Rosa's Talisman gegen den Sturm.

[174] Jede hohe Dame hat eine Vertraute für ihre kleinen Angelegenheiten; dieß war auch der Fall bei der Fürstin; welche jener diese wichtige Zuschrift zur Durchsicht und Meinungsäußerung gab.

Die Dame konnte als eine vernünftige Frau nichts Besseres rathen, als in einer Sache mit der größten Vorsicht zu verfahren, in welche der fürstliche Gemahl und der Erbprinz verwickelt zu seyn schienen, und stimmte in dieser Meinung mit der eigenen Ansicht der Fürstin vollkommen überein, welche beschloß, durch einen öffentlichen Akt entweder der Rosa Gelegenheit zu geben, ihre Schuldlosigkeit an diesen schweren Anklagen zu beweisen, oder sie gleichwohl den Folgen ihrer Fehltritte bloszustellen, ohne jedoch in beiden Fällen von den betheiligten Hauptpersonen eine öffentliche Erwähnung zu machen.

Die Obersthofmeisterin der Prinzessin Eleonore war eine Herzensfreundin der Vertrauten der Fürstin,[174] daher sie denn auch schon in der nächsten Stunde von der ganzen Lage der Dinge volle Kenntniß erhielt, und natürlich nicht säumte, unsere Rosa sogleich davon in Kenntniß zu setzen.

Rosa merkte gleich den Zusammenhang der Sache, und erkannte die finstere Quelle, aus welcher diese Anschuldigungen flossen.

Auf der Stelle reichte sie ihr Entlassungsgesuch ein, und bat um Pässe zu einer sehr großen Kunstreise. In kurzer Zeit empfing sie eine Zuschrift von dem Vorstande der Hofbühne, der ihr die bewilligte Entlassung im Namen der Fürstin mit dem Bedeuten eröffnete, daß sie hinsichtlich des Passes am nächsten Tage Morgens eilf Uhr im Audienzsaale Ihrer Durchlaucht den weitern Bescheid erhalten werde.

Die Eile, womit man die Entlassung ausfertigte, mußte unsere Rosa im gerechten Gefühle ihres Werthes als Künstlerin tief kränken, und sie beschloß nun fest, in die weite Welt zu reisen. Daher gab sie ihrer Dienerschaft den gemessenen Auftrag, Alles zur Abreise auf morgen bereit zu halten. Ihre Pflegeeltern, Wagner und sein Riekchen, bat sie, während ihrer Abwesenheit ihr Landhaus zu beziehen, und so gut als möglich dafür zu sorgen, daß alle ihre Anlagen im besten Stande bleiben, indem sie nach dieser letzten Kunstreise auf dieser heimathlichen Stätte ihr Leben zu beschließen gedenke.[175]

Im Audienzsaale der Fürstin war am andern Morgen ein reges Leben. Der Vorstand der Hofbühne stand um 10 3/4 Uhr bereits mit den Herren und Damen aus der Kunstwelt auf der linken Seite, auf der rechten befanden sich die Vorstände von Hofstellen, mehrere Kammerherren und Damen.

Bald darauf trat Rosa ein, ganz einfach, weiß gekleidet, auf dem Haupte einen Kranz von weißen Rosen tragend. Mit sichtbar erzwungener Artigkeit nahten sich ihr einige Hofherren, doch schien die Menge jede Annäherung zu scheuen.

Mit dem Schlage eilf Uhr öffneten sich die Flügelthüren des Kabinets der Fürstin, aus welchem sie, von dem kleinen Dienste umgeben, in die Mitte der Versammelten trat, und auf einem erhöhten Stuhle Platz nahm. Sie heftete einen langen, forschenden Blick auf Rosa.

»Ich habe Sie rufen lassen,« begann sie endlich, »um Ihre Verantwortung über verschiedene gegen Sie erhobene Anklagen zu vernehmen, die Sie in diesem Schreiben finden werden.«

Ein Kammerherr übergab Rosa die Klageschrift, welche sie mit der größten Ruhe des Gemüthes las, und mit den Worten zurückgab: »Darf ich Eure Durchlaucht bitten, mir meine Ankläger gegenüber zu stellen?«

Die Fürstin gab ein Zeichen mit der Hand, und zur[176] allgemeinen Verwunderung traten aus einer Seitenthüre ein: der Exminister und seine Frau, Antonio und Chiaretti.

»Diese also sind meine Ankläger?« fragte Rosa mit einem mitleidigen Lächeln, das an Verachtung streifte.

»Ja,« erwiederte die Fürstin; »was haben Sie dagegen zu erinnern?«

»Ich habe nur eine einzige Bitte, die mich aller weitern Verantwortung überheben soll. Darf ich Eure Durchlaucht um die höchste Gnade bitten, mich nur zwei Minuten lang mit einer geheimen Audienz zu beglücken?«

Die Fürstin gewährte ihr diese Bitte, erhob sich vom Stuhle, ging in ihr Cabinet, und winkte ihr, zu folgen.

Alle Anwesenden waren in der gespanntesten Erwartung.

Nach drei Minuten trat die Fürstin wieder aus ihrem Kabinete, Rosa an ihrer Hand führend.

»Blei meinem fürstlichen Worte,« sprach sie, »erkläre ich hiermit, daß dieses liebenswürdige Mädchen so rein ist wie der reinste Diamant. Mit diesem Kusse besiegle ich mein wohlgeprüftes Zeugniß!«

Die Fürstin drückte einen Kuß voll Innigkeit au Rosa's Stirne.[177]

In den Mienen der Anwesenden wechselten die verschiedenartigsten Empfindungen: Theilnahme, Beschämung, Aerger über den fehlgeschlagenen Plan, und über die getäuschte Erwartung scandalöser Auftritte.

»Zum voraus von Ihrer Unschuld überzeugt,«fuhr die Fürstin fort, »liebe Rosa, wollte ich, daß Ihre Rechtfertigung eben so glänzend, als unerhört die Vermessenheit der Anklage seyn solle. Ich werde diesen Vorfall meinem hohen Gemahle und Herrn unverzüglich berichten, und seine Befehle zur weitern Einschreitung mir erbitten. Bis dahin mögen die Verläumder in strengster, abgesonderter Haft ihrer wohlverschuldeten Strafe entgegen sehen.«

Sie wurden von der Leibwache, ungeachtet Rosa für sie um Gnade bat, sogleich abgeführt.

Die Fürstin versuchte alle Mittel der Ueberredung, um Rosa von dem Entschlusse abzubringen, die fürstlichen Dienste zu verlassen; sie bequemte sich sogar zu bitten in Gegenwart so vieler Zeugen, jedoch vergebens.

»So sehr ich auch die große Huld Eurer Durchlaucht verehre,« – versetzte Rosa, »so muß ich doch um die Erlaubniß bitten, von der Entlassung, womit ich wahrscheinlich durch die freundschaftliche Verwendung des Herrn Vorstandes der Hofbühne so ungewöhnlich schnell überrascht wurde, Gebrauch machen zu dürfen. Tausend Andere würden an der Stelle Eurer Durchlaucht, so grellen Anklagen[178] gegenüber, mich bei weitem nicht so schonend behandelt haben, und dennoch kann ich das schmerzliche Bewußtseyn nicht verhehlen, daß Eure Durchlaucht auch nur die Möglichkeit denken konnten, mich schuldig zu finden. Die gegen mich thätige Cabale würde nicht aufhören, an meinem Verderben zu arbeiten, wenn ich in meiner bisherigen Stellung bliebe, und wie wenig gehört dazu, den Untergang eines Menschen herbeizuführen, wenn die Ueberzahl der Bösen alle ihre Mittel zu einem so fluchwürdigen Zwecke in Bewegung setzet! Wer sich in die Gefahr begiebt, kommt darin um; ich will ihr ausweichen, und im tröstenden Gefühle meiner anerkannten Unschuld, im Geleite der beglückenden Huld Eurer Durchlaucht, meine Kunstreise antreten, und nach Beendigung derselben, mit Höchst Ihrer Erlaubniß, auf meinem Landhause in der Nähe der Hauptstadt mein Leben beschließen, ferne von dienstlichen Verpflichtungen, die den Frieden meines Gemüthes zu gefährden vermöchten«.

»Für diesen Fall, den ich voraussah,« erwiederte die Fürstin, »empfangen Sie mit meinem Glückwunsche diese Empfehlungsbriefe an die verwandten Höfe, welche Ihnen überall die beste Aufnahme verschaffen werden. Als einen Beweis meiner fürstlichen Gnade und Gewogenheit hänge ich diese goldene Kette mit dem Kreuze von Diamanten um Ihren Nacken, die bisher den meinigen schmückte. Um Ihnen aber auch noch eine öffentliche Genugthuung für ehrenrührige[179] Gerüchte zu geben, werde ich Sie in meinem eigenen Wagen bis zur nächsten Poststation begleiten.«

Nach diesen wahrhaft fürstlichen Worten umarmte sie unsere Rosa, die vom innigsten Danke gerührt, weinend zu ihren Füßen sank.

In langen Reihen oder dichten Gruppen bedeckten Arme von beiden Geschlechtern, Greise, erwerbunfähige Männer und Weiber mit vielen Kindern an der Hand oder auf den Armen, den großen freien Platz vor der fürstlichen Residenz, und die schöne lange Straße bis zum Thore hinab, um ihrer mütterlichen Wohlthäterin das letzte Lebewohl zu sagen. Mit tiefer Bekümmerniß hatten sie die plötzlichen Reiseanstalten gesehen, und die schmerzliche Kunde vernommen, daß sie auf unbestimmte Zeit aus ihrer Mitte scheiden werde.

Den herzlichsten Antheil an der Scheiterung dieser Intrigue, an dem glänzenden Triumphe Rosa's, nahm gewiß die Prinzessin Eleonore, die ihr die Rettung ihrer Ehre und die süße Hoffnung einer nahen Verbindung mit ihrem Geliebten, dem Prinzen Paul, verdankte.

Zwischen der Fürstin und der Prinzessin Eleonore schritt Rosa die Treppe hinab; hinter ihnen gingen die dienstthuenden Kammerherren in Galla, und die Pallastdamen. Der fürstliche Wagen mit sechs Pferden bespannt, hielt schon am Fuße der Treppe mit offenem Schlage, von[180] Mohren, Jägern und reich bordirten Lackeien umgeben weiter rückwärts Rosa's Reisegefolge neben drei Wägen: den ersten derselben bestiegen ihre Pflegeältern, Wagner und sein Riekchen, um Rosa das Geleit zu geben. Zu demselben Zwecke standen mehr als dreißig Wägen hintereinander, und die zahllosen Verehrer der schönen Sängerin unter den Offizieren und Hochschülern hatten sich bereits zu einer berittenen Ehrengarde geschaart.

Sobald Rosa, die in ihrem einfachen Kleide einem Engel der Unschuld glich, einem jener Himmelsgebilde, die wir in den frommen Träumen unserer Kindheit nicht selten sahen, vom Volke erblickt wurde, brachen die Armen händeringend in ein lautes Wehklagen aus, das tief durch jedes fühlende Herz schnitt.

»Weinet nicht, meine lieben Kinder,« tröstete sie Rosa, »ich verlasse euch nur auf kurze Zeit, und während meiner Abwesenheit wird meine liebe Pflegemutter fortfahren, die kleinen Unterstützungen zu spenden, die ihr auf eine so dankbare Weise zu vergelten sucht!«

Mit lautem Freudenrufe drängten sich nun die Getrösteten heran, um Rosa's Hand, oder wenigstens den Saum ihres Kleides zu küssen; die kleinen Kinder, auf den Armen der Mütter, streckten hold lächelnd die zarten Händchen gegen Rosa aus, wie dankend oder bittend, und das gepreßte Herz dieses edelmüthigen Mädchens löste sich in Thränen der Rührung auf, die über ihre Wangen perlten,[181] wie der feinste Morgenthau über die neugebornen Blätter einer vom Zephyrhauche aufgeküßten Rosenknospe.

Bleich und regungslos, wie ein Standbild von cararischem Marmor, unfähig, den unendlichen Schmerz der Trennung auch nur durch eine einzige Thräne zu mildern, lehnte Fritz Wagner, der Jugendgespiele und Liebling Rosa's, an einem riesigen Candelaber von schwarzem Gußeisen, deren einige die Seitenwände der Haupttreppe schmückten. Vergebens raffte er seine ganze Mannheit zusammen, um von ihr Abschied zu nehmen; es war ihm unmöglich. Er liebte sie mit dem ganzen Wahnsinn jugendlicher Begeisterung; sein Herz glaubte nicht an die zahllosen, schmähsüchtigen Gerüchte, womit man die Reinheit ihres Wandels zu verdächtigen bemüht war. Rosa liebte ihn nicht minder; doch sie wollte seinen innersten Charakter genau kennen lernen, bevor sie ihm ihre Gegenliebe gestand.

»Vergiß mich nicht, lieber Fritz,« rief sie ihm mit der ihr eigenthümlichen, unaussprechlichen Grazie zu, »so wie ich deiner stets in Liebe gedenken werde. Vielleicht sehen wir uns bald wieder, und dann gewiß auf eine sehr lange Zeit. Leb' recht wohl!« So sprechend schritt sie an ihm vorüber; Fritz aber, seiner Gefühle nimmer mächtig, in heiße Thränen ausbrechend, drängte sich hastig durch das hemmende Gewühl, und ließ an unbelauschter Stätte dem schwerverhaltenen Strome freien Lauf.[182]

Am Schlage des Wagens schlang Eleonore noch einmal ihre Arme um Rosa's blendend weißen Nacken, und schien sich von der vertrautesten Freundin ihres Herzens gar nicht trennen zu wollen. Endlich nahm diese Platz an der Seite der Fürstin, grüßte überaus freundlich mit den Augen und Händen die gerührte Menge, und fort flog der Wagen, wie von des Sonnengottes flüchtigen Rossen gezogen; ihm nach der endlose Zug von Wagen und Reitern, wie der lange Schweif eines leuchtenden Kometen.

Spät in der Nacht kamen Rosa's Pflegeältern in das Landhaus zurück, das sie bis zu ihrer Heimkehr bewohnen sollten, und brachten noch tausend Grüße von Rosa an den lieben Fritz mit. Dieser hörte nicht auf zu fragen, bis er von seinen Eltern über Rosa's Gesinnungen gegen ihn vollkommen im Reinen war. Er war nun fest überzeugt, daß sie ihn liebe, und aus Schüchternheit da Geständniß ihrer Liebe nicht gewagt habe, und obwohl er alle Arten von Verläumdungen ihres Rufes genau kannte, so siegte doch sein Herz über die Macht der argen Welt. Fest entschlossen, sein ganzes Daseyn an Rosa's Schicksal zu knüpfen, bat er schon am nächsten Morgen, obgleich er bei der fürstlichen Hofbühne eine lebenslängliche, sehr vortheilhafte Anstellung hatte, am seine Entlassung, und acht Tage darauf bestieg er freudigen Muthes den Eilwagen, um seiner Geliebten nach Berlin zu folgen.

Quelle:
Friedrich Wilhelm Bruckbräu: Mittheilungen aus den geheimen Memoiren einer deutschen Sängerin. Zwei Theile, Band 2, Stuttgart 1829, S. 174-183.
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