber, holde Rosa! Sie handeln nach Grundsätzen, gleich viel, nach welchen, genug, daß Sie ihnen treu bleiben, denn eben darin liegt Charaktergröße!«

»Verworfener Sünder,« dachte Rosa, ohne in ihrer Miene die tiefe Verachtung zu verrathen, die sie nach die er Aeußerung des Grafen gegen ihn fühlte, »der die nackte Sünde noch über die verhüllte erheben will, obgleich jene durch das böse Beispiel, wodurch sie ansteckend wird, nur um so strafbarer erscheint, und der in treuer Befolgung von Grundsätzen, gleichviel von welchen, Charaktergröße zu achten vorgibt. Nein, Rosa! so tief bist du nicht gefallen, und der vornehme Kuppler, der mich einen lieben Engel nennt und dennoch in diesem grundlosen[124] Schlamme gänzlicher Verderbtheit sucht, soll seinen alle Sittlichkeit verhöhnenden Frevel theuer büßen.«

»Warum so in Gedanken, schönes Kind?« fragte der Graf, indem er, ohne die mindeste Ahnung ihres Gedankenspieles, in den himmlischen Zügen des leuchtenden Antlitzes forschte.

»Wegen des Ortes der Zusammenkunft bin ich noch sehr in Verlegenheit, Herr Graf; ohne Zweifel wird jeder Schritt des Erbprinzen von der Chiaretti bewacht, und könnte er auch diese eifersüchtige Dame täuschen, so möchte er vielleicht den gewandteren Spähern des fürstlichen Kabinetes nicht entgehen. Sie werden das Unangenehme meiner Lage nicht verkennen, dem ich durch eine zufällige Entdeckung dieses hohen Besuches ausgesetzt wäre. Ihr weiser Rath ist mir sohin sehr nöthig.«

»So eng umgarnt ist der Erbprinz nicht, daß er furchten müßte, verrathen zu werden, indeß billige ich selbst Ihre Vorsicht und habe für diesen Fall bereits ein ganz verlässiges Haus zu meiner Verfügung, das in einem verborgenen Winkel der Vorstadt in Bezug auf Sicherheit und Bequemlichkeit nichts zu wünschen übrig läßt. Wenn es Ihnen um 1 Uhr nach Mitternacht gefällig wäre.« –

»Ja, Herr Graf! wir wollen diese Stunde wählen.«

»Gut! Haben Sie also die Güte, Schlag 1 Uhr am Portale der Margarethenkirche in der Vorstadt sich einzufinden,[125] jedoch zur Vermeidung alles Aufsehens ohne Begleitung. Wenn Sie es wünschen, kann Ihr Kammerdiener am andern Ende der Straße sich versteckt halten; der Erbprinz wird vermummt sich dem Portale nähern, und Ihnen, ohne ein Wort zu sprechen, den Arm bieten; folgen Sie ihm getrost; in wenigen Augenblicken sind Sie dann an Ort und Stelle.«

»Einverstanden!«

»Nun habe ich noch eine Bitte! Der Erbprinz möchte vielleicht seinem Glücke nicht glauben, wenn ich es ihm verkünde. Geben Sie mir nur eine einzige Zeile zu seiner Beruhigung mit, wodurch ich zugleich den Vollzug der aufgetragenen Werbung nachweisen kann.«

»Was soll ich schreiben?«

Nur die wenigen Worte: »Mit Sehnsucht erwartet Sie Rosa!«

Rosa überlegte einen Augenblick, was sie thun sollte, und – schrieb.

»Jetzt habe ich sie in meinem Garne,« dachte der Graf und rieb sich schadenfroh die Hände, »den Erbprinzen, Chiaretti und Rosa, und dieser seine Streich soll meine Macht und meinen Einfluß auf den Fürsten stärker als je befestigen.« Bald darauf empfahl sich der Graf dem fortdauernden Wohlwollen Rosa's, und stieg triumphirend in seinen Wagen.

Quelle:
Friedrich Wilhelm Bruckbräu: Mittheilungen aus den geheimen Memoiren einer deutschen Sängerin. Zwei Theile, Band 1, Stuttgart 1829, S. 117-126.
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