20.

[121] Es war mal ein altes Weib, das ging oft in die Kirche und sang auch im Hause immer fromme Lieder. Die Magd bemerkte aber, daß sie immer so viel Butter und auch allerlei Essen kriegte, ohne daß das Mädchen wußte, wo das alles herkam. Sie ging darum an's Gericht und zeigte es an. Als[121] nun die Gerichtsleute in das Haus kamen, saß die Alte im Kuhstalle und sang ein geistliches Lied aus dem Kirchengesangbuche. Der Richter aber schrie hinein: »Heraus mit dir, du alte Donnerhexe!« Da kam das Weib heraus und that so übel und erbärmlich und unschuldig und beweglich, als wenn sie ein neugeborenes Kindlein wäre. »Mine leiben säuten heeren«, sagte sie, »wo müeget sä doch säo wat van mi denken; o lüe un kinners, eck äne hexe! Dat kann mi doch käner na seggen, dat eck in minen leben änen minschen wat täo lede daen hebbe. Un nu geit et mi säo? Bin eck nich jeden sönndag in de kerke gaen? Gott ja, lüe? eck segge man! hebbe eck nich 'esungen un 'ebäet! un nu meent ji, dat eck äne hexe bin?« Aber da half kein Jammern. »Ins Wasser«, hieß es, »ins Wasser!« und wurde das alte Weib alsbald an die Weser gebracht und da hinein geworfen. Ob die Alte nun wohl mit dem größten Vertrauen auf dem Wege gesagt hatte, ihre Unschuld werde sich schon durch Gottes Hülfe zeigen, ja schön! Sie schwamm nur oben auf und war also doch eine Hexe, wurde an den Pfahl gebunden und zu Tode gebrannt.

Quelle:
Wilhelm Busch: Ut ôler Welt. München 1910, S. 121-122.
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