Vierte Scene.

[47] Im Thurm.

Manfred allein.


MANFRED.

Die Sterne treten vor, – der Mond steht über

Den Gipfeln schneebedeckter Berge. – Prachtvoll!

Noch hält Natur mich fest; mir war die Nacht

Ja ein vertrautres Antlitz als der Menschen;

Ich hab' in ihrem goldgestirnten Schatten,

Voll dämmriger einsamer Lieblichkeit,

Die Sprache einer andren Welt gelernt.

In meiner Jugend, ich erinnre mich,[47]

Als ich noch wanderte, da stand ich auch

In solcher Nacht im Bau des Colosseums,

Umringt von Resten des allmächt'gen Rom.

Die Bäum' an den gebrochnen Bögen wogten

Schwarz in der blauen Mitternacht; es glänzten

Die Sterne durch die Mauerspalte; fern,

Jenseits der Tiber bellten Schäferhunde,

Und näher, aus der Burg der Kaiser, kam

Der Eule langer Schrei, und unterbrochen

Entfernter Wachen abgerissnes Singen,

Im sanften Wind' anschwellend und verwehend.

Jenseits der zeitgehöhlten Bresche schienen

Ein Paar Cypressen fern den Horizont

Zu säumen, die in Pfeilschußnähe standen.

Wo die Cäsaren wohnten, wo der Vogel

Der Nacht gesanglos wohnt, in einem Hain,

Der durch gestürzte Mauerzinnen sprießt

Und seine Wurzeln schlingt um Kaiserherde,

Maßt Epheu sich des Lorbeers Heimat an.

Jedoch des Fechters blut'ger Circus steht,

Ein stolzer Rest, in trümmerhafter Hoheit,

Indeß die Säl' Augusts und Cäsars Hallen

Unkenntlichen Verfalls im Staube kriechen.

Und du, o wandelnder Mond, beschienst dies alles

Und warfst ein weites, zartes Licht darüber,

Die graue Herbheit holpriger Verwüstung

Sanft mildernd, und von neuem, wie es schien,

Die Lücken von Jahrhunderten ergänzend,

Schön lassend, was schön war, und das verschönend,

Was minder schön war, bis die Stätte selbst

Zur Andacht ward und überfloß das Herz

In stummer Ehrfurcht vor der alten Größe,

Den todten Scepterträgern, deren Grab

Noch unsern Geist beherscht. – So war die Nacht!

Seltsam, das ich mich ihrer jetzt erinnre!

Doch oft am wildesten fliehn die Gedanken[48]

Gerade dann, wenn sie in stiller Ordnung

Sich sammeln sollten.


Der Abt tritt auf.


DER ABT.

Theurer Herr, ich bitte

Erneute Nachsicht für dies zweite Nahn,

Und mein bescheidner Eifer kränk' Euch nicht

Durch seine Schroffheit. Was er Böses hat,

Das fall' auf mich; das Gute seiner Wirkung

Treff' Euer Haupt, – o, könnt' ich sagen, Herz!

O, rührt' ich das mit Worten oder Flehn,

Gerettet würd' ein edler Geist, der irrt,

Doch nicht verloren ist.

MANFRED.

Du kennst mich nicht.

Mein Buch ist voll, gezählt sind meine Tage.

Entferne dich! Zu bleiben ist gefährlich.

DER ABT.

Bezweckst du mir zu drohn?

MANFRED.

Ich drohe nicht;

Ich sage nur, es ist Gefahr im Anzug,

Und säh' dich gern verschont.

DER ABT.

Was meinst du?

MANFRED.

Siehe,

Was siehst du?

DER ABT.

Nichts.

MANFRED.

Ich sage, dorthin blicke,

Und fest. Nun sage mir: was siehst du dort?

DER ABT.

Was mich erschüttern sollte. Doch mir bangt nicht,

Ich seh' ein dunkel furchtbar Wesen steigen,

Gleich einer Höllengottheit, aus der Erde,[49]

Die Stirn verhüllt vom Mantel und der Leib

Gleichwie in finsteres Gewölk gekleidet.

Es stellt sich zwischen uns, – jedoch mir bangt nicht.

MANFRED.

Auch wird es dich nicht kränken; doch sein Anblick

Kann deine alten Glieder tödtlich lähmen.

Ich sage dir, hinweg!

DER ABT.

Und ich erwiedre,

Nie, eh' ich nicht gekämpft mit diesem Teufel!

Was thut er hier?

MANFRED.

Freilich, was thut er hier?

Ich rief ihn nicht. Er ist hier ungeheißen.

DER ABT.

Weh dir, Verlorner! Was mit solchen Gästen

Hast du zu thun? Ich beb' um deinetwillen.

Was blickt er so auf dich und du auf ihn?

O, er enthüllt sein Antlitz, – auf der Stirn

Sind Donnernarben eingeprägt, – es flammt

Aus seinem Aug' Unsterblichkeit der Hölle!

Hebe dich weg!

MANFRED.

Sag' an, was sollst du?

GEIST.

Komm!

DER ABT.

Wer bist du, Unbekannter? rede – sprich!

DER GEIST.

Der Genius dieses Manns. Komm, es ist Zeit.

MANFRED.

Ich bin gefaßt auf alles, doch ich leugne

Die Macht, die mich entbieten will. Wer schickt dich?

DER GEIST.

Du sollst es wissen. Komm!

MANFRED.

Ich habe Wesen[50]

Weit höhren Stoffs, als du es bist, geboten,

Mit deinem Herrn gekämpft: – heb' dich von hinnen!

DER GEIST.

Mensch, deine Stunde schlägt. Ich sag', hinweg!

MANFRED.

Ich wußt' und weiß, daß meine Stunde schlug,

Doch meine Seele weicht nicht deines Gleichen.

Fort! Ich will sterben wie ich lebte, – einsam.

DER GEIST.

So muß ich meine Brüder rufen. Naht!


Andre Geister steigen empor.


DER ABT.

Hinweg, ihr Bösen! – hebet euch von hinnen!

Ihr habt nicht Macht, wo Andacht mächtig ist,

Und in dem Namen dessen...

DER GEIST.

Alter Mann,

Wir kennen uns und unser Amt und deins.

Verschwende deine frommen Worte nicht,

Es wär' umsonst. Der Mann hier ist verfallen.

Noch einmal ruf' ich ihm: hinweg! hinweg!

MANFRED.

Ich biet' euch Trotz! ich fühle wohl in mir

Die Seele ebben, – dennoch biet' ich Trotz,

So lang noch Menschenatem in mir ist,

Verachtung euch zu atmen, Menschenkraft

Zu ringen, selbst mit Geistern. Was ihr nehmt,

Sei Glied um Glied genommen.

DER GEIST.

Widerspenst'ger!

Ist dies der Zaubrer, der die Geisterwelt

Durchschreiten wollt' und sich zu unsres Gleichen

Beinah erheben? bist du so ins Leben

Verliebt, in dieses selbe Leben, das

Dich elend machte?

MANFRED.

Falscher Geist, du lügst![51]

Mein Leben steht an seinem Ziel, das weiß ich;

Nicht einen Augenblick möcht' ich's verlängern.

Nicht mit dem Tode kämpf' ich, nur mit dir

Und deinen Engeln. Meine frühre Macht

Erkaufte kein Vertrag mit deiner Rotte,

Nein, hohe Wissenschaft, Casteiung, Wagniß

Und langes Wachen, starker Geist, Erfahrung

Im Wissen unsrer Väter, – als die Erde

Menschen und Geister sah beisammen wandeln

Und euch kein Vorrecht gab. Ich stehe hier

Auf eigner Kraft, – verleugne, trotze, spotte,

Veracht' euch.

DER GEIST.

Deine vielen Sünden aber,

Sie machen dich...

MANFRED.

Was kümmern diese dich?

Bestraft man Sünden nur durch neue Sünde

Und nur durch größre Sünder? Fort zur Hölle!

Du hast nicht Obmacht über mich, das fühl' ich;

Du wirst mich nie besitzen, das erkenn' ich.

Was ich gethan hab', ist gethan. Ich trage

Qual in mir, die nichts borgen kann von deiner.

Der Geist, der ewig ist, macht aus sich selber

Den Lohn für gut' und sündige Gedanken,

Ist selbst des Bösen Ursprung und das Ende,

Sich selber Raum und Zeit: sein innres Fühlen,

Wann erst vom Fleisch erlöst, borgt keine Farben

Von den vergänglichen Gestalten draußen,

Nein, gehet auf in Leiden oder Wonnen,

Die das Bewußtsein seines Werts gebiert.

Du hast mich nie versucht, du konntest nie;

Du ködertest mich nicht, noch fängst mich jetzt.

Ich selbst war mein Zerstörer, und ich will's

Auch künftig sein. – Zurück, besiegte Teufel!

Die Hand des Todes liegt auf mir, – nicht eure.


Die Dämonen verschwinden.
[52]

DER ABT.

Wie bleich du bist! die Lippen werden weiß,

Und deine Brust fliegt: deine Töne röcheln

Im ächzenden Schlund. Gieb dein Gebet dem Himmel,

Wenn auch nur in Gedanken, – stirb nicht so!

MANFRED.

Vorbei! mein dunkles Auge sieht dich nicht,

Doch alles schwimmt um mich, – die Erde scheint

Zu wogen unter mir. Gehab' dich wohl –

Gieb mir die Hand!

DER ABT.

Kalt, kalt, bis an das Herz!

Nur ein Gebet noch! – Ach, wie steht's mit dir?

MANFRED.

Zu sterben ist so schwer nicht, alter Mann.


Manfred stirbt.


DER ABT.

Todt! – Seine Seel' ist dieser Erd' entflohn, –

Wohin? – Mich graut's zu denken. – Es ist aus.

Quelle:
Lord Byrons Werke. Berlin 1877, Band 4, S. 47-53.
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