Dreizehntes Kapitel.

[203] Was dem Don Quixote mit einer schönen Jägerin begegnete.


Außerordentlich melancholisch und übel gelaunt gingen Ritter und Stallmeister zu ihren Tieren, vorzüglich Sancho, den es in der Seele schmerzte, so tief in den Beutel zu greifen; denn jedes, was er daraus hergab, war ihm, als wenn er es aus seinen Eingeweiden hergeben müßte. Endlich, ohne ein Wort zu sprechen, stiegen sie auf und entfernten sich von dem berühmten Flusse, Don Quixote in Gedanken seiner Liebe versenkt und Sancho in denen seines Reicherwerdens, welches ihm jetzt noch ziemlich weit entfernt schien; denn ob er gleich albern war, so sah er doch wohl ein, daß alle oder doch die meisten Handlungen seines Herrn unsinnig waren. Er erwartete daher eine Gelegenheit, sich von ihm zu trennen und nach Hause zu gehen, ohne sich mit ihm in Berechnungen und Abschiednehmen einzulassen; aber das Glück fügte die Dinge ganz anders, als er es fürchtete.

Es geschah nämlich am andern Tage, als die Sonne unterging und sie aus einem Walde herauskamen, daß Don Quixote, indem er seinen Blick über eine grüne Wiese warf, am andern Ende derselben Leute wahr nahm und, als er näher kam, sie für Jäger von einer Falkenjagd erkannte. Er ritt näher hinzu und erblickte unter ihnen eine prächtige Dame auf einem glänzend weißen Zelter, der mit grünen Verzierungen geschmückt war und einen Saumsattel trug, mit Silber ausgelegt. Die Dame war ebenfalls grün gekleidet, und ihr Kleid war so prächtig und reich, daß sie in sich die Pracht selber darstellte. Auf der linken Hand trug sie einen Falken, woraus Don Quixote erkannte, daß sie eine vornehme Dame sei, der alle jene Jäger zugehören müßten, wie es sich auch in der Tat verhielt. Er sagte daher zu Sancho: »Eile dich, Sohn Sancho, und sage jener Dame mit dem Zelter und dem Falken, daß ich, der Ritter von den Löwen, ihrer hohen Schönheit die Hand küsse und daß, wenn mir ihre Hoheit die Erlaubnis gibt, ich sie ihr küssen will und ihr alle meine Dienste widmen, soviel meine Kräfte vermögen und Ihro Durchlaucht mir gebieten wollen. Und denke darauf, Sancho, wie du sprichst; nimm dich in acht, nicht eins von deinen Sprichwörtern in diese Gesandtschaft einzumengen.«

»Bin ich denn wohl ein solcher Dreinmenger?« antwortete Sancho; »ich, und dergleichen? Ei ja! Das ist ja nicht das erstemal in meinem Leben, daß ich hohen und ausgebündeten Damen Botschaften überbracht habe.«

»Außer derjenigen, welche du der Dame Dulcinea überbrachtest«, versetzte Don Quixote, »wüßte ich keine andere, die du ausgerichtet hättest, wenigstens nicht in meinen Diensten.«

»Das ist wahr«, antwortete Sancho, »aber der gute Bezahler läßt sich das Pfand nicht gereuen, und im versorgten Hause bereitet man sich bald zum Schmause. Ich meine, daß man mir nur ein einziges Wort zu sagen braucht; denn von allem hab ich etwas und verstehe von allem ein wenig.«

»Ich glaube dir, Sancho«, sagte Don Quixote, »sei glücklich, und Gott geleite dich.«

Sancho entfernte sich im schnellsten Trabe, indem er den Grauen aus seinem gewöhnlichen Schritte trieb, und gelangte zu der schönen Jägerin, wo er abstieg, sich vor ihr auf die Knie warf und sagte: »Schöne Dame, jener Ritter, den Ihr dort seht, ist der Ritter von den Löwen und mein Herr; und ich bin sein Stallmeister, den man in seinem Hause Sancho Pansa nennt. Dieser Ritter von den Löwen – der noch vor kurzem der von der traurigen Gestalt hieß – schickt mich, um Euer Hoheit zu sagen, daß Ihr erlauben mögt, mit Eurem gnädigen Willen, Bewilligung und Einwilligung, daß er seinen Vorsatz ins Werk richten dürfe, welcher in nichts anderm besteht, wie er sagt und ich es ihm glaube, als Eurer hochfliegenden Hoheit und Schönheit zu dienen, und wenn Ihr ihm die Erlaubnis gebt, werdet Ihr Euch selbst zum Besten handeln, und er wird die allerfröhlichste Gunst und Freude darüber empfinden.«

»Wahrlich, wackerer Stallmeister«, antwortete die Dame, »Ihr habt Eure Gesandtschaft mit allen denjenigen Umständlichkeiten abgelegt, die dergleichen Gesandtschaften erfordern. Erhebt Euch vom Boden; denn der Stallmeister eines so berühmten Ritters, wie der von der traurigen Gestalt ist, von dem wir schon viele Kenntnis hier haben, darf nicht auf den Knien liegen. Steht auf, mein Freund, und sagt Eurem Gebieter, daß er es sich gefallen lassen möge, meine und des Herzogs, meines Gemahls, Dienste anzunehmen, in einem Landhause, welches wir hier in der Nähe besitzen.«

Sancho stand auf, in Bewunderung sowohl über die Schönheit der edlen Dame wie über ihre Herablassung und Höflichkeit, noch mehr aber darüber, daß sie von seinem Herrn, dem Ritter von der traurigen Gestalt, schon wußte; daß sie ihn nicht den von den Löwen genannt hatte, müsse, wie er meinte, daher rühren, daß er diesen Namen erst kürzlich angenommen. Die Herzogin – deren Herrschaft auch jetzt noch unbekannt ist – fragte ihn: »Sagt mir doch, lieber Stallmeister, ist Euer Herr nicht derselbe, von welchem es eine gedruckte Historie gibt, die den Titel führt: ›Der scharfsinnige Edle Don Quixote von la Mancha‹, der zur Gebieterin seines Herzens eine Dulcinea von Toboso hat?«

»Es ist derselbe, gnädige Dame«, antwortete Sancho, »und sein Stallmeister, der sich auch in der Historie befindet oder befinden sollte und der Sancho Pansa heißt, der bin ich, wenn sie mich nicht in der Wiege, ich meine in der Druckerei, umgetauscht haben.«

»Alles dieses ist mir unendlich lieb«, sagte die Herzogin. »Geht, Freund Pansa, und sagt Eurem Herrn, daß er mir in meinem Gebiete sehr erwünscht und willkommen ist und daß mir nichts hätte begegnen können, was mir mehr Freude verursacht hätte.«[207]

Mit dieser angenehmen Antwort kehrte Sancho äußerst vergnügt zu seinem Herrn zurück, welchem er alles erzählte, was die vornehme Dame gesprochen hatte, indem er mit seinen bäuerischen Ausdrücken ihre große Schönheit, Artigkeit und Höflichkeit bis zum Himmel erhob. Don Quixote rüstete sich im Sattel, setzte sich in den Steigbügeln fest, zog das Visier auf und trieb den Rozinante an. So kam er mit würdigem Anstande herbei, der Herzogin die Hand zu küssen, die indessen ihren Gemahl, den Herzog, hatte rufen lassen, dem sie, während Don Quixote näher kam, seine Abgesandtschaft erzählte; und da beide den ersten Teil dieser Historie gelesen hatten und daraus die wunderliche Sinnesart des Don Quixote kannten, so erwarteten sie ihn mit dem größten Vergnügen und der heftigsten Neugier, indem sie sich vornahmen, seiner Laune zu folgen und in allem, was er sagen würde, mit ihm übereinzustimmen, ihn, solange er bei ihnen bliebe, ganz wie einen irrenden Ritter zu behandeln, mit allen jenen Zeremonien, die in den Ritterbüchern gebräuchlich sind, welche sie gelesen hatten und überdies sehr liebten.

Don Quixote kam jetzt mit erhobenem Visier herbei, und da er Miene machte abzusteigen, eilte Sancho hinzu, ihm den Steigbügel zu halten, er war aber so unglücklich, daß, indem er vom Grauen stieg, er sich mit dem Fuße in einem Seile des Sattels so verwickelte, daß es ihm nicht möglich war, herunterzukommen, sondern er blieb aufgehängt, mit Mund und Brust die Erde berührend. Don Quixote, der es gewohnt war, nicht anders abzusteigen, als indem man ihm den Steigbügel hielt, glaubte, daß Sancho schon dastände, ihn zu halten; er schwang sich also seitwärts und nahm den Sattel des Rozinante mit sich, der vermutlich nicht festgeschnallt war, und der Sattel und er fielen zu Boden, worüber er sich sehr schämte und heimlich viele Verwünschungen gegen den armen Sancho ausstieß, der indessen auch noch mit dem Fuße in seiner Schleife hing. Der Herzog befahl seinen Jägern, dem Ritter und Stallmeister zu Hülfe zu kommen, die Don Quixote aufhoben, der vom Falle übel zugerichtet war und sich hinkend, und so gut er konnte, herbeimachte, um vor den beiden Herrschaften die Knie zu beugen. Der Herzog erlaubte dies aber auf keine Weise, sondern er stieg vielmehr von seinem Pferde ab und umarmte Don Quixote, indem er sagte: »Es tut mir leid, Herr Ritter von der traurigen Gestalt, daß die erste, die Euer Gnaden auf meinem Gebiete dargestellt hat, eine so üble hat sein müssen, wie wir gesehen haben; aber die Nachlässigkeit der Stallmeister pflegt noch wohl andere schlimmere Zufälle herbeizuführen.«

»Derjenige, der mich betroffen, Euch zu sehen, o erlauchtester Fürst«, antwortete Don Quixote, »kann unmöglich ein schlimmer sein, und wenn sich mein Fall selbst bis in den Abgrund der Hölle erstreckt hätte, denn auch von dort hätte mich die Glorie erhoben und gerettet, Euch gesehen zu haben. Mein Stallmeister, welchen Gott verwünschen möge, weiß besser, seine Zunge zu lösen, um Bosheiten zu sagen, als einen Sattel festzumachen und auf die rechte Art zu schnallen; aber wie ich mich auch immer befinden möge, gefallen oder aufgestanden, zu Fuß oder zu Pferde, werde ich immerdar zu Euren Diensten sein, wie zu denen meiner gnädigen Herzogin, Eurer würdigen Gefährtin und der würdigen Herrin der Schönheit und erhabensten Fürstin aller Artigkeit.«

»Gemach, mein Herr Don Quixote von la Mancha«, sagte der Herzog; »denn solange meine gnädige Doña Dulcinea von Toboso lebt, ist es nicht ratsam, andere Schönheiten zu erheben.«

Sancho Pansa war indessen aus seiner Schleife losgemacht und hatte sich auch herbeigefunden und sagte, ehe noch sein Herr antworten konnte: »Es ist nicht zu leugnen, sondern man muß es zugeben, daß meine gnädige Dulcinea von Toboso schön ist; aber wo man's am wenigsten denkt, springt der Hase auf. Denn ich habe sagen hören, daß das, was man die Natur nennt, ebenso ist wie ein Töpfer, der Gefäße aus Ton macht; der ein schönes Gefäß macht, kann auch zwei machen und drei und hundert. Dies sag ich nur, weil meine gnädige Herzogin wahrhaftig nicht meiner Gebieterin, der Dame Dulcinea von Toboso, in der Schönheit etwas schuldig bleibt.«[208]

Don Quixote wandte sich zur Herzogin und sagte: »Eure Hoheit glaube mir, kein irrender Ritter auf der Welt hat noch einen geschwätzigern Stallmeister gehabt, noch einen, der spaßhafter als der meinige wäre, und er wird mich nicht Lügen strafen, wenn Eure durchlauchtige Magnifizenz geruhen wollten, sich auf einige Tage meine Dienste gefallen zu lassen.«

Worauf die Herzogin antwortete: »Wenn der wackere Sancho spaßhaft ist, so schätze ich ihn um so mehr, denn so ist es ein Zeichen, daß er verständig ist; denn Lustigkeit und Scherze, Herr Don Quixote, wie Ihr selber wissen werdet, stehen groben Sinnen nicht zu Gebot. Wenn also der wackere Sancho lustig und spaßhaft ist, so schließe ich daraus, daß er auch verständig sei.«

»Und ein Schwätzer«, fügte Don Quixote hinzu.

»Um so mehr, um so besser«, sagte der Herzog; »denn viele Scherze lassen sich nicht in wenigen Worten vortragen. Und damit uns über Reden nicht die Zeit vergehe, so komme der große Ritter von der traurigen Gestalt – – –«

»Von den Löwen muß Eure Hoheit sprechen«, sagte Sancho; »denn mit der traurigen Gestalt ist es vorbei. Jetzt werden nichts als Löwen gestallt.«

Der Herzog fuhr fort: »Es komme also der Ritter von den Löwen zu einem meiner Kastelle, welches sich in der Nähe befindet, wo er eine solche Aufnahme finden wird, wie eine so erhabene Person sie verdient und wie ich und die Herzogin alle irrenden Ritter aufzunehmen pflegen, die zu uns kommen.«

Sancho hatte indessen den Sattel des Rozinante aufgelegt und festgeschnallt; Don Quixote stieg auf, so wie der Herzog ein sehr schönes Pferd bestieg, worauf sie die Herzogin zwischen sich nahmen und so nach dem Kastelle ritten. Die Herzogin befahl dem Sancho, neben ihr zu sein, weil sie seine verständigen Reden zu hören ein unendliches Vergnügen fände. Sancho ließ sich nicht lange bitten; er begab sich zwischen die drei und gab in der Unterhaltung den vierten Mann ab, woran sich die Herzogin und der Herzog sehr ergötzten, die es für ein großes Glück hielten, in ihrem Kastell einen solchen irrenden Ritter und verirrten Stallmeister zu beherbergen.

Quelle:
Cervantes Saavedra, Miguel de: Leben und Taten des scharfsinnigen Edlen Don Quixote von la Mancha. Berlin 1966, Band 2, S. 203-205,207-209,211.
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