Verrathen, aber nicht errathen.

[128] Neben dem Bette der Prinzessin saß Rosa, und wollte eben beginnen, das Räthsel ihres Planes zu lösen, als Fanny in das Gemach mit der Frage trat, ob die Gebieterin nicht geschellt habe, diese Frage jedoch nur als Vorwand benützte, ihr, ohne daß es die Prinzessin bemerken konnte, einen erhaltenen Brief zu zeigen.

[128] Rosa verstand sie, und trug ihr auf, nachzusehen, ob die Frau Obersthofmeisterin mit ihrem Nachtgewande schon in Ordnung sey, um der Prinzessin noch ein halbes Stündchen Gesellschaft leisten zu können.

In diesem Augenblicke trippelte auch schon diese alte Hofschlafhaube zur Thüre herein, angethan mit einem weiten, faltenreichen, mit Bändern und Schleifen reich gezierten Nachtkleid, um als Ehrendame und Keuschheitswächterin der Prinzessin ihr wichtiges Amt anzutreten. Sie gehörte ohnehin nicht zu den Wohlbeleibten, und war nun seit der Kunde von dem gelöseten Jungferngürtel und herannahenden Mutterstande ihrer fürstlichen Pflegbefohlenen, vollends abgemagert; denn sie selbst hatte ja durch ihre unzeitige Schlafsucht das Gedeihen des Samens jener verhängnißvollen Meerrettigwurzel begünstiget, wel che den Fall der Prinzessin herbeiführen mußte.

Sollte dieser Fall vom Hofe entdeckt werden, so war mindestens ihre gänzliche Ungnade, wo nicht gar eine peinliche Untersuchung die unausbleibliche Folge. Rosa's Genie schien noch der einzige Rettungsanker in diesem drohenden Sturme zu seyn; von dem erfinderischen Geiste derselben hoffte die pflichtverschlafene, übrigens äußerst gutmüthige Obersthofmeisterin einen glücklichen Ausgang der fatalen Angelegenheit, und die Fortdauer ihrer irdischen Seligkeit: auch fernerhin ungestört die Hofluft einathmen[129] zu dürfen, welche ihrem Daseyn so unentbehrlich war, wie einem Fische das Wasser. Darum benahm sie sich auch gegen Rosa so vertrauend, hingebend, demüthig und fast zerknirscht, daß sie keine Spur einer Standesverschiedenheit auch nur in der leisesten Beziehung anzudeuten wagte.

Rosa benützte das Eintreten der Ehrendame, um im Vorgemache von der Fanny den Brief zu empfangen, der also lautete:


»Mein Liebchen!


Ein unvermuthetes, dringendes Geschäft verhindert mich, morgen die Erfüllung deines Versprechens zu genießen. Sehr klug war es von dir, den *** Gesandten auf die Möglichkeit deiner Schwangerschaft vorzubereiten; möge er immerhin der zahlende Vater jenes Kindes seyn, dessen wirklicher ich selbst zu seyn mir nach der Glut der Umarmung schmeicheln darf, womit du mich beglückt hast, in der Meinung, den Gesandten in deine Arme zu schließen. Daß du die Summe, welche er dir für diesen Fall bezahlen wird, redlich mit mir theilen mußt, versteht sich von selbst; denn mir hast du deinen gesegneten Leib zu verdanken, und jeder Arbeiter ist seines Lohnes werth. Das Geschäft, so mich morgen von dir entfernt, besteht in einer unverschieblichen Reise; noch weiß ich den Tag meiner Rückkunft nicht, den ich dir schriftlich mit der Stunde melden werde, in welcher ich deine Umarmung und meinen[130] Geldantheil in Empfang nehmen will. Bis dahin lebe wohl, und löse nicht durch muthwilligen Widerstand oder durch thörichten Trotz meine Zunge. Dein


Antonio


Rosa wußte nach Durchlesung dieses Briefes nicht, ob sie mehr über die Unverschämtheit dieses Mönches sich ärgern, oder über seine Kenntniß ihres Planes mit dem Gesandten sich wundern, oder über den Umstand sich freuen sollte, daß er von ihrem Verhältnisse mit dem Fürsten, und von der veränderten Lage der Prinzessin nichts zu wissen schien. Seine Habsucht, dachte sie, würde ihn zu ausdrücklichen Forderungen hingerissen haben, wenn er hievon auch nur eine Spur gehabt hätte.

Quelle:
Friedrich Wilhelm Bruckbräu: Mittheilungen aus den geheimen Memoiren einer deutschen Sängerin. Zwei Theile, Band 2, Stuttgart 1829, S. 128-131.
Lizenz:
Kategorien: