Klatschereien.

[181] Rosa und Paganini waren zur rechten Zeit angekommen, um einige pikante Histörchen, womit man sich eben in allen Gesellschaften unterhielt, in den Hintergrund zu drängen, und die allgemeine Aufmerksamkeit auf sich zu ziehen. Da ich nun die volle Wahrheit dieser Tagesneuigkeiten persönlich verbürgen kann, so will ich auch meine verehrten Leser und Leserinnen einige Augenblicke damit[181] unterhalten, bis wir die zur Lösung des Knotens bestimmten Hauptpersonen in Paganini's Koncerte versammelt finden werden, wenn die Tafelfreuden verklungen sind.

Ein junger Baron von altem Adel und großem Reichthume, der vor Kurzem erst die Universität verlassen hatte, und nun bei einem Landescollegium in der Hauptstadt als Accessist für den Staatsdienst sich vorbereitete, sehnte sich nach einer Liebschaft, um die Einförmigkeit des noch ungewohnten Philisterlebens mit kleinen Abentheuern auszuschmücken.

In seinen Verhältnissen fiel es ihm nicht schwer, in dem Hause des Herrn von E**, eines wackern Edelmannes von sehr beschränkten Mitteln, dem in seiner Dürftigkeit die Erinnerung an achtzehn Ahnen mehr lästig als angenehm seyn konnte, Zutritt zu erhalten, und schon nach wenigen Wochen entspann sich eine zärtliche Liebe zwischen dem jungen Barone und der schönen, frommen, mit Talenten reich begabten, sehr fleißigen Tochter des Herrn von E**.

Der Baron wußte recht wohl, daß seine stolzen Eltern in diese Verbindung niemals einwilligen würden, sondern vielmehr die Absicht hatten, ihn durch die Vermählung mit einem Töchterchen aus einer mächtigen gräflichen Familie, in vornehme Verbindungen und dadurch nach und nach zu hohen Staatsstellen zu bringen. Allein was kümmert sich ein verliebter Jüngling um elterliche[182] Pläne? Er zählte 21 Jahre, war sohin nach den Landesgesetzen mündig, und konnte demnach ein rechtsgültiges Eheversprechen ausstellen, womit er auch seine geliebte Elise an ihrem Geburtstage überraschte, mit der Zusicherung des wirklichen feierlichen Vollzuges, sobald er durch die erste Anstellung, sey's auch vorläufig nur als Regierungsrath, selbstständig sein würde.

Ein Eheversprechen ist bekanntlich ein Schlaftrunk für die weibliche Tugend, besonders wenn ihn die Liebe in einer goldenen Tasse reicht. Ein unbewachter Augenblick gab dem Baron die allzufrühe Hoffnung, nach Umlauf von 9 Monden ein Wiegenlied singen zu dürfen.

Man würde sehr irren, wenn man aus diesem Umstande ein vorschnelles Urtheil über Elisens Tugend fällen, und den Stab über sie brechen wollte; die argloseste Unschuld wird am leichtesten verführt, und ein in Liebeshändeln gewandtes Mädchen, das sich auf Berechnung versteht, wird höchst selten die heimlichen Stunden mit dem Loose Elisens büßen. Die Eltern der Liebenden durften vor der Hand nichts davon erfahren; auch hier hieß es: Zeit gewonnen, alles gewonnen. Der Baron hoffte, im schlimmsten Falle ihre Entbindung vor Jedermann geheim halten zu können, da es ja auch kürzlich einer Sängerin gelungen war, ein holdes Knäbchen in die Welt zu setzen, ohne daß außer ihr, dem Vater und der verpflichteten Hebamme, auch nur ein einziger Mensch Gewißheit[183] erhalten konnte. Unter dem Vorwande eines Halspolypen hütete diese Sängerin im Hause ihrer eigenen Eltern, die selbst die Wahrheit nicht wußten, das Zimmer. Der Fürst, welcher sich gerne von dem Grunde oder Ungrunde des umlaufenden Gerüchtes ihrer Schwangerschaft überzeugt hätte, ließ von allen Polizeibehörden und Pfarrämtern, 6 Meilen in der Runde, Auszüge aus den Bevölkerungslisten und Taufbüchern über die seit zwei Jahren getauften, ehelichen und unehelichen Kinder, einsenden, jedoch ohne dadurch auch nur die geringste Spur von dieser Entbindung zu finden. Der Baron, ein vertrauter Freund von dem Vater des Kindes der Sängerin, beschloß sohin ein ähnliches Verfahren mit Elisen, was auch um so leichter geschehen konnte, als sie nicht, gleich einer Sängerin der Bühne, vom Publikum vermißt und beargwöhnt wurde.

Aber nun nahte sich der Versucher. Der junge Baron sollte eine so nahe Verwandte heirathen, daß eine päpstliche Dispense nöthig würde, dagegen aber sogleich Vicepräsident des Landescollegiums werden.

Ehrsucht und Eitelkeit siegten über die Liebe um so leichter, als die neue Braut gleichfalls hübsch, jung, und überdieß aus einer der reichsten und mächtigsten Familien war. Sein vertrautester Freund, eben derselbe, der mit jener Sängerin angebunden hatte, mußte den Vermittler zwischen ihm, Elisen, und deren Vater machen, der jedoch[184] von der Schwangerschaft nichts erfuhr. Diese Niederträchtigkeit wirkte so nachtheilig auf das arme Mädchen, daß es eine Fehlgeburt machte, und mehr als vier Wochen das Bett hüten mußte. Für die Summe von 30,000 fl. wurde der Baron aller Verbindlichkeit überhoben, und Elise, die im Grunde an einem solchen Manne nichts verlor, vergaß ihn auch bald so sehr, daß auch der letzte Funke von Liebe für ihn in ihrem Herzen erlosch.

Theils um sich zu zerstreuen und in der Ferne das mahnende Gewissen zu beruhigen, theils auch um die neue Braut von der Ungeduld seiner Liebe zu überzeugen, als suche er das letzte Hinderniß ihrer ewigen Verbindung durch persönlichen Betrieb so schleunig als möglich aus dem Wege zu räumen, trat der junge Baron selbst eine Reise nach Rom an, um die vatikanische Gewalt »zu binden und zu lösen,« für sein Gesuch günstig zu stimmen.

Was auch die gesunde Vernunft gegen Dispensen mit Recht einwenden mag, so bleibt doch so viel gewiß, daß es eine große Wohlthat und Bequemlichkeit für eine zartfühlende Seele ist, die Gewissensruhe durch Entrichtung einer bestimmten Taxe sich erkaufen zu können, und somit Verbotenes in Erlaubtes zu verwandeln, wie ein Taschenspieler die Treffdame in die Coeurdame.

Leichter wird man die Sterne des Himmels als jene Geldsummen zusammenrechnen, welche Rom bei Gelegenheit[185] der Ehedispensen eingezogen hat. Es ist weltbekannt, daß vor einem halben Jahrhunderte die Gräfin Josepha von Wellsperg, geborne Gräfin von Starhemberg, als sie den Bruder ihres verstorbenen Gatten wegen Familienangelegenheiten heirathen wollte, 27,000 fl. habe bezahlen müssen, ungeachtet daß sie aus der ersten Ehe keine Kinder erzeugt hatte.1

Was müssen erst Dispensen der Fürsten und Könige eingetragen haben?

Damit die Römer Gelegenheit bekämen, täglich und stündlich zu dispensiren, führten sie durch die Taufe und Firmung (was doch diesen Leuten alles ein fiel!) ganz neue Verwandtschaften ein, die sie parentela spiritualis (geistige Verwandtschaft) nannten.

So räthselhaft immer diese sakramentalischen Verwandtschaften sind, mußte man doch von Rom davon dispensirt werden, sonst hätte sich der Mann sammt seinem Weibe eine schwere Verantwortung zugezogen.

Vor dem Kirchenrathe zu Trient waren 7 bis 9 Grade dieser geistigen Verwandtschaft, so, daß fast keine Familie ohne päpstliche Dispens zusammen heirathen konnte. Der Taufpathe und seine Frau waren mit den Eltern des getauften[186] oder gefirmten Kindes, mit dem Kinde und den Kindeskindern, und Kindeskinderkindern versippschaftet. Diese Verwandtschaft hat über 600 Jahre gedauert.

Nehmen wir an, daß jährlich in der ganzen Welt nur 10,000 Christen von einer dieser Verwandschaften sich haben disspensiren lassen, und rechnen wie eine Dispens nur zu 12 Dukaten, so betrug der Erlös aus dieser Kirchenzeremonie in dem Zeitraume von 600 Jahren die Summe von zweihundert acht und achtzig Millionen Gulden!

Die Dispens wurde gegeben und bezahlt, und der Baron eilte auf den Flügeln der Ehrsucht zurück, um sich an der Hand der Glückbringerin auf den Präsidentenstuhl gemächlich niederzulassen.

Ein unglücklicher Zufall fügte es aber inzwischen ganz anders. Der Bediente von Elisens Vater vertraute die Liebschaft des Barons mit der Tochter seines Gebieters, als ihm an einem Feiertage ein Räuschchen die Zunge lösete, seiner Geliebten, einem pfiffigen Mädchen, das ehemals im Hause der neuen Braut gedient, und einer zweideutigen Aufführung wegen, indem es dem Töchterchen die zärtlichen Briefchen besorgte, den Abschied erhalten hatte. Bald war nun die Braut von Allem, außer der Schwangerschaft, unterrichtet, und da sie den Baron nicht liebte, sondern nur in Folge des elterlichen Willens heirathen sollte, so fand dieser bei seiner Zurückkunft statt[187] des Vicepräsidentendekretes einen förmlichen Absagebrief nebst Entscheidungsgründen, die der erste Gerichtshof nicht bündiger hätte geben können.

Um nun wenigstens die 30,000 fl. aus dem Schiffbruche der Spekulation zu retten, suchte er auf dem Wege der Vermittlung mit Elisen sich wieder auf den alten Fuß zu setzen, erhielt aber von ihr folgendes Briefchen:


»Mein Herr Baron!


Ich bin mit dem Loskaufe, den Sie so wohlüberlegt mit mir geschlossen haben, so zufrieden, daß ich einen Antrag anderer Art gar nicht mehr annehmbar finden kann. Um Ihnen weitere Schritte in dieser Sache zu ersparen, füge ich Ihnen die Neuigkeit bei, daß ich in vier Wochen dem von Seiner Durchlaucht vor zwei Stunden zum Vicepräsidenten des Landescollegiums ernannten jungen Grafen von G** meine Hand am Altare reichen werde.


Mit der größten Hochachtung unterzeichnet


Elise.«


Diese Nachricht war ein Donnerschlag für den Baron, der Geld, Braut und Würde zugleich verlor; er dachte jedoch zu edel, um seinem Nebenbuhler durch die Entdeckung der näheren Umstände seiner früheren Liebschaft mit Elisen die Aussicht auf eheliches Glück und häuslichen Frieden zu trüben.[188]

Wie sehr erstaunte er aber, als ihm am Vermählungstage der neue Vicepräsident schrieb:


»Mein Herr Baron!


Da meine geliebte Braut, die vor mir kein Geheimniß hat, als meine Gattin keiner fremden Sicherung ihrer unabhängigen Existenz mehr bedarf, so habe ich die Ehre, Ihnen im Anschlusse drei Wechsel, jeden zu 10,000 fl., zahlbar nach Sicht, gegen gefällige Empfangsbestätigung zu übersenden.

Genehmigen Sie die Versicherung meiner vollkommensten Hochachtung.


Graf von G**«


Für so groß man auch die Freude des Barons halten mag, wieder in den Besitz einer so bedeutenden Summe gekommen zu seyn, so war doch sein Schmerz über den Verlust eines so ehrlichen Mädchens, das dem gräflichen Freier die Geheimnisse des früheren Verhältnisses aufrichtig enthüllt haben mußte, und unfähig war, ihn zu täuschen, bei weitem größer, und er mußte zur Gemüthszerstreuung eine weite Reise durch Frankreich und England antreten, während die Neuvermählten ein glückliches Leben führten, die noch zur Stunde ein eheliches Musterpaar in der Hauptstadt sind.

Dieses Ereigniß hat in der That ein tragisches Interesse und eine Art von dramatischer Gerechtigkeit, die[189] sich nicht blos durch die glückliche Versorgung Elisens, sondern hauptsächlich durch den auffallenden Umstand kund gibt, daß ihr Gatte gerade mit jener Staatswürde bekleidet erscheint, die dem Geliebten mehr galt, als die Geliebte selbst, und welche der Grund war, aus welchem er sie verlassen hatte.

Nicht minder erfreuend wird ein sittlich gutes Herz die seltene Offenheit Elisens finden, die freiwillig dem neuen Freier Verhältnisse entdeckte, welche sonst wahrscheinlich niemals an das Licht der Sonne gekommen wären, und die Rückgabe der Loskaufsumme spricht für das zarte Ehrgefühl des Grafen, der dadurch die ganze Vergangenheit gleichsam in ewige Vergessenheit begrub.

Wie ganz anders muß die Denkart eines gewissen Hofbeamten beurtheilt werden, dessen Frau mit einem Hofmusikus vertrauten Umgang pflog. Er wußte es und vermochte nicht, diesem Liebeshandel ein Ende zu machen. Nicht die Untreue seiner Gattin schmerzte ihn, sondern nur der geringe Stand und das geringe Einkommen des vermögenlosen Galans.

Da nun weder Bitten, noch Ermahnungen, noch Drohungen etwas fruchteten, so machte er endlich dem Fürsten einen Fußfall, stellte ihm sein häusliches Mißgeschick vor, und bat um gnädigste Abhülfe durch ein fürstliches Machtgebot. »Gebrauchen Sie Ihr gutes Hausrecht,« sagte der Fürst, »und schaffen Sie sich den Menschen[190] vom Halse.« »Ich habe mein Möglichstes gethan,« versetzte der Kläger, »aber es hilft nichts; sie läßt durchaus nicht von ihm!« »Aber warum beklagen Sie sich denn jetzt auf einmal, und warum thaten Sie dieß nicht schon zur Zeit, da Ihre Frau die erklärte Mätresse des Prinzen H*** war?«

»Verzeihen Euer Durchlaucht ein Hofmusikus beschimpft mein Haus, bei dem Prinzen war's ein ganz anderer Fall; da hatte ich doch Ehre davon!«

Der Fürst tröstete ihn lächelnd und ging in sein Kabinet.

Was sagen meine verehrten Leser und Leserinnen zu diesen Begriffen eines Ehemannes von der Ehre seines Hauses? Auch dieses Geschichtchen ist wörtlich wahr und könnte von einer Menge vornehmer Zeugen bestätiget werden. Es giebt wohl viele solche Herren, die jedoch die tiefeste Verachtung verdienen, welchem Stande sie auch immer angehören mögen.

Das dritter und letzte Histörchen, welches ich gleichfalls als Zwischengericht auftische, ist an sich von sehr munterer Natur und gewiß sehr ergötzlich; es hat sich in einem sehr vornehmen Hause ereignet, und die Scheidung einer liebenswürdigen jungen Frau von ihrem schon betagten Manne veranlaßt. Möchten doch Alle, die sich in den Ehestand verirren, den Unterschied der Jahre sorgsam[191] beherzigen und nicht durch eine Ueberschätzung der noch rüstig scheinenden Kräfte zu einer in Bezug auf das Alter ungleichen Wahl sich verleiten lassen!

Ein bejahrter Handelsherr, Namens Holzer, der sich durch glückliche Spekulationen mit Staatspapieren ein sehr bedeutendes Vermögen erworben hatte, kam auf den Einfall, sich den Adel zu kaufen, das heißt: gegen Bezahlung der festgesetzten Summe sich die Erhebung in den Adelstand zu verschaffen.

So schätzenswerth der Adel als eine fortgeerbte Erinnerung an verdienstvolle Ahnen, oder als eine vaterländische Belohnung ausgezeichneter Thaten erscheint, so ganz entwürdiget in der öffentlichen Meinung muß er durch diese Preisbestimmung werden, die ihn zu einer Waare erniedriget. Mag man auch immerhin einwenden, daß neben dem Vermögen auch der Nachweis von Verdiensten um das Vaterland gefordert werde, so entgegne ich, daß Verdienste, die erst nachgewiesen werden müssen, mir nicht groß genug scheinen, um von selbst zu leuchten, und daß bisher das sogenannte Herkommen bei Adelskäufen schon mit einem Leumund sich begnügt habe, gegen welchen nichts Nachtheiliges vorliegt. Wenn die altadeligen von Fugger sich erinnern, daß die Gründer ihres adeligen Standes Bürger und Weber waren, so fügt die Geschichte ihre wesentlichen Verdienste als große Handelsherren hinzu, deren Namen in[192] allen Ländern, selbst in fernen Welttheilen hochgeachtet waren; wenn aber eine ganz gewöhnliche Spekulation in Papieren über Nacht dem Glücklichen eine halbe Million in den Schooß wirft, oder wenn ein Christ oder Jude in Kriegszeiten durch den Handel mit Ochsen ein ungeheures Vermögen sich erwirbt, und man sieht nun solche Herren für Geld in den erblichen Adelstand erhoben und nebst allen ihren Nachkommen mit bevorzugten Standesrechten begabt, während die Adelsvorzüge manches Verdienstordens von einem damit geschmückten ausgezeichneten Staatsmanne nur auf Lebensdauer einem Nachfolger in der Familie übertragen werden können, so müssen die Begriffe vom Adel und dessen Würde nothwendigerweise eine sehr mißliche Richtung nehmen.

Ich kehre zu meiner Erzählung zurück.

Herr Holzer hieß nun Herr von Holzer, machte ein Haus, lud Gäste zur Tafel, hielt Equipage, und miethete eine ganze Loge im Theater.

Gar bald wurde er jedoch dieses einsamen Lebens überdrüßig; es fehlte im Hause die ordnende Seele. Er dachte sich:


»– – – – – – – es fehlt

Die Eine nur, die mir das Haus regiere,

Die mit des Weibes zartem Ordnungsgeist,

Das rasche Leben still und einfach richte.

Die Eine fehlet mir.«
[193]

Unter dem raschen Leben, womit Rudolph in Körner's Banditenbraut sein wildes Jägerleben bezeichnete, konnte Holzer freilich nur den raschen Heimflug seines Lebensrestes verstehen.

Ein schönes, junges, adeliges Fräulein belebte bald als Frau von Holzer die Einförmigkeit des Junggesellenlebens; die Gesellschaften wurden größer, glänzender und jünger; denn der Magnet der Schönheit verläugnet seine Wirkung nicht.

Herr von Holzer schien es nie gewußt oder schon vergessen zu haben, daß alte Uhren und junge Frauen oft aufgezogen werden müssen, um sich darauf verlassen zu können; dieses Geschäft übernahm mit wahrem Vergnügen ein junger Portraitmaler, der die schöne Frau vor ihrer Vermählung im Brautkleide in Lebensgröße so vortrefflich gemalt hatte, daß selbst der strengste Kenner, und nicht bloß die Braut, seinen kräftigen Pinsel überaus lobte. In kurzer Zeit wurde Karl der unentbehrliche Hausfreund, der an jedem Abende, an dem keine Gesellschaft gebeten war, mit dem alten Herrn am Schachbrette saß, während Antonie neben ihm auf dem Sopha strickte und Liebesblicke wechselte. Eines Abends verließ der Herr Gemahl auf einige Augenblicke das Zimmer, kehrte aber sogleich um, weil im Vorgemache zufällig kein Licht sich befand; da war's ihm, als ob er Küsse habe rauschen hören. Als ein alter Fuchs schwieg er dazu still und sann über[194] ein passendes Mittel nach, sich Ueberzeugung zu verschaffen.

Das Kleeblatt saß eben wieder ganz vergnügt beisammen, als der alte Herr gegen 9 Uhr Abends den Bedienten Johann, der den Dienst im Vorgemache hatte, in das Haus eines gefährlich kranken Freundes schickte, um sich im Namen des Herrn von Holzer nach seinem Befinden zu erkundigen.

Karl bot dem alten Herrn mit dem Springer der Königin ein bedenkliches Schach dem Könige. »Das ist ein verdammter Zug,« – äußerte dieser, »bei dem man sich wohl zusammennehmen darf. Ich finde, daß das Licht nicht hell genug ist.« Indem er mit der Lichtscheere diesem Uebelstande abhelfen wollte, löschte er das Licht aus.

»Ey was treibst du denn, liebes Männchen?« sprach die junge Frau; »gib mir den Leuchter, ich will geschwind Licht im Vorzimmer machen, da zu allem Unglücke gerade jetzt der Johann nicht zu Hause seyn muß.«

»Laß es gut seyn, kleines Plappermäulchen,« versetzte der alte Herr, indem er ihr einen sanften Schlag auf den niedlichen Mund gab, »ich will schon selbst für das Licht sorgen, da ich näher bei der Thüre bin, als du!«

Er trug also den Leuchter in's Vorgemach und schien sich ziemlich lange mit dem großen Schöpfungsworte: »Es werde Licht!« zu beschäftigen. Endlich brachte er das Licht[195] und entschuldigte sein langes Verweilen mit dem Aufsuchen des wahrscheinlich von Johann verlegten Stahles.

Plötzlich rief die junge Frau ganz laut: »Mein Gott, Ihr Mund ist ja ganz schwarz!« und blickte dabei voll Verwunderung den Maler, ihren Geliebten, an.

»Wahrscheinlich hast du dieß schon im Dunkeln bemerkt, und den Herrn Maler mit deinem Munde abwischen wollen,« – nahm der Herr Gemahl das Wort, – »sonst könnte ich nicht begreifen, wie auch du so schwarz geworden bist, mein liebes treues Weibchen! Sieh' nur einmal in den Spiegel!«

Mit diesen Worten führte er sie vor den Ankleidespiegel und hielt das Licht.

Schaam und Angst trieben der jungen Frau das Blut in's Gesicht; sie zitterte am ganzen Leibe, unfähig, auch nur ein einziges Wort zu ihrer Entschuldigung zu finden.

Der ungalante Galan, anstatt durch sein Verweilen den häuslichen Sturm des Augenblickes zu beschwören und seinem Liebchen als treuer Schirmvogt zur Seite zu stehen, machte sich während der Spiegelscene aus dem Staube.

Der listige Fuchs hatte sich, bevor er, anscheinend zufällig, das Licht auslöschte, die rechte hohle Hand mit Frankfurterschwärze gefärbt und damit, durch den sanften Schlag auf das Mäulchen des Weibchens, jene künstliche[196] Falle gelegt, in welche der lose Verräther Amor die beiden Liebenden glücklich zu locken wußte.

Kaum sah sich der alte Herr mit seiner jungen Frau allein unter vier Augen, als er, – ein abgesagter Feind der schwarzen Farbe, die an den Tod erinnere, – der schwarzen Lippen und Wangen seiner treuen Ehehälfte mit einem Gemisch von brauner und blauer Farbe überstrich, wozu er sich eines sehr einfachen und wohlfeilen Hausmittels bediente, das, obgleich es auch die Königin Elisabeth von England einst bei dem Grafen Essex anwendete, dennoch ganz geeignet war, seine bürgerliche Abkunft charakteristisch zu bezeichnen.

Die Folge davon war, daß noch in der nämlichen Nacht das Weibchen den Schutz des Gerichtes anflehte, in das Haus ihrer Eltern zurückkehrte, und nun Kraft des Gesetzes eine reiche Alimentation mit dem jungen Maler verzehret, mit welchem sie, zur Erinnerung an jenes Farbenspiel, bisweilen Göthe's Farbenlehre durchblättert.

Bei der Einwirkung der Gerichte konnten die näheren Umstände dieses in der That originellen Streiches nicht lange verborgen bleiben, und dienten lange Zeit den Klatschzirkeln als eine pikante Würze; die jungen Herren nannten von da an den Herrn von Holzer, freilich nur hinter seinem Rücken, nie mehr anders, als den Herrn Färbemeister.

Fußnoten

1 P. Chrysologus Greimbl, des hl. Ordens der Diener unser lieben Frauen p. t. SS. Theologiae lector, hat sie zu Innsbruck im I. 1759 in die schmerzhafte Bruderschaft eingeschrieben.


Quelle:
Friedrich Wilhelm Bruckbräu: Mittheilungen aus den geheimen Memoiren einer deutschen Sängerin. Zwei Theile, Band 1, Stuttgart 1829, S. 197.
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