Das nothwendige Unglück.

[117] Alle Gäste empfingen das Boot mit einem dreifachen jubelnden Lebehoch am Ufer; die Musiker spielten einen Triumphmarsch; Pechkränze loderten auf eisernen Rosten in Zwischenräumen und bildeten einen rothen Flammengürtel des See's.

Auf der Insel wurde ein prächtiges Feuerwerk abgebrannt,[117] die Namenszüge des Fürsten und seiner ganzen Familie leuchteten im buntesten Farbenspiele. Das colossale Nationalwappen im Brillantfeuer schloß dieß glänzende Schauspiel.

Die Tanzlustigen sehnten sich nun nach den Ballfreuden; Alle folgten nach dem Takte des Marsches dem Fürsten und der Prinzessin in den Ballsaal. Auf dem Wege dahin erhielt diese von Rosa noch manche Unterweisung, wie sie ihre wichtige Rolle in der großen Intrigue zu spielen habe, die nun immer mehr und enger geschürzt, und zuletzt glücklich gelöset werden sollte.

Der alte Geheimerath von Wurz, Leibarzt des Fürsten, zog Rosa in eine Ecke.

»Engel,« begann er, »ich muß dich besitzen, um jeden Preis, und würde dir selbst meine Hand bieten, wenn ich nicht schon verheirathet wäre. Verlange, was du nur immer willst, ich gewähre dirs; nur versage mir eine heimliche Zusammenkunft nicht, womit du, – ich sage dir's, ohne dich kränken zu wollen, doch so manchen Andern beglückt hast. Ich lasse dich nicht mehr los, bis du mir gleich auf der Stelle den Preis deiner Gunst bestimmst. Du weißt, ich bin, Gott sey Dank, sehr reich, und habe keine Kinder. Fordere also, und gewähre mir endlich, um was ich schon so oft dich gebeten habe!«

Der alte Sünder kam unserer Rosa gerade zur rechten Zeit in den Wurf.[118]

»Ich habe schon einmal die Ehre gehabt, Herr Geheimerath,« antwortete sogleich Rosa, »Ihnen zu bemerken, daß liebenswürdige Männer keines Geldes bedürfen, um meine Gunst zu gewinnen. Daß Sie zu diesen gezählt zu werden verdienen; sehen Sie selbst so gut ein wie ich. Ein munterer Fünfziger, wie Sie, hat noch immer ein volles Recht auf die Gegenliebe schöner Damen! kannte ich doch einen verheiratheten Sechs und Sechziger, dem ein liebenswürdiges pfiffiges Mädchen von 22 Jahren Vaterfreuden bereitete, wie eifrig er auch gegen diese ehrenvolle Zumuthung protestirte, und sogar mit der Unfähigkeit seines Alters sich aus der Schlinge ziehen wollte; das Gericht bestätigte ihn aber in der aufgedrungenen Würde als Vater eines natürlichen Sohnes, dessen rundes, gesundes Köpfchen dem seinigen gerade so ähnlich war, wie eine Melone einer gedörrten Zwetschge. Bin ich heute nicht recht muthwillig?«

»O ja, mein Herzchen, so viel ich merke, allerdings. Aber den Preis, den Preis möcht' ich wissen, mein Schätzchen, mein Engelchen!«

»So hören Sie! Die Prinzessin Eleonora hat von ihrem Vater, dem Fürsten, die Erlaubniß erhalten, bei und von mir singen zu lernen. So wie die Prinzessin mich selbst mit besonderer Gewogenheit beglückt, so hat sie auch eine vorzügliche Vorliebe für den Aufenthalt auf meinem Landhause, und auf der Insel, von der wir so eben[119] zurückkommen. Nun könnte sie zwar geradezu den Wunsch äußern, mit ihrer Obersthofmeisterin, so lang es ihr beliebe, hier zu wohnen; allein die Rücksichten der Etiquette möchten der Erfüllung dieses Wunsches entgegenstehen. Eine solche Bitte, oder ein solcher Wunsch muß also gleich von vorne herein mit solcher Umsicht gethan werden, daß keine Abweisung als wahrscheinlich zu befürchten ist. Dieß sey nun Ihr Werk. Benützen Sie die nächste Gelegenheit, sobald die Prinzessin über ein Uebelbefinden klagt, zu rathen, und darauf zu dringen, daß sie auf unbestimmte Zeit mein Landhaus beziehe, indem die Luft hier der Prinzessin am zuträglichsten und eine gründliche Befestigung ihrer Gesundheit nur an diesem Orte, nur in dieser Umgebung zu hoffen sey; wollte man Ihrem Rathe nicht folgen, so müßten Sie sich gegen jede Verantwortlichkeit verwahren, die aus einem entgegengesetzten Verfahren entspringen würde.«

»Sobald nun der Fürst seine Einwilligung gegeben hat, woran nicht zu zweifeln ist, so kröne ich Ihren Wunsch. Nun kennen Sie den Preis meiner Gunst!«

»Nichts leichter, mein Engelchen, nichts leichter; ey da sind wir ja schon Handels einig. Sag du nur der Prinzessin, sie möge über eine Drüsenanschwellung des Unterleibes sich beklagen; diese Krankheit ist eine von denjenigen, welche der Einwirkung einer gefunden Luft zur glücklichen[120] Heilung bedürfen. Das Uebrige wird sich dann schon finden!«

Die Anschwellung hatte sich schon gefunden, es war sohin nur noch die Klage nöthig, und dazu fand sich bald eine schickliche Gelegenheit.

Die Prinzessin trat eben aus dem Speisesaal in den Ballsaal, als sie, ohne Zweifel vorsätzlich, ausglitt, und auf das rechte Knie fiel.

Natürlich eilte man sogleich herbei, um ihr wieder auf die Beine zu helfen, und zwar mit so dienstfertiger Hast, daß einige andere umgeworfen wurden. Auf Rosa gestützt, wankte sie am Arme ihres Vaters in eines der prächtig meublirten Gemächer des Landhauses, worin sie keine von den Bequemlichkeiten der Residenz vermißte.

»Der Herr Leibarzt soll kommen!« rief der Kam merherr der Dienerschaft zu, und Alle stürzten in den Speisesaal, in der geheimen Ahnung, ja ich möchte sagen: in der offenen Gewißheit, ihn dort zu finden.

So war es auch.

Der Herr Geheimerath saß noch fest vor einem mit den feinsten Trüffeln gefüllten Fasane, dem Anscheine nach mit der vergleichenden Anatomie beschäftiget; denn er zerlegte diesen edlen Vogel mit der Gewandtheit und Genauigkeit eines Bruchoperateurs, dessen Hand durch die Breite eines Haares in der Führung des Messers über Leben oder Tod entscheidet.[121]

»Nun da haben wir's ja, das ist's ja, was ich sage,« versetzte der Geheimerath und Leibarzt, der durchaus nicht unrecht haben wollte, und sich über den Widerspruch des Kammerporteurs ärgerte, – »dieser Fall ist schon eine Folge der Schwäche des Unterleibes, welche durch die Drüsenanschwellung veranlaßt wurde.«

Während dieser Reden und Gegenreden suchte der edle Tafelheld die letzten Reste des Fasans in den Abgrund seines lüsternen Magens zu versenken, vermittelst der geöffneten Schleusen einer Flasche des köstlichen strohgelben Weines, genannt Eremitage.

»Rathen Sie, helfen Sie,« rief der Fürst dem eine tretenden Leibarzte entgegen.

Der Heilkünstler verlangte den verletzten Theil zu sehen, und die Patientin mußte, ungeachtet ihres Sträubens, gehorchen. Schüchtern und erröthend zog sie das Ballkleid, das zarte Unterröckchen und das Hemdchen über das rechte Knie hinauf, und eines der schönsten Füßchen, das jemals die Natur gedrechselt hat, lag vor seinen Augen.

O Aerzte und Wundärzte, ihr glücklichsten Wesen unter den Männern, ihr seyd die Beichtväter des Leibes, welchen nicht der kleinste Umstand darf verhehlet werden! Vor euern Augen müssen alle Verhüllungen weichen, jungfräuliches Erröthen und keusche Scham selbst das letzte Asyl im geheimsten Heiligthume räumen! Ein Anblick, wornach[122] selbst glücklich Liebende jahrelang mit unermüdlicher Bewerbung ringen, den zahllosen Thränen und die rührendsten Bitten, und die heiligsten Schwüre oft vergebens zu verdienen suchen, kostet euch nur die höflichen Worte: »Wollen Sie mir gefälligst – dieß oder jenes – sehen lassen!«

Mit einem Anfluge teuflischen Triumphes übet jeder Arzt dieses alte Zunftrecht bei einer jungen hübschen Patientin aus, und bringt dadurch hundert Anbeter zur Verzweiflung, die auf andern Wegen fruchtlos nach demselben Ziele streben.

Auch der Herr Leibarzt vergaß nicht, von seiner Autorität Gebrauch zu machen.

Sanft befühlte er die kaum merkliche Schwellung des Knies, äußerte aber die Vermuthung, daß sie ohne Zweifel schenkelaufwärts fortlaufe, und erlaubte sich eine Fortsetzung der Betastung bis auf die Hälfte des Weges.

»Nun, was halten Sie von der Sache?«' fragte der Fürst; »was mag den Fall meiner Tochter veranlaßt haben?«

»Nach den Zeichen der Verletzung zu urtheilen,« erwiederte der Leibarzt, »sind die Prinzessin über eine Meerrettigwurzel gefallen; von einer Gefahr ist hier nicht die Rede, doch müssen Ueberschläge von gekochten Kräutern fleißig gebraucht, und alle Bewegungen durchaus vermieden werden. – Darf ich um die Erlaubniß bitten,[123] den Unterleib anzufühlen? Ziehen Sie nur das Unterröckchen weg, und lassen Sie blos das Hemd darauf liegen! So ist's recht! da haben wir's ja, es trifft ein, was ich gleich anfangs gesagt habe! die Prinzessin leiden an einer Drüsenanschwellung des Unterleibes! das ist ein fatales, langweiliges Uebel!«

»Aber mein Gott, wie kommt denn meine Tochter zu diesem Uebel?« rief der Fürst aus.

»Auf eine sehr einfache Weise, durch Mangel an Bewegung, und besonders durch die eingesperrte schlechte Hof- und Residenzlust!«

»Was gedenken Sie dagegen anzuwenden?«

»Die Prinzessin müssen auf unbestimmte Zeit gleich wohl den Freuden des Hofes entsagen, und im Genuße der schönen Natur frische Lebenskraft suchen. Zu diesem Zwecke weiß ich keinen passenderen Aufenthalt vorzuschlagen, als dieses Landhaus. Die Luft ist hier rein und wahrhaft balsamisch; die Lage der Besitzung schützt gegen die bösen Nord- und Westwinde; Eure Durchlaucht können die Prinzessin zu jeder Stunde besuchen, ohne sich den Regierungsgeschäften zu entziehen. Alle Umstände vereinigen sich, die Wahl dieses Aufenthaltes jeder andern vorzuziehen. Daß aber dieses Kurmittel das einzige und dringend-nöthige für die Prinzessin sey, um gründlich hergestellt zu werden, dieß erkläre ich bei meiner wichtigen Pflicht als Leibarzt Eurer Durchlaucht, und verwahre mich feierlich[124] und ausdrücklich gegen jede Verantwortlichkeit, die aus einem entgegengesetzten Verfahren mir aufgebürdet werden möchte.«

Der Fürst schien über diesen Vorschlag nachzudenken, während der Leibarzt das Recept zu den Umschlägen schrieb.

»Was meinst du, Rosa?« fragte er leise.

»Eure Durchlaucht sollten sogleich Ihre Einwilligung geben, indem Sie auf diese Art eine schickliche Gelegenheit fänden, mich täglich zu besuchen, ohne das mindeste Aufsehen zu erregen. Es ist Raum genug in meinem Hause, um sowohl die Prinzessin als deren Obersthofmeisterin, welche der Etiquette gemäß sie umgeben muß, anständig zu beherbergen. Die Einwilligung Eurer Durchlaucht würde ich überdieß als einen ausgezeichneten Beweis von Liebe und Vertrauen zu verehren wissen!«

»Wohlan, mein lieber Wurz, ich nehme Ihren Rath an; meine Tochter bleibt von heute an mit der Obersthofmeisterin auf diesem Landhause, so lange Sie es für nöthig finden. Ich werde Sorge tragen, daß morgen für die beiden Gäste aus der Residenz die gewohnten Bequemlichkeiten der Garderobe herbeigeschafft werden. Mein lieber Kammerherr, eröffnen Sie den Gästen meinen Wunsch, daß der Ball nicht unterbrochen werde. Ich will in wenigen Augenblicken selbst wieder daran Theil nehmen.«

Der Fürst glaubte dem Zufalle das Glück zu verdanken,[125] seine Rosa täglich ungestört, und ohne Aufsehen sprechen zu können, weil Jedermann glauben werde, daß sein Besuch der Tochter gelte.

Die Prinzessin war nach Rosa's Plane, den ich bald näher entwickeln werde, gerettet.

Rosa's Plan schien über alle Schwierigkeiten gesiegt zu haben. Sie hielt nun alle Fäden in ihrer Hand.

Der Sohn Aeskulaps, der Leibarzt, war in Gott vergnügt, erstens wegen der wonnigen Betastungen eines schönen fürstlichen Damenleibes, und zweitens wegen der seligen Verheißung Rosa's, deren Bedingung er so schnell erfüllt hatte; der süße Lohn konnte ihm nicht entgehen.

Vier Personen standen sohin nun an der Schwelle ihres Glückes.

Die Gäste zögerten noch immer, sich so unbefangen wie vorher den Freuden des Balles hinzugeben. Um neues Leben in die Gesellschaft zu bringen, erschien der Fürst wieder im Ballsaale, beruhigte die Fragenden über das Befinden der Prinzessin und verbreitete durch eigenen Frohsinn wieder allgemeine Heiterkeit.

Rosa's Dienerschaft gab sich alle erdenkliche Mühe, die Meerrettigwurzel zu finden, über welche die Prinzessin gefallen war, allein vergebens. Der getäfelte Boden konnte sie nicht verschlungen haben; wahrscheinlich hatte sie der fahrlässige Diener, dem sie entfallen seyn mochte, im[126] Gedränge schnell zur Seite gebracht, damit sie nicht als ein Beweis gegen ihn diene, oder ein geheimer Verehrer der Prinzessin sie in die Tasche gesteckt, um sie als ein durch die Knieberührung der schönen Eleonora zur Reliquie geweihtes Kabinetsstück aufzubewahren. Jede von diesen Meinungen fand ihre Ahänger, die Behauptung des Leibarztes aber in jedem Falle vollen Glauben, weil ja auch bei der Leichenbeschau gewaltsam Ermordeter die Aerzte glaubwürdig die Natur des Mordwerkzeuges bestimmen können.

Freilich ist dieser Vergleich weit hergeholt, allein man kann nicht jeden in der Nähe haben.

Am Knie der Prinzessin hätte ein anderer als der Leibarzt vielleicht nicht einmal mit einem Pflanzenstaubfäden-Vergrößerungsglase eine Anschwellung, viel weniger eine Wunde gefunden, deren Form geeignet gewesen wäre, einen Schluß auf die objektive Veranlassung auch nur beiläufig zu unterstützen. Auch war die Prinzessin nach der Behauptung des Leibarztes über die Meerrettigwurzel, keineswegs aber auf dieselbe gefallen; in diesem Falle hätte man die Meinung des gelehrten Herrn doch einigermassen rechtfertigen können. Bei dem anerkannten Mangel desselben an parodirendem Witze ist auch nicht wohl zu vermuthen, daß er sich der Meerrettigwurzel, unter geheimem Vorbehalte figürlicher oder symbolischer Deutung, bedient habe; es scheint also, nach reiflicher Erwägung[127] aller obwaltenden Umstände, daß Herr von Wurz der Namensähnlichkeit wegen die leibärztliche Weisheit mit einer Zuthat von persönlicher Eitelkeit würzen wollte. Die schönen Damen, welche die von mir gebrauchten ausländischen Worte in dieser Kniegeschichte nicht verstehen, belieben sich gefälligst persönlich oder in vertraulichen Briefchen an mich, oder an ihre sprachkundigen Anbeter um nähere Aufklärung zu wenden.

Rosa bat ihren Freund Hetzer, der gleichfalls zum Balle geladen war, sie am nächsten Tage um 10 Uhr Morgens zu besuchen, da sie etwas sehr Wichtiges mit ihm zu sprechen habe.

Erst um zwei Uhr nach Mitternacht entfernte sich der Fürst, und eine Stunde später war das Landhaus leer von Gästen.

Quelle:
Friedrich Wilhelm Bruckbräu: Mittheilungen aus den geheimen Memoiren einer deutschen Sängerin. Zwei Theile, Band 2, Stuttgart 1829, S. 117-128.
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