Sechstes Kapitel.

[486] Was dem Don Quixote mit seinem Stallmeister Sancho begegnete, als er nach seinem Dorfe reiste.


Der besiegte und bedrängte Don Quixote reiste fort, auf der einen Seite ungemein tiefsinnig und auf der andern überaus vergnügt. Seine Traurigkeit rührte von seiner Besiegung her und seine Freude, daß er die Kraft des Sancho erwog, die dieser bei der Auferweckung der Altisidora bewiesen hatte, ob er sich gleich nur mit Mühe überreden konnte, daß das verliebte Mädchen im Ernste tot gewesen sei. Sancho war durchaus nicht vergnügt, sondern er war verdrießlich darüber, daß Altisidora nicht ihr Wort gehalten und ihm die Hemden gegeben hatte, und indem er sich dieses hin und her überlegte, sagte er zu seinem Herrn: »Wahrhaftig, gnädiger Herr, ich bin der unglücklichste Arzt, der auf der Welt gefunden werden kann, denn es gibt Doktoren, die dafür, daß sie den Kranken, den sie gesund machen sollen, umbringen, ihre Bezahlung für ihre Mühe verlangen, die in nichts weiter besteht, als auf ein Zettelchen etliche Arzneien zu schreiben, die sie nicht machen, sondern der Apotheker, und das Geld ist ihnen aus der Tasche geschwatzt; ich aber, dem die fremde Gesundheit Blutstropfen, Fratzen, Zwicke, Nadelstiche und Geißelhiebe kostet, bekomme nicht einen Dreier; ich schwöre aber, daß, wenn ich wieder einen Kranken unter die Hände kriege, man mir die meinigen gewiß schmieren soll, ehe ich ihn kuriere, denn jedes Amt muß[487] seinen Mann ernähren, und ich kann nicht glauben, daß mir der Himmel die Kraft verliehen hat, welche ich besitze, daß ich sie andern für nichts und wieder nichts mitteilen soll.«

»Du hast recht, lieber Sancho«, antwortete Don Quixote, »und Altisidora hat darin sehr übel getan, daß sie dir die versprochenen Hemden nicht gegeben hat, und obgleich deine Kraft gratis data ist, indem sie dich kein Studium gekostet, so sind doch die Martern deiner Person für mehr als Studium anzusehen; ich kann dich versichern, daß, wenn du von mir eine Bezahlung für die Hiebe zur Entzauberung der Dulcinea fordern wolltest, ich sie dir geben würde, daß du zufrieden sein könntest; nur weiß ich nicht, ob die Bezahlung nicht der Wirksamkeit hinderlich sein möchte, und ich wünschte nicht, daß der Lohn der Heilkraft in den Weg träte. Dessenungeachtet wird nichts verloren sein, wenn wir es versuchen; überlege, Sancho, was du fordern willst, und geißele dich sogleich und mache dich selber dann bar bezahlt, denn du hast mein Geld in Verwahrung.«

Bei dieser Anerbietung tat Sancho die Augen und Ohren spannenweit auf und gab in seinem Herzen die Einwilligung, sich von freien Stücken zu geißeln, worauf er zu seinem Herrn sagte: »Nun gut, gnädiger Herr, so will ich Euch denn darin Euern Willen tun, was Ihr von mir verlangt, da es mir Vorteil bringt: denn die Liebe, die ich zu meiner Frau und meinen Kindern trage, macht, daß ich eigennützig scheine. Sagt mir nur, wieviel Ihr mir für jeden Hieb geben wollt, den ich mir zuteile.«

»Wenn ich dir bezahlen sollte, Sancho«, antwortete Don Quixote, »was die Größe und Wichtigkeit dieses Dienstes wert ist, so wären die Schätze Venedigs und die Minen Potosis bei weitem nicht hinreichend, dich zu belohnen; überschlage du, wieviel du von meinem Gelde hast, und bestimme selber den Preis für jeden Hieb.«

»Sie betragen in allem«, antwortete Sancho, »dreitausendunddreihundert; davon habe ich mir fünf gegeben, die andern sind noch zurück; bei so vielen mögen die fünf auch mit unterlaufen, und wir wollen dreitausendunddreihundert rechnen, jeden zu einem Quartillo, denn um weniger kann ich sie nicht lassen, und wenn es auch die ganze Welt so haben wollte, das macht also dreitausendunddreihundert Quartillos, die dreitausend machen tausendundfünfhundert halbe Realen, welche siebenhundertundfunfzig Realen betragen, und die dreihundert machen hundertundfunfzig halbe Realen, das heißt fünfundsiebenzig Realen, diese zu den siebenhundertfunfzig gerechnet, beläuft sich die ganze Summe auf achthundertundfünfundzwanzig Realen. Diese will ich von dem zurückbehalten, was ich von Euch habe, und so komme ich reich und vergnügt zu Hause, zwar tüchtig gegeißelt, aber die Katze kann keine Fische fangen – – – Ihr versteht mich schon.«

»O edelster Sancho! O liebenswürdigster Sancho!« rief Don Quixote aus, »wie verpflichtet werden dir Dulcinea und ich sein, so daß wir dir unser ganzes Leben hindurch, welches uns der Himmel schenkt, dienen müssen. Wenn sie zu ihrem vorigen Zustande gelangt – welches ohne Zweifel geschehen wird –, so wird ihr Unglück zum Glücke und meine Besiegung zum herrlichsten Triumphe werden; denke nur, Sancho, darauf, wann du deine Büßung beginnen willst, und damit du desto eher dazu tust, will ich noch hundert Realen zulegen.«

»Wann?« versetzte Sancho, »ganz gewiß diese Nacht; macht nur, daß wir auf dem Felde unter offenem Himmel bleiben, so soll meine Haut auch offen werden.«

Die Nacht kam heran, welche Don Quixote mit der größten Sehnsucht erwartet hatte, so daß es ihm schien, die Räder am Wagen des Apollo wären zerbrochen und daß der Tag länger währte als gewöhnlich, wie es wohl den Verliebten zu gehen pflegt, deren Rechnung niemals mit ihren Wünschen übereinstimmt. Sie begaben sich endlich unter einige angenehme Bäume, die etwas vom Wege entfernt standen, hier nahmen sie dem Rozinante und dem Grauen die Sättel ab und streckten sich auf den grünen Rasen hin, wo sie von dem Vorrate des Sancho aßen; dieser machte hierauf von dem Stricke und der Halfter des Grauen eine tüchtige und geschmeidige Geißel und entfernte sich damit zwanzig Schritte von seinem Herrn unter einige Buchen. Don Quixote, der ihn so tapfer und mutig sah, sagte zu ihm: »Trachte, mein Freund, daß du dich nicht zu Stücken hauest, laß gemächlich einen Streich auf den andern folgen, übereile dich nicht so sehr in deinem Laufe, daß dir nicht in der Mitte desselben der Atem ausbleibe, ich meine, daß du es nicht so hitzig anfängst, daß du dir das Leben raubst, bevor die bestimmte Anzahl erfüllt ist; und damit du nicht durch eine Karte zuviel oder zuwenig verlierst, will ich die Streiche, die du dir gibst, an meinem Rosenkranz abzählen. Der Himmel stehe dir nun so bei, wie es dein gutes Vorhaben verdient.«

»Den guten Bezahler gereut kein Pfand«, antwortete Sancho, »ich will sie mir so geben, daß sie, ohne mich umzubringen, mir wehe tun, denn darin muß doch wohl das Geheimnis dieses Wunderwerkes bestehen.«

Er entkleidete hierauf die obere Hälfte seines Körpers, schwang den Strick und fing an, sich zu schlagen, und Don Quixote fing an, die Streiche nachzuzählen. Sancho hatte sich ungefähr sieben oder acht gegeben, als der Spaß ihm doch verdrießlich und die Bezahlung dafür zu gering vorkam; er hielt daher ein wenig inne und sagte zu seinem Herrn, daß er sich gröblich geirrt habe, denn jeder Streich könne unbesehen mit einem halben Real und nicht mit einem Quartillo bezahlt werden. »Fahre fort, Freund Sancho, und werde nicht müde«, sagte Don Quixote, »denn ich verdoppele den festgesetzten Preis.«

»Nun denn«, sagte Sancho, »in Gottes Namen, und nun soll es Hiebe regnen.« Aber der Schelm ließ es bleiben, sie sich auf den Rücken zu geben, sondern er schlug gegen die Bäume, wobei er von Zeit zu Zeit solche Seufzer ausstieß, als wenn er mit einem jeden den Geist aufgeben würde. Don Quixote wurde gerührt und glaubte, er könne sich selbst umbringen, so daß durch Sanchos Unvorsichtigkeit das Werk nicht zustande käme, daher sagte er zu ihm: »Fahre, Sancho, jetzt in diesem Geschäfte beileibe nicht fort, denn die Arznei dünkt mir ein wenig gar zu streng, daher ist es gut, sie nicht auf einmal einzunehmen, wurde doch Rom auch nicht in einem Tage gebaut. Wenn ich mich nicht verzählt habe, so hast du dir schon über tausend Streiche gegeben, das ist genug für jetzt, denn man muß, mit den gemeinen Leuten zu sprechen, den Esel wohl beladen, aber nicht überladen.«

»Nein, nein, gnädiger Herr«, antwortete Sancho, »es soll nicht von mir gesagt werden: Das Geld voraus, so wird nichts draus; geht nur wieder fort, daß ich mir noch zum wenigsten tausend Hiebe geben kann, so haben wir das ganze Werk in zwei Portionen fertig, und ich bin dann noch im voraus.«

»Da du in einer so guten Stimmung bist«, sagte Don Quixote, »so stehe dir der Himmel bei, denn ich gehe wieder fort.«

Sancho ging wieder so tapfer an sein Pensum, daß er schon vielen Bäumen die Rinde abgeschlagen hatte: so groß war die Strenge, mit der er sich geißelte; einmal schrie er laut auf, indem er einer Buche einen erschrecklichen Hieb gab: »Hier soll Simson sterben und alle, die mit ihm sind!«

Don Quixote lief auf dieses klägliche Geschrei und auf diesen gewaltigen Geißelhieb hinzu, faßte den geflochtenen Strick, welcher dem Sancho zur Geißel diente, und sagte: »Das Schicksal will nicht, liebster Sancho, daß du meinetwegen dein Leben einbüßen sollst, welches noch zur Erhaltung deiner Frau und deiner Kinder dienen muß. Dulcinea mag auf eine andere Stunde warten, denn ich will mich in die Grenzen der nächsten Hoffnung zurückziehen und darauf harren, daß du neue Kräfte sammeln mögest, damit dieses Werk zur Freude aller geendigt werde.«

»Da Ihr es, gnädiger Herr, so haben wollt«, antwortete Sancho, »so sei es in Gottes Namen, werft mir aber doch den Mantel um die Schultern, ich schwitze und möchte mich nicht erkälten, denn die neuen Disziplinanten sind dieser Gefahr ausgesetzt.«[491]

Don Quixote tat es und deckte, indem er im Wamse blieb, den Sancho zu, welcher schlief, bis ihn die Sonne erweckte, worauf sie sogleich ihren Weg fortsetzten und fürs erste in einem Dorfe haltmachten, welches drei Meilen von dort entfernt war.

Sie stiegen in einem Wirtshause ab, als wofür es Don Quixote erkannte, und nicht für ein Kastell mit seinen Burggraben, Türmen, Fallgattern und Zugbrücken: denn seit er überwunden war, sah er alle Dinge verständiger an, wie sich sogleich zeigen wird. Sie begaben sich in einen Saal unten, dem zu Tapeten alte bemalte Leinwand diente, wie man es in den Dörfern gewöhnlich findet. An einer Stelle war äußerst schlecht der Raub der Helena gemalt, wie der unredliche Gastfreund sie dem Menelaus entführte, und auf einer anderen die Geschichte der Dido und des Aeneas, sie auf einem hohen Turme, wie sie dem entfliehenden Gaste mit einem halben Bettuche nachwinkte, der im Meere auf einer Fregatte oder Brigantine davonsegelte. Zu merken war bei diesen beiden Geschichten, daß Helena nicht ganz gegen ihren Willen mitging, denn sie lachte verstohlen und schelmisch; die schöne Dido aber sah man Tränen vergießen, die ihr so groß wie Nüsse aus den Augen liefen. Als Don Quixote dies sah, sagte er: »Diese beiden Damen sind darin sehr unglücklich gewesen, daß sie nicht in der gegenwärtigen Zeit gelebt haben, und ich über alles unglücklich, daß ich nicht in der ihrigen geboren bin, denn wäre ich nur auf jene Helden getroffen, so wäre Troja nicht verbrannt und Karthago nicht zerstört, denn bloß dadurch, daß ich den Paris umgebracht hätte, wäre alles dies Unglück vermieden worden.«

»Ich will wetten«, sagte Sancho, »es brauchen nicht viele Tage ins Land zu gehen, so wird es keinen Krug, keine Schenke, kein Wirtshaus und keine Barbierbude geben, wo man nicht die Geschichte unsrer Taten gemalt hätte; ich wünsche nur, daß sie von anderen, besseren Malern herrühren mögen, als der dieses gemalt hat.«

»Du hast recht, Sancho«, sagte Don Quixote, »denn dieser Maler gleicht dem Orbaneja, einem Maler zu Ubeda, der, wenn man ihn fragte, was er male, zur Antwort gab: ›Was es wird‹; und wenn er etwa einen Hahn malte, so schrieb er darunter: ›Dieses ist ein Hahn‹, damit es niemand für einen Fuchs ansähe. Von dieser Art scheint mir, Sancho, auch der Maler oder Schriftsteller zu sein – denn beides ist gleichviel –, der die Geschichte dieses neuen Don Quixote, welche herausgekommen ist, ans Licht gestellt hat, er malte oder schrieb, was es nun wurde, oder er ist wie der Poet gewesen, der vor einigen Jahren in der Residenz war und Mauleon hieß, der auf alles, was man ihn fragte, gleich eine Antwort geben wollte und der, als ihn einer fragte, was das sagen wolle ›Deum de Deo‹, antwortete: ›Es komme, wie es gehe!‹ Wir wollen aber dieses fahrenlassen, sage mir, Sancho, denkst du dir künftige Nacht wieder eine solche Portion zuzuteilen, und willst du es lieber unter einem Dache oder unter dem freien Himmel tun?«

»Meiner Seel, gnädiger Herr«, antwortete Sancho, »so wie ich sie mir zu geben denke, kann ich sie mir ebensogut im Hause wie auf dem Felde geben; aber doch möchte ich lieber, daß es unter Bäumen geschähe, denn es ist ordentlich, als wenn sie mir beistehen und mir mein Leiden auf eine wunderbare Art tragen helfen.«

»Es soll aber nicht geschehen, lieber Sancho«, antwortete Don Quixote, »sondern damit du neue Kräfte sammelst, wollen wir warten, bis wir in unser Dorf anlangen, welches spätestens übermorgen geschehen wird.«

Sancho antwortete, er wolle nach seinem Willen handeln; aber er möchte lieber beim frischen Mute das Werk zu Ende bringen und das Eisen schmieden, solange es heiß sei, denn im Verzögern liege oft die Gefahr, und der Mensch denkt's und Gott lenkt's, ein Haben sei besser als zwei Kriegen und ein Sperling in der Hand mehr wert als eine Taube auf dem Dache. »Keine Sprichwörter weiter, Sancho, um Gottes willen«, sagte Don Quixote; »es scheint, du kommst wieder zu dem sicut erat; sprich einfach, klar und[492] nicht verwickelt, wie ich dir schon oftmals gesagt habe, und du wirst sehen, daß du für den Groschen einen Taler gewinnst.«

»Ich weiß nicht, was ich darin für Unglück habe«, antwortete Sancho, »ich kann nichts Kluges ohne Sprichwort sagen und kein Sprichwort sagen, das mir nicht als etwas Kluges vorkäme; aber ich will mich bessern, wenn ich kann.« Und so endigte sich für jetzt ihr Gespräch.

Quelle:
Cervantes Saavedra, Miguel de: Leben und Taten des scharfsinnigen Edlen Don Quixote von la Mancha. Berlin 1966, Band 2, S. 486-489,491-493.
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