6. Szene.

[38] König, Gefolge, Astolf, Estrella, Hofdamen, Soldaten.


ESTRELLA den König begrüßend.

Du, gleich Thales,

ASTOLF ebenso.

gleich Eukliden,

ESTRELLA.

der den Sonnen,[38]

ASTOLF.

der den Sternen,

ESTRELLA.

stark als Herrscher,

ASTOLF.

mild im Frieden,

ESTRELLA.

Licht und Strahlen,

ASTOLF.

Bahn und Fernen

ESTRELLA.

hat gemessen,

ASTOLF.

hat beschieden,

ESTRELLA.

laß mit innigem Erwarmen,

ASTOLF.

laß mit zärtlichem Umarmen

ESTRELLA.

mich an dir als Efeu hangen.[39]

ASTOLF.

Deine Füße mich umfangen.

BASILIUS.

Kinder, naht euch meinen Armen!

Und weil ihr mit treuem Streben

euch beeifert, gern und willig

meinem Wunsche nachzuleben,

werd ich, gegen beide billig,

keinem Grund zur Klage geben.

Und so, da ich schon der Jahre

überläst'gen Druck erfahre,

bitt ich nur um Schweigen hier;

denn bestaunen werdet ihr,

was ich jetzt euch offenbare.

Kund ist euch – seid aufmerksam,

vielgeliebte Schwesterkinder,

sehr erlauchter Hof von Polen,

Vettern, Freunde, Lehendiener –

kund ist euch, daß ich den Namen

des Gelehrten durch mein Wissen

in der Welt mir hab erworben,

da, die Macht der Zeit besiegend,

mich die Pinsel der Timanthe,

mich die Marmor der Lysippe

längst schon auf dem Erdenrunde

als Basil den Großen priesen.

Kund ist euch, ich treib und schätze

über alles andre Wissen

höhere Mathematik,[41]

durch die ich der Zeit entwinde,

durch die ich dem Ruf entreiße

das Geschäft und Amt, hienieden

jeden Tag uns mehr zu lehren;

denn wann in den Hieroglyphen

meiner Tafeln ich der Zukunft

Wandlungen vor mir erblicke,

raub ich leicht der Zeit den Vorzug,

was ich sagte zu berichten.

Jene Kreise dort von Schnee,

die kristallnen Baldachine,

von der Sonne Strahl erleuchtet,

durch des Mondes Bahn geschieden,

jene diamantnen Kugeln,

jene gläsernen Bezirke,

ausgeschmückt mit goldnen Sternen

und durchstreift von Himmelsbildern,

sie sind meiner Lebenszeit

größtes Forschen, Bücher sind sie,

wo auf diamantne Blätter

und auf Bogen von Saphiren

mit bestimmten Charakteren

unsre Schickungen der Himmel

niederschreibt in goldnen Zeilen,

so die günst'gen als die schlimmen.

Diese les ich also rasch,

daß ich ihrem schnellen Fliegen

durch all ihre Weg und Bahnen

folge mit des Geistes Blicken.

Wenn's dem Himmel doch gefallen,[42]

eh mein Scharfsinn seinen Schriften

mußt als Kommentar und seinen

Blättern als Register dienen,

daß mein Leben seines Zornes

ersten Anfall hätt erlitten,

und daß dort geschrieben ständen

meines Lebens Trauerspiele!

Denn dem Unglücksel'gen werden

ja zum Messer selbst Verdienste;

und sein eigner Mörder ist,

wer sich schadet durch sein Wissen.

Ich kann's sagen, und noch besser

sagt es euch, was ich erlitten,

welches staunend zu vernehmen,

ich nochmals um Schweigen bitte.

Clorilene, meine Gattin,

kam mit einem Sohne nieder,

des Geburt an Wunderzeichen

zu erschöpfen schien den Himmel.

Noch bevor ihn das lebend'ge

Grab des Leibes an des Lichtes

Klarheit übergab (denn gleich

sind Geburt und Tod hienieden),

sah unzählig oft die Mutter

in des Traumes aberwitz'gen

Phantasien, ein Ungeheuer

menschlicher Gestalt mit wilder

Kühnheit ihren Schoß durchbrechen

und, als menschgewordne Viper

des Jahrhunderts, mit der Mutter[43]

Blut gefärbt, den Tod ihr bringen.

Wohl erfüllten sich die Zeichen

an dem Tage des Entbindens;

denn die böse Vorbedeutung

lüget selten oder nimmer.

Dieses war sein Horoskop,

daß die Sonne, blutigtriefend,

einen Zweikampf mit dem Mond

unternahm im höchsten Grimme;

und getrennt durch unsern Erdball,

kämpften diese zwei Gestirne,

da sie nicht sich fassen konnten,

mit der vollen Kraft des Lichtes.

Keine größere Verfinstrung

hat die Sonne je erlitten,

keine schauderhaftre, seit

sie mit Blut beweint des Mittlers

grausen Tod. Lebend'ge Flammen

strömten auf die Erde nieder,

welche zagte, daß den letzten

Todeskrampf sie schon erlitte.

Es erbebten die Gebäude,

düstre Nacht umfing die Himmel,

Steine regneten die Wolken,

blutig sah man Ströme fließen.

Während so die Sonn in grausen

Krämpfen lag, im Wahnsinnsfieber,

ward geboren Sigismund,

der, zum Zeichen seines Sinnes,

tötete sogleich die Mutter,[44]

sagend durch die Tat des Grimmes:

Ich bin Mensch; deshalb, für Gutes

Böses zu verleihn, beginn ich.

Meine Wissenschaft befragend,

sah ich klar aus allem diesen,

der verwegenste der Menschen

sei in Sigismund erschienen,

der grausamste der Monarchen,

der Despoten freventlichster,

und durch ihn werd einst sein Reich,

uneins, von Partein zerrissen,

zur Akademie der Laster,

zur Verräterschule dienen;

ja, er werde, zwischen Greueln

und Verbrechen, wutgetrieben,

auf mich setzen seinen Fuß,

und ich werde mich erblicken

(ha, mit welcher Scham erzähl ich's!),

überwunden vor ihm knieend,

also, daß mein graues Haar

seinem Fuß zum Teppich diene.

Wer nicht glaubt gar leicht Gefahren,

die zumal, die höhres Wissen

ihm entdeckt, wo sich ins Spiel

Eigenliebe pflegt zu mischen?

Ich nun, trauend jener harten

Prophezeiung des Geschickes,

die so gräßliche Gefahren

mir wahrsagerisch berichtet,

ich beschloß, das kaum geborne[45]

Ungeheuer einzuschließen,

um zu sehen, ob ein Weiser

nicht den Sternen mag gebieten.

Man verbreitete, der Prinz sei

tot geboren. Schon errichtet

war ein Turm, aus weiser Vorsicht,

in den Felsen, in den Klippen

des Gebirges, wo die Sonne

selber kaum den Zugang findet,

weil ihr jeden Weg versperren

seine rauhen Obelisken.

Jene harten Strafgesetze,

welche bei der fürchterlichsten

Ahndung jedem untersagen,

zu betreten des Gebirges

abgeschloßne Gegend, gründen

sich auf das, was ich berichtet.

Dort lebt Sigismund sein Leben,

elend, arm, in Kerkerstiefen,

wo ihn keiner als Clotald

jemals sprach, umgab, erblickte.

Seines Elends einz'ger Zeuge,

hat in Wissenschaften dieser

und in des kathol'schen Glaubens

heil'ger Lehr ihn unterrichtet. –

Dreierlei sei hier bedacht:

Erstlich, Polen, warst du immer

mir so teuer, daß ich gern

dich der Herrschaft eines Prinzen,

der Tyrann ist, möcht entreißen;[46]

denn der ist kein Fürst der Milde,

der sein Vaterland, sein Reich

solchem Unheil überließe.

Ferner muß erwogen sein,

ob ich darf, nach Christenliebe,

meinem Blut das Recht entwenden,

das ihm einmal die Gerichte

Gottes und der Menschen gaben;

da doch kein Gesetz gebietet,

daß, um andere der Bedrückung

eines Wütrichs zu entziehen,

ich es selbst sei; und ich wär es,

wenn die Tyrannei des Prinzen,

daß er Frevel nicht begehe,

nun mich selbst zu Freveln triebe.

Endlich überlege man

drittens noch, wie sehr ich irrte,

so leichtgläubig zu vertrauen

den vorausgesehnen Dingen;

denn obwohl sein innrer Hang

zum Verderben ihn bestimmte,

kann er doch ihm widerstehn:

weil die sprödesten Geschicke,

das unbändigste Gelüste,

die feindseligsten Gestirne,

immer nur den Willen lenken,

aber zwingen nicht den Willen.

Und so, zwischen diesen Gründen

schwankend noch und unentschieden,

dacht ich mir ein Mittel aus,[47]

das euch wird zum Staunen bringen.

Morgen laß ich Sigismund

(dieser Nam ist ihm verliehen),

ohne daß er sich als meinen

Sohn und euern König wisse,

meinen Thron und meinen Stuhl,

meinen ganzen Platz besitzen,

wo er euch beherrsch und ordne,

wo ihr alle sollt in tiefer

Demut ihm Gehorsam schwören;

denn ich denke durch dies Mittel

dreierlei, entsprechend jenen

obgedachten drei, zu wirken.

Erstlich: Wenn Prinz Sigismund,

weise, klug, gerecht und milde,

Lügen straft die Prophezeiung,

die ihm schuld gab solche Dinge,

dann sollt euern angestammten

König ihr in ihm besitzen,

der ein Höfling war des Berges

und ein Nachbar wilder Tiere.

Zweitens aber: Sollt er doch,

stolz, verwegen, eigenwillig,

grausam, mit verhängtem Zügel

seiner Laster Bahn durchfliegen,

dann werd ich gewissenhaft

tun, was mir die Pflicht gebietet,

und als unbesiegter König

schnell das Zepter ihm entwinden;

denn die Rückkehr in den Kerker[48]

ist nicht grausam, sondern billig.

Drittens nun: Zeigt sich der Prinz

wirklich so verkehrtes Sinnes,

dann, Vasallen, werd ich andre

Herrscher euch verleihn, aus Liebe,

würdiger des Throns und Zepters,

nämlich meine Schwesterkinder,

die, wenn ihrer beider Rechte

erst zu einem sich verbinden

durch das heil'ge Band der Ehe,

dann empfahn, was sie verdienen.

Dieses nun, als Fürst, befehl ich,

dieses nun, als Vater, will ich,

dieses nun, als Weiser, rat ich,

dieses nun, als Greis, bestimm ich;

und wenn Spaniens Seneca

sagt, ein König sei der niedre

Sklave seiner Republik,

will ich dies, als Sklav, erbitten.

ASTOLF.

Wenn die Antwort mir gebührt

als dem, der bei diesen Dingen

wohl am meisten ist beteiligt,

fordr ich hier im Namen dieser

Sigismunds Erscheinung; gnug ist's,

daß wir deinen Sohn ihn wissen.

ALLE.

Unsern Prinzen gib uns her!

Er sei König und Gebieter![50]

BASILIUS.

Dank und Achtung heischt, Vasallen,

dieser eu'r geneigter Wille.

Führet nun die beiden Stützen

meines Reichs nach ihren Zimmern;

morgen werdet ihr ihn sehn.

ALLE.

Lebe, großer Fürst Basilius!


Alle, bis auf den König, gehen ab, Estrella und Astolf begleitend.


Quelle:
Calderon de la Barca, Pedro: Das Leben ein Traum. Leipzig 1964, S. 38-51.
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