Erste Scene.

[17] Hütte in den Berner Alpen.

Manfred. Der Gemsjäger.


GEMSJÄGER.

Nein, bleib noch hier; du darfst noch nicht von hinnen,

Noch können Leib' und Seel' einander nicht

Vertrauen, – noch auf ein'ge Stunden nicht.

Sobald du besser bist, führ' ich dich selbst,

Jedoch wohin?

MANFRED.

Das thut nicht Not; ich kenne

Den Weg und brauche ferner kein Geleit.

GEMSJÄGER.

Nach Tracht und Aussehn bist du hohen Stamms,

Der Edlen einer, deren Felsenburgen

Ins Thal herabschaun, – welche nennt dich Herr?

Ich kenne nichts von ihnen als die Thore;

Nur selten zwingt mein Weg mich, Rast zu machen

Am mächt'gen Herde solcher alter Schlösser,

Zu zechen mit dem Dienstvolk; doch die Pfade,

Die aus dem Berg zu ihrem Thor sich stufen,

Kenn' ich von Kindheit: – welches ist das deine?

MANFRED.

Es macht nichts aus.[17]

GEMSJÄGER.

Wohl, Herr, verzeih die Frage.

Faß dir ein Herz! Komm, koste meinen Wein;

Es ist ein alt Gewächs und hat mir oft

Die Adern auf den Gletschern aufgethaut;

Nun thu' er dir desgleichen. – Thu' Bescheid!

MANFRED.

Hinweg! hinweg! – an seinem Rand ist Blut....

Will es denn niemals in die Erde sinken?

GEMSJÄGER.

Was meinst du? – Deine Sinne gehen irr.

MANFRED.

Blut ist's, – mein Blut! – der reine, warme Strom,

Der in den Adern unsrer Väter rann

Und auch in unsren, als wir beide noch

In unsrer Jugend waren, eines Herzens,

Und liebten, wie wir uns nicht lieben sollten.

Das ward vergossen, – doch es wallt empor

Und färbt die Wolken, die den Himmel sperren,

Wo du nicht bist, – wo ich nie weilen werde.

GEMSJÄGER.

Seltsame Worte! – Irgend eine Schuld

Bringt dich zu halbem Wahnsinn, daß du so

Den leeren Raum bevölkerst. Was auch immer

Dein Schreck und Leiden sei, es giebt noch Trost:

Der Kirche Macht und himmlische Geduld.

MANFRED.

Geduld! Geduld! – Hinweg! – es ist ein Wort

Für stumpfes Lastvieh, nicht für Raubgevögel

Predig' es Menschen eines Staubs wie du, –

Ich bin nicht deines Gleichen.

GEMSJÄGER.

Dank dem Himmel;

Ich möchte nicht wie du sein um den Ruhm

Des Tell! – Gleichviel, was auch dein Unglück sei,

Du mußt es tragen; Fluch und Trotz ist nutzlos.[18]

MANFRED.

Ertrag' ich's nicht? Sieh mich doch an? Ich lebe!

GEMSJÄGER.

Dies ist ein Krampf, und nicht gesundes Leben.

MANFRED.

Ich sag' dir, Mensch, ich lebte viele Jahre,

Viel lange Jahre, – aber sie sind nichts

Gegen die künft'gen, – tausend, aber tausend,

Aeonen, Ewigkeiten, – und Bewußtsein,

In heißem Durst nach Tod, niemals gelöschtem!

GEMSJÄGER.

Ei, kaum ist noch das Siegel mittler Jahre

Auf deine Stirn geprägt. Ich bin weit älter.

MANFRED.

Glaubst du, das Dasein hange von der Zeit ab?

Das thut es freilich; – aber Handlungen

Sind unsere Epochen: meine machten

All meine Tag' und Nächte unvergänglich,

Endlos und alle gleich, wie Sand am Meer,

Unzählige Atom' und eine Wüste,

Nackt, kalt, daran die wilden Wellen branden,

Wo aber nichts verweilt als Wrack' und Leichen,

Fels und das salz'ge Kraut der Bitterkeit.

GEMSJÄGER.

Ach, er ist irre! – doch ich bleibe bei ihm.

MANFRED.

Ich wollt', ich wär's! – dann wär' ja alles, was

Ich sehe, nur ein kranker Traum.

GEMSJÄGER.

Was ist es,

Was du zu sehn glaubst oder wirklich siehst?

MANFRED.

Mich und dich selber, einen Alpenbauer,

Dein gastlich Haus und schlichte Tugenden,

Ein Herz, geduldig, fromm, und stolz und frei,

Selbstachtung auf unschuld'gen Sinn gepfropft,

Gesunde Tage, stille Nächte, – Arbeit,[19]

Geadelt durch Gefahr, doch schuldlos, – Hoffnung

Auf heitres Alter und ein friedlich Grab,

Mit Kreuz und Blumen auf dem grünen Rasen

Und deiner Enkel Lieb' als Epitaph.

Dies seh' ich, – und dann schau' ich in mein Innres...

Was red' ich? meine Seele war schon Asche.

GEMSJÄGER.

So möchtest du dein Loos für meins vertauschen?

MANFRED.

Nein, Freund, ich möchte dir nicht schaden, noch

Mit irgend jemand tauschen; – ich kann tragen.

(So jammervoll es ist, es ist zu tragen,)

Was Andre nicht im Traum aushielten, sondern

In ihrem Schlafe stürben.

GEMSJÄGER.

Und mit diesem

Vorsichtigen Gefühl für fremden Schmerz

Kannst du von Sünde schwarz sein? – Sag' es nicht!

Kann, wer so milde denkt, gefrevelt haben

An seinen Feinden selbst?

MANFRED.

O nein! nein! nein!

Mein Unheil fiel auf solche, die mich liebten,

Die ich am meisten liebte. – Niemals schlug

Ich einen Feind als in gerechter Notwehr;

Jedoch mein Kuß war Tod.

GEMSJÄGER.

Gott tröste dich!

Und Buße gebe dich dir selbst zurück!

Ich weih' dir mein Gebet.

MANFRED.

Ich brauch' es nicht,

Doch kann dein Mitleid dulden. Lebewohl!

Ich gehe, – hier ist Gold und Dank für dich.

Kein Wort! es kömmt dir zu. Und folge nicht;

Ich kenne meinen Weg; die Alp ist sicher:

Und einmal noch gebiet' ich, folge nicht.

Manfred geht.


Quelle:
Lord Byrons Werke. Berlin 1877, Band 4, S. 17-20.
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