Sie kommt! Sie kommt!

[21] »Bursche fertig!« schrie der Zugführer, »sie kommt! sie kommt!« und alle Anwesenden riefen einstimmig: »sie kommt! sie kommt!«

Im ersten Wagen saßen ihr Cassier, ihr Kammerdiener und zwei Kammermädchen. Dieser Wagen fuhr vorüber, ohne anzuhalten.[21]

In einem geöffneten, prächtigen Landauerwagen erschien nun die erste Sängerin ihrer Zeit, die Krone der schönen Mädchen, Rosa, und wurde von einem dreimaligen donnernden Lebehoch begrüßt. Sie schlug sogleich den kostbarsten Reiseschleier zurück, den je eine regierende Königin getragen hat, und dankte mit bezaubernder Huld, indem sie ihr Engelantlitz wohl öfter als zwanzigmal neigte. Zu ihrer Linken saß ihre alte Tante, wahrscheinlich nur Titulartante, und zwei sehr schöne Gesellschaftsfräulein nahmen die Plätze gegenüber ein. Auf beiden Seiten des Wagens ritten als Ehrenwache die Söhne aus den adeligen Familien der Hauptstadt, Cavallerie-Offiziere und einige Dichter, die auf den Miethpferden eben so schlecht wie auf dem Pegasus saßen. Der Vorstand der ersten Stadtbühne an der Spitze des gesammten männlichen Personals der Künstler, drängte sich mit Mühe durch die gaffende Menge, trat an den Schlag des Wagens, verneigte sich dreimal, und sprach: »Verehrungswürdige große Künstlerin! Als der Vorstand der ersten Bühne dieser Hauptstadt beeile ich mich, umgeben von allen ausübenden Künstlern, Sie nach dem hohen Range Ihres bisher unerreichten Talentes in dem Augenblicke mit der Versicherung unserer unbegränzten Verehrung und Bewunderung würdig zu begrüßen, wo Sie, bedeckt mit den ewig grünenden Lorbeeren der Kunst, gepflückt in den ersten Hauptstädten der civilisirten Welt, eine Stadt mit Ihrer Gegenwart beehren wollen, welche[22] von allen Kennern als die Wiege der Wissenschaften und schönen Künste gepriesen wird. Möge der Himmel es gnädig fügen, daß Ihnen die Huldigungen aller Herzen, die Ihnen sehnsuchtsvoll entgegen schlagen, gefallen, und Sie auf lange, vielleicht auf immer an uns binden, wenn es Sterblichen vergönnt ist, die zehnte Muse und vierte Grazie, und doch im Doppelchore die erste, in ihrer Mitte zu behalten!«

Rosa lächelte mild, wie ein Morgenstrahl der Frühlingssonne, der durch die Purpursäume zarter Wolken bricht, und sprach melodisch, wie Raphael der Erzengel, als ihn Gott zu den ersten Menschen im Paradiese sendete:

»Zu tief bewegt bin ich von der hohen Ehre dieses Empfanges, als daß es mir möglich wäre, in würdigen Worten die reiche Fülle meines innigsten Dankes zu erschöpfen. Möge es meinem guten Willen gelingen, Ihren allzugütigen Erwartungen zu entsprechen, und die schmeichelhafte Auszeichnung zu verdienen, womit Sie mich auf eine ewig unvergeßliche Weise überrascht haben. – Ich bitte um Champagner!«

Dutzendweise stürzten die Herren, während das Vivatrufen gar kein Ende nahm, in das Gastzimmer, um Champagner zu holen, und ein flotter Bursche ritt zu gleichem Zwecke mitten in den Salon hinein.

Dem stämmigen Rittergutsbesitzer gelang es,[23] die Braut heimzuführen, nämlich der Erste zu seyn, der den gewünschten Champagner der himmlischen Rosa kredenzte.

Mit unaussprechlichem Liebreize erhob sich die große Künstlerin im Wagen, und rief: »Auf das Wohl der Hauptstadt, die mich gastlich aufnimmt, auf das Wohl Aller, die mich umgeben, denn ich trage Sie Alle als Freunde ewig in meinem Herzen!«

Nach diesen Worten, welchen ein Jubelsturm folgte, stürzte sie das Glas aus, bis auf die Nagelprobe, und gab es dem Rittergutsbesitzer zurück, der es, als habe er eine Krone erhalten, mit seltsamer Hast in die Seitentasche seines Oberrockes steckte, und die Flasche gleichfalls zu einem Kabinetsstücke bestimmt, krampfhaft mit beiden Händen faßte. »Nach der Oper,« – fuhr Rosa fort, – »hoffe ich die Ehre zu haben, Sie, werthester Herr Vorstand der er sten Stadtbühne, nebst dem ganzen Theaterpersonal, Herren und Damen, an meiner Abendtafel zu bewirthen; auch bitte ich, sämmtliche Dichter und Recensenten in meinem Namen dazu einzuladen!«

So angenehme Eröffnungen können niemals die rechte Wirkung verfehlen. Die Tafelgenossen schwenkten ihre Hüte und brachten ihr ein Lebehoch, im süßen Vorgefühle der irdischen Freuden dieses Abendes, und das reitende wilde Heer brüllte den Baß dazu.

Noch einmal verneigte sich Rosa freundlich grüßend[24] nach allen Seiten, und wollte eben das Zeichen zur Abfahrt geben, als der Rittergutsbesitzer so kühn war, sie um die Bewilligung eines Besuches am folgenden Morgen zu bitten; Rosa gewährte nicht nur seine Bitte, sondern lud ihn auch zur Abendtafel, worüber er von unendlicher Wonne förmlich erstarrte, so daß die Flasche seinen Händen entsank, und in zahllosen Scherben die Straße bedeckte. Als wären sie kostbare Juwelen, stürzte sich die Menge darauf hin, um sich in diese eingebildete Beute zu theilen, wobei mancher Finger bluten mußte, während der Wagen, eingehüllt in eine Staubwolke, und umschwärmt von den huldigenden Reitern, den Triumphen der Kunst entgegenrollte.

Quelle:
Friedrich Wilhelm Bruckbräu: Mittheilungen aus den geheimen Memoiren einer deutschen Sängerin. Zwei Theile, Band 1, Stuttgart 1829, S. 21-25.
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