Liebes-Brief an seine Maitresse.

Ich schreibe / schönstes Kind / von Fleisch und Blut getrieben /

Vergib / wo dieser Brief zu frey gerahten ist!

Es heisset die Natur uns alle beyde lieben /

Ich weis / daß du mit mir von gleicher Regung bist.

Du darffst darüber dir gar kein Gewissen nehmen /

Was bildest du dir mehr als ander Menschen ein?

Weswegen wilt du dich vor deinem Schatten schämen?

Wie lange wilt du selbst auf dich tyrannisch seyn?

Du weist es Grausahmste / daß ich als Sclave lebe /

und gleichwol legst du mir erst schwere Ketten an /

Was soll die Jungfrauschafft / das leichte Spinn-Gewebe /

Das Ding / das jeder sucht / und niemand finden kan?

Laß deine Rosen bald im ersten Frühling pflücken /

Gedencke / daß sie nicht auf kaltem Eise blühn /

Die Liebe wil sich nicht zum spähten Alter schicken /

Es pflegt ihr nackend Kind im Winter weg zu ziehn.

Das Closter glaub es mir hat allzustrenge Lehren /

Dis ist kein Leben nicht / das mich und dich vergnügt /

[21] Die Schönheit wird veracht / die keiner darf verehren / Sie ist ein Götzen Bild / das in den Winckeln liegt.

Weswegen zeigst du mir die rundgewölbten Brüste?

Sie laden meinen Mund / und meine Finger ein /

Warum erhitzt du mich / und reitzest meine Lüste?

Wer kan ein Tantalus bey solchen Aepffeln seyn?

Wie offt betracht ich nicht die wunder schönen Gaben /

Und dencke bey mir selbst / dis siehet alle Welt /

Was muß nicht dieses Kind vor andre Sachen haben /

Die sie nicht zeigen will / und mir verborgen hält?

Du wirst dis Heiligthum doch ewig nicht verstecken /

Sonst geht die Süßigkeit mit deiner Jugend hin /

Und bist du es gesinnt vor einem auffzudecken /

So glaub ich / daß ich hier der allernächste bin.

Du darffst die Jungferschafft nicht mit zu Grabe tragen /

Ihr seyd von unserm Fleisch / und unserm Bein gemacht /

Doch solt es deine Schaam bey Tage mir versagen / So gönne mir die Lust bey Schatten reicher Nacht.

Ich will mein Paradieß auch nicht im finstern fehlen /

Der angenehme Weg ist mir nicht unbekannt /

Indessen solt ich nicht die rechte Strasse wählen /

So sey du Führerin / ich folge deiner Hand.


Quelle:
Celanders Verliebte-, Galante / Sinn-, Vermischte und Grab-Gedichte. Hamburg und Leipzig 1716, S. 21-23.
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