Petersburg,

[208] das sich durch eine eigenthümliche Seltenheit, nämlich durch einziges, aber collossales Stadtthor ohne Mauern, vor den meisten, und vielleicht vor allen Städten auf der Erde[208] auszeichnet. Rosa war früherhin niemals in Petersburg gewesen; so viel Schönes sie auch schon auf ihren weiten Reisen gesehen hatte, so fand doch ihr Auge schon bei der Einfahrt den reichsten Stoff zur Bewunderung. Ich lasse Petersburg gewiß gerne Gerechtigkeit wiederfahren, erstens: weil die Russen die natürlichen Feinde der Türken sind, und ich die Türken hasse, wie den Teufel; zweitens: weil mir Kaiser Alexander höchstseligen Andenkens im Jahre 1820 durch die Gesandtschaft in München für ein übersendetes, technologisches Werk, einen kostbaren Brillantring, bestehend aus 60 Brillanten, die in drei, durch Goldperlen getrennten Reihen einen großen Solitär umgeben, mittelst einer sehr ehrenvollen Zuschrift einhändigen ließ, und drittens: weil die russische Regierung, von der man nur sagt, sie schreite mit ihren Maßregeln zur Civilisation voran, talentvolle, in Wissenschaften und Künsten wohlerfahrene Männer sucht, glänzend belohnt, befördert, bei jeder Gelegenheit auszeichnet, während in andern Staaten, welche die höchste Stufe der geistigen Ausbildung erreicht zu haben wähnen, gar viele geistvolle junge Männer unbeachtet bleiben, wenn auch ihre Werke längst schon selbst den unbedingten Beifall der Gegner errungen haben; – allein eine von den Sehenswürdigkeiten Petersburgs hat mich stets mit einigem Grolle erfüllt: die Thurmspitze an dem Admiralitätsgebäude,[209] das auf einer prächtigen Insel liegt, welche von der Newa und Fontanka, einem Arme von jener, umgeben wird. Die Vergoldung dieser Thurmspitze kostete nämlich 60,000 Dukaten, und dieser Aufwand schmerzt mich, so oft ich berechne, welche Annehmlichkeiten des Lebens diese Summe mir verschaffen könnte. Wollte ich dem Flügelrosse der Phantasie die Zügel lassen, so wäre mir's etwas Leichtes, die verehrten Leser und schönen Leserinnen in meine eigene bedauernde Stimmung zu versetzen, indem ich denselben mit den lockendsten Farben die Rentengenüsse dieses Capitals schildern würde. Für jene gäbe es schöne Mädchen, hübsche Pferde, alte Weine, treffliche Jagdhunde, wohlbesetzte Tafeln; für diese: moderne Equipagen, die neuesten Parisermoden, Juwelen in den Ohren, am Halse, an den Fingern, Logen im Hofrange des Theaters, Anbeter in Menge; wer sollte bei so reizenden Aussichten nicht darüber betrübt seyn, daß jene ungeheure Summe nicht bloß, im wörtlichen Sinne des Ausdruckes, auf die Spitzege stellt wurde, nämlich auf die Thurmspitze, sondern auch der Lebenslust der ganzen Welt entzogen!

Wer allerlei scandalöse Geschichten von Petersburg kennen lernen will, der beliebe nur die Beschreibung dieser nordischen Hauptstadt zu lesen, welche von dem bekannten Herrn Dr. Christian Müller vor nicht langer Zeit erschienen ist. Solche Mittheilungen pflegt man nur über Hauptstädte zu machen, in welche die Verfasser niemals[210] wieder zurückzukehren gedenken. Herr Dr. Müller wurde späterhin Kabinetssekretär des Prinzen Eugen, Herzogs von Leuchtenberg, vormaligen Vicekönigs von Italien, hatte als solcher unstreitig die angenehmste dienstliche Stellung in ganz Baiern, und fand sich dennoch bewogen, wahrscheinlich, weil's ihm gar zu gut ging, sie mit dem Modeberufe eines Philhellenen zu vertauschen, holte sich in Griechenland eine Tracht Prügel ab, wie er der deutschen Lesewelt in einem eigenen Werke erzählte, und kam rein ausgeplündert wieder auf der heimathlichen Erde an. Gegenwärtig befindet sich dieser talentvolle und hübsche Mann in der sogenannten freien Schweiz, ich glaube in Lausanne, wo er mit seiner Gattin ein weibliches Erziehungsinstitut zu errichten bemüht ist.

Der Ton in den höheren Ständen ist in Petersburg vielleicht der feinste unter allen Hauptstädten, selbst Paris nicht ausgenommen; gegen die geringeren Volksklassen wird aber ein ganz anderer gehandhabt, wahrscheinlich weil auch die Bildung derselben noch zu weit zurück ist, um eines besseren würdig zu seyn. Der Luxus und die Genußsucht der Großen übersteigt dort allen Glauben. Von nordischer Wildheit durchglüht, kennt man in den Lüsten nur den Zweck, ohne sich um die Prüfung der Mittel lange zu bekümmern, die dahin führen. Befehlen oder bezahlen sind die beiden Pole, um deren Axe sich ihre Genüsse drehen. Daß es, wie in allen Verhältnissen, so[211] auch hier, Ausnahmen, und zwar sehr lobenswerthe, gebe, brauch' ich wohl nicht zu bemerken.

Rosa war in Petersburg eine neue, bezaubernde Erscheinung. Die kaiserliche Familie zeichnete sie durch die huldvollste Aufnahme aus, und sie genoß die Ehre, zweimal an der Kabinetstafel der Kaiserin-Mutter zu Czarskoe-Selo zu speisen, nach dem Urtheile der Kenner eines der prächtigsten Lustschlösser in der Welt, mit einem wahren Zaubergarten, worin die kostbarsten Früchte aller Zonen der Erde zu allen Jahreszeiten gefunden werden. Jedesmal war der Kaiser Alexander mit der Kaiserin, seiner Gemahlin, dabei anwesend, und erklärte mit unbedingter Bewunderung, eine so große Sängerin nie noch gehört zu haben. Er war von ihrem Gesange und ihren Reizen so entzückt, daß er sie während ihres Aufenthaltes täglich Abends besuchte, eine volle Stunde bei ihr blieb, und von ihren innern Vorzügen eben so ergriffen wurde, wie von ihren äussern. Die Reichsten aus dem Adel von Moskau waren nach Petersburg gekommen, um das neue Weltwunder, unsere Rosa, zu sehen und zu hören, und Alle verloren die Köpfe, oder sie wurden ihnen wenigstens tüchtig verrückt. Daß die Frauen solcher Männer, die sie aus Gefälligkeit, schuldigem Gehorsame oder aus Pantoffelfurcht mit sich nahmen, sich noch mehr darüber ärgerten, als jene Frauen, welche aus untrennbarer Liebe die[212] wahren Ehehälften ihrer Gattin blieben, läßt sich wohl denken.

Auch in Petersburg trat Rosa nur in drei Rollen auf, um ihre Heimkehr nicht zu lange zu verzögern; denn ach, unter den zahllosen Verehrern ihrer Schönheit vermißte ihr liebendes Herz dennoch immer den heißgeliebten Fritz; er oder keiner, dachte sie sich oft in einsamen Stunden.

Die Eintrittskarten in das Theater erhielten, so oft Rosa sang, einen förmlichen Cours, wie Staatspapiere, der schon am Morgen in den vornehmsten Salons, gleichsam auf der Börse der Kunst, notirt wurde.

Liebesbriefchen mit zärtlichen Anträgen regnete es von allen Seiten; Geschenke von sehr großem Werthe wurden stündlich gebracht; und Rosa benützte alle freien Abendstunden, ihren Anbetern Gelegenheit zu verschaffen, in den Tarifspreisen einander zu überbieten.

Eines Abends ließ sie eben alle Vorbereitungen zum Empfange vorgemerkter Besuche treffen, als ihr ein Dienstmädchen gemeldet wurde, das aus Auftrag der Dienstherrschaft dringend mit ihr zu sprechen wünsche.

»Was verlangst Du, mein liebes Kind?« fragte Rosa, als sie mit dem Mädchen allein war.

»Ich bin die Fürstin N***,« begann das vermeintliche Dienstmädchen, indem sie einen ganz gewöhnlichen Shawl lüftete, »womit sie ihr seelenvolles Gesicht, ihre blassen Wangen, ihre goldenen Locken verhüllt hatte,[213] allein das unglücklichste Wesen in ganz Petersburg. Sie allein, große Künstlerin, Sie allein sind im Stande, das Glück meiner Zukunft zu begründen.« Thränen schlossen ihr nun die bebenden Lippen, und wie abgespannt sank sie in einen Armstuhl.

»Sie scheinen mir sehr bewegt, theure Fürstin,« versetzte Rosa, tief gerührt von dem sichtbaren Schmerze der schönen Fremden; »vertrauen Sie mir Ihre Lage ohne Rückhalt, und seyen Sie überzeugt, daß ich alles thun werde, was Sie zu beruhigen vermag.«

Die Fürstin schöpfte mit krampfhafter Anstrengung Athem, seufzte tief und schwer, und begann:

»Ich bin der letzte Zweig einer der ältesten und berühmtesten Familien des russischen Reiches; zwei Millionen Silberrubeln waren meine Aussteuer, als ich den Fürsten N*** heirathete, dessen Schmeicheleien, wie ich jetzt recht wohl einsehe, meinem Gelde, nicht mir galten. Zu spät erfuhr ich, welch ein Verschwender er sey, und daß seine zahllosen Liebschaften den größten Theil seines Vermögens verzehrt hätten. Am Trauungstage vermißte ich an seinem Halse das Commandeurkreuz eines kaiserlichen Hausordens in Brillanten von ausserordentlichem Werthe, und erfuhr von einem seiner Diener, den er eines geringen Versehens wegen aus dem Dienste jagte, daß er es am Vorabende dieses Tages verpfändet hatte, um die Gunstbezeugungen einer verbuhlten Tänzerin bezahlen zu können. Eben wollten[214] wir Nachts, als die gewöhnlichen Feste vorüber waren, zum erstenmale das eheliche Bett theilen, als ich ihn über dieses treulose Benehmen mit den sanftesten Worten und den innigsten Bitten zur Rede stellte. Anstatt Güte mit Güte zu erwiedern, entflammte wilder Zorn sein ganzes Wesen; er stieß mich mit geballter Faust auf den schwellenden Busen, unter dessen unberührten Frühlingsknospen ein reines, jungfräuliches Herz ihm liebevoll entgegen schlug. Ein halbes Jahr sind wir nun vermählt, aber ich bin noch – Jungfrau. Sie staunen? Ja wohl ist es ein gar seltener Fall, daß eine Frau zugleich Jungfrau ist, und gewiß sind viel öfter Jungfrauen keine Jungfrauen mehr, wenn sie auch noch keine Frauen sind. Ich weiß es aus sicherer Quelle, daß er seiner Ausschweifungen müde ist, und nicht ungerne in meine Arme zurückkehren würde, hielte ihn nicht falsche Schaam zurück. Zu genau kenne ich seinen Charakter, um hoffen zu dürfen, durch Entgegenkommen diesen Schritt ihm zu erleichtern; im Gegentheile, ich würde mir vielmehr alle fernere Hoffnung dadurch vereiteln. Sie allein, theures, edles Mädchen, Sie allein könnten diesen höchsten Wunsch meines Herzens erfüllen!«

»Sprechen Sie, liebenswürdige Fürstin, was kann ich für Sie thun, wie vermag ich zu Ihrem Glücke beizutragen?«

»Das Weib eines Stallknechtes meines Gatten verletzte[215] sich vor einigen Tagen durch einen heftigen Fall in der Nähe meiner Wohnung so heftig an der linken Brust und an der Stirne, daß sie besinnungslos auf der Straße liegen blieb. Ich ließ sie in mein Hotel bringen, durch den Wundarzt auf meinem eigenen Bette verbinden, sorgfältig pflegen, und heute Morgens in meiner Sänfte, reichlich beschenkt, nach Hause tragen. Bald darauf kommt ihr Mann zu mir, dankt unter Thränen für alles seinem Weibe erwiesene Gute, und gesteht mir, daß er von seinem Herrn beauftragt sey, diesen Brief der Sängerin Rosa zu überbringen.«

Die Fürstin zog hier einen Brief aus ihrem Busen.

»Ich habe ihn nicht erbrochen, weil ich voll Vertrauen auf Ihr theilnehmendes Herz von einer persönlichen Zusammenkunft mit Ihnen, ein besseren Erfolg erwartete. Lesen Sie, liebe Rosa!«

Rosa las:


Engel des Paradieses!


»Fordere Alles, was ich besitze, für eine Nacht in Deinen Armen! Ich scheide dann als Bettler von Dir, und bleibe doch ein König, ein Gott! Sehnsuchtvoll harre ich Deiner Antwort; möge sie mir die Aussicht in den Himmel öffnen!«


Fürst N***.
[216]

Die Fürstin weinte, Rosa lächelte.

»Darf ich antworten, wie es Ihren Wünschen entspricht?« fragte diese.

Die Fürstin nickte mit ihrem bleichen Gesichtchen; sie konnte vor innerm Schmerze nicht sprechen.

Rosa schrieb:


»Um 9 Uhr Abends erwartet Sie

Rosa.«


»Was soll ich jetzt thun?«

»Lassen Sie diese Antwort durch den Ueberbringer jenes Briefchens dem Fürsten einhändigen; Sie selbst, holde Fürstin, müssen die Güte haben, schon um 8 Uhr Abends wieder bei mir zu seyn, wo ich Ihnen das Nähere des Planes mittheilen werde. Zum Gelingen desselben ist es durchaus nöthig, daß Sie ihn als Theilnehmerin nicht früher erfahren, damit das Geheimniß innerhalb der Wände meiner Wohnung unverletzt bewahret werde; nicht als ob ich an Ihrer Verschwiegenheit zweifelte, aber mir fehlt alles Selbstvertrauen, sobald ich auch nur die Möglichkeit denken kann, daß ein Dritter von einem Plane wissen könne, in den ich ihn nicht eingeweiht habe.«

Ein jugendlicher Hoffnungsstrahl leuchtete in die Herzensnacht der schönen Fürstin, und ziemlich getröstet schied sie nach einer herzlichen Umarmung von Rosa.

Mit dem Schlage 8 Uhr war sie wieder da, und bat Rosa, um Mittheilung ihres Planes.[217]

»Mein Plan ist sehr einfach,« versetzte diese; »ich erfülle seine Wünsche, aber nur unter der Bedingung, daß er für immer wieder zu Ihnen zurückkehre. Ist's so recht?«

Die Fürstin wurde ganz bleich, und zitterte, ohne ein Wort zu sprechen.

»Ey, ich merke wohl, daß ich nicht genau genug mich ausgedrückt habe,« fuhr Rosa lächelnd fort, »ich wollte nur sagen, seine Wünsche sollten erfüllt werden unter der genannten Bedingung, aber nur – durch Sie.«

»Durch mich?« fragte die Fürstin ganz erstaunt; »wie so?«

»Im letzten Momente tauschen wir die Rollen.«

»Mein Gott, wenn er aber die Täuschung zu früh entdecken würde! ich wäre verloren!«

»Darüber seyen Sie nur ganz ausser Sorgen!«

Bald darauf wurde der Fürst gemeldet.

Rosa empfing ihn mit der ihr eigenthümlichen Liebenswürdigkeit.

»Engel des Himmels, Sie haben mir Hoffnung gegeben!« begann der Verliebte, ihr Sammthändchen küssend.

»In meiner Antwort?«

»Ja!«

»So muß mein Briefchen verwechselt worden seyn; denn ich habe Ihnen nur geschrieben, daß ich Sie erwarte, nicht aber, daß ich gesonnen sey, Ihre Wünsche zu erfüllen.«[218]

»Nun ja, ich habe eben das Erwarten im schönsten Sinne gedeutet.«

»Vielleicht verständigen wir uns noch über Ihren Lieblingssinn dieses Wortes, wenn ich mich näher er kläre. Ich bin eine Jungfrau, so rein, als käme ich eben aus dem Schooße meiner Mutter! Sie staunen? Sie sind verlegen? Ja, so geht's, wenn man nach dem Scheine urtheilt! Dieser Umstand ist allerdings wichtig genug, mich zu einem entsprechenden Vorschlage zu bestimmen. Der Ruf Ihrer Liebenswürdigkeit hat mich mit dem Vorsatze vertraut gemacht, Ihnen das höchste Gut meines Lebens zu opfern, jedoch nicht für einen geringern Preis, als für den Preis – Ihrer Hand. Ich weiß zwar, daß Sie vermählt sind, doch, so viel mir bekannt ist, nicht glücklich; um so weniger wird es Ihnen schwer fallen, sich scheiden, und nach den nöthigen Vorkehrungen mit mir trauen zu lassen. Sind Sie mit diesem Vorschlage zufrieden, so unterzeichnen Sie zuvor dieses Dokument, worin Sie Ihr Ehrenwort geben, mich zu heirathen, wenn Sie die Behauptung meiner Jungfräulichkeit bestätiget finden.«

»Die Feder her, allmächtige Venus! Ich kaufe den Himmel um einen leichten Preis; denn ich hätte eben so freudig mit meinem Herzblute dem Teufel meine Seele verhandelt, um Dich fabelhaftes Weltwunder der Jungfräulichkeit in meine Arme zu schließen!«

Mit vor Wonne bebender Hand unterzeichnete der[219] Fürst das Dokument, und ein zärtlicher Kuß, welcher der lauschenden Fürstin durch alle Nerven drang, besiegelte den neuen Bund.

Ein köstliches Abendessen, mit den auserlesensten feinen Weinen, stärkte und beseelte den fürstlichen Pilger in Amors Reiche zur nahen Irrfahrt.

Rosa bot ihre ganze Liebenswürdigkeit auf, um ihm den Kopf zu verrücken, und dieß gelang ihr so vortrefflich, daß er in seiner Begeisterung fast beständig zu ihren Füßen lag, und mit dichterischen Worten die Seligkeit seines künftigen häuslichen Lebens schilderte. Als er nun auch die Hoffnung auf Vaterfreuden mit Thränen innerer Rührung in den Augen ausdrückte, da erkannte Rosa, daß sein Herz nicht verdorben, sondern nur verirrt sey.

Dem unaufhörlichen Flehen des. Fürsten, seine Seligkeit nicht länger zu verzögern, endlich nachgebend, ergriff sie die Hand des Liebetrunkenen, und führte ihn, huldvoll lächelnd, in ihr Zauberkabinet der Liebe, das nie heller beleuchtet war, als eine Jasminlaube vom Lichte des Neumondes.

Rosa legte nun ihren polnischen Hausmantel ab, und stand im niedlichsten Nachtkleide vor dem Entzückten, der sich kaum zu fassen wußte.

»Ich erwarte Sie, lieber Fürst,« flüsterte sie ihm leise zu, und der Fürst umschlang sie kräftig mit seinem rechten Arme, und geleitete sie zum Lager, unter dessen künstlich[220] gestickte Seidendecke sie verschämt schlüpfte, indem: sie einen Schleier über ihr Antlitz zog.

In liebender Ungeduld schien der Fürst beinahe die Kunst des eigenen Entkleidens vergessen zu haben, denn oft zog er ein Kleidungsstück wieder an, das er eben abgelegt hatte.

Endlich schloß der Glückliche die harrende Jungfrau in seine Arme, und in diesem Augenblicke spielte eine Flötenuhr die süße Melodie von Hölty's schönem Liede:


Beglückt, beglückt, wer die Geliebte findet,

Die seinen Lebenstraum begrüßt,

Wenn Arm um Arm, und Geist um Geist sich windet,

Und Seel' in Seele sich ergießt!


Schon rötheten sich die zarten Säume des Morgenhimmels, von den Frühlichtstrahlen vergoldet, als der im Leben schon höchstselige Fürst in den Armen der Jungfrau von gestern erwachte. Er verjüngte sogleich die himmlischen Erinnerungen, die in süße Träume ihn gewiegt hatten, und rief bei dem letzten, entscheidenden Flammenkusse aus: »Nie will ich mehr von Dir mich trennen, Engel meines Lebens! Du sollst mein geliebtes Weib seyn! Dieß schwör' ich Dir nicht nur bei meiner fürstlichen Ehre, sondern selbst bei Gott, so wahr er mir helfe und sein heiliges Evangelium!«

»Amen! Gott segne Euch!« lispelte eine Stimme,[221] und ein lichtspendender Adler schwebte aus der leise sich öffnenden Decke über das Wonnelager der Liebe herab, und beleuchtete die herrliche Scene. Denn wie ein versöhnender Seraph stand Rosa holdlächelnd vor dem Fürsten, der – in den Armen seiner verstoßenen Gattin lag.

Sein dankbares Gemüth war unfähig, über diese Täuschung zu zürnen, welche auch in der That seine ganze Zukunft in einen Freudenhimmel verwandelte. Er schloß sein wiedergefundenes Weib nach dieser ersten Brautnacht mit gleichem Feuer, als ob Rosa ihn beglücke, in seine Arme, und gelobte, diese als Zeuge anrufend, ewige Liebe und Treue. Er hat Wort gehalten, ein höchst seltener Fall bei Männern, die, wenn sie Treue versprochen, nicht gerne Sklaven ihrer Worte seyn, von einer ewigen Treue aber vollends gar nichts wissen wollen. Der kaiserliche Hof war eben so erstaunt über diese Bekehrung des schwelgerischen Fürsten, als der ganze hohe Adel, und der Fürst nahm keinen Anstand, Rosa als die glückliche Friedensstifterin zu nennen, jedoch ohne die Art der Vermittlung zu bezeichnen.

Dadurch erhielt Rosa einen moralisch-guten Ruf, den nur jene reichen Schwelger nicht begreifen konnten, die gerade in diesen Tagen, und vielleicht selbst in dieser Versöhnungsnacht Wonnestündchen zu den theuern Preisen des Tarifes der Liebe genossen hatten.[222]

Die Kaiserin-Mutter umarmte sie vor ihren Schlüsseldamen, und schenkte ihr ein äußerst kostbares Kreuz von Brillanten; die Fürstin überraschte sie mit einem prächtigen Diademe, das 3000 Louisd'or kostete, und so empfing sie von allen Seiten Huldigungen und Geschenke, und verließ endlich, unter tausend Segnungen und Thränen des fürstlichen Paares, die schöne Hauptstadt Rußlands, um frühere Lorbeern zu erneuern in dem weltberühmten

Quelle:
Friedrich Wilhelm Bruckbräu: Mittheilungen aus den geheimen Memoiren einer deutschen Sängerin. Zwei Theile, Band 2, Stuttgart 1829, S. 208-223.
Lizenz:
Kategorien:

Buchempfehlung

Hoffmann, E. T. A.

Die Serapionsbrüder

Die Serapionsbrüder

Als Hoffmanns Verleger Reimer ihn 1818 zu einem dritten Erzählzyklus - nach den Fantasie- und den Nachtstücken - animiert, entscheidet sich der Autor, die Sammlung in eine Rahmenhandlung zu kleiden, die seiner Lebenswelt entlehnt ist. In den Jahren von 1814 bis 1818 traf sich E.T.A. Hoffmann regelmäßig mit literarischen Freunden, zu denen u.a. Fouqué und Chamisso gehörten, zu sogenannten Seraphinen-Abenden. Daraus entwickelt er die Serapionsbrüder, die sich gegenseitig als vermeintliche Autoren ihre Erzählungen vortragen und dabei dem serapiontischen Prinzip folgen, jede Form von Nachahmungspoetik und jeden sogenannten Realismus zu unterlassen, sondern allein das im Inneren des Künstlers geschaute Bild durch die Kunst der Poesie der Außenwelt zu zeigen. Der Zyklus enthält unter anderen diese Erzählungen: Rat Krespel, Die Fermate, Der Dichter und der Komponist, Ein Fragment aus dem Leben dreier Freunde, Der Artushof, Die Bergwerke zu Falun, Nußknacker und Mausekönig, Der Kampf der Sänger, Die Automate, Doge und Dogaresse, Meister Martin der Küfner und seine Gesellen, Das fremde Kind, Der unheimliche Gast, Das Fräulein von Scuderi, Spieler-Glück, Der Baron von B., Signor Formica

746 Seiten, 24.80 Euro

Im Buch blättern
Ansehen bei Amazon

Buchempfehlung

Große Erzählungen der Frühromantik

Große Erzählungen der Frühromantik

1799 schreibt Novalis seinen Heinrich von Ofterdingen und schafft mit der blauen Blume, nach der der Jüngling sich sehnt, das Symbol einer der wirkungsmächtigsten Epochen unseres Kulturkreises. Ricarda Huch wird dazu viel später bemerken: »Die blaue Blume ist aber das, was jeder sucht, ohne es selbst zu wissen, nenne man es nun Gott, Ewigkeit oder Liebe.« Diese und fünf weitere große Erzählungen der Frühromantik hat Michael Holzinger für diese Leseausgabe ausgewählt.

396 Seiten, 19.80 Euro

Ansehen bei Amazon