Gerade recht.

[74] So sehr auch Rosa nach den Mühen des Tages der stärkenden Umarmungen des Schlafes bedurfte, so wenig war auf die Willfährigkeit des mohnbekränzten Morpheus, wie es schien, zu zählen.

Die Lage der Prinzessin war von solcher Art, daß eine vermittelnde Einschreitung sich als höchst dringend zeigte. Nach der Liebeserklärung des Fürsten würde dieser[74] der Rosa die Einwilligung in die Vermählung des Prinzen Paul mit Eleonora gewiß nicht versagt haben. Hätte auch wohl der Fürst Rosa's Bitten widerstehen können, versüßt durch die kosenden Worte: »Geliebter, deine gute schöne Eleonora liebt den Prinzen Paul gerade so gränzenlos, wie deine Rosa dich; wär's nicht schrecklich, wenn unsere Liebe hoffnungslos bleiben müßte, und da sie durch Gewährung uns beglückt, wär's nicht hart, ja wohl unmenschlich, dem theuern Kinde ein ähnliches Glück zu verweigern?«

Diese Vermittlung würde ohne Zweifel den Sieg über die Kabinetspolitik des Fürsten errungen haben. Allein die Veränderung der Umstände litt kein Zögern mehr; unmöglich konnte man die Vermählung ohne Rücksicht auf die herkömmlichen Förmlichkeiten des Anwerbens und der Verlobung beschleunigen; diese Eile hätte den Lästerzungen der alten hirschledernen Hofdamen einen willkommenen Stoff geboten, die Theezirkel mit schmähsüchtigen Klatschereien zu beleben, die Nasen und Näschen zu rümpfen, die Achseln zu zucken, und nach der Entbindung die Saat-und Erntezeit nach der krebsartigen Rückzählung zu vergleichen. Nach der von den Gerichtshöfen geltenden Meinung der Aerzte tritt die Geburt des Kindes gegen das Ende des 9ten und zu Anfang des l0ten Monats, 40 Wochen oder 280 Tage, von der Empfängniß an gerechnet, nachdem sich der Leib gesenkt hat, ein.[75]

Diese Bemerkung für Herren und Damen beifügend, welche vom Schicksale mit Kindereien heimgesucht werden, überlasse ich Allen, die sich gerne mit Rechnen beschäftigen, die leichte Mühe, das zarte Alter der unausgetragenen und demnach vollkommen reifen Frühgeburt zu bestimmen, im Falle Rosa diese schale Ausflucht gewählt hätte, womit Frauen in Abwesenheit ihrer Gatten, wenn sie nach sechs bis acht Wochen wiederkehren, oder jene Mädchen ihre unbegreifliche Fruchtbarkeit beschönigen, welche unter mehrern beglückten Liebhabern den Wohlhabendsten zum zahlenden Papa erkiesen.

An komischen Auftritten fehlt es bei solchen Umtrieben nie.

So erinnere ich mich z.B. noch recht gut an eine lustige Scene aus der Ferienzeit meiner Jugend, auf dem Schlosse eines sehr vermöglichen Edelmannes, bei dem ich jährlich zur Herbstzeit als Jagdgast willkommen war. Dieser hatte noch in seinem hohen Alter den allzuspäten Einfall, in die Einförmigkeit seines ländlichen Stilllebens den Wechsel häuslicher Scenen des Ehestandes zu bringen. Er heirathete die einzige Tochter seines Verwalters, und kümmerte sich wenig um den Rostflecken, der dadurch in den Stahlspiegel des hochadeligen Wappens kam, war doch die Auserwählte ein hübsches, fleißiges, tugendhaftes Mädchen; dessen Köstlichstes der sorgsame Vater bis zum Altare glücklich bewacht hatte.[76]

In dem Schlosse des alten Herrn lebte ein junger Offizier von. 24 Jahren der im ersten Feldzuge für ein lahmes Bein einen Orden zur Belohnung seines Muthes auf der Brust trug, und nun hier, fern vom Geräusche der Welt, seine Pension verzehrte. Im Fache des Landschaftszeichnens besaß er gründliche Kenntnisse und eine große Kunstfertigkeit, und verlebte so, im Zimmer oder auf der Jagd, wie es nun eben kam, sehr fröhliche Tage.

Zur größten Freude des alten Herrn blühten dem neuen und dennoch alten Ehemanne die schönsten Aussichten auf Vaterfreuden.

Der Alte mit seinem Hausfreund war eben auf der Jagd bei einem etwas ferne wohnenden Grenznachbar, hatte jedoch die Weisung zurückgelassen, daß man im Falle unvermutheter Entbindung sogleich die Hebamme aus dem nächsten Städtchen holen, und die bereits bezeichneten Grundeigenthümer aus der Umgegend zum Kindtaufschmause laden sollte, als dieser Fall wirklich plötzlich eintrat.

Auf diese junge Frau konnte man jenes Räthsel anwenden, das zu den schönsten zu zählen ist, deren Lösung jemals einen sinnreichen Kopf beschäftiget hat: »Was bleibt übrig, wenn Seele und Leib sich trennen?«

»Eine Wöchnerin!«

Seit vier Stunden war die Geburt vorüber; ein hübscher Knabe schrie in's Leben hinein, der bereits gebadet, in Spitzen gewindelt und mit einem zierlichen Häubchen[77] bekleidet war, als der alte Herr und sein junger Freund, durch reitende Boten aufgesucht und von dem neuen Ankömmlinge in Kenntniß gesetzt, in einer mit zwei raschen Siebenbürgern bespannten Jagdkalesche in den Hofraum des Schlosses fuhren, in dessen Saale schon die geladenen Gäste sich befanden.

Kaum waren beide eingetreten, als die Hebamme, nach einem festen routinirten Blicke auf sie, das Kindlein auf beide Hände nahm, sich langsam dem Hausfreunde nahte, und mit einem ehrerbietigen Bücklinge, jedoch mit lauter Stimme sprach: »Ich gratulire Euer Gnaden von Herzen zu diesem schönen Prinzen; er ist Ihnen ganz aus dem Gesichte geschnitten!«

Der Hausfreund lächelte wohlgefällig, küßte das Kind mit wahrer Liebe, und reichte es dann dem Herrn, der es mit Thränen der väterlichen Rührung an sein Herz drückte.

Der Fehlwunsch der Hebamme ergötzte die Meisten unter den sogenannten Gebornen, als wären nach ihrer Meinung Menschen aus bürgerlichem Stande gleichsam gar nicht geboren, und ein allgemeines Kichern ging bald in schadenfrohes, halb lautes Lachen über; die adeligen Schmarotzer, welchen die Mißheirath des alten Herrn ein Dorn im Auge war, obgleich sie die gutbesetzte Tafel desselben nicht verschmähten, triumphirten innerlich über diese Demüthigung; der Alte ließ sich aber nicht irre machen in seinen Liebkosungen, gab der Hebamme das Kind zurück, und[78] sprach zu den versammelten Gästen: »Hochansehnliche Gäste! von väterlichen Gefühlen überrascht, vergaß ich, Ihnen hier in der Person meines Herzens- und Hausfreundes einen braven Officier vorzustellen, der in meinem Schlosse wohnt, an meinem Tische ißt, den ganzen Tag hindurch meiner lieben Frau die Cour macht, und in ihrem Zimmer schläft, wenn meine Glas- und Eisenöfen mich auf einige Tage entfernt halten, der von ihr in meiner Gegenwart geküßt wird.« –

Die Gäste konnten nur mit Mühe ein lautes Gelächter über die aufrichtige Beichte des alten Hahnrei's unterdrücken; sie stießen sich bei jedem Worte, das er sprach, mit den Elenbogen, und traten sich auf die Füsse, daß Mancher und Manche ob der unsanften Berührung der Leichdorne grimmig die Augen verdrehte. »– Kurz, –« fuhr der alte Herr fort, »er ist ihr Bruder!« Dieß war auch wirklich der Fall. Man denke sich aber die Verlegenheit des alten Herrn, des jungen Officiers und der Hebamme, wenn's nicht so gewesen wäre! Und wie häufig ist dieß nicht so!

Nun änderte sich freilich die ganze Scene, und sämmtliche Gesichter der Gäste zerrannen in ein Gemisch von Beschämung, Aerger und scheinbarer Theilnahme, einem Haufen Tragantschleimfiguren ähnlich, auf welche heißes Wasser geschüttet wurde.

Etwas erträglich Kluges kann der Mensch durch bedächtiges[79] Nachdenken, und durch eine prüfende Abwägung aller Verhältnisse ersinnen, aber alles Geniale ist eine höhere Eingebung, ein Geschenk der Götter, womit sie nur ihre Lieblinge beglücken. Vergebens würde man sich den Kopfzerbrechen, um zwischen den Scherben dieser Wiege des Geistes nach Bruchstücken der Genialität zu wühlen, wie Alterthumsfreunde in Römerhügeln nach Kochtöpfen aus Cäsars Hofküche; denn alles Geniale ist untheilbares himmlisches Licht!

Ein Strahl dieses Lichtes blitzte durch Rosa 's Engelköpfchen, als der *** Gesandte, Graf L**** gemeldet wurde.

Quelle:
Friedrich Wilhelm Bruckbräu: Mittheilungen aus den geheimen Memoiren einer deutschen Sängerin. Zwei Theile, Band 2, Stuttgart 1829, S. 74-80.
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