Die heimlichen Kabinetchen.

[162] Inzwischen eilte der Herr Kabinetsminister Graf von Spindel zu Fuße, in einen ganz einfachen Oberrock gekleidet, auf Seitenwegen in die Vorstadt, in das Haus, welches, wie er zu Rosa gesagt hatte, zu seiner Verfügung war.

Das Haus gehörte der alten Wittwe eines gräflichen Castellans, welche von der Begünstigung heimlicher Zusammenkünfte lebte. Diese Gemächer schnöder Lüste waren jedoch tief unter jener auserlesenen Eleganz, welche in Paris, London und Berlin gefunden wird. Bekanntlich herrscht in diesen Städten hierin eine fürstliche Pracht; die Portraite der Priesterinnen der Venus zieren über den Gesimsen der Thüren ihrer Kabinete die Corridore, welche Nachts mit Crystalllüstern beleuchtet sind, und auf ovalen Porzellantäfelchen stehen die Preise der vermiethbaren Schönheiten. Musik und Gesang beleben die innere Räume, in welchen festlich geschmückte Damen die Eintretenden mit dem feinsten Anstande empfangen. Wem eine mehr oder minder frivole Unterhaltung schon genüget, kann, ohne eine Zudringlichkeit befürchten zu dürfen, gegen Bezahlung des Preises, was jedoch auf eine schonende Weise geschehen muß, das Kabinet wieder verlassen, sobald es ihm beliebt. Kein zweideutiges Wort entschlüpft den Lippen dieser Mädchen, wenn nicht der Ton dazu angegeben wird; sie wissen[163] auch ohne nähere Vertraulichkeit die Stunde des Besuches durch ein bezauberndes Plaudern auszufüllen. Viele machen sich das Vergnügen, mit einem oder zwei dieser Mädchen, wozu allenfalls noch ein Freund geladen wird, ein Mittag- oder Abendmahl einzunehmen, welches keine herzogliche Tafel an Trefflichkeit überbieten könnte. Wer noch mehr wünscht, wenn der spanische Nachtischwein in den Adern glüht, wird alle seine Erwartungen übertroffen finden.

Hier aber, in der Behausung der alten Sibille war außer bürgerlicher Reinlichkeit nichts von höherem Geschmacke zu finden.

Sie saß, als der Minister eintrat, auf ihrem gewohnten Platze neben dem Ofen, in einem alterthümlichen Lehnstuhle, in einem einfachen Hauskleide, auf dem Kopfe eine weiße Nachthaube, nach Art der Mannheimer Weiber aus den niedern Ständen, mit einer alltäglichen Falbel als Randbesetzung; zu ihren Füßen saßen vier Katzen. Rings um sie her standen Kochtöpfe mit Fleisch und Gemüse, welche auf ihren Befehl die alte Cäcilie, ihre getreue Magd und Kupplerin, im Ofen ordnen mußte. Sibille gab nämlich vielen Gesellen, die in vorstädtischen Gewerben dienten, gegen eine mäßige Vergütung die Mittagskost, nicht so fast des kleinen Gewinnes wegen, als um Besuche anderer Art durch diesen Vorwand beschönigen zu können.

Sibille zählte bereits 72 Jahre und konnte in Folge eines vernachlässigten Fußübels das Haus nicht mehr verlassen;[164] aber außerdem war sie noch sehr rüstig, groß, und, wie mit Grund zu vermuthen war, einst wohl gewachsen. Ihre Augen und Ohren hatten an jugendlicher Schärfe nichts verloren. Neben dem Ertrage ihrer heimlichen Kabinetchen wucherte sie auch noch mit ganz kleinen Sümmchen; die sie einigen Lustdirnen zu 60 und 100 Prozenten auf wenige Tage vorstreckte, wenn sie eben nicht bei Geld waren, und doch eine Spazierfahrt auf Spekulation zu machen wünschten. In ihrer Wohnung durfte sich jedoch kein solches Mädchen aufhalten; Zusammenkünfte geschahen nur auf Bestellung, und wer sich nicht selbst mit Waare versehen konnte, für den oder die übernahm sie unter Beistand ihrer getreuen Cäcilie die Spedition. Denn nicht nur galante Herren, sondern auch lüsterne Damen, worunter gewöhnlich ganz entblätterte und verwelkte alte Rosen waren, fanden hier die Erfüllung ihrer Wünsche, wenn die Wogen der großen Welt sie längst schon auf eine Sandbank geworfen hatten. Arbeitsscheuen liederlichen jungen Menschen, die man ihrer bösen Streiche wegen nirgends duldete, und zu keinem Geschäfte verwenden konnte, gelang es oft auf diesem Wege, entweder lange Zeit ein sorgenfreies, wohl auch durch einen unbegreiflichen Aufwand verschönertes Leben zu führen, oder selbst durch eine Heirath die Verdienste ihrer Verirrungen zu krönen.

Sibille besaß ein genaues Verzeichniß aller Herren und Damen der Stadt, ledig oder verheirathet, welche[165] entweder als Käufer und Käuferinnen zu ihr kamen, oder über welche sie als Waare verfügen konnte. Die Personalbeschreibung war darin sehr ausführlich. Dieses Verzeichniß bekamen jedoch nur ihre vertrautesten und freigebigsten Kunden zur Einsicht und Auswahl, die übrigen mußten sich mit Lieferungen begnügen, wenn sie auch nur beiläufig ihren Wünschen entsprachen. Zu dieser möglichsten Vorsicht fand sich Sibille durch mehrfache Wiederholung des höchst unangenehmen Ereignisses gezwungen, daß ihr manche Herren und Damen falsche Namen für das Verzeichniß angaben, und auf diese Weise mancher Mann mit seiner Frau, mancher Liebhaber mit seinem Liebchen an dieser verdächtigen Stätte zusammentraf, ohne sich erwartet zu haben. Dadurch wurde manche Ehe getrennt, manche Heirath zerschlagen; dennoch fuhren sie dabei besser, als wenn sie fortwährend die Opfer einer verbrecherischen Täuschung geblieben wären.

»Was verschafft mir die hohe Gnade, Eure Excellenz in meinem Hause zu verehren?« begann die alte Sibille, und drückte ihre beiden nackten, dürren, bräunlichen Arme, wie zum Raube verlängert, auf die Lehnen ihres Stuhles, als ob sie sich vom Sitze erheben wollte. Der Minister kannte ihre Gewohnheiten schon, und bat sie, ihrer Bequemlichkeit nichts zu vergeben.

»Meine liebe Frau Sibille,« – fing er an, – »ich muß Sie bitten, für einen meiner vertrautesten Freunde[166] der ein Mädchen aus einer sehr vornehmen Familie liebt, heute Nacht um 1 Uhr das Zimmer Nro. 5. bereit zu halten, an welches ein ganz kleines Kabinetchen stößt. In diesem wünsche ich unbemerkt, aber bemerkend, bis zum Fortgehen des Pärchens mit einem andern Freunde zu verweilen. Daß wir beide keine Störung verursachen, dafür bürgt Ihnen mein Wort. Besorgen Sie alles auf's Beste; ich werde, um keinen Verdacht zu erregen, mit meinem Freunde um eine Stunde früher kommen. Wir Beide haben dabei keine andere Absicht, als uns zu überzeugen, ob uns denn unser Freund, rücksichtlich des Namens seiner Geliebten, nicht getäuscht habe, und es liegt uns sehr viel daran, jeden Zweifel an der Glaubwürdigkeit desselben zu heben.«

»Allen Respekt vor dem Antrage Eurer Excellenz, aber meine Kunden müssen bei mir alle Vortheile der Heimlichkeit finden; es wäre gegen alle meine Grundsätze, sie fremder Belauschung bloszustellen; selbst Eure Excellenz würden alles Vertrauen zu mir verlieren; denn was gäbe Versicherung, daß ich einem ähnlichen Antrage gegen Eure Excellenz nicht gleichfalls Folge leisten dürfte? Nein, dieß kann ich nicht bewilligen; ich bin eine rechtschaffene Frau, welcher die Ehre ihres Hauses über Alles geht.«

»Bravo, Frau Sibille, bravo! Sie bestätigen durch diese edlen Grundsätze nur die beste Meinung, die ich von jeher von Ihrem Charakter gefaßt habe; aber es gibt gar[167] keine Regel, ohne Ausnahme, und bei wem, außer mir, könnten Sie mit besserem Grunde eine solche Ausnahme machen?«

Bei diesen Worten ließ er ein Dutzend Dukaten in die Tasche ihrer Schürze rollen, und gleich einem sumsenden Knabenkreisel, der augenblicklich verstummet, wenn man ihn am Stiele faßt, verfiel der Frau Sibille die Sprache, und der Handel war geschlossen.

Nach einigen nöthigen Verabredungen verließ der Minister das Haus der alten Sibille, und ging eben an Rosa's Gasthofe vorüber, als diese aus einem Gallawagen des Erbprinzen stieg.

»Triumph!« dachte er sich, – »der Vogel ist schon im Garne; jetzt schnell zum Fürsten!«

Quelle:
Friedrich Wilhelm Bruckbräu: Mittheilungen aus den geheimen Memoiren einer deutschen Sängerin. Zwei Theile, Band 1, Stuttgart 1829, S. 162-168.
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