Dreizehntes Kapitel.

[306] Von dem furchtbaren, schellenmäßigen und katzenhaften Entsetzen, welches Don Quixote im Verlaufe der Liebe der verliebten Altisidora empfing.


Wir ließen den großen Don Quixote in Gedanken versunken, die ihm die Musik der verliebten Jungfrau Altisidora verursacht hatte. Er legte sich mit ihnen nieder, und sie ließen ihn, als wenn sie Flöhe wären, nicht schlafen oder nur die Augen zutun, womit sich die Gedanken an die fehlenden Augen seiner Strümpfe verbanden; da aber die Zeit flüchtig ist und es keine Schranke gibt, die sie zurückhielte, so galoppierte sie auf den Stunden hinweg, und der Morgen brach sehr schnell an. Als ihn Don Quixote wahrnahm, verließ er die sanften Federn, und niemals träge, bekleidete er sich mit seinem gemsledernen Kleide und zog die Halbstiefeln an, um das Unglück seiner Strümpfe zu bedecken. Er warf seinen langen scharlachenen Mantel über und setzte auf das Haupt ein Barett von grünem Samt, mit silberner Passamentarbeit; um die Schultern hängte er das Bandelier mit seinem guten und scharf schneidenden Schwerte, nahm einen großen Rosenkranz, den er immer bei sich führte, und trat mit großem Pomp und hohem Anstande in den Vorsaal, wo sich der Herzog und die Herzogin schon angekleidet befanden, als wenn sie ihn erwarteten; und indem er durch eine Galerie ging, traf er, seiner wartend, Altisidora und das andere Mädchen, ihre Freundin, und sowie Altisidora des Don Quixote ansichtig wurde, stellte sie sich, als fiele sie in Ohnmacht, und ihre Freundin legte sie auf ihren Schoß und machte eilig Anstalt, ihr den Busen aufzuschnüren. Don Quixote, der es sah, ging zu ihnen und sagte: »Ich weiß, woher diese Zufälle rühren.«[307]

»Ich weiß nicht, woher«, antwortete die Freundin, »denn Altisidora ist das gesundeste Mädchen im Hause, ich habe noch nie ein Ach von ihr gehört, seit ich sie kenne; mögen doch alle irrende Ritter auf der ganzen Welt untergehen, wenn sie alle undankbar sind; geht fort, mein gnädiger Herr Don Quixote, denn das arme Kind kann nicht zu sich kommen, solange Euer Gnaden zugegen ist.«

Worauf Don Quixote antwortete: »Seid von der Güte, Señora, diesen Abend eine Laute auf mein Zimmer zu schaffen, damit ich so gut als möglich diese betrübte Jungfrau tröste, denn im Anfange der Liebe pflegen baldige Enttäuschungen von sehr glücklicher Wirkung zu sein.« Mit diesen Worten entfernte er sich, damit er von niemandem bemerkt würde, der ihn dort anträfe. Er hatte sich kaum entfernt, als die ohnmächtige Altisidora auch schon wieder zu sich kam und zu ihrer Gefährtin sagte: »Es wird nötig sein, daß wir die Laute hinlegen, denn ohne Zweifel will uns Don Quixote eine Musik geben, die nicht übel sein kann, da sie von ihm herrührt.« Sie gingen sogleich, um der Herzogin von dem, was vorgefallen war, Nachricht zu geben, und daß Don Quixote eine Laute begehre; diese war hierüber sehr vergnügt und redete mit dem Herzoge und ihren Mädchen einen Spaß ab, der mehr lächerlich als schädlich ausfallen sollte, worauf sie mit großer Zufriedenheit die Nacht erwarteten, die ebenso schnell kam, als der Tag gekommen war, den die Herzoge in anmutigen Gesprächen mit Don Quixote zubrachten; die Herzogin fertigte auch an dem nämlichen Tage wirklich und in der Tat einen von ihren Pagen ab, denselben, der im Walde die bezauberte Dulcinea vorgestellt hatte, um die Therese Pansa zu besuchen und ihr den Brief von ihrem Manne Sancho Pansa, nebst dem Bündel Kleider, den er dagelassen hatte, um sie wegzuschicken, zu überbringen, wobei sie ihm einband, alles genau wiederzuerzählen, was ihm mit ihr begegnen würde.

Nachdem dies getan und es eilf Uhr abends geworden war, fand Don Quixote in seinem Zimmer eine Gitarre; er stimmte sie, öffnete das Fenster, hörte auch, daß Leute im Garten waren, und nachdem er die Töne versucht und die Laute so gut eingerichtet hatte, als er konnte, hustete er, räusperte sich und sang darauf mit rauher Stimme, übrigens aber richtig, folgende Romanze, die er selber an diesem Tage gedichtet hatte:


Oftmals mag die Kraft der Liebe

Ziehn die Seele aus den Angeln;

Wenn sie sich bedient als Werkzeug

Jenes trägen Müßigganges.


Oftmals mag das Stricken, Nähen

Und Beschäftigtsein am Tage,

Als ein Gegengift sich zeigen

Gegen die verliebten Plagen.


Allen Jungfraun, welche sittsam,

Sehnsuchtsvoll nach dem Gemahle,

Ist die Keuschheit eine Mitgift

Und der Preis von ihrem Namen.


Alle Ritter, sein sie irrend,

Prunken sie im Königssaale,

Scherzen gerne mit den Leichten,

Nehmen Keusche nur zur Gattin.
[308]

Liebe findet schnell ihr Aufgehn,

Die mit Gästen wird verhandelt,

Sie kömmt bald zum Untergehen,

Weil der Abschied sie vollbrachte.


Liebe, die so schnell gekommen,

Heute hier und morgen wandernd,

Läßt kein tiefes Bild zurücke

In der Seele eingegraben.


Malen wollen auf Gemälde

Zeigt sich nicht, hält keine Farbe,

Wo die erste Schönheit stehet,

Kann nicht andre Wurzel fassen.


Dulcinea von Toboso

Ist in meines Herzens Tafel

Also gründlich eingepräget,

Daß sie niemals weicht noch wanket.


Fester Mut bei Liebesleuten

Ist am meisten hochzuhalten,

Für sie tut die Liebe Wunder,

Wird sie endlich glücklich machen.


So weit war Don Quixote in seinem Gesange gekommen, dem der Herzog, die Herzogin, Altisidora und fast alle Leute aus dem Schlosse zuhörten, als plötzlich von einer Galerie herunter, die senkrecht auf das Fenster des Don Quixote stieß, ein Seil herabgelassen wurde, an welchem mehr als hundert Schellen befestigt waren, und gleich darauf schüttete man einen großen Sack mit Katzen aus, die an ihren Schwänzen ebenfalls kleinere Schellen gebunden hatten. Das Getöse der Schellen und das Miauen der Katzen war so groß, daß die Herzoge, ob sie gleich die Erfinder des Spaßes waren, dennoch erschraken und Don Quixote sich entsetzte; das Schicksal fügte es überdies, daß zwei oder drei Katzen durch das Fenster in sein Zimmer sprangen, die so von einer Seite zur andern herumfuhren, daß es nicht anders war, als wenn sich eine Legion Teufel darin befände. Sie löschten die Lichter aus, die im Zimmer brannten, und sprangen hierhin und dorthin, um einen Ausgang zu finden. Das Aufziehen und Niederlassen des Seiles mit den großen Schellen hörte immer noch nicht auf; der größte Teil der Leute im Schlosse, die um den Zusammenhang der Sache nicht wußten, waren voll Verwunderung und Erstaunen. Don Quixote stellte sich aufrecht und griff nach seinem Degen, worauf er aus dem Fenster heraus zu fechten und laut zu rufen anfing: »Hinweg, ihr boshaften Zauberer, hinweg, Hexengesindel, denn ich bin Don Quixote von la Mancha, gegen den eure boshaften Absichten nichts vermögen und kraftlos sind.« Er wandte sich nun nach den Katzen, die im Zimmer waren, und schlug nach ihnen mit vielen Hieben; diese rannten nach dem Fenster und sprangen hinaus, obgleich eine, die sich so von den Hieben des Don Quixote verfolgt sah, ihm ins Gesicht sprang und sich mit Klauen und Zähnen in seine Nase klemmte, daß Don Quixote[311] vor Schmerzen laut zu schreien anfing, als er nur immer konnte. Dies hörten der Herzog und die Herzogin, und da sie die Ursache errieten, gingen sie eilig nach seinem Zimmer, welches sie mit einem Hauptschlüssel eröffneten und den armen Ritter mit allen Kräften kämpfen sahen, die Katze vom Gesichte zu reißen. Sie kamen mit Lichtern herein und sahen diesen ungleichen Streit, der Herzog lief hinzu, ihn zu befreien, aber Don Quixote rief laut: »Nehme mir ihn keiner ab, laßt mich handgemein bleiben mit diesem Teufel, mit diesem Hexenmeister, mit diesem Zauberer, denn ich will es ihm zeigen, was es mit dem Don Quixote von la Mancha auf sich habe.« Die Katze kehrte sich aber an diese Drohungen nicht, knurrte und hielt sich fest. Endlich aber machte sie der Herzog los und warf sie aus dem Fenster; Don Quixote hatte das Gesicht zerrissen, und die Nase war ziemlich verletzt, dessenungeachtet war er verdrüßlich, daß man ihn nicht die Schlacht hatte ausfechten lassen, in welcher er mit dem boshaften Zauberer verwickelt gewesen war. Man ließ Balsam herbeibringen, und Altisidora legte ihm selbst mit ihren weißesten Händen einen Verband auf die Wunde, und beim Auflegen sagte sie mit leiser Stimme zu ihm: »Alle diese Unglücksfälle, steinerner Ritter, begegnen dir wegen deiner Härte und Halsstarrigkeit, und gebe Gott, daß es dein Stallmeister Sancho vergessen möge, sich zu geißeln, damit niemals deine so sehr geliebte Dulcinea aus ihrer Bezauberung komme und du sie nicht genießest noch ihr Hochzeitbett beschreitest, wenigstens solange ich lebe, die ich dich verehre.«

Auf alles dieses antwortete Don Quixote mit nichts anderem als mit einem tiefen Seufzer, und zugleich streckte er sich auf sein Bett, nachdem er den Herzogen für ihre Güte gedankt hatte, nicht als habe er Furcht vor diesem katzischen, zauberischen und schellenden Gesindel, sondern weil er ihre gute Absicht erkenne, mit welcher sie ihm zu Hülfe geeilt wären. Die Herzoge wünschten ihm gute Nacht und entfernten sich, sehr verdrüßlich über den schlimmen Ausgang des Spaßes, weil sie nicht geglaubt hatten, daß dieses Abenteuer so verdrüßlich und nachteilig für den Don Quixote ausfallen würde, dem es fünf Tage kostete, in welcher Zeit ihm indes ein anderes angenehmeres Abenteuer als das vorige zustieß, welches aber sein Geschichtschreiber jetzt nicht erzählen will, um sich zu Sancho Pansa zu wenden, der in seiner Statthalterschaft noch immer sehr geschäftig und unterhaltend ist.

Quelle:
Cervantes Saavedra, Miguel de: Leben und Taten des scharfsinnigen Edlen Don Quixote von la Mancha. Berlin 1966, Band 2, S. 306-309,311-312.
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