Funfzehnter Gesang.

1.

Ach – – was nun folgen sollt', vergaß ich schon.

Indeß, was folgt, wird ganz so passend sein

Für Hoffnung oder Retrospection,

Wie die verlorenen Gedankenreihn.

Das Leben ist nur Interjection,

Ein Oh! ein Ah! der Freude oder Pein,

Ein Ho! Haha! ein Gähnen oder Hu!

Das letzte trifft vielleicht am meisten zu.


2.

In diesen abbrevirten Worten schreit

Und schluchzt das aufgeregte Herzensweh,

Pausen im großen Einerlei der Zeit,

Das allen Schaum auflöst auf unsrer See,

Dem wässrigen Portrait der Ewigkeit,

(In Miniatur, so weit ich es versteh')

Von welchem unsre Seelen so entzückt sind

Und Dinge sehn, die dem Gesicht entrückt sind.


3.

Doch besser dies als das erstickte Klagen,

Der Schmerz, der nagend in des Herzens Nacht

Uns lehrt die Maske äußrer Ruhe tragen

Und die Natur des Menschen künstlich macht.

Nur wen'ge sind's, die das zu zeigen wagen,

Was Schlimmstes oder Bestes sie gedacht;

Verstellung schleicht sich immer ein, weswegen

Fiktionen auch soviel Beifall erregen.
[231]

4.

O wer kann sagen – oder richt'ger, wer

Kennt nicht der Leidenschaft Irrsal und Jammer?

Der Säufer, der Betäubung schlürft, selbst er,

Trifft Morgens seinen Quälgeist in der Kammer;

Scheinbar auf Lethe's Strom schwimmt er daher,

Doch nicht der Angst, dem Zittern nicht entschwamm er;

Das Glas, das purpurn schwankt in seiner Hand,

Enthält als Satz der Stunden schlimmsten Sand.


5.

Und Liebe gar! o Lieb'! – – Ich fahre fort.

Die Lady Adeline Amundeville, –

Ein hübscher Name, voll wie ein Accord,

Schwebt sanft auf meinem wohllautkund'gen Kiel.

Es ist Musik im Schilf am Uferbord,

Musik im Bach, Musik ist wo man will,

Wenn nur die Ohren immer offen wären, –

Die Erd' ist nur ein Widerhall der Sphären.


6.

Die edle Lady lief Gefahr – wer hätte

Das je gedacht? – an Ehre zu verlieren.

Das Weib ist selten, das an seiner Stätte

Nie wankt, das stets beharrt: sie variiren,

Wie Wein abweicht von seiner Etiquette,

Wann er entkorkt ist. Fraun und Wein riskiren,

Bis sie gealtert sind, auf dieser Erden

Gelegentlich adulterirt zu werden.


7.

Sie aber war ein unverfälschter Wein,

Der reine Saft, wie ihn die Traube zollte,

Prachtvoll wie ein à jour gefaßter Stein,

Blank wie das Gold, das frisch vom Prägstock rollte,

Ein Blatt, das für die Schrift der Zeit zu rein

Und dem Natur die Schuld erlassen sollte,

Natur, der einz'ge Gläubiger der Welt,

Den nie ein insolventer Schuldner prellt.
[232]

8.

O Tod! du schlimmster aller Mahner! täglich

Pochst du ans Thor, zuerst modest und sacht,

Wie ein timider Schneider, welcher kläglich

Und blaß sich an den noblen Schuldner macht;

Zuletzt wird ihm das Warten unerträglich,

Dann rückt er vor und hämmert, daß es kracht,

Und eingelassen heischt der grobe Wicht

Barzahlung oder ein Accept auf Sicht.


9.

Nimm, was du willst, nur gönn' der Schönheit Frist!

Sie ist so rar, und du hast Raub genug;

Und wenn sie manchmal ihre Pflicht vergißt,

So braucht sie mehr Bedenkzeit und Verzug.

Hagrer Gourmand, der ganze Völker frißt!

Du solltest höflich sein, discret und klug;

Schaff' ein'ge Frauenleiden aus der Welt

Und Helden nimm so viel, wie Gott gefällt.


10.

Wann Lady Adeline interessirt war,

So war sie sehr naiv, wie ihr schon wißt,

Sei's, weil sie nie so plötzlich enchantirt war,

Wie es bei unsres Gleichen üblich ist,

Sei's, weil sie vornehm, folglich reservirt war;

Kurzum, sie gab sich ohne Arg und List

In aller Unschuld, Herz und Kopf und Sinn,

Dem Cultus würd'ger Gegenstände hin.


11.

Sie wußte manches von Juans Geschichte

Durch Fama, dies lebendige Journal;

Indeß ein Weib sitzt milder zu Gerichte

Als strenge Männer, und Juans Moral

Ward außerdem bei britischem Unterrichte

Correcter und sein Leben recht normal.

Ihm war's wie Alcibiades, gegeben

In allen Zonen wie zu Haus zu leben.
[233]

12.

Sein Wesen war so sehr verführerisch,

Weil er nicht sehr bemüht schien zu verführen:

Nichts war gemacht, studirt, nichts vom Gemisch

Des Gecken und Erobrers war zu spüren;

Die Wirkung blieb anmutig, rein und frisch;

Er stand nicht wie ein Amor vor den Thüren

Und rief nicht: »Widerstehe mir, wer kann!«

Das macht den Laffen und verpfuscht den Mann.


13.

Das ist die rechte Art nicht, jeder kann's

Bestätigen, – nur muß er ehrlich sein, –

Und keinenfalls war es die Art Juans.

Doch seine Art gehört' ihm ganz allein.

Aufrichtig war er, – mindstens meinte man's;

Schon seine Stimme schmeichelte sich ein.

Viel Pfeile hat der Teufel, viele schlimme,

Der schlimmste bleibt doch eine süße Stimme.


14.

Sein sanftes Wesen, sein Benehmen schlug

Den Argwohn nieder, und sein Blick, obschon

Er nicht den Stempel der Verzagtheit trug,

Schien Angriff mehr zu meiden als zu drohn.

Er war vielleicht kaum selbstbewußt genug,

Doch ist Bescheidenheit ihr eigner Lohn,

Wie Tugend, und die Anspruchslosigkeit

Bringt, wie ein jeder weiß, erstaunlich weit.


15.

Frisch, ohne laut zu sein, vergnügt, gescheit,

Einschmeichelnd ohne Schmeicheln und Verstellung,

In alle Schwächen Andrer eingeweiht,

Doch fern von jeder schroffen Urtheilsfällung,

Mit Stolzen stolz, doch stolz mit Höflichkeit,

So daß sie sahn, er kenne seine Stellung

Und ihre auch, – Vorrang erstrebt' er nie,

Litt weder Herrschaft, noch begehrt' er sie.
[234]

16.

Das heißt bei Männern; bei den Weibern war

Er, was sie aus ihm machten oder nahmen;

Und Frauenphantasie ist wunderbar:

Sie malt in jeden leidlich hübschen Rahmen

Die schönsten Bilder, – ihr versteht, nicht wahr?

Wenn sie einmal entzückt sind, sind die Damen

So große Meisterinnen im »Verklären«,

Als ob sie lauter Rafaelle wären.


17.

Mylady, nicht sehr Menschenkennerin,

Gab Andern leicht ihr eignes Colorit;

So liebenswürdig irrt ein edler Sinn,

Und selbst die Weisheit, wie man häufig sieht.

Erfahrung ist der Wahrheit Lehrerin,

Doch wehe dem, den sie zu gut erzieht,

Den Märtyrern, den Thoren, die dociren,

Als sähn sie nicht, daß Thoren existiren.


18.

War's nicht so, großer Locke? und größrer Bacon?

Und Socrates? und – größer als die größten –

Du, dessen Lehr' als Vorwand aller Schrecken

Gemisbraucht ward! dein Wort und Tod erlösten

Die Welt, die Frömmler auf die Folter strecken.

Was war dein Lohn für Lehren, Retten, Trösten?

Ach, Bände solcher Illustrationen

Könnt' einer schreiben, blinde Nationen!


19.

Ich steig' hinab zu tiefren Promontorien,

Wo ich die bunte Welt ins Auge fasse,

Nicht sehr erpicht auf sogenannte Glorien,

Und suche Stoff, ob er vielleicht mir passe

Für meine oft unpassenden Historien.

Ich feil' auch nicht an Versen, sondern lasse

Die Muse plappern, wie ich selbst parlire,

Wann ich mit Freunden ausreit' und spaziere.
[235]

20.

Ich weiß nicht, ob sich viel Talent verrät

In dieser Art abrupter Poesie;

Doch wer ein Stündchen tödten will, verschmäht

Nicht diese leichte, milde Causerie.

Eins weiß ich: nicht ein Gran Servilität

Hat meine regellose Melodie,

Die ich so trällre, wie's mir summt im Ohre,

Sobald ich spür' den »Improvvisatore.«


21.

»Schön willst du alles sagen? sag' es gut,

Sag's weder so noch so, sag's schlecht mitunter!«

Das Erste ist zu schwer für Fleisch und Blut,

Das Zweite kann man, traurig oder munter,

Das Dritt' ist schwierig, und das Vierte thut

Die große Mehrzahl (und wir selbst darunter);

Das Ganze ist die schnakische Pastete,

Die ich in diesem Werk zurechte knete.


22.

Ich bin bescheiden, – – da ist nichts zu lachen!

Bescheiden bin ich. Als ich erst begonnen,

Da dacht' ich dies Gedicht sehr kurz zu machen,

Und nun? – es scheint, das Ziel wird nie gewonnen.

Folgt' ich den Kritikern in solchen Sachen,

Vergöttert' ich die untergeh'nden Sonnen

Der Tyrannei, so wär' mein Stil compacter,

Doch Opponiren ist 'mal mein Character.


23.

Nur halt ich's meistens mit den schwächren Seiten.

Bei Gott, ich glaube, sollt' es 'mal geschehn,

Daß sie, die jetzt so hoch zu Rosse reiten,

Absitzen müßten und zu Fuße gehn,

So würd' ich ihren Sturz mit Hohn begleiten

Und dann mich auf die andre Seite drehn

Und Ultra-Royalist sein; denn ich hasse

Jedwedes Königthum, auch das der Masse.
[236]

24.

Hätt' ich das Glück der Ehe nie erprobt,

So wär' ich jetzt vielleicht ein braver Gatte;

Ich hätte Mönchespflicht vielleicht gelobt,

Nur daß ich meine Vorurtheile hatte;

Ich hätte nie mein Feuer ausgetobt

Auf, ach, wie manchem reimerfüllten Blatte

Und nie im bunten Dichterrock gesteckt,

Hätt' man mich nicht zuerst so abgeschreckt.


25.

»Laissez aller!« Ich muß von Rittern singen

Und Frauen, wie sie heutzutage leben.

Man braucht zwar scheinbar nicht die stolzen Schwingen

Longins, um sich zu solchem Flug zu heben;

Doch ist es schwer, künstlich gemachten Dingen

Die rechte Farbe der Natur zu geben

Und doch die Zeichnung richtig zu gestalten

Und das Besondre allgemein zu halten.


26.

Heut machen Sitten Menschen; früher galt

Das Umgekehrte. Wie die Schafe stehn

Die Leut' im Pferch, geschoren, eingestallt,

Wenigstens Neun ein Neuntel unter Zehn.

Das macht natürlich eure Dichter kalt,

Die zu copiren sich genötigt sehn,

Was Andre besser machten, oder schalen

Hausbacknen Stoff der Gegenwart zu malen.


27.

Dein Bestes thu', das Beste draus zu machen,

O Muse! Wer nicht fliegen kann, muß flattern,

Und wenn du nicht sublim bist, kannst du lachen,

Wenn du nicht donnern kannst so kannst du knattern.

Columbus fand in Kuttern, kleinen Nachen

Die neue Welt, trotz Basen und Gevattern,

Und so kannst du vielleicht in unsern Zonen

Auch Dinge finden, die das Suchen lohnen.
[237]

28.

Juans Gefahren waren Adelinen

So deutlich, seine Tugenden so klar,

Daß sie den tiefsten Antheil nahm an ihnen,

Vielleicht zum Theil, weil's etwas Neues war,

Theils wegen seiner unschuldsvollen Minen,

(Denn solche bringen Unschuld in Gefahr,)

Und da die Frauen alles gründlich machen,

Beschloß sie seine Tugend zu bewachen.


29.

Sie legte großen Wert auf guten Rat,

Wie jeder, der kein Geld annimmt für Beirat,

Obgleich die Waare keinen Marktpreis hat

Als Undank, wenn's auch heißt, sehr theuer sei Rat.

Sie dachte nach, zweimal; das Resultat

War: für Moral sei nichts so gut wie Heirat,

Und als sie diesen Zweifel erst gehoben,

Gab sie ihm flugs den Rat sich zu verloben.


30.

Er meinte, unter schuld'ger Dankbezeigung,

Daß er die Sache sehr verlockend fände,

Daß leider nur – was hülfe hier Verschweigung? –

So manche Schwierigkeit im Wege stände,

Zum Beispiel seine Wahl und dann die Neigung

Der jungen Dam', an welche er sich wende;

Er hätte gern die oder die gewählt,

Nur seien diese grade schon vermählt.


31.

Nichts hat für eine Frau, wann sie bereits

Für Töchter, Söhn' und Vettern Ehebünde

Gestiftet hat, – nichts hat so großen Reiz

Wie Kuppeln in abstracto, ohne Gründe,

Ganz ebenso wie Mammon für den Geiz

Des Börsenfürsten. Na, es ist nicht Sünde,

Im Gegentheil, der Sünd' ein Hinderniß,

Und darum thun sie's auch, – gewiß, gewiß.
[238]

32.

Ich spreche nicht von Fräulein noch von Damen,

Die nie auf eine Heirat rechnen können;

Doch keine Fraun giebt's, keine tugendsamen,

Die nicht auf solch ein Ehedrama sönnen;

Und strenge Einheit herscht in diesen Dramen

(In Tisch und Bett), so daß sie Lob gewönnen

Von Aristoteles, und dann und wann

Auch Poss' und Rührstück draus entstehen kann.


33.

Gewöhnlich findet sich ein einz'ger Sohn,

Ein Freund von Rang, ein Vetter mit viel Geld,

Ein finstrer Graf, ein lustiger Sir John,

Ein Jemand, dessen Stamm und Lehn verfällt,

Zum größten Nachtheil für die Nation,

Wenn eine Heirat nicht ihn für die Welt

Und Tugend rettet; und für solche Leute

Hat man ein ganzes Lager blüh'nder Bräute.


34.

Aus solchen wählen sie mit klugem Sinn

Für den die Erbin, die Beauté für diesen,

Für jenen die perfecte Sängerin;

Dem Einen werden sie ein Lamm erkiesen,

Dem Andern wird als köstlicher Gewinn

Ein hochgebildet Wesen zugewiesen;

Die Eine wird gewählt, weil sie von Stand ist,

Die Andere, weil nichts von ihr bekannt ist.


35.

Als Rapp, der Harmonist, die Eh' in Bann that

In seiner »Harmonie«, – (die, wie es heißt,

Seltsam genug, den blühendsten Bestand hat,

Weil sie die Mäuler, die sie zeugt, auch speist,

Und Extrakosten nie auf das verwandt hat,

Worauf Natur natürlich uns verweist,) –

Weswegen nannt' er seine Secte Lediger

»Harmonisch?« – Na, da hab' ich diesen Prediger!
[239]

36.

Wollt' er den Ehestand verspottet haben?

War's Hohn auf Harmonie, was er bezweckte?

Wie dem auch sei, der würd'ge Herr aus Schwaben

Schuf eine Secte, welche jede Secte

In England überstrahlt an Gut und Gaben,

Wenngleich sie nicht so stark wie letztre heckte:

Den Titel, nicht den Brauch, will ich verpönen;

Mich wundert nur, daß sie sich dran gewöhnen.


37.

Rapp aber ist der große Gegensatz

Zu den Zelotinnen, die uns dociren,

(Trotz Malthus,) daß des Lebens höchster Schatz

Darin besteh', sittsam zu propagiren,

Was schon so flink geht, daß beschränkter Platz

Die halbe Zucht antreibt zu emigriren, –

Folge der Lieb' und des Kartoffelbau's;

Kein Cato rauft die beiden Kräuter aus.


38.

Ob Adeline Malthus las? Ich weiß nicht.

Gut wär's, da er ein elft Gebot erfand:

»Wenn du ein armes Mädchen liebst, so frei's nicht.«

Dies meint er, wenn ich ihn nicht misverstand.

Bekritteln will ich nicht, um keinen Preis nicht,

Die Ansicht »dieser eminenten Hand;«

Indeß das Leben wird dabei ascetisch,

Oder die Ehe selbst wird arithmetisch.


39.

Sie dachte wohl, Juans Vermögen sei

Ausreichend, um ein Haus mit nöt'gem Glanze

Zu unterhalten, – schlimmsten Falls auch zwei;

Denn immer bleibt es Chance gegen Chance,

Daß so ein Freier, wenn er nicht mehr frei,

Ein Bischen retirirt im Ehetanze;

(Ein schöner Stoff für Maler, wie der grämliche

Holbein'sche Todtentanz, – 's ist ganz der nämliche.)
[240]

40.

Heiraten sollt' er; diesem Plane hätte

Sie nie entsagt, denn das thut keine Frau.

Nur frug sie wen? Miß Nette? oder Klette?

Miß Fangemann? Miß Rauh? Miß Flau? Miß Blau?

Vielleicht die hübsche Erbin Goldenbette?

Von den Partien, das wußte sie genau,

War jede möglich, und wenn er sie nur

Aufzöge, gingen alle wie die Uhr.


41.

Da war Miß Mühlteich, glatt wie Sommerseen,

Die »einz'ge Tochter«, das bekannte Wunder,

Sanft wie der Rahm des Gleichmuts anzusehn,

Und schöpfte man, war Milch und Wasser drunter,

Vielleicht mit ein'gen bläulichen Ideen.

Was schadet's? Liebe macht wohl Lärm mitunter,

Der Ehestand braucht Ruhe, weil er eben

Zur Schwindsucht neigt, und muß von Schafmilch leben.


42.

Und ferner war da Miß Audacia Schuband,

Die großen Unternehmungsgeist bewies

Und nur in Grafenkronen ihre Ruh' fand;

Nur Schade, daß von englischen Marquis

Und Grafen keiner sie nach seinem Goût fand,

Und daß sie schließlich sich herunter ließ

Zu einem jüngern Sohn aus fremdem Haus,

Russ' oder Türk', – es kömmt auf eins hinaus.


43.

Dann war – – doch wozu soll ich weiter gehn,

Wenn Keine abgeht? Aber Eine fand

Juan daselbst, so lieblich wie die Feen,

Vom besten Stand und besser als ihr Stand, –

Aurora Raby, die, wie Sterne stehn,

Ueber des Lebens dunklem Spiegel stand;

Ein süß Geschöpf, kaum reifend, kaum gestaltet,

Ein Rosenkelch, bevor er sich entfaltet.
[241]

44.

Reich, vornehm, aber eine arme Waise:

Sie hatte ihre Pfleger freilich lieb,

Und doch, sie schien einsam in diesem Kreise.

Blut ist nichts Wasser! Was der Tod zerhieb,

Das ist verloren für die Lebensreise,

Wann unser Herz enterbt auf Erden blieb

Und im Palast das Elternhaus vermißt

Und fühlt, daß nun sein Bestes Asche ist.


45.

Sie schien ein Kind fast, aber in den reinen

Traurigen Augen lag Erhabenheit;

Sie glänzten klar, wie Seraphsaugen scheinen,

Ganz Jugend – aber jenseits aller Zeit,

Licht ernst, als wollten sie um Sünder weinen,

Gramvoll, doch war es Gram um fremdes Leid;

Es war, als sitze sie vor Edens Thor

Und traure noch um ihn, der es verlor.


46.

Sie war katholisch, und von Herzen, strenge,

So weit ihr eignes sanftes Herz erlaubte,

Und theurer waren ihr die alten Klänge,

Seitdem die Kirche fiel, an die sie glaubte.

Die Ahnherrn füllten einst das Ohr der Menge

Und beugten nie sich mit gesenktem Haupte

Der neuen Macht; und sie, die Letzte, auch

Hielt fest an alter Lehr' und altem Brauch.


47.

Sie schaute drein, als ob die Welt ihr neu

Und doch das Kennenlernen kaum verlohne;

Wie eine Blume einsam, still und treu

Bewahrte sie ihr Herz in seiner Zone.

Die Huldigung, die sie empfing, war Scheu:

Es war, als sitz' ihr Geist auf einem Throne,

Fern von der Welt, stark in der eignen Kraft, –

Bei solcher Jugend wirklich rätselhaft!
[242]

48.

Nun traf es sich, daß in dem Katalog

Der Lady Adeline Aurora fehlte.

Weshalb? An Rang und Reichthum überflog

Sie all die Engel, die ich oben zählte,

Und wenn man Schönheit oder Tugend wog,

So war kein Grund, weshalb man sie nicht wählte

Als würd'gen Preis für einzelsteh'nde Herren,

Die sich zu Zweien wünschten einzusperren.


49.

Aurora's Name fehlte wie die Büste

Des Brutus bei Tiberius Feierzug.

Juan erklärte, halb im Ernst, er wüßte

Gern das Motiv, doch als er lächelnd frug,

Sprach Adeline, als ob sie sich entrüste,

Gebieterisch, (das Wort sagt kaum genug,)

»Sie möchte wissen, was er an dem Kinde,

Der prüden, kalten, stummen Raby finde.«


50.

Juan darauf: »Da sie katholisch sei,

So würde sie am besten conveniren,

Denn seine Mutter stürbe, Rom verzeih'

Es nimmermehr, ja excommuniciren

Würd' ihn der Papst – –« Mylady blieb dabei:

Sie that auf ihr Talent zum Persuadiren

Sich viel zu gut, und wie die Damen pflegen,

Hielt sie ihm stets dieselben Gründ' entgegen.


51.

Warum auch nicht? – Ein Grund, der Gründe hat,

Wird durch die Wiederholung ja nicht schlecht;

Und ist er schlecht, so ist es sehr probat,

Umschrieben ihn zu wiederholen. Sprecht

Hartnäckig, unverschämt, von früh bis spat;

Am Ende giebt euch euer Gegner Recht

Oder ermüdet, was auf eins hinauskömmt;

Was liegt am Wege, wenn man nur ins Haus kömmt?
[243]

52.

Woher dies Vorurtheil bei Adelinen

(Das war es,) gegen eine Creatur,

Die reizend war von Formen und von Mienen

Und rein dabei, wie reinste Tugend nur?

Ich kann mit keinerlei Erklärung dienen:

Die Lady war nicht kleinlich von Natur,

Indeß Natur bleibt stets Natur und hat

Mehr Launen als ein – Sapienti sat.


53.

Vielleicht mocht' ihr die Ruhe nicht behagen,

Mit der Aurora auf den Flitter sah

Der andre Leut' entzückt in jungen Tagen.

Denn jedermann (und jede Frau) beinah

Wurmt das am meisten, wenn sie selbst sich sagen,

Ihr Genius stehe so getadelt da,

Wie Marc Anton vor Cäsar, vor den Weisen,

Die sie nicht mehr, als sie verdienen, preisen.


54.

Neid war es nicht, – sie war zu groß gesinnt,

Und auch ihr Rang war über Neid erhaben;

Verachtung nicht, – verachtet man ein Kind,

Deß Hauptvergehn ist, Fehler kaum zu haben?

Nicht Eifersucht, – indeß was hilft es, blind

Dem Irrlicht der Motive nachzutraben?

Es war auch nicht – – doch leichter macht man klar,

Was alles es nicht war, als was es war.


55.

Die Kleine ahnt' all dies Verhandeln nicht;

Sie war hier fremd, bloß eine schöne Welle

In diesem stolzen Strom voll Glanz und Licht,

(Nur reiner als der Rest,) in welchem helle

Der flücht'ge Sonnenschein der Zeit sich bricht,

Als ob vergoldet jede Woge schwelle;

Und wüßte sie's, sie würde lächeln, leise,

Sie war so kindisch – oder auch so weise.
[244]

56.

Der Geist, der Stolz, den Henry's Weib verriet,

Ihr imponirt' er nicht; sie sah den Flimmer,

Wie man das Glänzen eines Glühwurms sieht,

Und suchte dann bei Sternen reinren Schimmer.

Juan war etwas, was sie nicht erriet,

Denn seine Welt blieb eine Sphinx ihr immer,

Doch blendete das Meteor sie nicht;

Sie wurde nie bekehrt durch ein Gesicht.


57.

Sein Ruhm – denn jene Sorte Ruhm war sein,

Die Frauenzimmern leicht den Kopf verrückt,

Ein bunter Wust glorreicher Kinderein,

Halbtugend, welche ganze Laster schmückt,

Anzieh'nde Fehler, nicht zu zahm und klein,

Thorheit, die blank geputzt die Sinn' entzückt, –

All diesen Siegeln wiederstand ihr Wachs,

So kühl war sie, so kritischen Geschmacks.


58.

Juan begriff nicht solche Charaktere:

Sie glich nicht der verlorenen Haidi;

Zwar beide strahlten hell in ihrer Sphäre;

Die Inseljungfrau, rein und schön wie sie,

War ganz Natur an ihrem fernen Meere;

Das war Aurora nicht und konnt' es nie.

Der Unterschied war zwischen diesen zwein

Wie zwischen Blumenkelch und Edelstein.


59.

Nach dieser wunderschönsten aller Phrasen

Fahr' ich im Epos fort. Jetzt wollen wir,

Wie mein Freund Scott sagt, »zur Attaque blasen,«

Sir Walter Scott, Superlativ von mir,

Der Bücher schreibt, wie wir noch keine lasen,

Der Templer, Heiden, Lords, Leibeigne schier

So malt, als ob er Doppelerbe wäre

Des einen Shakspeare und des Herrn Voltaire.
[245]

60.

Ich treibe mittlerweil mein leichtes Wesen

Auf dieses Menschenlebens Oberflächen.

Ich schreibe Welt, – Welt braucht mich nicht zu lesen,

Doch schmeicheln kann ich nimmer ihren Schwächen.

Ein Quell des Hasses ist dies Buch gewesen,

Und daran wird's auch ferner nicht gebrechen;

Ich dacht' es, als ich anfing, nun erfahr' ich's,

Und bin doch ein Poet, – zum mindsten war ich's.


61.

Mylady's und Juans Congreß (wie neure

Congresse pflegen) mischt' in Süßigkeiten

(Denn sie war eigensinnig) ein'ge Säure.

Eh' sie sich einten oder ganz entzweiten,

Rief aber Glockenklang, der liebe, theure,

Daß Zeit sei, sich zu Tisch vorzubereiten;

Seltsam, daß dies ein Stündchen dauern kann,

Die Damen ziehn sich doch so dürftig an.


62.

Der Kampf begann. Die Gabeln und die Messer

Erklirren, silberne Gewaffen strahlen.

Homer beschreibt nur wenig Dinge besser

Als Schmauserein; wer aber könnte malen

Den Speisezettel der modernen Esser?

Mehr Rätsel sind versteckt in ihren Schalen,

In Suppen, Saucen, Fricassées, Compoten,

Als Hexen oder Aerzte jemals sotten.


63.

Erst hatten sie »Soupe à la bonne femme,«

Gott weiß, woher sie kam; dann rückte vor

(Eßlust erweckend schon der bloße Name)

Steinbutt und »Dindon à la Périgord;«

Dann gab es – – lieber Himmel! ich erlahme

Bei diesem Thema, das mein Lied erkor! –

»Soupe à la Beauveau,« unterstützt von Lamm

Und Frischling, in majorem gloriam.
[246]

64.

Ich muß das Ganz' in wenig Worte pressen,

Denn ging' auf die Details die Muse ein,

So käme sie zu schlimmeren Excessen

Als auf dem Felde, wo die Prüden schrein.

Sie lebt zwar gerne gut, ihr Bauch indessen

Ist nicht ihr sündhaft Theil; doch mag es sein,

Daß einige Erfrischung ihr ganz gut ist,

Um sie zu stärken, wann ihr flau zu Mut ist.


65.

Huhn »à la Condé,« Lachs »en côtelette«

Mit Genfer Sauce und Wild und, ach, ein Wein,

Der Ammons Sohn nochmals getödtet hätte!

(Das würde jedenfalls verdienstlich sein.)

Glacirte Schinken dann mit zartem Fette,

Apicius würde ihnen Tempel weihn!

Und dann Champagner sah man schäumend querlen

Weiß wie Cleopatra's geschmolzne Perlen.


66.

Dann gab es Gott weiß was »à l'Allemande,«

»A l'Espagnole,« »Timbale« und Fricasséen;

Die meisten Gäste waren außer Stande

Recht zu verstehen oder widerstehn;

Und »Entremets« zum Tändeln, bis die Bande

Der Seele traumhaft auseinandergehn;

Luculls »Triumphrob'« aber legt sich um

Rebhuhn-Filet mit Trüffeln – das ist Ruhm!


67.

Was ist das Diadem, das Siegern blinkt?

Wo ist das Siegesthor, das einst der Beute

Der Nationen stolzen Gruß gewinkt?

Wo des Triumphzugs kriegerische Meute?

Versunken, wie auch ein Diner versinkt, – –

Ich breche diese Forschung ab für heute,

Wann aber, o moderne Weltverwüster,

Leiht euer Name selbst Rebhühnern Lustre?
[247]

68.

Auch Trüffeln werden jede Schüssel zieren,

Und »Puits d'amour« sind sehr verführerisch:

Da die Recepte ziemlich variiren,

So thust du wohl, dies himmlische Gemisch

Nur nach dem besten Buch zu präpariren,

Das sich verbreitet über Fleisch und Fisch;

Selbst wenn du's ohne Confituren giebst,

Schöpft sich's aus solchen Brünnchen allerliebst.


69.

Der Geist versinkt in Contemplationen!

Wie viel Genie entfalten schon zwei Gänge!

Die Progression der Indigestionen

Erheischt Berechnung, welche mir mißlänge.

Wer hat bei Adams simplen Rationen

Geahnt, daß Kochkunst je so hoch sich schwänge,

Systeme bildend und Nomenclatur

Aus der gemeinsten Notdurft der Natur.


70.

Die Gläser klirrten, süße Düfte kirrten,

Die Löwen der Diners dinirten fein;

Die Damen nahmen mäß'ger Theil und girrten

Und pickten zarte Bissen, äußerst klein:

So auch die jungen Herrn; den blonden Hirten

Pflegt Gourmandise meistens fremd zu sein;

Sie haben für die Küche wen'ger Sinn

Als für das Lispeln einer Nachbarin.


71.

Ach, muß ich schweigen von dem edlen Schmalthier

Und Consommée und Purée und Salmi?

Wie lecker all in meinen Reimen strahlt ihr!

So könnt' es das Roast-beef John Bulls doch nie.

Speck paßt zu Hummer nicht, dem feinen Schalthier,

Und Wurst und Kohl verstimmt die Poesie.

Jedoch es ist nach Tisch, – ich unterlasse

Selbst eine keusche Skizze der Bécasse.
[248]

72.

Obst, Eis und alles, was Intelligenz

Zur Kunst erhebt im Dienst des feinen Goût,

Geschmacks, – wie euch der Magen treibt, so nennt's:

Vor Tische sagt das welsche Worte mir zu,

Doch später in der Stimmung des Moments

Drückt mich bei diesem fremden Klang der Schuh:

Goût klingt wie goutte, – ich hatte sie noch nicht,

Doch kann sie kriegen, und auch du, – die Gicht.


73.

Nur die Oliven darf ich nicht vergessen,

Sie, die dem Wein so treu zur Seite stehn;

Sie sind und waren stets mein Lieblingsessen

In Spanien und in Lucca und Athen.

Oft hab' ich froh nur sie und Brot gegessen

Auf grünem Rasen, in des Windes Wehn,

Auf Sunium, am Hymettus, wie Diogenes,

Der mein System erzeugt hat und erzogen es.


74.

Um dieses Chaos, Fleisch, Fisch, Kraut und Kohle

(In Masken) saßen Alle, deren Namen

Ich erst genannt und hier nicht wiederhole,

Bunt wie die bunte Kost, die sie bekamen;

Juan saß neben einer »Espagnole«,

Nicht Mädchen, sondern Schüssel, doch den Damen

Vergleichbar, denn sie trug ein Prachtgewand

Und war im Innern ungemein pikant.


75.

Auch macht' ein Zufall sich den Spaß ihn neben

Aurora und Mylady zu placiren;

Da war's für einen Mann von Herz und Leben

Verzweifelt schwierig ruhig zu diniren;

Auch war die Conferenz vor Tisch nicht eben

Ermutigend für ihn sehr zu brilliren;

Die gnäd'ge Frau war stumm und schien mit blauen

Prophetenaugen ihm ins Herz zu schauen.
[249]

76.

Oft glaub' ich fast, daß Augen Ohren haben;

Oft wird ein Widerhall von solchen Dingen,

Die außer Hörbereiche sich begaben,

Geheimnißvoll zu theuren Damen dringen,

Wie Sphärenchöre, mystisch und erhaben,

Die niemand hören kann, so laut sie klingen.

's ist wunderbar, wie manchmal unsre Damen

Gespräche, welche niemand sprach, vernahmen.


77.

Aurora zeigte bloß Gleichgültigkeit.

Und dies ist der Affront (was sich erklärt),

Den ein preux Chevalier zuletzt verzeiht,

Ein Wink »Ich halt' Euch nicht der Rede wert.«

Juan war frei von eitler Albernheit,

Doch diese Kühlung hätt' er gern entbehrt;

Es war, als ob ein Schiff ins Eis gerate,

Und noch dazu nach so viel gutem Rate.


78.

Auf muntre Nichtigkeiten sagt sie nichts,

Nichts als das Etwas, was die Höflichkeit

Erheischt. Kein Blick, kein Lächeln des Gesichts

Belohnt ihn. Steckt der Teufel in der Maid?

Ist das nun Stolz? Bescheidenheit? Gebricht's

Ihr an Verständniß? Ist's Abwesenheit?

Wer weiß? Mylady's schadenfroher Blick

Funkelt Triumph bei seinem Misgeschick,


79.

Als ob sie sagen wollt' »Ich sag' es ja,« –

Ein Siegerrecht, das ich nicht loben kann,

Denn häufig reizt es, wie ich las und sah,

Den Freund sowohl wie den Geliebten an,

Bloß weil er meint, daß ihm zu nah geschah,

Ernsthaft zu enden, was als Scherz begann;

Denn jedermann weissagt, was war und ist,

Und haßt dich dann, wenn du ein Störer bist.
[250]

80.

So kam denn auch Juan zu ein'gen schwachen

Galanterien, jedoch vom feinsten Schlage,

Genug, um kund'gen Damen klar zu machen,

Daß er im Grunde mehr empfind' als sage.

Aurora's Seele fing an zu erwachen,

(Sagt mein Chronist, er rät es, ohne Frage,)

Und kam aus ihrer süßen Haft hervor

Und lieh ein Lächeln ihm, wenn nicht ihr Ohr.


81.

Erst gab sie Antwort bloß, jetzt frug sie gar!

Mylady, die bis jetzt geschworen hätte,

Daß ihre Prophezeiung völlig wahr,

Sah nun sie aufgethaut zur Erzkokette.

So leicht begegnen sich, sagt man, ein Paar

Extreme, die man loslöst von der Kette;

Diesmal jedoch war sie zu fein gewesen,

Denn nicht von der Art war Aurora's Wesen.


82.

Ein Zauber war in Don Juans Betragen,

Ein Stolz der Demut, (wenn ihr das versteht,)

Ehrfurcht vor allem, was die Damen sagen,

Als wäre jedes Lispeln ein Decret,

Der Takt sich zu bescheiden und zu wagen,

Der leicht vom Ernst zum Scherzen übergeht,

Die Kunst verschlossne Menschen ganz verstohlen,

So daß sie selbst nichts merken, auszuholen.


83.

Aurora glaubte früher in Juan

Nur einen jener Schmeichler zu entdecken,

Obwohl sie sah, er sei ein klügrer Mann

Als laute Witzbold' oder süße Gecken;

Jetzt fing sie an, – so klein fängt Großes an, –

Die Schmeichelei, die Stolz besiegt, zu schmecken,

Die mehr durch Ehrfurcht als durch Lob besticht,

Die fein gefällt, selbst wann sie widerspricht.
[251]

84.

Dann war er hübsch! der Satz schien fest zu stehen

Bei allen Weibern, – was denn dann und wann

Nicht beiträgt zu der Festigkeit der Ehen.

Indessen das geht die Geschwornen an,

Ich darf mich nicht in Glossen mehr ergehen.

Nun weiß man längst, daß Schönheit trügen kann,

Und dennoch macht sie (macht nur den Versuch)

Mehr Eindruck als das allerbeste Buch.


85.

Aurora las mehr Bücher als Gesichter

Und nahm, zum mindsten in der Theorie,

Minerven statt der Grazien zum Richter.

Doch war sie jung: des Alters Zwangshabit

Ist aber von Natur viel knapper, dichter,

Als die Corsette der Philosophie;

Selbst Sokrates, der weise Mann, gesteht,

Daß er für Schönheit brennt, wenn auch discret.


86.

Und junge Mädchen sind so weit Sokratiker,

In aller Unschuld auch, wie Sokrates;

Und wenn mit Siebzigen der große Attiker

So zärtlich schwärmte, (Plato schildert es

In seinen Dialogen als Dramatiker,)

So ist es etwas Unverfängliches

Mit Siebzehn, – stets mit Maßen, merkt das ja!

Denn dieses ist für mich die Sine qua.


87.

Merkt euch, daß, wenn ich, wie der große Coke,

Zwei Urtheil' über einen Fall gefällt

Und beid' aus ganz verschiednem Teige buk,

Daß dann das zweite stets das Recht enthält.

Vielleicht treibt noch ein drittes seinen Spuk,

Vielleicht auch gar keins; – dann seid ihr geprellt.

Man kann wohl consequent beim Dichten bleiben,

Dann kann man aber nicht die Welt beschreiben.
[252]

88.

Wenn alle Welt sich selber widerspricht,

Muß ich natürlich Allen widersprechen

Und auch mir selbst, – – doch nein, das thu' ich nicht.

Wem alles Zweifel ist, zu dessen Schwächen

Gehört die Streitsucht kaum. Die Wahrheit bricht

Aus reinem Quell und läuft in schlamm'gen Bächen,

Durchkreuzt von vielen Widerspruchskanälen;

Drum wird sie oft den Strom der Dichtung wählen.


89.

Gedichte, Mythus, Apolog, Parabel

Sind falsch und tragen doch der Wahrheit Saat,

Wenn nur das Land gut ist und practicabel.

Die Fabel thut oft Wunder; in der That

Macht sie die Wirklichkeit manchmal passabel.

Doch was ist Wirklichkeit? Wer weiß da Rat?

Philosophie? – Nein, die verwirft zu Vieles.

Religion? – Ja, aber welches Stiles?


90.

Millionen müssen irren, das ist klar;

Vielleicht daß schließlich Alle Recht behalten.

Gott helf' uns! Es thut Not, daß mal ein Paar

Propheten aufstehn, oder daß die alten

Uns ihre Sehkraft leihn, sonst ist Gefahr,

Daß unsre heil'gen Feuer ganz erkalten.

Ein Glaube kann nicht tausend Jahre währen,

Wenn ihm nicht Zufuhr zufließt von den Sphären.


91.

Da! – muß ich gleich die Nas' in Rätsel stecken?

Ich habe vor Gezänk jedweder Art

Den größten Abscheu, einen wahren Schrecken,

Und dennoch – bin ich denn behext, vernarrt?

Ich renne täglich mit dem Kopf an Ecken

Der Zukunft, Vorzeit oder Gegenwart,

Und bin doch mäß'ger Presbyterianer,

Gut Freund mit Tyrier und mit Trojaner.
[253]

92.

Als Theolog bin ich kein Aufruhrschürer,

Und auch als Philosoph sehr moderirt,

Parteilos für den Troer und den Tyrer,

Wie Eldon, wann er Toll' interdicirt;

In Politik dien' ich John Bull als Führer

Und zeig' ihm, was auf dieser Welt passirt.

Seh' ich wie schuft'ge König' oder Kaiser

Freveln, so kocht mein Blut wie Islands Geyser.


93.

Ich bringe Staat und Kirch' und Zeitgeschichten

Nicht bloß wie ein gemeiner Faselhans

Zur Kurzweil an; sie dienen höhern Pflichten:

Sich nützlich machen ist der Ruhm des Manns.

Ich wünsche die Gesellschaft »anzurichten«

Und stopfe drum mit »Farce« diese Gans,

Und jetzt, um jeden Gusto zu tractiren,

Will ich einmal die Geisterwelt probiren.


94.

Und so entsag' ich allen den abstrusen

Und allen methaphysischen Ideen:

Vergebens klopfen sie; in meinem Busen

Soll radicale Umkehr vor sich gehn.

Bei Gott, weshalb das Plaudern meiner Musen

Gefährlich sein soll, konnt' ich nie verstehn.

Sie sind so harmlos wie gewisse, die

Mehr schwitzen, und bezaubern dennoch nie.


95.

Grimmiger Leser, sahst du je 'nen Geist?

Das nicht, du hörtest – – Still! ich merke schon.

Beklag' dich nicht, daß du im Nachtheil seist,

Die Freude steht dir noch bevor, mein Sohn.

Glaub' nicht, daß Schreiber dieses Possen reißt

Und diesen Quell des Mystischen mit Hohn

Zustopfen wird: aus guten Gründen, Mann,

Glaub' ich vielmehr in vollem Ernst daran.
[254]

96.

Im Ernst? – Du lachst. Na lach'. Auf Ehrenwort,

Mir bleibt das Lachen in der Kehle stecken;

Ich glaube fest, es spukt an einem Ort.

Und wo? – Ich will es lieber nicht entdecken

Und wollt', es wär' vergessen hier und dort;

Denn »Schatten können Richards Seel' erschrecken.«

In diesem Punkt bin ich so graulich wie

Der große Philosoph von Malmesbury.


97.

Die Nacht – ich singe Nachts, als Eule bald

Und bald als Nachtigal, – ist schwarz und graus;

Minervens Vogel kreischt, und heiser hallt

Sein unharmonisch Lied durch unser Haus.

Von alten Wänden grinsen Bilder alt,

(Ich wollt', sie sähen nicht so grimmig aus,)

Die Kohlen sind erstorben im Kamin, –

Mich dünkt, es wäre Zeit mich auszuziehn.


98.

Obwohl ich Tags mich nie mit Reimen plage,

Weil ich alsdann, wenn Denken mir gelingt,

An andre Dinge denken muß, – ich sage,

Daß mir ein Frösteln durch die Glieder dringt.

Drum lass' ich weislich bis zum hellen Tage

Ein Thema ruhn, das, ach, nur Schatten bringt.

Ihr müßt indeß erst meinen Zustand kennen,

Bevor ihr lernt dies Aberglauben nennen.


99.

Zwischen zwei Welten schwebst du, Menschenkind,

Wie zwischen Tag und Nacht der Dämmrung Saum.

Du weißt nicht, was wir werden, was wir sind.

Der Zeiten ew'ge Flut rollt durch den Raum,

Und unsrer Seifenblasen Glanz zerrinnt,

Und neue tauchen aus dem Brandungsschaum

Der Säcula! und Völkergräber schwellen

Nicht höher an als ein'ge flücht'ge Wellen.

Quelle:
Lord Byrons Werke. Berlin 1877, Band 6, S. 228-229,231-255.
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