Der Vertrag mit den drei Vätern.

[159] Beinahe zwei Monate waren bereits mit unbemerkter Eile vorübergegangen, und die Drüsenanschwellung am Leibe der Prinzessin Eleonora nahm mit jeder Woche zu, anstatt ab, während am Knie keine Spur einer Beschädigung durch die Meerrettigwurzel mehr zu erblicken war, deren Nachwehen sich vielmehr aufwärts gezogen zu haben schienen. Beide Freundinnen ließen sich ganz gleiche Hauskleider machen, welche von einer Hüfte zur andern einen Faltengürtel bildeten, um durch gleichen Umfang des Leibes kein Aufsehen zu erregen.

»Wie steht es nun mit uns beiden?« fragte eines Abends der Gesandte, als er mit Rosa vertraulich auf einem Divan saß, und das Anschwellen ihres Leibes für zweifellose Schwangerschaft hielt.[159]

»Wollen Sie mich etwa heirathen?« erwiederte Rosa hastig.

»Liebes Kind, dieß kann ich aus tausend Ursachen nicht, die ich dir theils schon erzählt, theils auch verschwiegen habe. Doch eine Entschädigung will ich dir geben, unter der Bedingung, daß ich weder als Vater vor einer weltlichen oder geistlichen Behörde genannt, noch jemals nachträglich zur Erfüllung irgend einer fernern Verbindlichkeit angehalten werde.«

»Wie viel?«

»Zweimalhunderttausend Franken!«

»Topp! es gilt! in das Taufregister des Pfarramtes wird nur der Name der Mutter und des Kindes gesetzt, wenn dieses außerehelich erzeugt wurde; Niemand frägt in diesem Falle nach dem Namen des Vaters; Sie sind vor Entdeckung sicher.«

Der Loskauf war geschlossen, und der Gesandte stellte vier Wechsel aus, jeden zu 50000 Franken, zahlbar nach Sicht. Da ihm jedoch Rosa bemerkte, daß die Einkassirung so bedeutender Summen, im Falle sie von ihr geschähe, zu allerlei Nachspürungen und widrigen Gerüchten Anlaß geben könnte, so erbot sich der Gesandte, ihr au porteur lautende Staatspapiere dafür einzuhändigen, was er auch am folgenden Tage that.

Der Fürst schwamm in einem Meere von Wonne, als ihm Rosa die Gewißheit gab, Vater zu werden; daß[160] er Großvater genannt sey, wußte er freilich nicht. Vergebens bot er ihr Gold in Fülle, Juwelen, die kostbarsten Shawls und Kleinodien der seltensten Art an, sie schlug jedes Geschenk aus, und betheuerte, daß die Annahme eines solchen sie in die Klasse der gewöhnlichen Mätressen setzen, und mit Gleichgültigkeit gegen ihn anstatt mit erhöhter Liebe erfüllen müßte.

»Nun, so äußere irgend einen Wunsch, dessen Erfüllung dir angenehm wäre; ich verbürge dir die unbedingte Gewährung bei meinem fürstlichen Worte!«

»Wohlan, ich nehme Euer Durchlaucht bei dem gegebenen Worte. Die Prinzessin Eleonora, welche mich mit ihrem Vertrauen beehret, hat mir gestanden, daß sie den Prinzen Paul liebe, und von ihm innig geliebt werde, und daß sie kein größeres Glück auf Erden kenne, als seine Gattin zu werden. Nur die Zustimmung Eurer Durchlaucht fehlt noch; diese ist es nun, um welche ich bitte.«

»Ich kann sie nicht geben; politische Rücksichten hindern mich!«

»Von Politik versteh' ich nichts, aber so viel weiß ich, daß die Prinzessin Eleonora durch die Hätte Eurer Durchlaucht eine Beute des Grames aus unglücklicher Liebe, und somit ein frühes Opfer des Todes werden wird.«

»Das wolle Gott verhüten!«[161]

»Und nächst Gott Eure Durchlaucht! Wie groß wird Ihre Vaterfreude seyn, wenn Sie in Ihrer erlauchten Familie an ein und demselben Tage eine Doppelhochzeit feiern werden?«

»Wie so?«

»Der Erbprinz und Eleonora!«

»Bei jenem hab' ich schon alle Hoffnung aufgegeben; Chiaretti ist zwar verreiset; aber wenn sie zurückkehrt, fängt der Handel wieder von vorne an.«

»Chiaretti wird wohl nicht mehr zurück kommen, so viel ich vernommen habe.«

»Nicht?«

»Nein.«

»Weißt du dieß gewiß? Sie hat doch nur eine Reise in Familienangelegenheiten angetreten!«

»So sagt man, doch zweifle ich, daß sie jemals in ihre bisherigen Verhältnisse zurücktreten werde. Der Erbprinz hat sich bei seinem jüngsten Besuche, womit er mich beehrte, sogar geneigt geäußert, ernstlich an eine eheliche Verbindung zu denken, und es wäre mir in der That nicht sehr bange, seinen Willen zur That zu bestimmen.«

»Rosa, wenn dieß in deiner Macht stände, wenn du mir als Vermittlerin entgegen trätest, so würde ich augenblicklich in Eleonorens Verbindung mit dem Prinzen Paul einwilligen!«[162]

»So ist denn das Doppelglück ihres Hauses entschieden; der Erbprinz hat mich wirklich bevollmächtiget, Eurer Durchlaucht seinen festen Entschluß hiewegen zu eröffnen, und da auf diese Weise nun auch die Erfüllung des höchsten Wunsches der Prinzessin Eleonora keinem Anstande mehr unterliegt, so darf ich diesen Tag als einen solchen in meinem Tagebuche bezeichnen, der durch die Beglückung theuerer Wesen zu den Festtagen meines Lebens gehört.«

Von diesem Augenblicke an war Rosa nicht mehr blos die Geliebte des Fürsten, sondern seine Göttin, sein Orakel, und nichts geschah, ohne daß er zuvor ihre Meinung erholte.

Eleonorens Seligkeit zu schildern, möchte wohl eine schwere Aufgabe sein! Nun stand sie dem Ziele ihrer schönsten Wünsche so nahe! Augenblicklich schrieb sie ihrem geliebten Paul den günstigen Stand der Verhältnisse, und daß seine Bewerbung die erfreulichste Aufnahme finden werde. Paul säumte auch nicht, sogleich die nöthige Einleitung zu treffen.

Der Erbprinz trat eine sehr ausgedehnte Reise an, besuchte die vorzüglichsten Höfe und fand an einem derselben eine achtzehnjährige, wunderschöne Prinzessin, die mit den Grazien an Anmuth, und mit Engeln an Tugenden wetteiferte.

Die Werbung nahm bald ihren förmlichen Gang;[163] Rosa wußte es so zu lenken, daß der Fürst die Doppelvermählung auf einen Tag festsetzte, der gerade zwei Monate nach Eleonorens Entbindung anbrach.

Inzwischen machte es ein gewaltiges Aufsehen, daß Rosa schon seit mehreren Monaten weder auf der Bühne aufgetreten, noch in der fürstlichen Kapelle erschienen war. Diese Ferien schienen vom Fürsten stillschweigend genehmiget zu seyn. Dem gewöhnlichen Argwohne gemäß muß eine Bühnenkünstlerin, welche einige Zeit hindurch nicht vor dem Theaterpublikum erscheint, schwanger seyn, und die liebe Fama weiß dann immerhin gleich eine Menge Väter zu nennen. So hieß es denn auch, Rosa sey die erklärte Geliebte des Fürsten, sey von ihm schwanger, und der Fürst lasse die Prinzessin Eleonora nur deßwegen unter dem Vorwande bei ihr wohnen, um im Gesange Unterricht zu nehmen, damit vor der Welt ein annehmbarer Entschuldigungsgrund für Rosas Benehmen bestehe.

Wer diesem Gerüchte am wenigsten Glauben schenkte, war der Gesandte.

»Wär's wirklich so,« dachte er sich, »so würde sie, sey's auch nur, um den Ruf des Fürsten zu schonen, ja selbst mit Zustimmung desselben, mich als Vater vorgeschoben, und mein Anerbieten, ihr meine Hand zu reichen, mit Vergnügen angenommen haben.«

Der Ankauf einer so außerordentlich großen Summe in Staatspapieren schien ein Grund mehr für die Glaubwürdigkeit[164] des Gerüchtes; durch einem unbedeutenden Zufall ward es nämlich bekannt, daß diese Staatspapiere in Rosa's Hände kamen.

Fragte Jemand in den Salons der Großen, worin die Klatschereien in eine Art von System, durch Geschmack versüßt, gebracht werden, den Gesandten vertraulich in einer Ecke: »Nun, was sagen Sie zu dem Verhältnisse des Fürsten mit der Sängerin Rosa? Glauben Sie daran? Soll sie wirklich von ihm schwanger seyn?« so zuckte er gewöhnlich die Achseln, mit einer Miene, die mehr Glauben als Unglauben zu verrathen schien, und erwiederte: »Außer den beiden Hauptpersonen kann eine dritte in solchen Angelegenheiten selten etwas Verlässiges wissen, es sey denn unmittelbar aus dem Munde der Betheiligten; und wer möchte selbst in diesem Falle die Wahrheit der Mittheilung verbürgen?«

Obgleich Rosa bei dem Theater, bei der Hofkapelle and am Hofe selbst sehr viele Feinde hatte, so wagte es dennoch Niemand, die Fürstin von diesen Gerüchten in Kenntniß zu setzen. Ihre fürstliche Ehre hätte in jedem Falle eine Einschreitung auf irgend eine Weise nöthig gemacht, und wenigstens wäre Rosa's Entfernung aus der Hauptstadt veranlaßt geworden. Selbst der Fürst, um keinen Verdacht zu geben, würde nichts dagegen eingewendet und die Geliebte gleichwohl der Gemahlin aufgeopfert haben; ein Fürst ist ja in seinem häuslichen Leben[165] der öffentlichen Meinung höhere Rücksichten schuldig, als irgend ein Privatmann. Es waren jedoch so donnerschwere Stoffe über Rosa's Haupte aufgehäuft, daß die furchtbare Entladung eines Hochgewitters selbst von unserer Rosa nicht mehr bezweifelt wurde; von welcher Seite es aber losbrechen werde, konnte sie nicht voraussagen, weil politische Gewitter nicht gleich den natürlichen, in schwarzen, drohenden Wolkenmassen am Horizonte sich aufthürmen, für Jedermann sichtbar.

Die Hauptarmee von Rosa's Feinden ließ das Vorpostengefecht durch den Vorstand des Theaters eröffnen, der in seinem dummen Eigendünkel sich in einer großen Gesellschaft kurz zuvor laut geäußert hatte: »er wolle dieser hochmüthigen Bretterdame schon noch zeigen, wer zu befehlen habe, und wer gehorchen müsse.« Dieser rednerische Uebergriff seiner Ansicht von Amtswürde floß jedoch aus einer trockenen Quelle, aus einem Korbe nämlich, den sie ihm auf einige verwegene Anträge gereicht hatte.

Rosa konnte nämlich von jener Zeit an nicht mehr auftreten, als die fortgeschrittene Schwangerschaft der Prinzessin jenen Umfang sich eigen machte, der keinen Zweifel über die veränderten Verhältnisse übrig ließ, damit die drei Väter in ihrem Glauben ja nicht irre würden.

Der Leibarzt hatte daher der Rosa das nöthige ärztliche Attest ausgestellt, und darin ein erdichtetes Uebel unter einem barbarischen, halb lateinischen, halb griechischen[166] Titel aufgeführt, dessen gründliche Heilung den ununterbrochenen Genuß der Landluft, und das Enthalten vom anstrengenden Singen erforderlich mache. Er selbst wußte übrigens mehr nicht, als daß Rosa die Prinzessin nicht zu verlassen wünsche, fühlte sich aber durch die Gewissenhaftigkeit Rosa's, womit sie für die Erfüllung ihres ihm gegebenen Versprechens sorgte, zu allen Gegengefälligkeiten verpflichtet. –

Der Herr Theatervorstand setzte sich in den hohlen Kopf, worin es auch bequemen Raum fand, – daß dieses Attest nun einmal nicht genügen sollte.

Bekanntlich werden nur die Herrn und Damen an Hofbühnen abwechselnd von spielhindernden Krankheiten und Unpäßlichkeiten befallen, welche lebenslänglich angestellt sind, und den Verlust ihrer dienstlichen Vortheile nie zu befürchten haben; an kleinen Theatern, deren Unternehmer durch das Personal vom Publikum leben müssen, dürfen sie gar nicht krank werden, ja nicht einmal kränklich, wie der genannte Herr Theatervorstand die Unpäßlichen lange Zeit auf den Zetteln nennen ließ. Da er nun einmal im Zuge war, boshaft zu seyn, so schrieb er unserer Rosa: aß dieses ärztliche Attest nicht hinreiche, die Theaterdirektion über die Wirklichkeit ihres Krankseyns zu beruhigen, und er sich sohin verpflichtet finde, den Theaterarzt zur persönlichen Untersuchung abzuordnen.

[167] Rosa schrieb ihm sogleich zurück: »Verschonen Sie gefälligst den Theaterarzt mit einem Besuche auf meinem Landhause, indem ich es für weit einfacher halte, wenn Sie die Verfügung treffen wollen, daß mein Gehalt als Sängerin sowohl auf der Hofbühne als in der fürstlichen Kapelle, bis zu meinem Wiederauftreten eingezogen werde.«

Eine solche Antwort hatte diese lebendige Parodie eines Theatervorstandes nicht erwartet, und beschäftigte sich drei Tage lang mit dem Nachsinnen über die weiters zu ergreifende Maßregel, als eine papierne Kabinetsnase, das heißt: eine Kabinets-Entschließung des Fürsten ihm sein instruktionswidriges Verfahren rügte.

In seiner gereizten Dummheit rannte der alberne Mensch zur alten Hofdame, durch deren Schürzengunst er auf diesem Posten stand, klagte über des Fürsten ungerechte Kränkung seiner dienstlichen Ehre, und bat um eine Audienz bei der Fürstin, die er auch erhielt. Vom Eifer des Vortrages hingerissen, erzählte er alle Gerüchte, die in der ganzen Stadt über das ausschweifende Leben Rosa's und über ihr Verhältniß mit dem Fürsten für baare Münze galten. Die kluge Fürstin hörte ihn schweigend und lächelnd an, wohl wissend, daß die rechte Zeit zum Handeln noch nicht gekommen sey.

Quelle:
Friedrich Wilhelm Bruckbräu: Mittheilungen aus den geheimen Memoiren einer deutschen Sängerin. Zwei Theile, Band 2, Stuttgart 1829, S. 159-168.
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