Vierzehnter Gesang.

1.

Wenn man in dieses Daseins Finsternissen

Nur einen Gran Gewißheit könnt' erwerben,

So könnten wir die rechte Straße wissen,

Doch würd' es viel Philosophie verderben.

System wird von Systeme todt gebissen,

Wie weiland von Saturn die eignen Erben;

Denn als sein frommes Weib ihm Steine gab

Statt Söhne, ließ er von den letztern ab.


2.

Nur kehrt der Philosoph sie um, die Mahlzeit,

Und frißt die eignen Eltern, die der Magen

Oft schwer verdaut. Sagt selbst, die ihr so prahlt, seid

Ihr völlig fest in irgend welchen Fragen?

Schaut rückwärts ins Vergangne, eh' ihr allzeit

Dasselbe Joch hinfort gelobt zu tragen.

Nichts sichrer als den Sinnen nicht zu trauen,

Und doch, was habt ihr sonst um drauf zu bauen?


3.

Ich selber, ich weiß nichts, und ich bestreit'

Und leugne nichts, räum' aber auch nichts ein.

Und was wißt ihr? Bloß daß ihr sterblich seid,

Und da sogar könnt ihr falsch prophezein:

Der Tag kann kommen, Quell der Ewigkeit,

Wo weder Altes wird noch Neues sein.

Der sogenannte Tod macht Menschen Kummer

Und doch ist unsers Lebens Drittel Schlummer.
[203]

4.

Schlaf ohne Traum dünkt uns das höchste Glück

Nach eines sauren Tages Last und Plage,

Doch bebt vor tiefrem Schlaf das Fleisch zurück.

Ja, Selbstmord, welcher gern mit einem Schlage

Die Schuld bezahlt, (ungleich in diesem Stück

Den meisten andern Schuldnern unsrer Tage,)

Verströmt in aller Hast sein Blut, und das

Weit mehr aus Todesgraun als Lebenshaß.


5.

's ist um ihn, bei ihm, hier, dort, überall,

Und einen Mut giebt's, den die Angst gebiert,

Der alles wagt, bis er auf jeden Fall

Das Aergste weiß. Wann sich dein Schritt verliert

Zu Bergeshöhn und dann vom Felsenwall

Dein Auge schaudernd in den Abgrund stiert,

Dann regt sich, wie die Blick' ins Dunkel dringen,

Ein schauerlicher Wunsch – hinabzuspringen.


6.

Zwar thust du's nicht, nein, bleich und tief erschrocken

Trittst du zurück. Prüf' aber, wie dir war,

Und wieder wird dein Blut vor Grausen stocken,

Wenn du im eignen Spiegel nackt und klar

Die stillen Trieb' erkennst, die so dich locken

Zum Unbekannten, Sehnsucht, wunderbar,

Zu fliehn – jedoch wohin? – Wer weiß? Und dies ist

Der Grund, weshalb du's thatest oder ließest.


7.

Doch was thut dies zur Sache? wirst du fragen.

Nichts, Leser. Glossen bloß. Du mußt nicht schmälen;

Ich pfleg' einmal – sonst wüßt' ich nichts zu sagen –

Die Dinge, die mich augenblicklich quälen,

Mag's passen oder nicht, herauszuschlagen.

Denn ich erzähle nicht, um zu erzählen,

's ist nur die luft'ge Basis, um an Dingen

Gemeiner Art Gemeinplätz' anzubringen.
[204]

8.

Du kennst den Rat, den Baco uns gegeben:

»Wirf Stroh empor, so siehst du, wie der Wind weht.«

Ein solches Stroh ist auch das Dichten eben,

Das Menschenhauch durchs Lebenslabyrinth weht,

Ein Drachensteigen zwischen Tod und Leben,

Der Schatten, welcher hinterm Geist dahinweht.

Meins ist ein Seifenbläschen, Ehre minder

Als Spaß bezweckend, ganz wie die der Kinder.


9.

Die Welt liegt vor mir oder hinter mir;

Ich kann von ihr als Sachverständiger sprechen,

Denn vormals sah ich einen Theil von ihr.

Ich selber hatte Leidenschaften, Schwächen,

Zum großen Spaß der Welt, die voll Begier

Das Gold des Ruhms vermischt mit schlechten Blechen.

Ich hatt' einmal ganz leidlich Ruhm erworben,

Jedoch mit Reimen hab' ich's mir verdorben.


10.

Ich brachte diese Welt mir auf den Hals,

Und auch die andre, nämlich die Pastoren;

Sie krachen mir mit Donnern graus'gen Schalls,

Ich meine frommen Schriften, in die Ohren.

Einmal per Woche reim' ich jedenfalls,

Obwohl ich ein'ge Leser schon verloren.

Einst schrieb ich, weil das Herz mir überwallte,

Jetzt, weil ich fühl', als ob es mir erkalte.


11.

Doch warum drucken? Ruhm und Vortheil ist

Kein Lohn mehr für ein schal gewordnes Leben.

Dagegen frag' ich: warum spielt ihr Whist?

Und trinkt? und lest? – Der Stunden Druck zu heben.

Ich schreib', ein rückwärts blickender Chronist,

Erlebtes auf; es unterhält mich eben;

Und was ich schreibe, mag im weiten Raum

Der Wind verwehn, – hatt' ich doch meinen Traum.
[205]

12.

Wär' mein Erfolg ganz sicher, außer Frage,

Ich glaub', ich schriebe keine Zeile mehr.

So lang hab' ich gekämpft, daß Niederlage

Mich nimmer wegscheucht aus der Musen Heer.

Es ist nicht affectirt, was ich hier sage,

Doch dies Gefühl zu schildern, find' ich schwer:

Beim Spiel ergötzt man sich auf zwei Manieren,

Sei's durch Gewinnen oder durch Verlieren.


13.

Auch handelt meine Muse nicht mit Dichtung;

Nur Facta sind's, was sie auf Lager hält,

Natürlich mit Beschränkung, Auswahl, Sichtung,

Und meistens singt sie von der Menschenwelt,

Und just darum verdammt man ihre Richtung;

Denn allzu reichlich Wahrheit, das mißfällt;

Wär' Ruhm ihr Ziel, so könnte sie Geschichten

Von andrer Gattung viel bequemer dichten.


14.

Krieg, Lieb', ein Sturm, das ist doch Vielerlei;

Dazu die Würze ein'ger leichter Glossen,

Ein Panoroma von der Wüstenei

»Gesellschaft« und ein Blick auf ihre Possen:

Wenn sonst nichts, habt ihr wenigstens dabei,

Das Hochgefühl der Sättigung genossen,

Und klebt man Koffer einst mit diesen Heften,

So nütz' ich mindestens doch den Geschäften.


15.

Der Theil von dieser Welt, den wir nunmehr

Zum Text für unsre nächste Predigt wählen,

Hat an Beschreibern Mangel, und nicht schwer

Erklärt es sich, weshalb ihm solche fehlen:

Er scheint zwar recht ergötzlich, hoch und hehr,

Doch geht durch all sein Pelzwerk und Juwelen

Ein fader Zug Familienähnlichkeit,

Der Dichtern wenig Gutes prophezeit:
[206]

16.

Viel was erregt, nichts was Erhebung schafft,

Nichts was zu allen Herzen könnte sprechen;

Ein Firniß über jeder wildern Kraft,

Alltäglichkeit sogar in den Verbrechen;

Witz ohne Salz, gemachte Leidenschaft;

Kein Hauch von Wahrheit adelt ihre Schwächen;

Die Charaktere sämmtlich gleich und glatt,

Wenn Einer überhaupt Charakter hat.


17.

Manchmal durchbrechen sie nach der Parade

Wie Truppen lustig ihre steifen Reihn,

Doch beim Appell muß Jeder ohne Gnade

Das, was er sonst war, scheinen oder sein.

Gewiß ist's eine prächt'ge Maskerade,

Nur, wann ihr satt euch saht am ersten Schein,

Langweilt sie; mindstens mich langweilte sie,

Dies Eden des Plaisirs und des Ennui.


18.

Im Anfang geht das Spiel ganz wohl von Statten;

Man liebt, man spielt, man putzt sich, glänzt, votirt,

Dinirt mit Dandies, frequentirt Debatten,

Sieht auf dem Markt Schönheiten offerirt,

Sieht Wüstlinge gezähmt zu schlimmren Gatten, –

Bis man sich selbst und Andre ennuyirt

Als »ci-devant jeune homme,« der zäh und fest

Sich klammert an die Welt, die ihn verläßt.


19.

Man sagt, – es ist die allgemeine Klage, –

Noch Niemand hab' in ähnlichen Portraits

Die Welt gemalt, wie sie sich wirklich trage;

Schriftsteller, heißt's, bestächen die Portiers

Und suchten in Skandal und Narrensage

Den Stoff für ihre saubern Exposés;

Ihr Stil sei regelmäßig bloß das Schwatzen

Der gnäd'gen Fraun, filtrirt durch Kammerkatzen.
[207]

20.

Heut aber ist dies kaum noch wahr; ein ächter

Schriftsteller lebt jetzt in der feinen Welt

Und wird sogar zuweilen einem Fechter,

Besonders wenn er jung ist, gleichgestellt.

Weshalb denn ist sein Buch gleichwohl ein schlechter

Abriß von dem, was er so heilig hält?

Vom Thun der höchsten Kast' und ihrem Treiben?

Weshalb? er findet wenig zu beschreiben.


21.

»Haud ignara loquor;« dies sind »nugae quarum

Pars parva fui,« aber doch ein Part.

Nun schildert' ich viel leichter Schiffbruch, Harem,

Krieg oder Lieb' als Dinge dieser Art;

Auch möcht' ich gern sie schonen. – Warum? darum;

Aus Gründen, die ich stets für mich verwahrt.

»Vetabo Cereris sacrum qui vulgarit,«

Das heißt, daß ihr Vulgären nichts erfahret.


22.

Und darum füttr' ich euch mit Idealen,

Verdünnt, verhüllt, wie Bücher über Maçons;

Und die verhalten sich zu dem Realen

Wie Parry's Nordpolfahrt zur Reise Jasons.

Arcana muß man nicht für Alle malen.

Mein Saitenspiel hat mystische Diapasons,

Und mein Sujet hat seine eignen Seiten,

Die nur verständlich sind den Eingeweihten.


23.

Ach, Welten fallen! und seitdem die Welt

Fiel durch ein Weib, – (der Text ist leider ächt,

Wenn auch nicht höflich,) – seit dem Tage fällt

Zuweilen auch das weibliche Geschlecht.

Spielball der Sitte! stets getäuscht, geprellt,

Im Unrecht Opfer, Dulderin im Recht,

Verdammt zum Kindbett, wie die Männer ihren

Erbfluch am Kinne tragen, – das Rasiren.
[208]

24.

Ein täglich Weh, das, wenn man Jahr und Jahr

Zusammenzählt, so schlimm ist wie die Wehen.

Die Weiber aber, – ja, wer kann es klar,

Wie viel sie wirklich leiden, übersehen?

Scheint doch des Mannes Mitgefühl sogar

Aus Selbstsucht und aus Mißtraun zu entstehen.

Lieb', Adel, Schönheit, Bildung macht aus ihnen

Nur Hausfraun, die zur Völkerzüchtung dienen.


25.

Das ist recht gut und kann nicht besser sein,

Doch dies sogar ist schwerer als es scheint.

So viele Not plagt sie von Kindesbein,

So wenig Abstand zwischen Freund und Feind,

So schnell verschleißt der Ketten goldner Schein,

Daß – – Fragt ein Weib nur, was sie dazu meint,

Wenn man die Wahl ihr ließ' nach eignen Sinn,

Was lieber, Schuljung' oder Königin?


26.

Ein Makel ist »Einfluß des Unterrocks,«

Und selbst die Leute, die sein Joch ertragen,

Fliehn diesen Vorwurf wie den Wolf der Ochs.

Und doch ist er des Lebens Haudrerwagen,

Der uns zur Welt trägt mit vielfachen Chocs.

Ich ehr' den Unterrock, das muß ich sagen:

Es ist ein Kleid, erhaben, rätselhaft,

Gleichviel ob Wolle, Zwillich oder Taft.


27.

Ich acht' es und ich hab' es hoch verehrt,

Die keusche Hüll' ehrbarer Tugendspiegel,

Die nur die Sehnsucht nach dem Schatz vermehrt:

Den sie verwahrt, wie Gold des Geiz'gen Riegel,

Wie eine goldne Scheid' ein Türkenschwert,

Wie einen Liebesbrief ein mystisch Siegel:

Arznei des Grams! denn Trauer selbst wird munter

Vor solch' nem Rock mit hübschen Knöcheln drunter.
[209]

28.

Und ist ein Tag recht schwül und dumpf und flau, –

Zum Beispiel ein Sirocco weht aus Süd,

Der Fluß schleicht mürrisch und des Meeres Blau

Sieht bleiern aus, so sehr der Schaum auch sprüht,

Der Himmel aber zeigt das alte Grau,

Das Gegentheil von allem, was da glüht, –

Dann freut man sich, (wenn dann man noch im Stand' ist,)

Ein hübsches Kind zu sehn, wenn's auch vom Land' ist.


29.

Ich ließ Juan in jener Atmosphäre,

Die ewig heitre Kühle temperirt,

Als ob am Himmel gar kein Thierkreis wäre,

Die freilich schlecht zum Dichten inspirirt,

Weil Sonn' und Stern' und alles Hohe, Hehre,

Gebirg' und was noch sonst Gedichte ziert,

Dort öd' und trüb ist, niederdrückend, bleiern,

Gleich Regenhimmeln oder Pfandverleihern.


30.

Die Stubenluft paßt schlecht für ein Gedicht,

Und draußen giebt es Regen, Nebel, Schnee,

Und da gedeihen denn Idylle nicht.

Indeß was hilft's? der mut'ge Sänger seh'

Den Schwirigkeiten tapfer ins Gesicht,

Damit sein Epos durchfall' oder steh',

Und lege los, wie Geist auf Stoff agirt,

Wenn Feur und Wasser ihn auch 'mal genirt.


31.

Juan war Allen alles, (hierin glich

Er einem Heil'gen,) stand sich auch zum besten

Mit Leuten aller Art, ergötzte sich

In Lager, Schiffen, Hütten und Palästen;

Er hatt' ein Herz, das selten wankt' und wich,

Maßvoll und frisch bei Mühsal und bei Festen;

Auch allen Weibern war er immer viel,

Obwohl er nie in weibisch Tändeln fiel.
[210]

32.

Die Fuchsjagd hat für Fremdling' ihre Schrecken,

Und freilich droht sie doppelte Gefahr:

Ihr selbst könnt stürzen, und die Britten necken

Euch hinterdrein. Juan indessen war

Früh schon geschult, durch weite Wüstenstrecken

Zu jagen, wie der rächende Tartar,

So daß sein Pferd, Gaul, Renner und so weiter

Bald spürt', es trage einen firmen Reiter.


33.

Nicht ohne Beifall macht' er seine Sätze

Hoch über Hecken, Gräben, Zäun' und Gitter;

Er »krahnte« nie, begriff den Geist der Hetze,

Und ward nur, wenn die Fährte ausging, bitter.

Zwar brach er wohl einmal die Jagdgesetze,

Auch weise Knaben irren ja! – so ritt er

Zum Beispiel manchmal über Henry's Meute,

Und einmal über ein'ge Edelleute.


34.

Jedoch im Ganzen macht er seine Sache

Ganz wundervoll. Die Junker staunten leise,

Daß so ein Fremdling solche Sprünge mache;

Die Bauern schrien Potz Blitz! die würd'gen Greise,

Als ob ihr Jugendfeuer neu erwache,

Fluchten und wetterten zu seinem Preise;

Sogar des Oberjägers ernste Runzeln

Verklärten sich zu einem gnäd'gen Schmunzeln.


35.

Trophä'n errang er, – anstatt Speer und Schild,

Genommne Hürden und von Füchsen Schweife;

Trotzdem – (und wenn ein Britt' ihn darum schilt,

So muß ich sagen, daß ich es begreife,) –

Dacht' er im Stillen wie Lord Chesterfield,

Der göttlich ritt und doch nach solch 'ner Streife

Durch Busch und Bruch und Moor am nächsten Tage

Frug, »ob ein Mensch wohl jemals zweimal jage?«
[211]

36.

Auch hatt' er das Talent, das wundersame, –

Es ist bei Jagdliebhabern dünn gesät,

Die aufstehn, eh' der Hahn die lendenlahme

Decembersonn' aus ihrem Schlummer kräht, –

Ein wichtiges Talent, wann eine Dame

In Ströme von Beredtsamkeit gerät

Und dringend wünscht, daß Weiser oder Laffe

Ihr zuhört, – kurz, er schlief nicht ein beim Kaffee.


37.

Da stand er, leicht und luftig, frisch und wach,

Die größte Kunst der Unterhaltung zeigend,

Das heißt, er gab der fremden Meinung nach,

Sein Ohr jedwedem Modethema neigend,

Bald ernst, bald munter, niemals frech noch flach,

Und seinen Spott – der schlaue Schelm! – verschweigend;

Nie Fehler corrigirend, niemals Störer,

Kurzum, es gab nie einen bessren Hörer.


38.

Dann tanzt' er! jeder Fremdling überragt

Den ernsten Angeln an Beredtsamkeit

Der Pantomin'. Er tanzte, wie gesagt,

Gut, ausdrucksvoll und außerdem gescheit, –

Gescheit muß sein, wer gut zu tanzen wagt.

Er tanzte frei von Bühnenalbernheit,

Nicht wie sich ein Balletheld dem Parterre

Mit seinen Nymphen zeigt, – nein, wie ein Herr.


39.

Keusch war sein Schritt und reizend die Figur,

Als ob mit Thau die Anmut ihn besprenge,

Und wie Camilla streift' er kaum die Flur,

Als ob er seine Kraft mehr zügl' als dränge.

Und dann, ein Ohr besaß er von Natur,

Das wohl bestand vor strengster Richter Strenge,

Im Pas ein Classiker, an Schwung ein Heros,

Schwebt' er dahin, der Genius des Bolero's,
[212]

40.

Gleich Guido's wundervollem Horenkranze,

Der schon allein die Fahrt nach Rom belohnt,

Selbst wenn nichts übrig wäre von dem Glanze,

Darin die Kaiserin der Welt gethront;

Ein idealer Reiz gab seinem Tanze

Den Zauber, der hienieden selten wohnt

Und unbeschreiblich ist, denn Lied und Wort

Sind leider ohne Farben, uns zum Tort.


41.

Kein Wunder drum, daß er ein Günstling war,

Ein Jüngling-Amor, der die Welt berückte,

Verzogen etwas, doch nicht ganz und gar,

So taktvoll, daß sein Glänzen Keinen drückte,

Und daß er ganz so sehr der Reinen Schar

Wie die nicht völlig Lauteren entzückte;

Lady Fitz-Fuke, die Freundin der »Tracasserie«,

Tractirt' ihn schon mit etlicher »Agacerie«.


42.

Sie war die schönste, vollerblühte »Blonde«,

Begehrenswert, gefeiert, distinguirt

Seit längrer Zeit im grandesten grand monde.

Ich könnt' erzählen, was ihr schon passirt,

Ich fürchte nur der Sittenrichter Fronde,

Und dann wird auch so schrecklich fabulirt.

Ihr letzter Streich war ein Bravourduett

Mit Lord Augustes Fitz-Plantagenet.


43.

Der edle Lord begann etwas zu grollen,

Als er dies neue Kokettiren sah,

Obwohl Liebhaber Spaß verstehen sollen,

Der Frauengilde Privilegia.

Weh denen, die in solchen Fällen schmollen,

Denn dann ist sicher ihre Stunde nah,

Die böse Stunde, die dem Rechner nimmer

Ausbleibt, wofern er zählt auf Frauenzimmer.
[213]

44.

Nun gab's ein Lächeln, Flüstern, Sticheln, Schrauben;

Die Mädchen wurden rot, die Frauen blau;

Die Einen »wollten noch das Beste glauben,«

Die Andern sagten: »das thut keine Frau!«

Und Ein'ge wollten Zweifel sich erlauben,

Und Ein'ge blickten dumm und Ein'ge schlau,

Und Etliche beklagten sehr beredt

»Den armen Lord A. Fitz-Plantagenet.«


45.

Seltsam, daß niemand an den Herzog dachte,

Den doch die Sache anging, sollt' ich meinen;

Indeß er war nicht da und (hieß es) machte

Sich wenig Sorg' um ihre muntern kleinen

Amüsements; und wenn der Herzog lachte,

So hatte doch kein Andrer Grund zu weinen:

Dies Paar besaß die beste Einigkeit,

Die stets getrennt ist, folglich nie entzweit.


46.

Doch – ach! daß ich es niederschreiben muß! –

Auch sie, des reinsten Tugendeifers voll,

Sie, mein Dianenbild von Ephesus

Auch Adeline fand die Sache toll

Und ward beinah unhöflich vor Verdruß;

Sie wurde ernst, sie wurde blaß vor Groll,

Als sie die Freundin schwach und thöricht sah;

Denn das geht Freunden stets besonders nah.


47.

Nichts geht auf Erden über Sympathie!

Sie steht der Seel' und dem Gesicht so fein,

Sie macht aus Seufzern eine Melodie,

Hüllt Freundschaft weich in Brüsseler Spitzen ein.

Was ist der Mensch, wenn gute Freunde nie

Ihn geißeln und ihm Trost im Unglück weihn!

Zum Beispiel so: »Hätt'st du nur nachgedacht!

Ach, ach, du gabst auf meinen Rat nicht Acht!«
[214]

48.

Hiob besaß zwei Freunde; in der Not

Ist einer schon genug; bei rauhem Wetter

Ist Freundschaft meist ein trauriger Pilot,

Ein Arzt, der theuer ist und selten Retter.

Murr' nicht, wenn deine Freund' abfallen! droht

Der erste Sturm, so fallen auch die Blätter.

Wann sich dein Schicksal aufhellt, nun, dann wandre

Zum Kaffeehaus' und nimm dir einfach andre.


49.

Was hätte diese Regel mir erspart!

Wie manches Herzweh! – Doch ich will nicht klagen

Ich möchte nicht im Panzer wohlverwahrt

Wie eine Schildkröt' über Wasser ragen.

Viel besser, wenn ihr an euch selbst erfahrt,

Was Fleisch ertragen kann und nicht ertragen;

Da lernt sie Klugheit, unsre weiche Liebe,

Und gießt nicht ihren Ocean in Siebe.


50.

Scheußlicher klingt's, als wenn die Eule schreit,

Unheimlicher als wenn der Nachtwind klagt,

Wenn Freunde, Seher der Vergangenheit,

Euch sagen: »Ja, ich hab' es wohl gesagt,«

Und euch erzählen, wie sie lange Zeit

Das Kreuz voraussahn, das ihr eben tragt,

Und euch erinnern, um euch aufzurichten,

An alte, längst vergessene Geschichten.


51.

Der edle Zorn der Lady Adelin'

Traf ihre Freundin keineswegs allein,

(Für deren Nachruhm sie zu zittern schien,

Wofern sie sich nicht bessern würde,) – nein,

Sie zürnte auch Juan, indeß für ihn

Empfand sie auch noch Mitleid (engelrein), –

Er war so unerfahren! ein geprellter

Blutjunger Mensch! (sie war sechs Wochen älter.)
[215]

52.

Der vierzigtägige Vorsprung ihrer Jahre –

(Und ihre konnten sich noch zählen lassen,

Sie brauchte nicht das manchmal allzu wahre

Verzeichniß aller edlen Pairs zu hassen,)

Gab ihr das Mutterrecht, das sonnenklare,

Auf die Erziehung junger Herrn zu passen,

Obwohl sie jenem Schaltjahr ferne stand,

Wo stets den Fraun das Maß der Zeit entschwand.


53.

Man setzt dies Jahr am besten kurz vor dreißig,

So etwa achtundzwanzig: manche Frau,

Sehr streng in Tugend und im Rechnen, weiß ich,

Doch keine nahm's mit diesem Jahr genau.

O Zeit, weshalb mähst du so schrecklich fleißig?

Sieh, deine Sichel ist von Rost ganz rauh;

Du solltest glatter, auch langsamer schneiden,

Dein Ruf als Mäher wird wahrhaftig leiden.


54.

Mylady war von solcher Reif' indessen

Noch ferne, – Reife, welche bitter ist;

Jedoch sie hatte ihre Kraft gemessen

Im Kampf der Welt; ich sagt' es, wie ihr wißt,

Auf Seit' – – ich hab' die Seitenzahl vergessen,

Da meine Muse Zahlen leicht vergißt.

Doch wollt ihr ihres Lebens Summ' erfahren,

Streicht sieben ab von achtundzwanzig Jahren.


55.

Mit sechzehn trat sie auf und setzte schon

Im ersten Jahr gräfliche Köpf' in Gluten;

Mit siebzehn schwamm sie durch die Region

Der großen Welt wie Venus auf den Fluten;

Mit achtzehn, mochten auch vor ihrem Thron

Die Freier hekatombenweise bluten,

Erschuf ihr »Ja« den Adam, den ihr kennt

Und den man »glücklichsten der Menschen« nennt.
[216]

56.

Drei glanzerfüllte Winter hatte dann

Sie allbewundert in der Welt gefunkelt,

Doch immer höchst correct; nie hatte man

Auch nur ein Wörtchen wider sie gemunkelt;

Die schärfsten Augen die es geben kann,

Sahn diesen Marmor rein und unverdunkelt.

Auch Zeit zu Niederkünften hatte sie,

Einmal mit einem Sohn, einmal zu früh.


57.

Die lust'gen Feuerfliegen schwirrten um sie,

Die kleinen Lichter einer Londoner Nacht;

Doch stachellos umschwärmte dies Gesumm sie,

Kein Geck flog je zu ihrer hohen Wacht.

Vielleicht nach tiefrer Neigung seufzte stumm sie,

Doch immer blieb ihr Sehnen streng bewacht;

Ob's Kälte, Hochmuth oder Seelenadel ist,

Gleichviel, wenn eine Frau nur ohne Tadel ist.


58.

Motive hass' ich, wie ich Flaschen hasse,

Die bei dem trägen Wirt saumselig stehn,

Indeß wir, schmachtend nach dem kühlen Nasse,

Bei trocknem Staatsgespräch zu Grunde gehn;

Ich hasse sie wie Staub, den Vieh in Masse

Aufwühlt, wie Wüstenwinde Sand aufwehn;

Ich hasse sie wie Zank und Disputiren,

Hofdichter-Lob, Pairs, die servil votiren.


59.

Was hilft's, der Dinge Wurzeln aufzupflügen,

Die mit dem Erdreich sich zu tief verschlingen?

Die grünen Blätter lass' ich mir genügen,

Gleichviel aus welchen Eicheln sie entspringen.

Zwar ist's ein melancholisches Vergnügen

Zum letzten Quell der Handlungen zu dringen,

Jetzt aber liegt mir solche Kurzweil fern,

Ich weis' euch an den weisen Oxenstiern.
[217]

60.

Die edle Lady wollte den Eclat

Der Herzogin und auch dem Diplomaten

Sehr gern ersparen, und sobald sie sah,

Juan werd' ernstlich in Gefahr geraten, –

(Denn Fremde wissen nicht, daß ein faux pas,

In England mehr bedeutet als in Staaten,

Wo keine Jury segenspendend weilt

Und solche Sünden mit Verdicten heilt;) –


61.

Als sie es sah, beschloß sie die Gefahr

Wo möglich abzuwenden, und entwarf

Verschiedne Pläne. Was sie dachte war

Einfältig, denn sie dachte nicht sehr scharf.

Unschuld ist aber kühn, am Pfahl sogar,

Und in der Welt voll Einfalt und bedarf

Der Schanzen nicht, wie Damen sie erbauen,

Die ruinirt sind, wenn wir sie durchschauen.


62.

Sie dachte sich nicht gleich das Aergste, Schwerste,

Durchlaucht war ein geduld'ger Ehemann,

Es war nicht sehr wahrscheinlich, daß er berste

Und vor Gericht gehn werde, aber dann

War eine doppelte Gefahr; fürs erste

Die Herzogin mit ihrem Talisman,

Und zweitens ein fatales Zankduett

Mit Lord Augustus Fitz-Plantagenet.


63.

Auch galt die Herzogin mit ihrem Minnen

Ein bischen für méchant und höchst verschlagen,

Für eine jener hübschen Quälerinnen,

Die ihren Freund mit lieben Grillen plagen,

Und wenn der Streit nicht kömmt, den Streit beginnen,

So oft im schönen Jahre Tage tagen,

Die foltern und bezaubern, lieben, hassen

Und (was das Schlimmst' ist) euch nicht laufen lassen;
[218]

64.

So recht die Art, die junge Herrn verrückt,

Wohl gar zu Werthern macht. Und ich verstehe,

Daß ernste Sorg' ein edles Herz bedrückt,

Das Freunde sieht bedroht von solchem Wehe.

Ein Herz zu tragen, das ein Weib zerpflückt,

Ist noch entsetzlicher als Tod und Ehe.

O prüf', eh' du in eine Liaison

Dich wirfst, und frag', ob dein »bonheur« auch »bon«.


65.

In ihres Eifers ernster Heftigkeit,

Der völlig rein war, (wie sie selber dachte,)

Nahm sie Lord Henry dann und wann beiseit,

Und bat, Juan zu warnen. Henry lachte,

Wenn sie mit schlauer Unerfahrenheit

Für ihres Freundes Heil Anschläge machte,

Und gab nach Staatsmanns- und Prophetenart

Antworten, daß sie um nichts klüger ward.


66.

Er mische nie sich, sei es noch so zart,

In Händel andrer als des Königs ein,

Geh' auch in Angelegenheiten dieser Art

Nie ohne trift'ge Gründe nach dem Schein;

Juan besitze mehr Verstand als Bart

Und werde nicht am Draht zu gängeln sein,

Und schließlich, (diese Wahrheit lass' ich gelten,)

Mit gutem Rate nütze man nur selten.


67.

Wahrscheinlich diesem letztren Satz zu Ehren

Gab er ihr dann den Rat, sie möge an beide,

Juan und Herzogin sich gar nicht kehren,

So weit der Anstand es nur irgend leide.

Die Zeit werd' ihren Freund schon selbst belehren,

Die Herren schwüren keine Klostereide,

Durch Widerspruch erweitre man die Bresche, –

Hier bracht' ein Diener eine Staatsdepesche.
[219]

68.

Lord Henry war Mitglied des Hohen Rates,

Und folglich ließ er Adelinen stehn,

Um einen künft'gen Livius unsres Staates

Mit Stoff für die Annalen zu versehen.

Wenn ich von der Depesche schweig', so hat es

Nur diesen Grund, ich hab' sie nie gesehn,

Doch hoffentlich kann ich sie als Appendix

Nachliefern, zwischen dem Gedicht und Index.


69.

Bevor er ging, sprach er mit kühlem Ton

Noch zwei bis drei banale milde Worte,

Das kleine Geld der Conversation

Von der bekannten abgegriffnen Sorte;

Dann blättert' er in seinen Briefen schon

Und ging hinaus, doch gab er an der Pforte

Ihr einen Kuß; die schönen Lippen preßt' er,

Als wär die junge Frau 'ne ältre Schwester.


70.

Er war ein kalter, guter, braver Mann,

Stolz auf sein Blut und stolz nach allen Seiten,

Der rechte Geist für einen Reichsdivan,

Ein Wuchs um Königen voran zu schreiten,

Hoch, stattlich, ganz geschaffen, um voran

Zu gehn, mit Stern und Band, bei Festlichkeiten,

Das Muster eines wahren Kammerherrn,

Und wann ich Fürst bin, nehm' ich solche gern.


71.

Nur war's, als ob dem Ganzen etwas fehle,

Ich weiß nicht, was es war, ich ahn' es nur:

Die Fraun, die guten Seelen, nennen's Seele;

Fleisch war es freilich nicht, denn von Statur

War er so stolz wie Pappeln oder Pfähle,

Ein hübscher Mann, – dies Wunder der Natur, –

Und war in jedem Sturm, in Kampf und Lieben,

Lotrecht im schönsten Gleichgewicht geblieben.
[220]

72.

Doch, wie gesagt, es fehlt' ihm irgendwas,

Das unbeschreibliche Je ne sais quoi,

Das einst den Stoff gab für die Ilias

Und lockte Hellas' Eva Helena

Aus des Spartaners Bett, was doppelt craß

Erscheint, weil König Menelaus ja

Weit besser als der troische Schäfer war;

Indeß ein Weib ist unberechenbar.


73.

Schlimm ist, daß man nicht wie Tiresias

Den Unterschied von Mann und Weib erfährt,

Daß kein Geschlecht dem andern klar macht, was

Es von der Liebe eigentlich begehrt;

Denn auf die Macht der Sinn' ist kein Verlaß,

Das Sentiment schwört, daß es ewig währt;

Aus beiden aber wird 'ne Art Centaur,

Und drauf zu reiten ist entsetzlich sau'r.


74.

Was ihrem Herzen allgenügend wäre,

Begehrt das Weib und sehnt sich stets danach;

Wie aber füllt sie dieses Gliedes Leere?

Das ist die Schwierigkeit, – da ist sie schwach;

Ein Schiffer, hülflos auf pfadlosem Meere,

Treibt vor dem Winde sie dahin und ach,

Wann sie ans Land kommt mit zerstoßnem Schiff,

Dann will ich wetten, ist das Land ein Riff.


75.

Es giebt ein Blümchen »Lieb' im Müßiggang«,

Man seh' in Shakspeare's ewig blüh'ndem Hain.

Ich werde nicht nachzirpen, wo er sang,

Doch seine Brittische Gottheit wird verzeihn,

Wenn mich die ärgste Not des Reimes zwang

Aus seinem Hag ein einzig Blatt zu leihn.

Ich ruf', obwohl dies Kraut von andrer Branche,

Mit Rousseau hier mein »Voilà la Pervenche!«
[221]

76.

Eureka! Ja, das ist's! Ich hab's gefunden!

Ich meine nicht, daß Liebe Müßiggang ist,

Wohl aber, daß die Muße freier Stunden

Beim Lieben ein Moment vom ersten Rang ist.

Bei Zwangsarbeit kann Liebe nicht gefunden,

Und daß in der Geschäftswelt wenig Drang ist

Zum Lieben, weiß man, seit das Frachtschiff »Argo«

Medea trug als seinen Supercargo.


77.

»Beatus ille procul« von »negotiis«,

Wie uns der kleine große Flaccus lehrt;

Er irrt. Sein Ausspruch »Noscitur a sociis«

Ist schon weit eher der Beachtung wert,

Obwohl ein guter Umgang doch gewiß

Nicht schadet wenn er nicht zu lange währt,

Und jedenfalls bestreit' ich das Citat, –

Dreimal beglückt ist, wer Beschäft'gung hat!


78.

Adam vertauschte Eden mit dem Pfluge,

Und Eva machte Putz vom Laub der Feigen, –

Die erste Kenntniß, die der Baum, der kluge,

Verlieh, (soweit die Kirchenlehrer zeigen.)

Und seit der Zeit sag' ich mit gutem Fuge,

Kömmt vieles Leiden, das dem Menschen eigen,

Daher, daß wir nicht ein'ge Stunden wachen,

Um andre des Genießens wert zu machen.


79.

Dies macht des Reichen üppigen Genuß

Zur öden Wüst', in welcher man nach Dingen,

Um sich zu ärgern, förmlich suchen muß.

Der Dichter mag Zufriedenheit besingen,

Verdolmetscht heißt es doch nur Ueberdruß;

Daraus entsteht Herzübel, da entspringen

Vapeurs, Blaustrümpfe und Roman' im Leben,

Die wir wie ein Ballet zum besten geben.
[222]

80.

Romane las ich, aber, Leser, wisse,

Sie sind nichts gegen die, so ich gesehn;

Wenn ich sie der Vergessenheit entrisse,

Du glaubtest nie, daß so was je geschehn;

Indeß ich denke nicht daran; gewisse

Wahrheiten müssen hinterm Wandschirm stehn,

Zumal, wenn sie aussehn wie eine Lüge;

Ich gebe drum nur allgemeine Züge.


81.

»Vielleicht hat eine Auster Liebesleid.«

Warum? sie brütet dumpf im engen Hause

Und seufzt in ungesell'ger Dunkelheit,

So ziemlich wie ein Mönch in seiner Klause.

Ad vocem Mönch, – der Mönche Frömmigkeit

Fand auch, daß mit der Faulheit schlecht sich's hause,

Denn dieses Kraut, das Rom gezogen hat,

Schießt gar zu leicht gewaltig in die Saat.


82.

O Wilberforce! du Mann der schwarzen Ehre,

Den Lied und Rede nie genugsam preist,

Du trafst den einen Riesen mit dem Speere,

Washington Afrika's! indeß du weißt,

Es giebt auf unsrer alten Hemisphäre

Noch allerlei zu thun für deinen Geist:

Feg' auch einmal den andern Erdtheil rein;

Der Schwarz' ist frei, – nun sperr' die Weißen ein.


83.

Sperr' ein den kahlen Raufbold Alexander!

Verschiff' die »heil'gen Drei« gen Senegal

Und frag' sie, wie es schmeckt, so miteinander

Zu frohnden, und die Prügelsupp' als Mahl?

Sperr' ein die tapfre Brut der Salamander,

Die gratis Feuer schluckt, (denn Sold ist schmal,)

Sperr' ein – nein, George nicht, nur sein Schloß in Brigthon,

Sonst kann das Land die Kosten nicht bestreiten.
[223]

84.

Sperr' ein die Freien, laß die Tollen frei,

Und glaub' mir, alles ginge just wie heute;

Du würdest sehn, es ist ganz einerlei,

Ob Narren oder eure »klugen Leute«.

Die Menschheit würd' einsehn, daß dem so sei,

Wenn sie sich eines Fünkchens Witz erfreute,

Doch dieser Stützpunkt fehlt, und Archimed

Läßt demgemäß die Welt stehn, wie sie steht.


85.

In einem Punkte fehlt' es Adelinen:

Ihr Herz stand leer, obwohl ein prächtig Haus;

Der rechte Mietsmann war noch nicht erschienen,

Und ihr Betragen blieb correct durchaus.

Ein schwankend Herz sinkt leichter in Ruinen,

Weil schwächer, als ein Herz soliden Bau's,

Wenn aber solch eins selbst sich untergräbt,

Dann kracht es auch, als ob die Erde bebt.


86.

Sie liebte oder glaubt' Henry zu lieben,

Doch diese Liebe kostet' ihr Entschluß,

Und sein Gefühl mühsam bergan zu schieben,

Das ist recht hart, – der Stein des Sysiphus.

Sie lebte friedlich, ihre Tage blieben

Von Zwietracht frei und ehlichem Verdruß;

Sie hatt' ein Haus, das für ein Muster galt,

Vornehm und still und ehelich und kalt.


87.

An Alter waren sie nicht sehr verschieden,

Nur von Natur. Doch ohne Krach und Stoß,

Wie Doppelsterne kreisten sie in Frieden,

Gleich wie die Rhon' in des Lemanus Schooß

Sich mit dem See vereint und doch geschieden

Dahinwallt, dunkelblau, und ruhelos

Durch die krystallne stille Tiefe rinnt,

Die gern in Schlaf einsäng' ihr Wogenkind.
[224]

88.

Wenn einmal etwas Eindruck auf sie machte,

So schmeichelte sie sich und glaubt' es ehrlich,

Daß sie nur immer nach dem Edlen trachte,

(Dergleichen edles Trachten ist gefährlich;)

Der Eindruck war doch stärker, als sie dachte,

Und stieg, wie Wasser steigt, und schwoll begehrlich

In ihrer Brust, und da die Brust nur schwer

Den Eindruck aufnahm, wirkt' er desto mehr.


89.

Dann aber spukt' in ihr der böse Geist,

Der zwiefach von Natur ist wie von Namen,

Der bei Hero'n und Fürsten Stärke heißt,

(Im Fall des Siegs,) jedoch bei Herrn und Damen

Als tadelnswerter Starrsinn sich erweist,

Sobald der Stern erbleicht, die Sieg' erlahmen.

Ein schwer Problem, die Grenzen dieser schlimmen

Mislichen Tugend richtig zu bestimmen.


90.

Hätte Napoleon Wellington geschlagen,

So hieße »fest«, was jetzt »starrköpfig« ist.

Entscheidet nur Erfolg in solchen Fragen?

Ihr klugen Leute, die ihr alles wißt,

Was ist hier wahr und falsch? ihr mögt es sagen,

Wenn Menschenwitz dergleichen Ding' ermißt.

Mein Thema ist jetzt nur Frau Adeline,

In ihrer Art auch eine Heroine.


91.

Sie kannte nicht ihr eignes Herz, – ich gar nicht.

Daß sie Juan schon liebte, glaub' ich nicht;

Sonst fehlt' es ihr an Energie fürwahr nicht,

Den Rausch zu fliehn. Sie that nur ihre Pflicht,

Sie fühlte bloß, (ob wahrhaft, weiß ich zwar nicht,)

Mitleid mit ihm, dem armen jungen Wicht,

Weil er, wie sie vermutet', in Gefahr

Und Henry's Freund, ihr Freund und Fremdling war.
[225]

92.

Es schien nur Freundschaft, ohne Schaugerüst

Von Poesie, platonischen Ideen;

Es war nicht das verfängliche Gelüst,

Wie sie die Freundschaft in Paris verstehn

Und Deutschland, wo man sich unschuldig küßt:

So weit mocht' Adeline zwar nicht gehn,

Der Freundschaft aber, die Mann Manne weihn kann,

War sie so fähig, wie ein Weib nur sein kann.


93.

Wohl hatte des Geschlechts geheime Kraft,

Wie bei des Blutes Banden, so auch dort

In aller Unschuld Einfluß sich verschafft

Und stimmt' ihr Herz zu feinerem Accord.

Wenn sie durchaus frei ist von Leidenschaft,

(Denn sonst geht Freundschaft sicher über Bord,)

So ist ein Weib der beste Freund, den's giebt,

Falls ihr sie nicht geliebt habt oder liebt.


94.

Die Liebe trägt in ihrem eignen Schooß

Des Wechsels Keim. Wie könnt' es anders sein?

Denn alles Heft'ge endet bald; – dies Loos

Ist allen Dingen dieser Welt gemein,

Und just der ärgste Sturm wär' wandellos?

Wollt ihr am Himmel ew'gen Wetterschein?

Der Name schon verrät des Wechsels Nähe,

»Die zarte Leidenschaft« – wie wär' sie zähe.


95.

Kein Liebender, der nicht – so viel ich sehe,

So viel ich hörte, mein' ich, – der nicht fände,

Daß diese Leidensschaft nichts ist als Wehe,

(Denkt nur an Salomo's betrübtes Ende,)

Und Frauen selbst im heil'gen Stand der Ehe,

Dem besten oder schlimmsten aller Stände, –

Ich kenne Fraun, die wir als Muster achten,

Die mindestens zwei Leben elend machten.
[226]

96.

Auch kannt' ich Freundinnen, (seltsam, doch wahr!

Würdet ihr rufen, wenn ich's euch beschriebe,)

Die nah und fern, in Jammer und Gefahr

Viel treuer waren als die treuste Liebe,

Die mich nicht flohn, als ich zertreten war,

Nicht fürchteten des Hasses Pfeil' und Hiebe,

Und für mich eiferten und jetzt noch eifern,

So sehr die Nattern der »Gesellschaft« geifern.


97.

Ob Adeline in diesem Sinne bloß

Juan befreundet war, darüber gebe

Ich später Auskunft; jetzt lass' ich euch los,

Und bis ich meinen Vorhang wieder hebe,

Lass' ich sie zappeln. Der Effect ist groß

Und hält den grimmen Leser in der Schwebe, –

Der beste Köder für Gedicht' und Damen

An ihren zarten oder harten Hamen.


98.

Ob sie spazieren ritten, Spanisch trieben

Und Don Quixote in der Urschrift lasen,

(Dies war mein Hochgenuß und ist's geblieben,)

Ob sie wie Philosophen oder Basen

Sich unterhielten, – dieses steht geschrieben

Im nächsten Buch. Da werd' ich nicht mehr spaßen,

Vielmehr mich manchmal an die Sache halten

Und viel Talent auf meine Art entfalten.


99.

Vor allen Dingen rat' ich Jedermann,

Daß er die Zukunft nicht anticipire,

Weil er sich ganz gewaltig irren kann,

Wenn er erraten will, was nun passire.

Jetzt nämlich schlag' ich ernstre Saiten an

In dieser meiner epischen Satire.

Kömmt er zu Fall? kömmt sie zu Fall? Wer weiß!

Doch wenn sie's thun, so geb' ich beide Preis.
[227]

100.

Indessen große Ding' entstehn aus kleinen.

Glaubt ihr es wohl, daß einst ein Herzensbrand,

So schlimm wie er nur jemals unser einen

Ins Unheil bracht', aus einem Keim entstand,

So winzig klein, es würd' unglaublich scheinen,

Hätt' ich den Fall nicht selbst genau gekannt:

Ihr ratet's nicht, böt' ich euch noch so viel, –

Den Anlaß gab ein harmlos Billardspiel.


101.

Seltsam, doch wahr! Wahrheit ist seltsam, mehr

Als Dichtung ist, und könnte man sie sagen,

So änderten sich die Romane sehr,

Die Tugend würd' oft Tracht des Lasters tragen,

Und anders säh' die Welt aus als bisher;

Die alte Welt würd' eure neue schlagen,

Wenn ein Columbus der Moral uns diese

Kehrseite unsrer Seelen einmal wiese.


102.

Welch »tiefe Schlünd' und öde Wüstenein«

Entdeckte man im Menschenbusen wohl!

Im Herzen großer Männer welche Reihn

Eisberge um der Selbstsucht kalten Pol!

Wie mancher würd' ein Menschenfresser sein,

Der Völkerglück beherscht und Staatenwohl!

Wenn alle Ding' ihr richtig Wort bekämen,

So würde Cäsar selbst des Ruhms sich schämen.

Quelle:
Lord Byrons Werke. Berlin 1877, Band 6, S. 198-199,203-228.
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