Der zweite Vater.

[98] Rosa verließ, gegen ihre Gewohnheit, vor 10 Uhr Morgens ihr Bettchen nicht. Ein Heer von Gedanken durchkreuzte das schöne schlaue Köpfchen. Der weiche Pfuhl war das Hauptquartier, von wo die Befehle an die männlichen und weiblichen Adjutanten zu den Vorrichtungen des Festballes ausgingen, der äußerst brillant zu werden versprach. Der Fürst war so artig, der Rosa sechs Hofköche zu ihrer Verfügung zu senden.

Eben wollte sie aufstehen, als Fanny eintrat.

»Was bringst du mir, Fanny?«

»Einen Brief!«

»Von wem?«

»Das weiß ich nicht. Er war mit dieser seidenen Schnur an der Klinke deines Kabinetes befestiget, als ich ihn vorübergehend gewahrte.«

»Sonderbar! Laß doch einmal sehen, was er enthält!« Rosa öffnete den Brief, und ein handbreites Stück von einem seinen Hemde von Fadenbatist fiel auf den Boden. Fanny hob es auf, und überreichte es ihrer Gebieterin, die kaum bemerkt hatte, daß es ein Stück von einem ihrer eigenen Hemden sey, indem eine gestickte Lyra mit dem Buchstaben R statt der Saiten keinen Zweifel gestattete, als sie in ein lautes herzliches Gelächter ausbrach.[99]

Im Briefe las sie:


»Holde spröde Rosa!


Ich habe über deine Sprödigkeit gesiegt, ohne daß du deinen Feind kanntest; das Zeichen des Sieges lege ich hiemit, gleich einer erbeuteten Fahne, zu deinen Füssen. Die Welt lügt nicht, wenn sie sagt, der Himmel liege in deinem Schooße. Den Vorschlag von gestern, den ich dir im Schweizerhäuschen machte, nehme ich jedoch deßwegen nicht zurück; denn was ich heute erhielt, galt nicht mir, sondern einem Andern, deinem saubern Grafen. Mir bleibt daher mein Anspruch auf eine volle Stunde deines Besitzes unverkürzt, und ist morgen die Bedenkzeit von drei Tagen verflossen, so öffnet sich mir dein Schooß, oder dir dein Grab. In jedem Falle wirst du dich jetzt leichter entschließen, da der erste Schritt nun einmal gethan ist. Für diese Erleichterung deiner Wahl zähle ich noch auf deine besondere Erkenntlichkeit, die du mit einem erhöhten Feuer der Umarmung bezahlen kannst. Der Chiaretti bin ich ohnehin schon satt, und es wird mir doppelt angenehm seyn, wenn du durch deine Liebe mich verpflichtest, sie sobald als möglich aus der Welt zu schaffen. Ich gelobe dir, heute den Ball und deine geheimen Freuden nicht zu stören, hoffe jedoch, daß du morgen für die meinigen sorgen werdest. Auf Wiedersehen.


Antonio.«


[100] Rosa zwang sich, zu lächeln, obgleich dieser Brief eines verwegenen Bösewichts geeignet war, ganz andere Gefühle in ihr zu erregen. Sie verschloß das verrätherische Bruch- oder vielmehr Schnittstück ihres Hemdes in der Schatulle und steckte das Briefchen selbst in ihren Busen, um es nöthigen Falls gleich bei der Hand zu haben, fest entschlossen, diesen in gewisser Hinsicht gefährlichsten ihrer Liebhaber auf eine seine Art für immer sich vom Halse zu schaffen.

Da der Fürst öffentlich am Hofe erklärt hatte, den Festball Rosa's durch seine Gegenwart zu beehren, so buhlte der ganze Adel um die Einladung dazu.

Rosa lud nicht nur diesen ein, sondern auch Dichter und Künstler, ohne Unterschied des Faches, dem Letztere angehörten, so wie auch Beamte und wackere Bürger; sie sah nicht auf den Stand und Rang, sondern auf persönliche Bildung.

Auch der Erbprinz erschien, und die Prinzessin Eleonore, welche ihre ganze Zukunft Rosa's kluger Verfügung anvertraut. Daß Chiaretti nicht fehlte, versteht sich von selbst, einmal als erklärte Geliebte des Erbprinzen, und dann als Künstlerin. Rosa hatte ein kleines Concert vor der Abendmahlzeit veranstaltet, worin auch Paganini ihr die Gefälligkeit erwies, sich vor einer auserlesenen Gesellschaft hören zu lassen. »Alle Kunstverständigen,« schrieb ein Ohrenzeuge an seinen Freund, »stimmten[101] darüber ein, daß wenn auch in diesem unvergleichlichen Geigenspiele Manches blos auf den überraschenden Effekt für Ohr und Auge berechnet sey, doch die eigentliche Virtuosität des Meisters in der stupenden Fertigkeit und Vereinigung des bis jetzt unvereinbar gehaltenen, im Flageolet, Staccato und Glissato, so wie im Alleinspiele der G Saite allen Glauben übersteige, und das Gebiet des Instrumentes selbst auf eine solche Weise erweitere, daß damit, da ja die großen Violinspieler nicht wohl zurückbleiben können, eine neue Epoche für dieses Saitenspiel beginnen müsse.«

Die Abendtafel war fürstlich; Rosa machte die Honneurs mit bezaubernder Anmuth, und erntete an jedem Tische zahllose Lobeserhebungen, die sie in der That auch verdiente. Uebrigens wäre sie nicht minder gefeiert worden, hätten alle diese Vorzüge sie auch nicht geschmückt; denn man braucht nur sehr reich zu seyn, um von tausend Zungen gepriesen zu werden. Und dann erst der Besitzer von einer Million, oder von mehreren, der darf vollends fast Alles thun, was er nur will! Minister, Staatsräthe, Präsidenten, Hofgerichtsräthe, Stadtrichter, Polizeiinspektoren u.s.w. sitzen an der Tafel eines solchen hochmüthigen Nabobs, der gewöhnlich ein Jude ist; jeder Löffel voll Suppe, jedes Glas Wein begründet eine kleine Verbindlichkeit. Nöthigen Falls wird dann in besondern Angelegenheiten durch die Finger gesehen, sey's auch ohne Verletzung[102] der Amtspflicht, was sich durch eine weitausgedehnte Nachsicht recht leicht machen läßt. Allein diese Nachsicht wird nicht Jedem zu Theil, und eben dadurch zu einer Begünstigung, zu einer Ungleichheit. Welche Aussichten hat ein Mann, der mit einem solchen Nabob unglücklicherweise in Prozeß geräth, an dessen Tafel die meisten Richter am höchsten Tribunale schwelgen, von welchen das Urtheil in letzter Instanz gesprochen wird? Meines Erachtens sollten alle Staatsbeamten, deren Amtsberuf eine entschiedene Unabhängigkeit fordert, Einladungen dieser Art geradezu ablehnen, um selbst den Schein des Gegentheils zu verhüten, der in den Augen der Welt doch immer nur für Wirklichkeit gilt.

Mir sind zwei grelle Beispiele von dem Uebermuthe jüdischer Nabobs bekannt, die ich hier ganz kurz einschalten will.

Der Eine, welcher seine Millionen durch ungeheure Prozente zusammengescharret hatte, die er dem Staate in Kriegszeiten für vorgestreckte Capitalien abnöthigte, ließ sich vom gemeinsten Geldstolze zu erbärmlichen Prahlereien verblenden. Täglich waren Gäste geladen, fast immer vornehme, wie sichs von selbst versteht.

Unter diesen befand sich auch eines Tages ein gar stattlicher Officier von hohem Range, zugleich ein Edelmann von so ausgezeichneter Geburt, daß er Wenige seines Gleichen zählte.[103]

Der Nabob aus Israel hatte die elende Gewohnheit, bei jedem vorzüglichen Gerichte, das auf die Tafel kam, oder bei jeder Flasche feinern Weines, auf die Vorzüglichkeit desselben aufmerksam zu machen, den dafür bezahlten Preis zu nennen, und beizufügen: »doch was macht das? Ich kann's ja thun, ich hab's ja!«

Zufällig wurde von der Jagd gesprochen. Der Nabob nannte ein Jagdrevier, die er zu pachten gedenke, und zwar die nämliche, welche der Officier, ein gar eifriger und hochgebildeter Jäger, für sich zu pachten wünschte. Er verhehlte dem Nabob diesen Wunsch nicht, und äußerte, daß er keine Summe scheuen wolle, um bei der Versteigerung das Meistgebot zu thun. Dieß war gerade Wasser auf des Nabobs Mühle, der nun schon bei allen Propheten betheuerte, den letzten Thaler daranzusetzen, um das Revier ihm abzudrücken. Diese Aeußerung begleitete er mit einer platten Hinweisung auf seine Goldkisten, deren Macht Alles zu bezwingen im Stande sey, und der Uebermuth, den er zur Schau trug, war so empörend, daß der Offizier, zornentbrannt, ihn bald zum Fenster hinauswerfen, bald mit blankem Säbel in Stücke hauen wollte. Nur mit den sanftesten Worten vermochten die übrigen Gäste den wüthenden Ajar zu beruhigen, der auf der Stelle den jüdischen Pallast verließ, und nie wieder betrat.

Das zweite Beispiel von jüdischem Uebermuthe ist ganz neu. Ein ganz gemeiner Jude, der als Knecht Ochsen vor[104] sich her getrieben hatte, kam durch Zeit und Umstände zu einem Vermögen von mehreren Millionen.

Einem solchen Menschen muß dann natürlich allerlei tolles Zeug in den Kopf kommen. Es fiel ihm daher noch in seinem hohen Alter, bereits mit einem Fuß im Grabe stehend, ein, mit einem Christenmädchen in seinem Hause einen Liebeshandel anzuspinnen, wahrscheinlich weil er aus König Davids Memoiren wußte, daß die Anschmiegung junger gesunder Mädchen frisches Leben gebe.

Diese Neigung blieb aber nicht ohne Folgen. Weil er sich aber vor dem Stadtgerede fürchtete, so machte er seinem eigenen Schwiegersohne die Zumuthung, gegen eine gewisse Entschädigung vor der Welt die Vaterschaft zu übernehmen.

Natürlich lehnte der Schwiegersohn diesen Antrag ab, da er seine Frau zu innig liebte, um sie auf eine solche Art zu kränken, und bloszustellen, wärs auch nur des Scheins wegen gewesen.

Was thut nun der erzürnte Nabob? Gleich einem Patriarchen aus dem alten Testamente wollte er seine Tochter aus eigener Machtvollkommenheit von ihrem Manne trennen, und da sie sich dazu nicht verstand, behandelte er sie so hart, daß sie in die Hauptstadt eines benachbarten Landes, in das Haus ihrer Schwiegereltern sich flüchtete.

Die Gerichte schwiegen zu dieser häuslichen Tirannei,[105] doch mit Recht, wie es scheint; denn wo kein Kläger ist, da ist auch kein Richter.

Die heiterste Laune herrschte an der Tafel, und beseelte alle Gäste. Besonders vergnügt schien der Gesandte, im Nachgefühle der genossenen Nachtwonne, und nicht minder der Fürst im Vorgefühle der verheißenen.

Als der Thee servirt wurde, gab Rosa der Chiaretti ein Zeichen mit den Augen, ihr in eine Fenstervertiefung zu folgen.

»Liebe Freundin,« begann sie, »Sie kennen meine Offenheit seit dem Vorfalle mit dem Minister. Etwas Aehnliches zwingt mich, Ihnen jetzt eine eben nicht sehr angenehme Eröffnung zu machen.«

»Was Sie da sagen, theure Rosa, befremdet mich sehr. Fahren Sie fort, wenn ich bitten darf!«

»Kennen Sie einen gewissen Antonio, früherhin Mönch in einem italienischen Kloster, der als Baumeister längere Zeit von mir verwendet wurde?«

Chiaretti schien bestürzt, und verhehlte mit Mühe ihre Verlegenheit. Sie faßte sich so gut als möglich, und erwiederte:

»Ja!«

»Genau?«

»Der Erbprinz zog ihn bisweilen zur Tafel, als[106] er den Neubau des Jagdschlosses leitete; dort lernte ich ihn kennen.«

»Sie umgehen meine Frage, liebe Chiaretti, ob Sie ihn genau kennen, und doch ist die aufrichtige Beantwortung derselben wesentlich nothwendig. Ich ehre Ihr Schweigen, und weiß es zu deuten. Allein da auch ich in diesem Verhältnisse eine bedeutende Rolle spiele, so muß ich leider den Schleier lüften, womit Sie die geheimen Gefühle Ihres Herzens zu verhüllen suchen, ohne jedoch zur Verrätherin zu werden. Ich kann dabei nur bedauern, daß Sie so wenig Vertrauen in mich setzen. Ohne Zweifel ist Ihnen die Handschrift Antonio's bekannt?«

»Ja, sehr wohl!«

»So lesen Sie gefälligst diese Stelle eines Briefes, den ich heute erhielt.«

Nun ließ Rosa die Chiaretti die Worte im Briefe lesen: »Der Chiaretti bin ich ohnehin schon satt, und es wird mir doppelt angenehm seyn, wenn du durch deine Liebe mich verpflichtest, sie sobald als möglich aus der Welt zu schaffen.«

Rosa hatte sich verrechnet. Chiaretti heuchelte eine eichte Bestürzung, und äußerte: »es sey bei den Männern Sitte, mit frühern Siegen lügenhaft zu prahlen, wenn sie einem neuen Triumph entgegengehen, der Zweck heilige in ihren Augen die Mittel. Hier spreche offenbar verschmähte[107] Liebe, und da sie dafür halte, daß ihr Tod weder der Rosa noch dem Antonio goldene Früchte bringe, indem sie weder jener im Wege stehe, noch diesen beglücken wolle und dürfe, so lege sie auf das drohende Anerbieten des Mönches nicht den mindesten Werth.«

Auf diese Antwort durchschaute Rosa klar die ganze Intrigue; sie wußte ja durch die Erzählung Eleonorens, wie Chiaretti mit Antonio stand. Die wälsche Buhlerin mochte wohl den Mönch beauftragt haben, Rosa zu verderben, doch ihr Haß gegen diese war sicher nicht bis zu der Ermächtigung Antonio's gestiegen, auf dem schlüpfrigen Pfade von Rosa's Reizen zu dem finstern Ziele zu wandeln.

Rosa zweifelte nicht, daß sie einen Funken in die Pulvertonne geworfen habe; allein ob Chiaretti nicht schlau genug seyn werde, die Wuth getäuschter Buhlschaft vorläufig zu verbergen, bis Antonio den Racheplan vollzogen, dieß war eine andere Frage, welche Rosa mit dem Vorsatze des Zuvorkommens sich beantwortete.

»Sie haben recht, liebe Chiaretti,« erwiederte Rosa, »die Männer sind eben nicht allzu gewissenhaft in der Wahl ihrer Mittel; ich begreife auch gar nicht, wie Antonio mir den Antrag machen konnte, eine so werthe Freundin, die in keiner Beziehung meine Interessen durchkreuzt, mir auf eine mörderische Art opfern zu wollen. Ich muß wirklich glauben, daß dieser Mensch verrückt sey. Wir[108] wollen den ganzen Vorfall verschweigen, liebe Chiaretti; sind Sie damit einverstanden?«

»Vollkommen!«

»Gut, so lassen Sie uns zu den Gästen zurückkehren!«

Beide küßten sich herzlich, und gingen Arm in Arm auf ihre Plätze. Bald darauf nahte sie sich dem Stuhle des Fürsten.

»Wenn es dir Ernst ist, mich zu beglücken,« flüsterte ihr dieser zu, »so führe jetzt diesen seligen Augenblick herbei, während die Gesellschaft sich vor dem Beginne des Balles zerstreuet.«

»Eure Durchlaucht dürfen nur mit der Prinzessin Eleonora nach der Insel fahren, wo ich ein Feuerwerk angeordnet habe. In solcher Begleitung wird Niemand Verdacht schöpfen.«

»Das glaub' ich wohl; aber sie wird uns an Ort und Stelle stören.«

»Verlassen sich Eure Durchlaucht nur auf mich.«

Der Fürst äußerte nun laut den Wunsch, unter dem sternhellen Abendhimmel auf der Spiegelbahn des See's frische Luft zu athmen.

Rosa ordnete sogleich die Fahrt an, und bat die Gäste, bis zu ihrer Rückkunft über Alles zu gebieten; sie entferne sich nur, um eine neue Unterhaltung vorzubereiten.

Das reich geschmückte, mit buntfarbigen chinesischen[109] Laternen beleuchtete Boot bestiegen nun: der Fürst, Eleonore, ein junger verliebter Kammerherr, Rosa, Fanny und Betty. Zweimal umruderten sie die Insel, bevor sie landeten.

»Wie schaffen wir uns denn nun den Kammerherrn vom Halse,« fragte der Fürst.

»Er soll der Prinzessin Gesellschaft leisten, so lange wir uns entfernen,« erwiederte Rosa.

»Gut!« der Fürst gab dem Kammerherrn den Auftrag hiezu. Während der Fürst eine Feuerwerk-Pyramide betrachtete, bat der Kammerherr: »Holde Rosa, wenn nur Sie wollten, so könnt' ich jetzt recht glücklich seyn. Betty ist mir gut, sie gäbe mir ein Rendezvous in der Grotte der büßenden Magdalena, wenn ich nur nicht durch den Dienst bei der Prinzessin verhindert wäre.«

»Gerne trag' ich zu Ihren Freuden bei. Entfernen Sie sich mit Betty, sobald ich mit dem Fürsten und Fanny das Zimmer verlassen habe. Bei der Prinzessin will ich es schon verantworten; aber hüten Sie sich wohl, durch Ausplaudern Ihres schnellen Glücks die Entdeckung der Dienstesnachlässigkeit, und damit die fürstliche Ungnade zu verschulden.«

»Gewiß nicht!«

Rosa bat ihre Freundin Eleonora, sich ja nicht darüber zu beklagen, wenn sie allenfalls eine halbe Stunde[110] allein bleiben müßte, indem es die Umstände nicht anders zuließen. Sie verstand zum Theil diesen Wink, und ergriff eine Mandoline, um zu spielen und zu singen, während sich ihr Vater mit Rosa und Fanny entfernte, und gleich darauf der Kammerherr mit Betty verschwand.

Der Fürst trat an Rosa's Arme in das der Liebe geweihte Kabinet. Fanny mußte im Vorraume gegen Ueberraschung wachen.

Der Boden und die Wände schienen lebendige Blumenbeete zu seyn, welche die Luft mit einem tausendfältigen Geruche würzten. Die Decke bestand aus einem tiefblauen Himmelsdome mit leuchtenden Gestirnen geschmückt. Ein seiner Thau fiel von oben herab, von Wein und Wasser, worin der beste sicilische Safran aufgeweicht war, und dieser Crocuswein wurde durch ein in den Mauern verstecktes Druckwerk emporgeleitet, um von da aus durch Röhren mit ganz kleinen Oeffnungen im ganzen Kabinete Kühlung zu spenden. Rings umher in eigenen Nischen standen üppige Gestalten aus der griechischen Götterlehre, theils allein, theils in geselliger Verbindung, welche in der matten Beleuchtung des künstlichen Nachthimmels, je nach der zugetheilten Stellung, die lieblich duftende Mischung verspritzten, wodurch alle Sinne in eine fieberhafte Spannung geriethen.

Der Fürst schwamm in einem endlos scheinenden Lusttaumel. Als er sich vom Lager erhob, um mit Rosa zur[111] harrenden Prinzessin zurückzukehren, lag jene mit bleichen Wangen, geschlossenen Augen, und glühenden Lippen vor ihm.

»Ich kann unmöglich aufstehen,« lispelte sie mit flötenweicher Stimme; »ein sonderbarer Frost überfällt mich, und eine Art von Uebelseyn, wie ich es früherhin niemals gefühlt habe; ein kalter Schweiß scheint auf meinem ganzen Leibe zu liegen. Mein Gott, ich werde doch nicht krank werden?«

»Sey unbekümmert, Geliebte,« erwiederte der Fürst, »wenn mich nicht alle Zeichen trügen, so verheißen deine Empfindungen mir die schöne Frucht einer glücklichen Saat!«

»Gebe Gott, daß diese süße Hoffnung mich nicht täusche, und unser Glück und Liebe werden dauern, so lange wir leben! An deinem Herzen, holde Rosa, will ich fortan ausruhen von meinen Regierungssorgen, und die ganze Seligkeit des Bewußtseyns erfüllter Pflichten für mein Volk genießen. Doch jetzt komm, liebes Kind! erhebe dich, damit wir früh genug in den Ballsaal zurückkommen, bevor die Glossen über unsere Entfernung in Klatschsucht ausarten.«

In diesem Augenblicke trat Fanny ein, und gab das verabredete Zeichen, daß der Kammerherr und Betty sich bereits wieder bei der Prinzessin befänden.

Der Kammerherr nahte sich ehrerbietig der[112] Prinzessin, und wollte eben seine Entschuldigungen auskramen, als sie ihm schnell, jedoch mit wohlwollendem Tone in das Wort fiel: »Ich bin Ihnen sehr verbunden,« sprach sie, »daß Sie meinen Wunsch, allein zu seyn, den ich Ihnen durch Rosa eröffnen ließ, so bereitwillig erfüllt, und dabei selbst die fürstliche Gnade meines Vaters auf das Spiel gesetzt haben, Sie wagten dabei so viel, daß ich mit wahrem Vergnügen die nächste Gelegenheit, die Sie mir bezeichnen wollen, ergreifen werde, Ihnen durch meine Fürsprache auf irgend eine Weise nützlich zu seyn. Keine Ablehnung, keine Ablehnung. Je seltener heut zu Tage, besonders an Höfen, so treue Dienste gefunden werden, desto mehr ist es Pflicht, sie nach Möglichkeit auszuzeichnen und zu belohnen.«

Der Kammerherr war über diesen Empfang ganz verblüfft, er hatte Nachsicht, aber kein Lob erwartet, und bewunderte im Stillen die Gewandtheit der Alles vermittelnden Rosa, die durch wenige Worte schon während des Landens die Prinzessin von der Nothwendigkeit überzeugt hatte, den Kammerherrn auf eine schickliche und für ihn angenehme Weise zu beschäftigen, um inzwischen den Fürsten für ihren Plan zu gewinnen.

Während die Prinzessin allein war, überließ sie sich den düstern Empfindungen wehmüthiger Sehnsucht. Ihr Herz war zu eng für so viel Liebe; hätte sie die Legende[113] der Heiligen gekannt, so würde sie wohl den heiligen Philipp Nerius beneidet haben, dem der Herr zwei Rippen einbrach und aus dem Leib nahm, damit sein Herz zum Lieben mehr Raum habe,1 der die fleischlichen Versuchungen mit seinen Händen vertrieb,2 und die Teufel mit dem Zurufe: »Wer da?«3

Die Prinzessin phantasirte auf der Mandoline. Früher war der Kammerherr jederzeit ganz selig, wenn er den Götterarm mit den Rosenfingern, die in den Saiten wühlten, bewundern konnte, oder wenn es ihm dabei vergönnt war, in die schönen, zährenfeuchten Augen zu schauen; in diesem Augenblicke schienen ihm alle Empfindungen nur Träume. Nicht die Reize Betty's hatten ihn gegen die blendende Schönheit der Prinzessin blind gemacht, sondern diese Gleichgültigkeit war nur eine natürliche Folge[114] der befriedigten Sinnlichkeit; denn mit dem Rausche der Sinne verschwindet der Zauber der Phantasie, welche selbst das Gewöhnliche noch zu verklären vermag. Auf jede Entspannung, – um nicht zu sagen Abspannung, – folgt Ruhe, und die Ruhe überlegt, betrachtet, mißt, vergleicht. Darum tritt der Verstand bei dem Manne in dem Maße hervor, als die sinnliche Natur in ihrer Kraftäußerung abnimmt.

Man denke sich einen galanten jungen Mann in einem Zirkel schöner Damen. Er wird gewiß jeder etwas Verbindliches sagen und Liebesblicke zuwerfen, die deutlicher sprechen, als Liebesbriefe. Die ganze Macht seiner Liebenswürdigkeit wird er aufbieten, so viele Herzen als möglich zu erobern.

Nun wollen wir als ausführbar zugeben, daß dieser junge Mann sich mit jener von diesen Damen, welche ihm am meisten gefällt, augenblicklich entfernen, und die letzte Regung seiner sinnlichen Natur in einem Meere unnennbarer Wonne ersäufen könne. Lassen wir nun diesen jungen Mann sogleich wieder in die nämliche Gesellschaft zurückkehren. Glauben Sie, er werde sich gerade so benehmen, wie zuvor? Gewiß nicht; er wird so artig seyn, wie vorher, aber nicht so liebevoll; der Nervenäther, der vor der Umarmung die höhere Erregung und den Schwung der Einbildungskraft begründete, ist nun verraucht, und vergebens[115] würde die Verstellung es versuchen, durch Kunst die Wahrheit zu ersetzen.

Diese natürliche Erscheinung führt mich auf meine alte Behauptung zurück: », daß das Menschenherz glücklicher sich fühle im Streben nach dem Besitze, als im Besitze selbst.«

Eben traten der Fürst, Rosa und Fanny in das Gemach, als die Prinzessin das schwärmerische Lied der Hedwig in Körners Banditenbraut sang:


»Worte such' ich mir vergebens

In des Herzens vollem Drang;

Jede Seligkeit des Lebens

Hat nicht Worte, nur Gesang.


Nur in Tönen kann ich's zeigen,

Nur dem Liede sey's vertraut;

Was die Lippen dir verschweigen,

Meine Thräne sagt es laut.


Und von zauberischen Wehen

Fühl' ich meine Brust bewegt,

Der allein kann mich verstehen,

Der mein Glück im Herzen trägt!«


»Sie haben eine herrliche Stimme, durchlauchtige Prinzessin,« begann Rosa; »es wäre wirklich sehr zu beklagen, wenn ein so ausgezeichnetes Talent nicht vollkommen ausgebildet würde.«[116]

»Sie beurtheilen meine unbedeutende Anlage mit großer Güte,« erwiderte die Prinzessin; »ich hätte auch in hohem Grade Lust, eine vollkommene Sängerin zu werden, wenn mein lieber Vater nichts dagegen einwenden würde.«

»Meine Einwilligung geb ich dir mit Vergnügen,« versetzte der Fürst, »wenn Rosa deine Lehrerin werden mag; du mußt aber dann deiner großen Meisterin auf alle Weise Ehre machen.«

Rosa schätzte sich, wie man leicht einsehen wird, höchst geehrt von diesem schmeichelhaften Zutrauen, und die Prinzessin gelobte einen unermüdlichen Fleiß.

Der Feuerwerker mit seinen Gehülfen war bereits auf der Insel angekommen; der Fürst drang nun auf schnelle Rückfahrt.

Fußnoten

1 Tanto cor ejus aestuabat amore, ut cum intra fines suos contineri non posset, illius sinum confractis atque elatis duabus costulis mirabiliter Dominus ampliaverit. (Brev. rom. ad diem 26. May.)


2 Solitus solo manuum contractu impuris tentationibus esse remedio. (Bulla canoniz. S. Philippi Nerii; Bullar. T.V.P.V. pag. 217.)


3 Cum proferret verba: Quis est hic? daemones ad vocem perterriti sese in fugam visi sunt conjicere. (Coc. cit. pag. 126 col.?)


Quelle:
Friedrich Wilhelm Bruckbräu: Mittheilungen aus den geheimen Memoiren einer deutschen Sängerin. Zwei Theile, Band 2, Stuttgart 1829, S. 117.
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