Zweite Scene.

[20] Ein tieferes Alpenthal mit Wasserfall.

Manfred tritt auf.


MANFRED.

Es ist noch früh. Der Sonnenbogen wölbt

Sich auf dem Gießbach noch mit Himmelsfarben,

Und dieser Silbermasse wallende Säule,

Die jäh und senkrecht von der Klippe stürzt,

Wirft ihre Linien schäumenden Lichts dahin,

Wogend wie jenes fahlen Renners Schweif,

Des Riesenpferdes, das der Tod einst reitet,

Wie die Apokalypse sagt. Kein Auge

Als meines trinkt dies Schauspiel holder Schönheit;

Allein in dieser süßen Einsamkeit

Genieß' ich mit dem Genius des Ortes

Die Huldigung des Stroms. – Ich will sie rufen.


Manfred nimmt etwas von dem Wasser in die hohle Hand und schleudert es, die Beschwörung murmelnd, in die Luft. Nach einer Pause steigt unter dem Sonnenbogen des Wasserfalls die Alpenfrau empor.


MANFRED.

Holdsel'ger Geist! mit deinem Haar von Licht

Und sonn'gen Augen voller Herrlichkeit,

In deren Form der Reiz der Erdentöchter,

Der mindest sterblichen, anwächst zu einer

Unirdischen Hoheit, Frucht aus reineren

Urstoffen, während Farbenglanz der Jugend,

Ein Incarnat wie eines Kindes Wange,

Das eines Mutterherzens Pochen einwiegt,

Oder wie ros'ger Hauch, den Sommers Zwielicht

Auf jungfräulichem Gletscherschnee zurückläßt,

Der Erd' Erröten unterm Kuß des Himmels,

Dein göttlich Antlitz färbt, den Glanz verdunkelnd

Des Sonnenbogens, der dein Haupt umwölbt, –

Holdsel'ge! deine ruhig klare Stirn,

Darin sich Heiterkeit der Seele spiegelt,[21]

Die in sich selbst Unsterblichkeit beweist,

Sagt mir, daß du dem Erdensohn vergiebst,

Dem die verborgnen Mächte hin und wieder

Ihnen zu nahn vergönnen, wenn er dich

Durch seine Zauber rief, um eine Weile

Dich anzuschauen.

DIE ALPENFRAU.

Erdensohn! ich kenne

Dich und die Mächte, die dir Macht verleihn,

Dich, einen Mann von vielerlei Gedanken,

Von gut- und bösem Thun, maßlos in beidem,

Sich selbst und Anderen verhängnißvoll.

Ich habe dies erwartet. Sprich, was willst du?

MANFRED.

Nur deine Schönheit anschaun, – weiter nichts.

Weil mich der Erd' Antlitz wahnsinnig machte,

Flieh' ich zu ihren Heimlichkeiten, dringe

Zur Wohnung derer, welche sie regieren, –

Sie aber können mir nichts helfen. Sie

Besaßen nicht, was ich von ihnen suchte, –

Nun such' ich weiter nichts.

DIE ALPENFRAU.

Was kann das sein,

Was nicht die Macht der Mächtigsten gewährt,

Der Herrn des Unsichtbaren?

MANFRED.

Eine Gabe....

Doch warum wiederhol' ich, was unmöglich?

DIE ALPENFRAU.

Ich weiß es nicht, laß deine Lipp' es nennen.

MANFRED.

Wohl, ob es mich schon foltert, – meine Qual

Soll eine Stimme finden. – Seit der Jugend

Wandelte nie mein Geist mit Menschenseelen,

Sah nie die Welt mit Menschenaugen an;

Der Durst nach ihren Ehren war nicht mein;

Mein Glück, mein Leid, mein Können, meine Triebe[22]

Machten zum Fremdling mich: ich trug die Form,

Doch nicht die Sympathien beseelten Fleisches.

Von allen staubgebornen Wesen war

Nur eines, welches... doch von ihr nachher!

Mit Menschen, sag' ich, und dem Geist der Menschen

Pflog ich nur selten Umgang; meine Lust

Statt dessen war die Wildniß, – einzuatmen

Die schwier'ge Luft auf eis'gem Bergeshaupt,

Wo Vögel nimmer baun, wo kein Insect

Den kahlen Fels umschwirrt, – und in den Gießbach

Zu tauchen und dahin zu schießen mit

Dem schnellen Wirbel jeder flücht'gen Welle

Des Flusses oder Meers im ihrem Strom.

Dies war die Lust der jungen Stärke; – oder

Des Mondes Wandel durch die Nacht verfolgen,

Die Stern' und ihre Bahnen, oder achten

Auf Blitzes Leuchten, bis mein Auge blind war,

Oder gefallne Blätter anschaun, lauschend,

Wann Herbsteswind' ihr Abendlied begannen.

Dies war mein Zeitvertreib, – und einsam sein.

Denn wann die Wesen, deren eins ich war,

(Verwünschend, daß ich's war,) den Pfad mir kreuzten,

Fühlt' ich zu ihnen mich zurückerniedrigt

Und war ganz wieder Staub. Dann einsam wandernd,

Versenkt' ich in des Todes Grotten mich,

In seiner Wirkung sein Entstehen suchend,

Und zog aus morschen Knochen, Schädeln, Moder

Verbotne Schlüsse. Jahre lang verlebt' ich

Die Nacht mit Wissenschaft, die nie gelehrt ward,

Außer in alter Zeit. Mit Schweiß und Harren

Und schrecklichem Castein und solcher Buße,

Die schon an sich die Luft und alle Geister,

So Luft und Erd' umfangen, Raum und selbst

Das unbegrenzte All bewältigt, macht' ich

Mein Auge mit der Ewigkeit vertraut,

Den alten Magiern gleich und ihm, der einst

In Gadara Eros und Anteros[23]

Aus ihren Quellenwohnungen beschwor,

Wie ich hier dich. Und mit dem Wissen wuchs

Der Durst nach Wissen, und die Macht und Freude

So glänzender Erkenntnißkräfte, bis....

DIE ALPENFRAU.

Sprich weiter!

MANFRED.

Ach, ich dehnte bloß die Worte,

Dies eitle Können rühmend, weil, je mehr

Dem Kerne meiner Herzensqual ich nahe...

Doch an mein Werk! Ich nannte dir nicht Eltern,

Geliebte, Freunde, niemanden, mit dem

Ich je das Joch menschlicher Bande trug;

Wenn ich es trug', mir schien es doch nicht so.

Doch Eine gab es...

DIE ALPENFRAU.

Schon' dich selbst nicht. Rede!

MANFRED.

Sie war mir gleich an Zügen. Ihre Augen,

Ihr Haar, ihr Antlitz, alles, bis zum Klang

Der Stimme, sagten sie, war meinem gleich,

Gesänftigt nur und mild verklärt zur Schönheit.

Ihr eigen war, wie mir, einsames Träumen,

Die Sucht verbotnen Wissens und ein Geist,

Das Weltall zu begreifen, – doch auch mehr:

Mit diesem sanftre Gaben als die meinen,

Mitleid und Thrän' und Lächeln, – was mir fehlte, –

Und Zärtlichkeit, – doch die hatt' ich für sie, –

Und Demut, – und die hab' ich nie gehabt.

All' ihre Fehler waren meine Fehler,

Doch ihre Tugenden gehörten ihr.

Ich liebte sie und ich zerstörte sie.

DIE ALPENFRAU.

Mit deiner Hand?

MANFRED.

Nicht meine Hand, – mein Herz,

Das ihr Herz brach: es staunte meines an[24]

Und siechte hin. Ich habe Blut vergossen,

Doch ihres nicht. Doch ward ihr Blut vergossen;

Ich sah's und konnt' es nicht mehr stillen.

DIE ALPENFRAU.

Deshalb,

Um ein Geschöpf der Art, die du verachtest,

Der Gattung, über die du dich erhebst,

Dich uns gesellend, giebst du preis die Gaben

Unserer großen Wissenschaft und sinkst

Zu feiger Menschlichkeit zurück? Hinweg!

MANFRED.

Tochter der Luft! – ich schwör' es, seit der Stunde....

Doch Wort ist Dunst, – sieh mich in meinem Schlaf,

Bewach' mein Wachen, – komm und sitz' bei mir, –

Mir ist die Einsamkeit nicht einsam mehr,

Wimmelnd von Furien; ich hab' im Dunkeln

Meine Zähne gefletscht, bis wieder Tag war,

Dann mir geflucht bis Abend, – hab' um Wahnsinn

Gebetet wie um Segen, – ohn' Erhörung!

Ich bot die Stirn dem Tod, – allein im Krieg

Der Elemente flohn vor mir die Wasser,

Und harmlos wich der Mord. Mit kalter Hand

Hielt mich ein mitleidloser Dämon fest,

An einem Haar fest, das nicht reißen wollte.

In Phantasie, in Dichtung, kurz in alle

Reichthümer meiner Seele, welche sonst

Ein Krösus war im Schaffen, taucht' ich tief,

Doch wie die Ebbe riß es mich zurück

In meinen Abgrund bodenlosen Weh's.

Ich taucht' ins Menschenmeer. Vergessenheit

Sucht' ich in allem, außer wo sie ist.

Die langverfolgte überird'sche Kunst

Ist sterblich hier. Ich wohn' in meinem Jammer

Und leb' – und lebe ewig.

DIE ALPENFRAU.

Möglich, daß ich

Dir helfen kann.[25]

MANFRED.

Dann mußt du die Gestorbnen

Aufwecken oder mich zu ihnen betten.

Thu' das – in jeder Form – in jeder Stunde –

Mit jeder Qual, – wenn's nur die letzte ist.

DIE ALPENFRAU.

Das ist nicht meines Amts. Doch wenn du mir

Gehorsam schwörst und thust, was ich gebiete,

So mag ich dir zu deinem Wunsch verhelfen.

MANFRED.

Ich schwören? Ich gehorchen? Wem? Den Geistern,

Die ich entbiete? Sklave derer sein,

Die mir gedient? Niemals!

DIE ALPENFRAU.

Ist dieses alles?

Hast du nicht sanftre Antwort? Halt noch inne!

Bedenk', eh' du verwirfst!

MANFRED.

Ich hab's gesagt.

DIE ALPENFRAU.

Genug! So kann ich gehen? rede.

MANFRED.

Geh!


Die Alpenfrau verschwindet.


MANFRED allein.

Wir sind die Narr'n der Zeit und Angst: die Tage

Beschleichen uns, entschleichen uns, – wir leben,

Das Leben hassend, doch voll Furcht zu sterben.

In allen Tagen dieses eklen Jochs,

(Das unser ringend Herz einschnürt, – das Herz,

Das bald in Gram versinkt, bald pocht vor Weh

Und Wonne, die in Qual und Schwachheit endet,) –

In allen Tagen, künft'gen und vergangnen,

(Denn Gegenwart giebt's nicht für uns,) wie wen'ge,

Wie weniger als wen'ge zählen wir,

Wo nicht die Seele nach dem Tode lechzt

Und doch zurückfährt, wie vor einem Strom[26]

Im Winter, ob das Frösteln schon im Nu

Vorbei ist. – Eine Hülfe beut mir noch

Die Wissenschaft: ich kann die Todten rufen,

Sie fragen, was es ist, was wir so fürchten.

Die schlimmste Antwort kann nur sein: das Grab!

Und das ist nichts. Wenn sie nicht Antwort gäben?...

Der todte Seher gab der Hex' in Endor

Doch Antwort; Sparta's Fürst entlockte von

Der Byzantinerin schlaflosem Geist

Antwort und sein Verhängniß. – Er erschlug

Das, was er liebt', unwissend, was er that,

Und starb dann unverziehn, obwohl er Zeus

Zur Hülfe rief und in Phigalia

Arkadiens Beschwörer aufbot, um

Von dem erzürnten Schatten eins zu flehn,

Gnad' oder Ziel der Rache; – ihre Antwort

War dunklen Inhalts, doch erfüllte sich.

Hätt' ich niemals gelebt, so lebte noch

Das, was ich liebe; hätt' ich nie geliebt,

So wäre, was ich liebe, jetzt noch schön,

Glücklich und Glück verbreitend. Was ist sie?

Was ist sie jetzt? Ein Opfer meiner Sünden,

Was ich zu denken scheue, – oder Nichts!

Nach wenig Stunden ruf' ich nicht vergebens,

Doch noch zur Stunde schreckt mich, was ich wage.

Nie bis zur Stund' erschrak ich vor den Geistern,

Ob gut, ob böse, – nun erzittre ich,

Und sonderbare Kälte thaut im Herzen.

Doch ich vermag zu thun, wovor mir graust,

Und Menschenangst zu bändigen. Es nachtet.

Er geht.


Quelle:
Lord Byrons Werke. Berlin 1877, Band 4, S. 20-27.
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