Lohn des Sieges.

Uralt und weltbekannt ist die Fabel vom sterbenden Löwen und vom Esel, der sich noch durch einige Hufeschläge zu rächen suchte, eine Fabel, die im menschlichen Leben beinahe täglich in Erfüllung geht. Ist der Sturz eines Mächtigen entschieden, dann schreien jene feigen Seelen am heftigsten, und schleudern ihre Bannflüche gegen ihn, die zuvor wie blattbauchige Insekten am tiefsten vor ihm zu kriegen pflegten. Gerade so ging's dem Cabinetsminister, Grafen von Spindel, als sein Fall officiell bekannt gemacht wurde. Obgleich er selbst eben so wenig ein Löwe, als sein ärgster Feind ein Esel war, so trafen doch alle übrigen Umstände jener Fabel vollkommen ein.

Die öffentliche Meinung hatte sich durch die freiwillige Beleuchtung der Stadt bereits augenblicklich ausgesprochen; alle Herzen schwammen in einem Meere von Wonne, als wären sie von einem unerträglichen Joche der Tyrannei befreit worden. Und so war es auch. Die ganze Nation sah mit gespannter Erwartung einer ständischen Verfassung nach den Bestimmungen der Wiener Kongreß-Akte entgegen;[5] Jedermann wußte, daß der Cabinetsminister die einzige Ursache des vergeblichen Wartens sei, indem er durch alle ersinnlichen Umtriebe die Lösung des fürstlichen Wortes zu verzögern suchte. Er wußte wohl, daß seine Talente nicht geeignet waren, die Feuerprobe ständischer Oeffentlichkeit zu bestehen; er war kein Redner, und hätte er sich auch gegen jede Verantwortlichkeit über seine frühere Verwaltung durch eine Klausel in der Verfassungs-Urkunde schützen können, so wäre doch die gebieterische Nothwendigkeit geblieben, für die Zukunft den spekulativen Bereicherungsplänen zu entsagen. Bald nahmen die Bläter der Hauptstadt einen unabhängigen Ton an und äußerten sich freimüthig, mehr oder minder schonend, über das heillose Verwaltungssystem des gestürzten Ministers, und schon nach 14 Tagen tauchten von allen Seiten zahlreiche Broschüren auf, welche sein öffentliches und häusliches Leben rücksichtlos der strengsten Kritik unterzogen.

Der Fürst hemmte auf keine Weise den lauten Schrei der allgemeinen Entrüstung. Mochte auch so Manches gänzlich unwahr, übertrieben, oder durch irgend eine persönliche Aufreizung entstellt seyn, was bei solchen Anlässen nie zu vermeiden ist, so vernahm doch der Fürst auch so manche wahre und warnende Stimme, so manche, ihm bisher durchaus fremde, gegründete Rüge bestehender Mißbräuche, daß sein wohlwollendes Herz und sein gesunder Verstand zur schleunigsten Abhülfe sich gerne verbanden.

[6] Rosa durfte sich als das vom Himmel ausersehene Werkzeug zur kaum geträumten Umgestaltung aller dieser Verhältnisse betrachten; es war ursprünglich von keiner Staats-Intrigue die Rede, zu derem künstlichem Gewebe sie die ersten Fäden geschlungen hätte; sie erschien nicht als das Haupt einer Partei, sondern als Widersacherin eines ränkesüchtigen Hofmanns, der sie als Mittel zum eigenen Zwecke, zur Befriedigung unedler Rache mißbrauchen wollte und nun seinen Fehlgriff mit dem Sturze von seiner politischen Höhe büßen mußte.

Die fremden Gesandten in der Hauptstadt sendeten auf der Stelle Kouriere an ihre Regierungen mit dieser großen Neuigkeit, welche wichtige Folgen verhieß, und bezeichneten in ihren Depeschen ohne weiteres die Sängerin Rosa als das mächtige Wesen, dem dieses unmöglich scheinende Unternehmen gelungen sey, gleichsam als wäre sie von ihrer Kunstreise in fremden Ländern ausdrücklich zu diesem Zwecke zurückgekehrt. Den eigentlichen Hergang der ganzen. Sache wußte jedoch, außer den unmittelbar Betheiligten, noch Niemand, und diese hatten sich wechselseitig das strengste Schweigen gelobt. Was Jost ausplauderte, betraf nur die Thatsache der Entscheidung; den innern Zusammenhang kannte er nicht.

Rosa gefiel sich in der großen politischen Rolle, die sie nun vor aller Welt zu spielen schien. Es liegt in dem Bewußtseyn persönlicher Wichtigkeit im Verhältnisse zur[7] Außenwelt ein ganz eigener Zauber, welchem selbst Männer von entschiedenem Charakter selten widerstehen können; einer Dame dürfte es also um so weniger zu verargen seyn, wenn sie einer so großen Lockung unterliegt.

Der Fürst benahm sich gegen Rosa mit der größten Auszeichnung; sie wurde häufig zur Kabinetstafel gezogen, wobei die fürstliche Familie, mit Ausnahme des Erbprinzen, zugegen war, der aus Rücksichten der Liebe nicht erschien, da seine Chiaretti von der Einladung ausgeschlossen blieb, während doch die Sängerin Rosa an der Tafel saß, und, die Mandoline im Arm, Arien aus den beliebtesten Opern sang. Daß sie am Tische, und nicht in einiger Entfernung davon, an der gewöhnlichen Stelle der Sänger, Sängerinnen und Musiker spielte und sang, wurde ihr von alt adeligen Herrn und Damen, die manchmal Einladungen in diese Familienkreise erhielten, als eine unerhörte Ehre erstaunlich hoch angerechnet.

Eines Morgens überbrachte ihr der Vorstand der Hofbühne das Dekret als erste Sängerin der Bühne mit einem lebenslänglichen Gehalte von 6000 Thalern, und als sie vor dem Fürsten erschien, um ihm für diese Anstellung zu danken, überraschte sie der selbe mit einem zweiten Dekrete, als erste Hof- und Kammersängerin mit einem lebenslänglichen Gehalte von 4000 Thalern, die auf die fürstliche Schatulle angewiesen waren. Die ausdrückliche[8] Bewilligung eines jährlichen Urlaubes von vier Monaten zu Kunstreisen krönte diese hohe fürstliche Gnade.

Quelle:
Friedrich Wilhelm Bruckbräu: Mittheilungen aus den geheimen Memoiren einer deutschen Sängerin. Zwei Theile, Band 2, Stuttgart 1829, S. 5-9.
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