19.

[157] Es steht eine Linde im tiefen Thal

Ist unten breit und oben schmal,

Darunter zwei Verliebte saßen,

Die sich ihre Ehe versprochen haben.

»Feinsliebchen, ich thu es dir sagen,

Ich muß noch sieben Jahre wandern.«

»Mußt du noch sieben Jahre wandern,

So heirathe ich einen andern.«

Und als die sieben Jahre ummer waren,

Da mein Feinsliebchen weggegangen war,

Da ging ich in den Garten,

Feinsliebchen zu erwarten.

Und als ich in den Garten kam,

Feinsliebchen unter der Linde saß.

»Guten Tag, guten Tag, du Feine,

Was machst du hier alleine?

Sind dir denn Vater oder Mutter gram,

Oder hast du heimlich einen Mann?«

»Mein Vater und Mutter sind mir nicht gram,

Ich habe auch heimlich keinen Mann.«

Was zog er von seinem Finger?

Einen Ring von feinem Golde.

Sieh da, du Hübsche, du Feine,

Dies soll dein Denkmal sein.

Was zog er aus seiner Taschen?

Ein Tuch schneeweiß gewaschen.[157]

Trockne ab, trockne ab deine Äugelein,

Übers Jahr sollst du mein eigen sein.

Gestern Abend bin ich geritten durch eine Stadt,

Da dein Feinsliebchen hat Hochzeit gehalten.

Was wünschest du ihm zu gut,

Daß es nicht hat seine Treue gehalten?

»Ich wünsch ihm so viel Gutes,

Als Sand am Meere thut fließen.«

»Hättest du einen Schwur oder Eid gethan,

Von Stund an wär ich geritten davon.«

Quelle:
Wilhelm Busch: Ut ôler Welt. München 1910, S. 157-158.
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