Paganini's Concert.

[197] Der Ruf von Paganini's Künstlerruhm war durch alle civilisirten Länder der Erde gedrungen; alle Kenner kamen in der Meinung überein, daß er der größte Violinspieler nicht nur unter den Lebenden, sondern selbst unter jenen sey, deren Ruhm uns die Geschichte ausgezeichneter Künstler auf diesem Instrumente aufbewahrt hat, wohin ich Tartini zähle, einen der größten italienischen Violinspieler in der Mitte des 18ten Jahrhunderts, ein Meister in der Composition, wie im Spiele, der gefeierte Lehrer Aller, welche in jener Zeit die Musik gründlich üben wollten, der die so sehr berühmte, nach seiner Meinung ihm vom Teufel unmittelbar eingegebene Teufelssonate schrieb, vorzüglich seinen Zeitgenossen merkwürdig durch die unheimliche Entstehung, durch die frappanten Gänge, Dissonanzen und Passagen.

Tartini bildete einen nicht minder großen Schüler, den Pietro Nardini, geboren zu Livorno im Jahre 1725, gestorben zu Florenz den 7ten Mai 1796, als erster Violinist der Capelle des Großherzogs von Toscana. Er glänzte vorzüglich im Vortrage des Adagio, worin man oft mehr Gesang als ein Instrument zu hören glaubte. Damals legten es die ausübenden Tonkünstler in ihren öffentlichen Vorträgen nicht darauf an, durch tändelnde Volksmelodien um den lauten Beifall der Mehrheit zu buhlen, oder durch[198] grelle Sprünge zu blenden; der Ton und ein graziöser Vortrag schienen würdigere Beweise ihrer Kunst zu seyn.

Darum konnte auch der Präsident Dupaty in seinen lesenswerthen Briefen über Italien über Nardini's Spiel mit der ihm eigenthümlichen Begeisterung äußern:

Ce violon est une voix, ou en a une. Il a touché des fibres de mon oreille, qui n'avoient jamais frémi. Avec quelle tenuité Nardini divise l'air! avec quel art, en un mot, il traivaille et épure le son.1 (lettre 29.)

Hoch über diesen Beiden steht Paganini, der nach den enthusiastischen mündlichen und Zeitungsberichten von Ohrenzeugen, die glänzendsten Vorzüge seiner einzelnen Kunstvorfahren und Zeitgenossen in sich vereiniget, und alle Erwartung in so hohem Grade übertrifft, daß es der Sprache an erschöpfender Bezeichnung seines Ruhmes gebricht.

Man erzählt, er habe sich einst in Neapel im Schuldthurme befanden, und hier Variationen auf der G Saite seiner Violine mit so hinreißender Bravour gespielt, daß die entzückten Lazzaroni das Gefängniß stürmten, und den großen Meister mit Gewalt befreiten.[199]

Wohl kann man hier sagen: »se non è vero, è ben trovato«,2 da dieser Zug die Kunsthöhe Paganini's und die musikalische Natur seiner Landsleute so treffend bezeichnet.

Die halbe Stadt wollte Paganini hören; an der Kasse des Konzertsaales, wo eine doppelte Wache Ordnung zu erhalten suchte, war ein furchtbares Gedränge, und alle Augenblicke vernahm man einen Angstschrei aus weiblichen Kehlen, wenn der Busen oder die Rippen zarter Frauenzimmer von den Eindringenden zu sehr gepreßt wurden.

Endlich erschien der Hof, und das Konzert wurde mit der rauschenden Ouvertüre aus der diebischen Elster von Rossini eröffnet, und vom Orchester mit der größten Präcision ausgeführt. Eduard, im Stillen noch immer die Gefährtin seiner Jugend, Rosa, herzlich liebend, trug eine brillante Arie aus der Zauberflöte mit hoher Auszeichnung vor, ein junger Zögling des Kapellmeisters Hummel ein Clavierconzert, und nun sollte Paganini erscheinen.

Die Konzertzettel rauschten in tausend Händen; ein dumpfes Murmeln wogte durch den weiten Saal; die Zuhörer auf der Gallerie legten sich sturzdräuend über die Brüstung hinaus. Dann trat eine lautlose Stille ein.[200]

Ein kleiner hagerer Mann, ganz schwarz gekleidet, mit langen schwarzen Haaren, großen dunklen Augen, gebogener Nase und hervorragenden Backenknochen, fast unheimlich wie ein Gespenst anzuschauen, eine unscheinbare Geige unter dem linken Arme, schritt rasch aus einer Seitenthüre des Orchesters, – Paganini war's, und plötzlich brach der Sturm des jubelnden Empfanges los, der sich dreimal wiederholte, und nur dann erst endete, als der Conzertmeister das Zeichen gab. Das erste Solo spielte der Künstler so schlicht und einfach, daß mancher Accessist im Hoforchester sich schon im Stillen für einen größeren Violinisten halten mochte, als den gefeierten Meister. Dann aber entwickelte er ein Spiel, von dem weder irgend ein Mitglied des Orchesters, noch einer aus den Zuhörern, bis zur Stunde auch nur eine Ahnung in seinem Innern getragen hatte.

Wer nun an die gewöhnliche Sitte der reisenden Tonkünstler dachte, die ganze Größe ihrer Kunst erst im Schlußstücke leuchten zu lassen, konnte sich nun vollends nicht vorstellen, wie dieß dem Paganini nach einem solchen Spiele noch möglich seyn würde. Den Beifall zu schildern, welchen der Meister fand, möchte wohl eine vergebliche Mühe seyn; ich gehe also zur zweiten Abtheilung des Konzertes über, die mit einem Flötenkoncertino begann, worauf Rosa die äußerst liebliche Arie aus Cenerentola (Aschenbrödel): »C'era un Rè etc.« mit einer Herrlichkeit sang, welche das ganze[201] Haus begeisterte, und mit einem Beifallssturme gekrönt wurde, wie er vorher dem Paganini gespendet ward.

Aus diesem Meere von Beifalle tauchte nun, wie ein finsterer Geist, Paganini auf, um seine berühmten Bravour-Variationen zu spielen.

Hatte schon Anfangs sein südlicher Citronenteint den innern Ernst des Gemüthes verkündet, so schien dieß jetzt in einem weit höhern Grade der Fall zu seyn. Was er zuerst spielte, konnte ein anderer von den größten Zeitgenossen seiner Kunst zur Roth allenfalls versuchen; doch jetzt wollte er in seinen Bravour-Variationen als König der Violinisten im Krönungsornate den Thron besteigen, um den unendlichen Abstand zwischen dem gekrönten Haupte und den ersten Machthabern über jeden Zweifel zu erheben; denn was er jetzt spielte, und wie er es spielte, war jener Flamme zu vergleichen, die einst Prometheus dem ewigen Jupiter stahl, kein Erzeugniß der irdischen Natur!

Von großen Schwierigkeiten konnte hier keine Rede seyn, weil er Schwierigkeiten gar nicht kannte. Von der weichen Klage bis zum Siegesjubel des Herzens, von der herrlichsten, schöpferischen Phantasie bis zu den Gaukelgebilden phantastischer Launen, wußte er tausendfältigen Zwischenstufen in unbeschreiblichen, nie gehörten Tönen auszudrücken, und Freude, Schmerz, Lachen und Weinen aus den Herzen und Augen der von seelenvollen und wunderbaren Klängen überströmten Zuhörer, bis zum Fieberwahne[202] hervorzuzaubern. Bald schien seine Geige eine Flöte, bald eine Aeolsharfe, bald die silberhelle Stimme einer jungen Nonne, und bisweilen glaubte man zwei, bald drei, bald vier Violinspieler zugleich zu hören, was auch die Augen dagegen einwenden mochten, und als nun das Entzücken die höchste Stufe erreicht hatte, schloß er mit brillanten Variationen auf der einzigen G Saite, und dennoch wähnte man, daß acht Saiten ihre himmlischen Töne bei der blitzschnellen Berührung seines Wunderbogens aushauchten.

Mit dem letzten Tone verschwand Paganini, wurde jedoch sogleich mit rasendem Geschrei gerufen, und erschien dankend, die holde Rosa an der Hand, welche im schwarzsammtnen Gewande im Wiederstrahle eines Diadems und Gürtels von kostbaren Juwelen, die würdige Königin dieses Königes der Violinisten zu seyn schien.

Kenner behaupten, der Ton seiner Violine sey im Allgemeinen zu schwach, in Folge der schwachen Besaitung, ohne welche er alle diese Wunderdinge nicht hervorbringen könnte.

Die Jagd von Mehül schloß diesen genußreichesten Abend, den die Freunde der Musik in der Hauptstadt seit vielen Jahren erlebt hatten.

Fußnoten

1 »Diese Violine ist eine Stimme, oder hat eine. Sie hat Fibern meines Ohres berührt, die niemals gezittert haben. Mit welcher Zartheit theilt Nardini die Luft, mit welcher Kunst! Mit einem Worte, er arbeitet und läutert den Ton« etc. (29ster Brief.)


2 »Wenn auch nicht wahr, doch gut ersonnen.«


Quelle:
Friedrich Wilhelm Bruckbräu: Mittheilungen aus den geheimen Memoiren einer deutschen Sängerin. Zwei Theile, Band 1, Stuttgart 1829, S. 197-203.
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