Anhang (1788)


Drey Jahre sind wieder dahingeflossen, ins Meer der Zeiten, seitdem ich mein Lebensgeschichtgen aus allen meinen kuderwelschen Papieren zusammengeflickt. Was mir seither merkwürdiges vorfiel, hab' ich in mein Tagebuch verzeichnet; und da auch dieses einmal das Licht der Welt erblicken wird, bleibt mir hier nur sehr weniges übrig, von meiner gegenwärtigen Lage, und den bisherigen Schicksalen meiner armen unschuldigen Authorschaft.

Noch wall' ich im Lande der Lebendigen meinen alten Schlendrian fort, und zwar – je länger je lieber; trotz etlichen Neidharten, die mir jeden heitern Tag, jedes frohe Weilchen – Gottes Sonne mißgönnen – und doch mir kein Haar krümmen können. Denn fest ist meine Burg unter dem Schutz des Allerhöchsten.

Ein und ebendasselbe ist mein Wohnort. Einförmig, ein und eben dieselben sind Beruf, Geschäfte, Laune, Glück und – Menschengunst. Dafür lachet mich die ganze Natur an: Der größre und bessere Theil meiner Nebenmenschen mögen mich recht wohl leiden; ich[341] geniesse sogar das unschätzbare Gut, etliche Herzensfreunde zu haben. Die edle Gesundheit ist besser als noch nie.

Mit der Harmonie in meinem Hause – Ha! da bleibt's immer beym Alten; und die dießfällige Unvollkommenheit meines Zustands gehört – kurz und gut – unter die unvermeidlichen Uebel in der Welt, die man nicht so leicht ändern als sich – drüber wegsetzen kann. Doch eben in dieser Kunst bin ich noch nicht Meister, aber schon als Lehrjunge seh' ich ihre ganze Vortreflichkeit ein.

Meine liebe Ehehälfte ist frischer als je, und übertrift mich noch weit weit an Munterkeit. Die häufigen Erschütterungen ihres Zwerchfells, und das Einziehen der balsamischen Luft auf unserm Belvedere geht ihr für alle Arztneyen. Sonst freylich immer ihre alte Leyer! Doch, Zeit und Gewohnheit machen alles leicht, zuletzt selbst angenehm – und oft gar unentbehrlich. Dieß würde gewiß unsre Trennung beweisen.

Meine Jungen, hab' ich schon angezeigt, sind hoch aufgewachsen, gesund und munter – nur Ein Gran mehr wäre zu viel: Zwar noch ziemlich roh' und holpricht; aber Zeit und Geschick wird schon abfeilen was ich nicht vermag; und kurz, ich hoffe, daß es noch aus allem etwas Brauchbares für die menschliche Gesellschaft absetzen kann.

Lesen und Schreiben ist mir wieder mehr als jemals zum unentberlichen Bedürfniß geworden. Und sollt' ich auch die gleichgültigsten Dinge in mein Tagebuch kritzeln, oder in alten Kalendern studiren! Doch, ich[342] habe keinen Mangel an Büchern. Wenn mir schon mein geringes Vermögen keinen eignen Vorrath gestattet, giebt's Menschenfreunde in der Nähe und Ferne genug, die meiner Wiß- und Neugierde fröhnen, und mir alles, was immer den Weg in unser abgelegenes Tockenburg finden kann, unentgeldlich zukommen lassen. Gott vergelte ihnen auch diese Wohlthat in Zeit und Ewigkeit.

Ueberhaupt genieß ich ein Glück, das wenigen Menschen meiner Klaße zu Theil wird: Arm zu seyn, und doch keinen Mangel zu haben an allen nöthigen Bedürfnissen des Lebens: In einem verborgnen romantischen Erdwinkel in einer hölzernen Hütte zu leben, auf welche aber Gottes Aug' eben so wohl hinblickt, als auf Caserta oder Versailles: Den Umgang so vieler lebenden guten Menschen, und die Hirngeburthen so vieler edeln Verstorbnen (freylich auch etwa unedler mitunter) zu geniessen; beydes ohne Kosten und ohne Geräusche: Mit einem solchen Produckt in der Hand in einem schönen Gehölze, von lustigen Waldbürgern umwirbelt, spatziren zu gehn, und den beßten und weisesten Männern aller Zeitalter wie aus dem Herzen zu lesen – Welche Wonne, welche Wohlthat, welche Schadloshaltung für so viele hundert bittere Pillen, die man vor und nach verschlücken muß!

Ist's ein Wunder, daß ich, bey diesem meinem Lieblingszeitvertreib, dem Drang', auch meine Gedanken allmälig aufs Papier zu werfen, nicht widerstehen konnte, und zuletzt gar, das vorstehnde kleine Ganze daraus zu ordnen, versucht wurde. Aber gewiß hätt'[343] ich's mir nie in meinem einfältigen Kopf aufsteigen lassen, solch kunterbunt Zeug dem – von mir sicher geehrten Publiko mitzutheilen, wenn nicht unser vortrefliche Pfarrherr Imhof (dessen scharfem Blick in unsrer weitläuftigen Gemeinde Wattweil nichts entgeht) auch mich Geringen entdeckt, seiner unverdienten Achtung, zuletzt gar seiner vertrauten Freundschaft gewürdigt, und mich gleichsam von Stuffe zu Stuffe auf die wagliche Bahn eines neuangehnden – zum Glück aber bereits vier und funfzig jährigen Schriftstellers geleitet hätte. So fadenackt, wie es war, überließ ich itzt mein Geschmier zitternd und zagend ganz seiner Willkür. (Er bestimmte es nämlich einstweilig für das seit etlichen Jahren in Zürch erscheinende Schweitzer-Museum; und ich hatte den festen Vorsatz, es bey besserer Muße anders einzukleiden, und wo möglich wenigstens von den gröbsten Fehlern zu säubern. Dieser Mühe überhob mich zu gutem Glücke (denn das Feilen war nie meine Sache, und ich glaube es wäre in Ewigkeit nie dazu gekommen) der Herausgeber erwähnter Monathschrift, ein Freund meines geliebten Seelsorgers, Herr F.** von Z.** der seither (7. Jul. Ao. 88.) auf einer Reise durch unser Tockenburg mit seiner zarten lieben Frau Gemahlin auch mir die Ehre eines kurzen, aber unvergeßlichen Besuchs gönnte. Nur bedaur' ich, daß gerade damals ein widriges Begegniß mich in eine düstere Laune setzte, die ich mit keinem Lieb besiegen konnte. Itzt will gedachter Herr vollends die Gütigkeit haben, eine besondere Ausgabe meiner sondertrutischen Geschichte,[344] und im Verfolg' auch meiner Tagebücher in einem gedrängten Auszuge, und niedlicher Gestalt zu besorgen. Nun so sey's!

Geh' also hin in alle Welt, mein Büchel! und predige meine Thorheit – zu ihrer Besserung – vielen Creaturen. Denen erstlich die dich mit einichem Wohlgefallen aufnehmen, entbiete schönen Dank! in meinem Namen. Solche zweytens, welche mich aus vollem Halse belachen, mögen hinwieder – uns danken, für diese andre Art von Lust die wir ihnen verschaffen. Denen drittens, welche zwar hineingucken in dieses Kuderwelsch, aber es bald wieder zur Seite schmeissen, sage nur: Ihr thut recht, man muß ein Bißchen eckel im Lesen seyn! Viertens und fünftens: Gescheidten Kunstrichtern danke, danke wieder zum Höchsten! Den Ungescheidten wünsche sonst zeitliches und ewiges Wohl. Sechstens und endlich: Eigentlich boshaften Splitterrichtern aber in der Nähe und Ferne würdest du, denk' ich, ewig vergebens bezeugen, daß ich am Aushecken deiner Wenigkeit – nur die leidende Schuld bin. Denen übrigens mache zum Beschluß ein Geschenk mit folgendem Gespräche.[345]

Quelle:
Leben und Schriften Ulrich Bräkers, des Armen Mannes im Tockenburg. Bd. 1–3, Band 1, Basel 1945, S. 339-346.
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