Die unerwartete Eroberung.

[26] Rosa war von nun an der Abgott der Hauptstadt, der angebetete Liebling des Publikums. So oft sie auf der Bühne erschien, wurde sie wie eine Königin empfangen. Ihr ganzes Benehmen rechtfertigte diesen Enthusiasm der Liebe; sie war mit Anstand freundlich, mit Jedermann höflich, gegen die übrigen Theaterdamen zuvorkommend artig, und eine seltene Wohlthäterin der Armen, die sie wie eine Mutter verehrten.

Durch die Vermittlung ihres Pflegevaters Wagner kaufte sie das prächtigste Landhaus in der Umgebung, das einem reichen Banquier gehörte, und ganz zu den romantischen Ideen zu passen schien, welche sie in ihrem schönen Köpfchen trug. Der Fürst gab seinem Hofbau-Intendanten den Auftrag, die Aenderungen in der ganzen Anlage genau nach Rosa's Wünschen zu besorgen.

Am Ende der äußersten Vorstadt, in einem mit hohen Eichenpfählen dicht und fest umgürteten Parke, lag dieses[26] schöne, im italienischen Style erbaute Landhaus. In der Mitte des Parkes überraschte den Lustwandler ein niedlicher, künstlicher See, tief genug, um sein Durchschreiten zu verhindern, und von solchem Umfange, daß ein Belauschen der Worte und Thaten auf dem Ruhesitze vor dem Schweizerhäuschen, im Schooße eines kleinen Eilandes mitten auf dem See, vom Ufer aus nicht zu befürchten war.

Das Landhaus wurde sehr elegant und im neuesten Geschmacke eingerichtet, aber ohne übermäßigen Aufwand; das Schweizerhäuschen auf der Rosainsel, wie Rosa selbst dieß Eiland taufte, ganz einfach, der Wirklichkeit getreu. Von Reben umrankt stand es im Schatten von Flieder, Geisblatt und Jasmin; auf dem Giebeldache schnäbelten Turteltäubchen; Lämmchen, von blendend weißem Vließe mit rosenfarbenen Schleifen geschmückt, hüpften kosend und neckend durch das hohe Gras; ein auserlesener Blumenflor auf der Mittagsseite, von einem leichten Broncegitter umschlossen, erfüllte die ganze Luft mit köstlichen, balsamischen Düften.

Außerdem waren allerlei Neckereien auf dieser Insel angebracht.

Ungefähr zweihundert Schritte vom Schweizerhäuschen entfernt, traf man mitten im dunkelsten Gebüsche eine einsame Höhle, in welcher unmittelbar innerhalb des Einganges eine büssende Magdalena, – eine treffliche Schnitzarbeit, – hingestreckt auf ein hartes Lager, den Kommenden[27] empfing, indem sie, zu dessen höchstem Erstaunen, sich seufzend erhob; allein bei dem vorletzten Schritte des Neugierigen, der die Höhle zu betreten wünschte, schlossen Felsen plötzlich und so genau den Eingang, daß auch nicht die mindeste Spur mehr davon zu sehen war. Im Hintergrunde dieser Höhle führte ein enges Pförtchen zu einem traulichen Kabinetchen, das durch eine buntfarbige Glasdecke Licht und Luft erhielt, und durch geheime Wege mit den unterirdischen Räumen des Schweizerhäuschens in Verbindung stand.

Dicht am Rande der Bucht, in welcher eine zierliche Gondel vor Anker lag, erhob sich ein moosbedeckter, halbverfallener, ganz unscheinbarer Holzstoß, der jedoch künstlich geordnet war, und geräumig genug, in seinem Innern Jemand zu verbergen; der aus dem Schweizerhäuschen unbemerkt durch einen Pfad im Schooße der Erde sich entfernen, und aus einem Seitenpförtchen des Holzstoßes tretend, die Gondel besteigen wollte.

Wer in die Geheimnisse dieser unterirdischen Wege nicht eingeweiht war, konnte sie nicht betreten; denn schon bei dem ersten Schritte rauschten von allen Seiten Wasserschleußen auf, und überschwemmten die Felsengänge bis zur Decke.

Antonio, ein entsprungener Klosterbruder aus dem Kirchenstaate, der auf seiner Durchreise nach Rußland der [28] Rosa den Plan hiezu vorgelegt hatte, war der Baumeister auf diesem Eilande.

Rosa, in dem reizenden Costüm als Emmeline in der Schweizerfamilie, verlebte hier die schönen Sommertage mit ihrem ganzen Gefolge, welches dann stets in Schweizertracht gekleidet war. Gewöhnlich gab sie die Mittagstafel im großen Salon des Landhauses, und nahm dann den Kaffee mit allen ihren Gästen auf der Rosainsel, wo sie in der heitersten Stimmung bezaubernde Lieder sang.

Alles was sich zum guten Tone zählen konnte, versammelte sich auf Rosa's Landgute, oder auf der Rosainsel, aus welcher mit Beihülfe der Hofmusiker häufig kleine Concerte im Freien veranstaltet wurden. Selbst der Fürst beehrte diesen romantischen Aufenthalt oft mit seinen Besuchen.

Die Fürstin litt seit Jahren an einem chronischen Brustübel, und durfte deßwegen ihre Zimmer nicht verlassen, dagegen fehlte die Erbprinzessin Eleonore fast niemals, ein äußerst liebenswürdiges Wesen, ungefähr ein oder zwei Jahre alter als Rosa, welche sie in hohem Grade lieb gewonnen. Der Erbprinz hatte die Rosa ausdrücklich um Erlaubniß gebeten, sie in ihrer neuen Besitzung besuchen zu dürfen, war aber im Laufe einiger Monate nicht ein einziges Mal erschienen. Vermuthlich war Chiaretti die geheime Anstifterin des Nichterscheinens, welche diese[29] Folgen ihrer Mitwirkung zum Sturze des Kabinetsministers nicht geahnet haben mochte; denn so lange er noch am Hofe Alles in Allem war, durfte sie bei dem tiefgewurzelten Hasse des Erbprinzen gegen ihn gewiß seyn, daß er alle noch so sinnreichen Ränke vergebens vergeuden werde, sie zu trennen, und den Prinzen durch eine Heirath mit dem Vater auszusöhnen.

Mit dem Sturze des mächtigen Intriguanten fiel jedoch die unnatürliche Scheidewand zwischen Vater und Sohn; dieser näherte sich jenem; manches Mißverständniß wurde glücklich gelöset, und die beiden Herzen, welche so lange Zeit die süßen Regungen wechselseitiger Liebe hatten entbehren müssen, wurden weicher und nachgiebiger.

Der Fürst erneuerte seinen Wunsch einer baldigen Vermählung seines geliebten Sohnes mit irgend einer liebenswürdigen Prinzessin von einem der ersten Höfe Europa's; er bat ihn, eingedenk zu seyn seiner heiligen Pflichten des Thronerben, und die Erblichkeit der Thronfolge des Hauses nicht der Möglichkeit auszusetzen, nach dem Grundgesetze des Reiches auf einen erbverbrüderten Staat, nach dem Aussterben des männlichen Stammes, übertragen zu werden.

»Chiaretti,« – fuhr der Fürst fort, – »soll durch diesen von der Nothwendigkeit gebotenen Schritt nichts verlieren. Ich will ihr aus meiner Kabinetskasse eine glänzende Leibrente anweisen, wenn sie es vorzieht, nach Italien[30] zurückzukehren; unvermählt kann sie dann schicklicher Weise nicht mehr in meinem Staate sich aufhalten, wenn du Deine Hand einer Prinzessin gereicht hast. Ich bin bereit, sie zur Baronin zu ernennen, ihr zwei schöne Rittergüter zu schenken, und diese Doppelgunst an die Bedingung der Wahl eines Gatten unter meinen Edelleuten zu binden.«

»Eure Verbindung blieb bisher ohne Kinder; dieser Umstand wäre hinreichend, das ganze Verhältniß auf eine einfache Weise aufzuheben, allein ein Fürst muß immer fürstlich handeln, und ich achte die Geliebte meines geliebten Sohnes zu sehr, um sie von meiner fürstlichen Gunst auszuschließen. Es ist nun an dir, die Chiaretti von der Nothwendigkeit dieses Schrittes zu überzeugen, der durch die Entfernung eures gemeinsamen Gegners die Natur einer feindseligen Maßregel verloren hat. Liebt sie dich wahrhaft, so wird sie dir mit Selbstbeherrschung dieses Opfer bringen, da es dein Glück und das Wohl des Landes bezweckt; bringt sie es nicht, so ist sie erhabener Gesinnungen, und eben deßwegen auch deiner Liebe nicht würdig. Säume nicht länger, mein theurer Sohn, doch wie du auch handeln mögest, vergiß nicht, daß du ein Fürstensohn, und als solcher dein ganzes Leben dem Vaterlande vor allen Andern vorzugsweise zu weihen schuldig bist.«

Weder kindliche Liebe, noch die Beredsamkeit des fürstlichen Vaters, noch die nahe Hoffnung, eine liebenswürdige[31] Prinzessin zur Gemahlin zu erhalten, noch die ferne Aussicht auf die Thronfolge, noch eine sich selbst opfernde Liebe zum Vaterlande, bewogen den Erbprinzen zur feierlichen Zusage einer baldigen Trennung von Chiaretti; ein geheimer Plan, tief in seinem Herzen keimend und wurzelnd, beflügelte diesen Entschluß: Chiaretti mit Rosa zu vertauschen, für welche er eine glühendere Liebe fühlte, als jemals für Chiaretti, selbst in der ersten Liebe goldnen Zeit.

Rosa hatte den Erbprinzen in der ersten Unterredung, die ihr Chiaretti selbst verschafft hatte, als es sich um den Sturz des Kabinetsministers handelte, so bezaubert, daß er beschloß, sie um jeden Preis zu besitzen, und von diesem Augenblicke an seine frühere Liebe stündlich erkalten fühlte. Der plauderhafte Gesandte, Graf L****; hatte ihm zwar den Sieg für 20,000 Franken und die unnennbaren Wonnen dieser Stunde anvertraut; allein der Erbprinz, der als Don Juan der Vermummung im Gasthofe sich anschloß, und nicht einen Augenblick von Rosa's Seite wich, hielt damals die Erzählung dieses Abentheuers für prahlendes Geschwätz, und wagte deßwegen keinen ähnlichen Antrag.

Mehr noch als dieses vorübergehende Zusammentreffen auf den Erbprinzen, hatte Rosa's beinahe tägliche Anwesenheit bei der Kabinetstafel auf den Fürsten selbst Eindruck gemacht.

Wenn er diesem weiblichen Engel gegenüber saß, und[32] in die großen blauen Augen schaute, aus denen das sonnenhelle Licht der unentweihten Unschuld strahlte; wenn er die wundersamen Töne ihrer seraphischen Stimme vernahm, die gleich einer Perlenfluth aus ihrer Nachtigallenkehle hervorrauschten; wenn er die klugen und herzlichen Worte, womit sie über die wichtigsten Verhältnisse des Lebens sprach, als einen hohen Beweis vielseitiger Bildung und gereifter Beurtheilung erwog, wurde er gar oft nachsinnend und in sich gekehrt, und mancher leise Seufzer stahl sich aus seinem gepreßten Herzen, welcher der männerkundigen Rosa nicht entging.

Der Fürst zählte nun bald 46 Jahre, ein männlich kräftiges Alter, wo nicht jugendliche Ausschweifungen den Leib noch vor der vollendeten Ausbildung entmarkt haben; dieß war bei dem Fürsten nicht der Fall. Sein Vater, Ernst und Milde paarend, hatte die Neigungen des Sohnes schon als Knabe nach löblichen Zielen geleitet; Studien und körperliche Uebungen beschäftigten den Knaben und Jüngling den ganzen Tag hindurch, und ein sehr gebildeter, feinsinniger Hofmeister von tadellosen Sitten, von Pedanterie und Zügellosigkeit gleich weit entfernt, wich nie von seiner Seite.

Ein Jahr nach der Volljährigkeit, mit 19 Jahren, führte er die Erstgeborne eines großen regierenden Hauses zum Altare. Politische Berechnung brachte diese Verbindung[33] zu Stande; beide Herzen waren sich fremd. Dieser Fall tritt bei Fürsten fast immer ein, und um so gewisser, je größer ihre Macht ist, unstreitig ein großes Opfer, das sie der Herrschaft bringen müssen.

Dem Geringsten im Lande steht es frei, eine Lebensgefährtin nach seinem Wunsche zu wählen, eines der heiligsten Vorrechte des freien Menschen, während der Höchste im Lande, der darum der Freiste scheinen dürfte, den Erfolg der bezüglichen Erwägung des Staatsrathes willenlos erwarten muß.

Bisweilen geschieht es wohl, daß zwei solche Herzen sich verstehen, und wechselseitig liebgewinnen, weil eine vortreffliche Erziehung alle edlen Eigenschaften der Seele ausbildet und pfleget, die einen unwiderstehlichen Einfluß ausüben.

Die Prinzessinnen wissen es von früher Jugend an, daß sie zu Opferlämmchen der Politik bestimmt sind, und daß ihre Ehen nicht im Himmel, sondern im geheimen Kabinette der Väter beschlossen werden. Vorzüge des Gemüthes, des Wissens und des Körpers sind daher die einzigen Mittel, ihre Bräutigame in Liebhaber zu verwandeln, und ihre Gatten an das durch den Segen der Kirche geweihte Bett zu fesseln, was nach den Flitterwochen, wenn auch Amor in höchst seltenen Fällen und aus besonderer Huld sie damit begünstiget, freilich nur den wenigsten gelingen möchte, da die Versuchung so stark ist,[34] und das Fleisch so schwach, und der Wille mit den Leidenschaften unter einer Decke spielt.

Und dennoch ist ein Fürst noch immer zu preisen, dem die Braut ein freies Herz in die Hofburg bringt. Dieß war bei Mathilden nicht der Fall, als sie dem Fürsten ihre Hand reichen mußte. Gute Freunde sagten sich einander in die Ohren, sie habe mit einem Kronbeamten am Hofe ihres Vaters in einem etwas bedenklichen Verhältnisse gestanden, und ihre Vermählung sey zur rechten Zeit gekommen.

Was sie nun eigentlich mit der »rechten Zeit« – andeuten wollten, darüber konnte ich niemals eine genügende Erklärung erhalten.

Anfangs flossen freilich Mathildens Thränen reichlich, bis nach und nach unter den rauschenden Hoffesten die süßen Erinnerungen an die nahe Vergangenheit in die Schatten des schweigenden Herzens sich zurückzogen, und dort von ihr, gleich mahnenden Trauerblumen, mit dem Schmerze der Entsagung genährt wurden.

Die Zeit ist zugleich Arzt und Arznei; sie ist der größte Oberwundarzt der Seelen auf der Erde, denn sie heilt alle Wunden, und um so schneller, je tiefer sie geschlagen wurden.

Die Wahrheit dieser Behauptung bewährte sich auch an Mathilden. Der eheliche Segen dehnte bald ihren Leib aus, und sie gebar einen holden Prinzen, – [35] Eduard, – welcher nach der einstimmigen Meinung aller Aehnlichkeits-Verständigen am Hofe, dem – Urgroßvater des Fürsten am meisten glich. So sonderbar es auch scheinen mag, daß die feinen Hofnasen keine nähere Aehnlichkeit aufzuspüren vermochten, so war doch Mathilde schon mit dieser zufrieden.

Sie lebte von nun an ausschließlich der Pflege ihres Kindes, und erschien nur an Gallatagen öffentlich, wenn sie es des Anstandes wegen durchaus nicht vermeiden konnte.

Bald bekam das Knäblein ein Schwesterchen, dessen Geburt die Veranlassung zu dem bereits erwähnten Brustübel der fürstlichen Mutter gab, deren freie Wahl eines einsamen Lebens dadurch zur Nothwendigkeit wurde. Der Zustand der erlauchten Frau war so bedenklich, daß die Aerzte dem Fürsten auf unbestimmte Zeit den Genuß der ehelichen Freuden gänzlich untersagten.

Ein solcher Umstand kann am Hofe nicht lange verborgen bleiben. Die intriguantesten Damen spannten alle ihre Netze aus, ihn zu fangen, und dann mittelbar zu herrschen; denn gerade um diese Zeit bestieg er den durch den Tod seines Vaters erledigten Thron. Allein ihre Mühe war vergebens. Der Fürst schien von dieser Seite unzugänglich, und füllte seine einsamen Stunden mit den wichtigsten Regierungsgeschäften aus. Täglich besuchte er jedoch das von seinem Großvater gegründete adelige Damenstift,[36] dessen Vorsteherin eine junge wunderschöne Gräfin aus einem der ältesten Geschlechter des Reiches war. Die müßige Neugierde hielt es bald für entschieden, daß er in dieser klösterlichen Einsamkeit keine einsamen Stunden verlebe.

Nach dieser kleinen Abweichung kehre ich zum Gange der Geschichte zurück.

Ueberall wurden große Anstalten getroffen, das bevorstehende Geburtsfest des Fürsten auf eine würdige Weise zu feiern. Dieser erhielt Kunde von Vorkehrungen zu einer prachtvollen Beleuchtung der Hauptstadt, zu einem großen Feuerwerke, und zu einem auserlesenen Festballe auf dem Rathhause. Der Fürst erließ daher an den Magistrat eine Entschließung zur Eröffnung an die sämmtlichen Einwohner der Hauptstadt, worin er seine Dankbarkeit für die großen Beweise ihrer Liebe, Treue und Anhänglichkeit mit dem Wunsche ausdrückte, daß sie statt der vorhabenden glänzenden Huldigung, einen Theil der hiezu bestimmten Ausgabe zur Gründung einer wohlthätigen Stiftung für Leidende aus ihrer Mitte verwenden möchten, indem sie auf keine werthvollere Weise die innigsten Wünsche seines väterlichen Herzens erfüllen könnten.

Am Vorabende dieses Festtages bewirthete Rosa im Parke ihres Landhauses 500 Arme der Hauptstadt unter freiem Himmel, und beschenkte sie noch überdieß mit Geld. Wie einst die heilige Elisabeth, Landgräfin von[37] Thüringen, wandelte sie im einfachen Hauskleide unter den dankgerührten Armen umher, und sprach Worte der sanften Tröstung. Sie sah nicht wie eine erhabene Wohlthäterin vornehm auf diese geringen Gäste herab, und that nicht, als lege sie irgend einen besondern Werth auf diese Handlung der Mildthätigkeit; sondern ihre Benehmen war von der Art, daß man sie für eine alte Bekannte dieser armen Leute hätte halten mögen. Die beiden Gesellschaftsfräulein, und die beiden Kammermädchen, Fanny und Betty, waren nicht minder thätig in freundlicher Bedienung. Nur als die offene Tafel zu Ende ging, entfernte sich Rosa, um nicht Zeuge des lauten Ausbruches von Dankgefühlen seyn zu dürfen.

Alle Augen hingen an dem Engel Rosa; ihre heimliche Entfernung blieb nicht unbemerkt, und kaum hatte sie in ihrer Gondel die Hälfte des See's bis zur Rosainsel zurückgelegt, als schon das ganze Ufer von den armen Gästen wimmelte, die theils knieend, theils mit zum Himmel gehobenen Händen ihren innigsten Dank stammelten; viele unter ihnen schluchzten und weinten. Ein ehrwürdiger Greis wankte hervor aus der Menge und trat an den äußersten Rand des Ufers. Von hohem Alter gebeugt war sein Nacken; ein lauer West fächelte durch seine ehrwürdigen silberweißen Locken, und Thränen rollten über seine bräunlichen, gramgefurchten Wangen. Es schien als wolle er im Namen der Uebrigen sprechen; allein die Rührung[38] brach seine Stimme. »Gott segne dich, ewig, ewig!« dieß war Alles, was er mit Anstrengung zu sagen vermochte. Dann sank er auf die Kniee, und flehte in stummer Wehmuth den Segen Gottes auf seine Wohlthäterin herab, während durch die Wipfel der düstern Föhren die Abendsonne ihre goldnen Strahlen verklärend über sein Antlitz goß.

Unter allen irdischen Wonnen, die eine heilige Vorahnung himmlischer Genüsse gewähren, ist nach meinem Dafürhalten die Mildthätigkeit gegen Arme die höchste.

In die Gemächer des Jammers, in die Behausungen des bleichen Grames hinabzusteigen und dort die Thränen des Elends zu stillen, und dadurch jenen Unglücklichen, die an der Barmherzigkeit Gottes verzweifeln, den tröstenden Glauben an eine allwaltende Vorsehung wieder zu schenken, scheint mir ein göttlicher Beruf, und vermöchte ich jemals die Könige und Gewalthaber der Erde, und die Reichen, die im Ueberfluße schwelgen, zu beneiden, so geschäh' es wohl nur, weil sie vor Andern auserlesen scheinen, die erhabene, rein menschliche Pflicht der Wohlthätigkeit üben zu können. Jede Dankesthräne der Armuth wiegt den glänzendsten Edelstein in einer Kaiserkrone auf!

Rosa schwenkte dankend ihr weißes Taschentuch, während die Zeugen der innigsten Rührung aus ihren sternklaren Augen thauten. Noch einmal ertönte vom Ufer her[39] das laute Jubelgeschrei der heimkehrenden Gäste, als Rosa landete, und mit Betty und Fanny, welche die Gondel lenkten, durch das Seitenpförtchen des künstlichen Holzstoffes verschwand.

Tief bewegt und sinnend saß Rosa auf dem Sopha von geflochtenem Stroh; die Doppelflügel der Glasthüre, welche zum Blumenflor führte, waren offen, und ein Meer von süßen Wohlgerüchen wogte in unsichtbaren luftigen Wellen durch das Gemach.

Mitten unter den zahllosen Blumen rauschte eine siebensäulige Springquelle empor, auf deren Spitzen goldene und silberne Spielkugeln, von dem Scheidelichte der Sonne überblitzt, auf und nieder gaukelten.

»Wie ihr so freundlich mir entgegen lächelt, o farbenreiche, lieblich duftende, wundersam geformte Kinder der Mutter Natur! Ihr freuet euch schweigend eurer bunten Prachtgewänder, und denket nicht an die Vergänglichkeit dieser dauerlosen Reize! Gleich einer Schaar fröhlicher Kinder, die auf dem grünen Rasen spielend sich ergötzen, bis die Nacht anbricht, und die Mutter sie zur Heimkehr mahnet, so weidet ihr eure unsichtbaren Augen wechselseitig an den prunkenden Farben, und athmet im hingebenden Austausche die balsamischen Düfte, bis ein Hauch des rauhen Nordwindes, – für euch die ernste Stimme der Mutter Natur, die zur ewigen Heimkehr ruft, – eure zarten Leiber knickt, daß die Frührothstrahlen des Morgens[40] nur mehr die verwelkten Glieder beleuchten. Schön war euer Leben, obgleich so schnell gebrochen; ihr Glücklichen, ihr wurdet ja geliebt so lang ihr lebtet, und euer frühes Hinscheiden bedauert. Ach, so glücklich, wie ihr, bin ich nicht; ich werde nicht geliebt, kein gleichgestimmtes Herz schlägt mir entgegen; ich steh allein da auf der Welt! Weh mir! Wenn ich einst von dieser Erde scheide, wird die Sängerin bedauert und vermißt, aber Rosa, die arme Rosa, von keiner liebenden Seele beweint werden!«

Leise stöhnend legte sie ihr schönes Köpfchen in die rechte Hand, und stützte den Arm auf die Rücklehne des Sitzes; dann ergriff sie ihre Mandoline, die an einem breiten blauen Seidenbande an der Klinke der Flügelthüre hing, entlockte ihr einige schwärmerische Accorde, und sang in zauberischen Tönen:


»Mit stiller Sehnsucht denk ich dein,

Wenn kaum das junge Licht

Mit Morgengruß, mit goldnem Schein,

In meine Kammer bricht.


Wenn ich der Schäfchen kleine Zahl

Wohl auf den Hügel führ',

Schau' ich verweint hinab in's Thal, –

Ach wär' ich doch bei dir!


Und wende mich dem Walde zu,

Die Schäfchen folgen nach;

Doch nirgends, nirgends find' ich Ruh,

Der Kummer hält mich wach.
[41]

Oft ruft's am See, kehr' ich voll Schmerz

In öder Nacht nach Haus:

›Lösch deine Flammen, armes Herz,

In meinen Wellen aus!‹« –


Die Mandoline entglitt Rosa's Händen, und ihren Augen ein Sprühregen heißer Sehnsuchtthränen.

»Das wolle Gott verhüten!« rief eine Stimme hinter ihr, und eine unbekannte Hand ruhte sanft auf ihrer Schulter. In wehmüthigen Träumen gestört, sprang Rosa auf; der Fürst stand vor ihr.

»Welcher sonderbaren Fügung verdanke ich das hohe Glück, Eure Durchlaucht in meiner einsamen Hütte zu verehren?« nahm Rosa das Wort, indem sie durch ein leises Lächeln, wie wenn der klare Mond durch dünne Wolkensäume bricht, den Schein der innern Heiterkeit zu retten suchte.

Der Fürst faßte ihre Hand, und zog sie sanft neben sich auf das Sopha hin.

»Ich war ein unbemerkter Augenzeuge Ihrer christlichen Barmherzigkeit, holde Rosa,« – begann der Fürst, – »obgleich sie für mich, wie es scheint, ein Geheimniß bleiben sollte. Auf keine mir angenehmere Weise hätten Sie den Vorabend des Festes feiern können, das mir dadurch theurer als jemals geworden ist. Sie haben mir einen unvergeßlichen Beweis Ihrer hochherzigen Gesinnungen gegeben,[42] und Ihre Schuld ist es, daß meine frühere Hochachtung in eine innige Neigung sich verwandelt hat.«

»Eure Durchlaucht –«

»Unterbrechen Sie mich nicht, liebe Rosa; die Minuten des glücklichen Zufalls auf der Welt sind den Menschen spärlich zugemessen; sie müssen rasch ergriffen oder für immer aufgegeben werden. Oeffnen Sie mir Ihr Herz, Rosa! betrachten Sie mich als Ihren besten Freund; wem galt das sehnsuchtathmende Lied, das Sie sangen, wem die schmerzliche Klage Ihres Kummers? Lieben Sie? Ich mag nicht fragen: ob glücklich oder unglücklich, denn wie könnte ein Engel des Himmels, wie Sie, unglücklich lieben!«

»Die innige Theilnahme Eurer Durchlaucht kann nur durch die reinste Wahrheit verdient werden: mein Lied galt Keinem, der mich liebt, oder der jemals mich um Gegenliebe bat; mein beklommenes Herz fühlt eine innere Leere, und sehnte sich unter den Segnungen der Dankbarkeit nach der Wonne der Liebe; mein Lied galt einem Traumbilde meiner Phantasie, das ich mit Gesang und Thränen verklären wollte.«

»Arme Rosa, wenn Sie, die Göttin der Liebe selbst, nach Liebe sich sehnen, welche Hoffnung bleibt mir, der ich wahrlich kein Schooßkind des Glückes in der Liebe bin!«

»Wie? Eure Durchlaucht sollten nicht glücklich seyn? Nicht möglich! Eine so schöne, hochgebildete Gemahlin, ein edler Sohn, eine liebenswürdige Tochter, vereinigen sich,[43] das Leben Eurer Durchlaucht mit Paradieses-Blumen zu schmücken, und Sie sind so ungerecht, über die Mißgunst des Schicksals zu klagen?«

»Der Schein trügt, – liebe Rosa, und auf fürstlichen Höhen am meisten; ich bin nicht glücklich und war es nie. Das körperliche Uebel, woran meine Mathilde leidet, hat einen gefährlichen Grad erreicht; es ist wenig Hoffnung auf Genesung übrig, und somit scheint sie einer frühen Auflösung entgegen zu siechen. Das Schlimmste an dieser Krankheit ist jedoch der widrige Einfluß auf die Gemüthsstimmung: sie ist seit einiger Zeit äußerst reizbar, und ganz besonders zur Eifersucht geneigt, was früherhin, besonders im Anfange unserer Ehe, nicht der Fall war, wo eine ruhige Freundschaft und ein ungestörtes Vertrauen unser häusliches Stillleben begründete. Das Bewußtseyn, nicht mehr mein Weib im süßesten Sinne des Wortes seyn zu können und zu dürfen, quält sie stündlich mit finsterm Argwohne. Auf diese Art muß ich in der Einsamkeit meiner fürstlichen Gemächer ärmer leben, als der Geringste meiner Unterthanen, der ein liebendes Wesen an sein volles Herz drückt. Der schwere Kummer, den mein Sohn durch sein Verhältniß mit der lüsternen Italienerin, und durch seine Abneigung gegen eine ebenbürtige Heirath mir bereitet, ist Ihnen ohne Zweifel schon bekannt, da die Hauptstadt und das ganze Land davon spricht. Können Sie mir unter diesen Umständen das offene Geständniß[44] verargen, daß mein Herz nach Liebe, nach der Liebe einer edelgesinnten, schönen Seele sich sehne?«

»Gewiß nicht, Eure Durchlaucht, und um so weniger, als Ihre Wahl unter den ausgezeichneten Schönheiten des Hofes den Geist und Geschmack des Wählenden rechtfertigen wird.«

»Sie irren zum Theil, holde Rosa; denn nicht aus dem Damenkranze meines Hofes hab' ich die köstliche Blume auserlesen, welche den Rest meines Daseyns verschönern könnte, nein, sondern – sie steht in voller Lebensblüthe vor mir!«

»Eure Durchlaucht belieben zu scherzen, denn –«

»Nein, theure Rosa, ich scherze nicht, und in keinem Augenblicke meines freudelosen Lebens war ich mehr zum Ernste gestimmt, als gerade in diesem. Rosa, ich liebe dich! O wende dich nicht hocherröthend ab, auch das Herz hat seine Rechte! Mag die Verläumdung ihr verzehrendes Gift über deine lilienreine Seele ausgießen, mein guter Glaube kann mich nicht täuschen. Wohl ist es wahr:


›Es liebt die Welt, das Strahlende zu schwärzen,

Und das Erhabne in den Staub zu ziehen,‹ –


doch du bist der klare Stern meines Lebens, zu dessen Himmelshöhe die feige Kunst der ränkevollen Hölle nicht hinaufreicht.«

»Eure Durchlaucht überraschen und beschämen mich! Was soll ich armes Mädchen auf solche Huld erwiedern?«[45]

»Sprich: ›Ich liebe dich!‹ und das Glück meines ganzen Lebens ist vollendet. Nicht blos als meine Freundin wünsch' ich dich zu achten, sondern auch als meine Geliebte anzubeten. Verfüge über meine Schätze; mein Eigenthum ist dann auch das deinige. Du bist zu verständig, um in Staatsgeschäften Einfluß zu wünschen; was kümmert sich die Liebe um öffentliche Angelegenheiten, und würde ich nicht eben deine Liebe durch den Verlust deiner Achtung auf das Spiel setzen, wenn ich durch den Antrag oder die Duldung eines solchen Einflußes in deinen Augen fähig erschiene, die heiligen Pflichten des Regenten den Gefühlen meines Herzens zum Opfer zu bringen?«

»Bei Gott, nie wohl sprach ein liebender Fürst mitten der Glut süßer Gefühle unabhängiger seinen erhabenen Charakter aus!«

»Damit du aber nicht wähnest, Geliebte, daß eine vorübergehende Leidenschaft meine Sinne gefesselt habe, so nimm hier mein fürstliches Wort in einer eigenhändig geschriebenen, mit meinem geheimen Kabinetssiegel bekräftigten Urkunde zum Unterpfande meiner dauernden Liebe hin, welche dir die feierliche Verheißung ertheilt, daß ich nach dem Hinscheiden meiner Gemahlin dich zur Herzogin von Wallenberg öffentlich erheben, und mit dir auf die linke Hand mich werde trauen lassen. Genügen dir diese Beweise einer wahrhaften, dauernden Liebe, so sprich[46] mit dem beseligenden ›Ja‹ die ganze Seligkeit meiner Zukunft aus!«

»Eure Durchlaucht erschweren mir wider Willen durch die Großmuth Ihrer Gesinnungen die Antwort; ›nein‹ vermag mein Herz nicht zu sprechen, das von der innigsten Verehrung Eurer Durchlaucht erfüllt ist, und spräch' ich ›ja,‹ so könnten Eure Durchlaucht mit großem Rechte vermuthen, daß die verheißene Würde einer Herzogin und das Versprechen der Trauung auf die linke Hand mich so schnell dazu bestimmt hätten. Ein Liebesbund, der mit einer lockenden Aussicht in die Ferne geschlossen wird, gleicht einem Handel, bei welchem die Baarzahlung der Zukunft übertragen bliebe. Nach meinem ›Ja‹ hätte ich diese Urkunde mit Freuden hingenommen und hinnehmen dürfen, ohne den Schein des Eigennutzes zu verschulden, wiewohl als etwas Unwesentliches für ein liebendes Herz. Mir genügt die Liebe allein, und indem ich sohin Eure Durchlaucht bitte, die Urkunde im verborgensten Schreine Ihres Kabinets zu verschließen, bis sie im Laufe der Zeit die nöthige Reise, und durch mein Benehmen die vollkommene Rechtfertigung erhalten hat, gestehe ich, daß –«

»O sprich mein Urtheil aus, liebe Rosa!«

»– daß Ihre Liebe mich glücklich macht!«

»Rosa, du öffnest mir die Thore des Himmels schon auf Erden!« rief der Fürst laut aus, sank auf ein Knie, und küßte ihre schöne Hand.[47]

»Stehen Sie auf, mein theurer Fürst, wir könnten überrascht werden! Horch! Hören Sie nicht Fußtritte unter uns?«

»Nein. Wer soll's denn seyn?«

»Stille, sonst sind wir verrathen!«

An der Seitenwand unter dem Spiegel befand sich ein Bacchuskopf von Bronce mit gähnendem Munde, eine akustische Vorrichtung. Hielt man das Ohr an diesen offenen Mund, so vernahm man das leiseste Wort, die geringste Bewegung, ja fast das Athmen in den unterirdischen Gängen, die zur Höhle der büssenden Magdalena und zum künstlichen Holzstoffe führten. Rosa horchte.

»Himmel! der Klosterbruder Antonio schleicht lauernd heran! Er darf Eure Durchlaucht hier nicht treffen, und ein Ausweg, dem er als Baumeister dieser Anlage nicht auf die Spur käme, ist nicht vorhanden. Er fliehe, wenn's noch möglich ist oder sterbe!«

So sprach Rosa, und rasch, ehe der Fürst es verhindern konnte, zog sie an zwei Metallringen, zwischen welchen der Bacchuskopf an der Wand befestigt war, und alsogleich rauschte das Wasser durch die hermetisch schließenden Lucken der gewölbten Gänge, und deutlich hörte man, wie Antonio eiligen Laufes fluchend davon rannte. Rosa klingelte; Fanny und Betty erschienen, ganz bestürzt ob des unheimlichen Getöses unter ihren Füßen.[48]

»Führet Seine Durchlaucht unverzüglich durch den Gang rechts nach dem Holzstoffe, und auf der Gondel an's Ufer; Eure Durchlaucht belieben meinen Mantel von schwarzem Damentuche mit der Kapuze umzuwerfen, damit Niemand, am wenigsten Antonio, Sie erkenne!«

»Rosa, liebe Rosa, ich sehne mich sehr nach der Weihestunde unserer Liebe; wann wird sie schlagen?«

»Um Mitternacht, während des Balles, den ich morgen in meinem Landhause veranstalte,« lispelte Rosa, und drückte dem Fürsten leise die Hand, der mit unaussprechlichem Entzücken den beiden Führerinnen folgte.

Eine Viertelstunde verging, während welcher Rosa bald gedankenvoll vor sich hinstarrte, bald in großer Bewegung durch das Zimmer schritt.

Der Vorabend eines wichtigen Zeitabschnittes ihres Lebens war nun angebrochen; sie mußte sich auf Ereignisse gefaßt machen, die außer aller Berechnung lagen. Der Fürst hatte ihr seine glühende Liebe bekannt, und um Gegenliebe gebeten. Weit entfernt, den berüchtigten Gardinenseufzern zu glauben, und das Geständniß seiner Gefühle auf den Antrag der Zahlung des tarifmäßigen Preises zu beschränken, war er edel genug, das Beste von ihr zu denken, und sie mit der Aussicht auf die herzogliche Würde; ja selbst auf eine Ehe zur linken Hand zu beehren.

Ob unsere deutsche Nachtigall, die den edlen Lord[49] ausschlug, und in Paris über einen symbolischen Pfirsichkern fiel, ohne die Jungfrauschaft zu brechen, auch ein solches Anerbieten ausgeschlagen hätte, wollen wir aus Mangel näherer Anhaltspunkte dahin gestellt seyn lassen; so viel ist aber gewiß, daß Glückssterne dieser Art nicht täglich leuchten, oder mit den Perioden der Mondesveränderungen regelmäßig erscheinen, sohin jeder oder jede eilen müsse, mit ihren Strahlen sich zu schmücken.

Welches Mädchen würde, wie ein weiblicher Herkules am Scheidewege, in der Wahl zwischen dem Stande einer Sängerin und einer Herzogin schwanken?

Freilich kann mir ein zartes Gewissen einwenden: »die Wahl wäre nicht schwierig, aber die Bedingung ist schwer; der Fürst ist vermählt, und erwartet doch die Gegenliebe eines Weibes! Die Geliebte kann erst Herzogin und des Fürsten Linksgetraute werden, wenn die Rechtsgetraute aufgehört hat zu leben: Allein wann dieß geschieht, ist eine gar bedenkliche Frage, indem es dem Schicksale schon oft gefiel, in dieser Beziehung mit den Wartenden allerlei Kurzweil zu treiben, und verschiedene Querstriche durch die Rechnung ohne Wirth zu machen.«

Diese Einwendung hat viel Praktisches; aber so wie wir an jedem Dinge wenigstens zwei Seiten bemerken, so ist es auch bei diesem Verhältnisse der Fall. Wer nach etwas Großem, Ungewöhnlichem strebet, muß mit ganz andern Mitteln auf ganz andern Bahnen wandeln, als einer,[50] der in stiller Genügsamkeit seines Daseyns sich freuet; er muß wagen, um zu ge winnen. Der Unternehmungsgeist hat aber auch geraden Anspruch, auf eine Weise beurtheilt zu werden, die mit der alltäglichen Tadelsucht durchaus nichts gemein hat.

Rosa besaß einen seltenen Verstand, und wußte die Gründe für und gegen ihre Wahl eben so rasch als klug zu erwägen; sie hatte für den Fürsten entschieden, war jedoch edelmüthig, oder wenigstens fein genug, die Urkunde abzulehnen; schwerlich hätte eine Andere ein so wichtiges Dokument aus der Hand gegeben, sie aber durchschaute den Fürsten, und wußte wohl, daß dieser Schein von Uneigennützigkeit ihn nur um so mehr fesseln müsse. Sie dachte ferner: »stirbt die Fürstin nicht, wozu die Urkunde? Stirbt sie, so wird der Fürst die Verheißung der Urkunde dennoch erfüllen, sowohl weil er sich selbst dazu verbindlich machte, als auch um mein durch die Ablehnung bewiesenes Vertrauen zu rechtfertigen; hätte er aber diese Urkunde auch nicht ausgestellt, so würde mein Benehmen hinreichend seyn, ihn zu diesem Schritte zu bewegen, ja, ich wollte es sogar dahin bringen, daß er mich dringend um meine Einwilligung bitten müßte.«

Dieß Alles bei sich erwägend, bückte sich Rosa, um ihr Taschentuch aufzuheben, als sie plötzlich zwei Füße gewahrte. Mit einem Schrei sprang sie zurück, und vom Wasser triefend, zornfunkelnden Auges, stand Antonio[51] vor ihr, der über das Broncegitter des Blumenflors gestiegen, und geradezu in das Zimmer getreten war.

»Wer hat Euch hier den Eintritt erlaubt?« fragte Rosa, und ihre Stimme schien zu beben.

»Ich mir selbst. Wer aber gab Euch das Recht, mich wie eine Feldmaus ersäufen zu wollen? Was hab' ich Euch Böses gethan, daß Ihr die Wirkung meiner Erfindung mit mörderischer Absicht gegen mich selbst anwendet? War's die Furcht, in den Armen des Fürsten von mir entdeckt zu werden? Seyd ohne Sorgen; ich achte Euern Beruf, und werde Euch in der Ausübung desselben nicht stören, doch müßt Ihr schon so gefällig seyn, mir aus besondern Rücksichten unentgeldlich, und zwar jetzt gleich, zu gewähren, was die reichen Narren mit ihrem Gelde bezahlen.«

»Es scheint, Ihr macht sehr zur Unzeit Spaß, oder Ihr seyd ganz von Sinnen. Ich habe Euch für den Bau dieser Anlagen bezahlt, und somit ist jedes Verhältniß zwischen uns Beiden abgethan. Ihr habt kein Recht, nach Belieben diese Insel zu besuchen, oder die unterirdischen Gänge zu betreten, oder meine Handlungen zu belauschen, oder Euch unangemeldet in meine Nähe zu drängen. Was Ihr da vom Fürsten fabelt, ist leeres Geschwätz, Eure schimpflichen Aeußerungen sind übrigens ganz geeignet, den Schutz der Gesetze anzusprechen; verlaßt Euch darauf, daß ich diesen Schritt nicht verzögern werde, jetzt aber entfernt Euch auf der Stelle aus meinen Augen, und laßt Euch[52] nie wieder in meinem Landhause oder auf meiner Insel sehen!«

»Vor mir braucht Ihr die Heuchlerin nicht zu spielen, denn ich kenne Euch. Ich habe keine Zeit zu verlieren, darum hört: Chiaretti gab mir bereits, was Ihr mit einfältiger Sprödigkeit verweigert, jedoch gegen einen furchtbaren Eid, den ich schwören mußte: Euch zu vergiften, oder auf eine andere Weise aus der Welt zu schaffen.«

»Heiliger Gott!«

»Ein und dasselbe Vaterland vereiniget mich und Chiaretti; dieß ist schon ein großer Vorsprung, den sie vor Euch hat; dazu kommt, daß sie mich in einer Götterstunde bezauberte; welsches Blut mischt sich mit welschem doch ganz anders, als mit deutschem, und solche Freuden, wie sie mir bereitete, blühen dem Erbprinzen wahrlich nicht! Ich mag nicht undankbar seyn!«

»Wie? Ihr erfrecht Euch, eine solche Sprache zu führen, mir gegenüber? Ich habe die Chiaretti nie beleidiget, im Gegentheile, ich habe ihr große Beweise meiner Achtung gegeben, die sie wohl mit Recht zu ewigem Danke verpflichten sollten. Sie hat nicht den mindesten Grund, mir auch nur zu zürnen, viel weniger meinen Tod zu wollen. Packt Euch zur Thüre hinaus, erbärmlicher Lügner und hütet Euch vor solchen Reden, damit Ihr nicht nöthig habt, im Kerker schweigen zu lernen.«[53]

»Oh! sachte, sachte, Rosa! Sprecht nicht von Kerkern, worein Ihr die Leute wollet werfen lassen, bevor Euch nicht, als der fürstlichen Maitresse, die Vollmacht dazu ausgestattet ist; spart bis dahin Eure lächerlichen Drohungen, und beehrt mich mit einer bestimmten Antwort, ob Ihr, was ich verlangt, zu thun entschlossen seyd, ob nicht, und zwar sogleich; denn ich kenne Eure Ränke, Zeit gewonnen, Alles gewonnen! Gebt mir die Oberherrschaft über Euern schönen Leib eine Stunde lang. Freilich kann ich Euch, nicht 20,000 Franken dafür bezahlen, wie der reiche Narr, der Gesandte; aber 20,000 Tropfen von Chiaretti's Blut will ich Euch statt des Miethpreises bringen; seyd Ihr jedoch blutscheu, so gibt's andere Mittel. Sie ist eine welsche Dame, daher will ich ihr, zur Erinnerung an ihr Vaterland, den Schwanenhals umdrehen, wie einer welschen Henne, oder ich schlage Euch zwanzig Vergiftungsarten vor, worunter Ihr nur wählen dürft. Nun, sind wir Handels einig, oder soll's Euch an den Kragen gehen?«

»Entsetzliches Ungeheuer, fort aus meinen Augen!«

»Wohlan, ich gehe jetzt, und hoffe, Ihr werdet den Vorschlag früher noch beschlafen, als der Fürst Euch. Drei Tage gebe ich Euch Bedenkzeit; ist diese Frist vorüber, so werde ich in diesem Zimmer die Antwort von Euch holen, ohne mich von Eurer Umgebung oder Gesellschaft im Geringsten stören zu lassen, sey's auch wer immer, den Ihr vielleicht zu Eurem Schutze hieher bescheiden möchtet. Uebrigens[54] muß ich Euch den Umstand bemerken, daß dieses Schweizerhäuschen nicht viel fester stehe, als ein Kartenhäuschen, und daß es eines einzigen Druckes meiner Hand bedürfte, das ganze Dach einzustürzen, und Euch und jene, die gerne ihre Hand nach mir ausstrecken möchten, unter dem Gebälke und Schuttwerke zu begraben, so zwar, daß kein Hahn mehr nach Euch krähen würde. Erscheint Ihr aber nach drei Tagen nicht an diesem Orte, so seyd Ihr meiner Rache verfallen, die Euch erreichen wird, wo Ihr's am wenigsten vermuthet. Wie gesagt, gebt Euch ja keine Mühe, die Polizei meiner Verhaftung wegen in ihrem ewigen Mittagsschläfchen zu stören. Wer mit dem Teufel auf so gutem Fuße steht, wie ich, kümmert sich den Teufel um die Polizei!«

Sprach's, und versank vor Rosa's Augen, höhnisch lachend, und spurlos schloß sich über ihm der Boden. Erschöpft von diesem wilden Auftritte, und geängstiget von den schrecklichen Drohungen des Klosterbruders, glitt Rosa ohnmächtig an der Wand nieder. In diesem Zustande trafen sie die beiden Mädchen, und trugen sie auf einem zusammengelegten Shawl in die Gondel. Die gewöhnlichen Mittel gegen leichte Ohnmachten waren hinreichend, sie wieder in's Leben zu rufen, als sie auf ihrem weichen Lager im Landhause die sorgfältigste Pflege erhielt.

Die Nacht brach an. Im Hause herrschte die größte Thätigkeit, da Rosa beschlossen hatte, am nächsten Abend[55] zur Feier des fürstlichen Geburtsfestes einen der glänzendsten Bälle zu geben, der jemals die Zungen der Klatschsüchtigen mochte beschäftigt haben.

Quelle:
Friedrich Wilhelm Bruckbräu: Mittheilungen aus den geheimen Memoiren einer deutschen Sängerin. Zwei Theile, Band 2, Stuttgart 1829, S. 26-56.
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