Viertes Kapitel.

[30] In welchem Sancho Pansa den Baccalaureus über seine Zweifel und Fragen aufklärt, nebst andern Dingen, welche verdienen, mitgeteilt und erzählt zu werden.


Sancho kam in Don Quixotes Haus zurück und kam sogleich auf das vorige Gespräch, indem er sagte: »Darauf, was der Herr Simson wissen wollte, von wem, wie oder wann mir der Esel gestohlen wurde, antworte ich jetzt folgendes: In der nämlichen Nacht, da wir vor der Heiligen Brüderschaft flohen und uns in das Schwarze Gebirge begaben, nach dem zu teuern Abenteuer mit den Ruderknechten und mit der Leiche, die man nach Segovia führte, verbargen sich mein Herr und ich in einem Dickicht, wo mein Herr auf seine Lanze gestützt, ich auf meinem Grauen, müde und ermattet von den verlaufenen Händeln, uns beide so ins Schlafen begaben, als hätten wir auf Daunenbetten geruht. Ich besonders schlief einen so festen Schlaf, daß – wer es auch gewesen sein mag – irgendeiner Gelegenheit fand, mich auf vier Stützen zu stellen, die er unter den vier Seiten des Reitkissens befestigte, so daß ich reitend obenblieb und er unter mir den Grauen wegstahl, ohne daß ich's merkte.«

»Dies ist ein leichter Handel und keine unerhörte Begebenheit; denn das nämliche begegnete dem Sacripante, als er sich in der Belagerung von Albraca befand, wo ihm mit derselben List der berühmte Dieb Brunelo das Pferd zwischen den Beinen wegstahl.«

»Es wurde Tag«, fuhr Sancho fort, »und kaum hatt ich mich ausgedehnt, als die Stützen zusammenfielen und ich einen schweren Fall auf die Erde tat. Gleich sah ich mich nach dem Esel um und fand ihn nicht. Da stürzten mir die Tränen aus den Augen, und ich fing ein solches Jammern an, daß, wenn es[31] der Autor unsrer Historie nicht aufgeschrieben, er gewiß ein denkwürdiges Stück ausgelassen hat. Nach, ich weiß nicht, wie vielen Tagen, als wir mit der Mikomikonischen Prinzessin zogen, erkannte ich meinen Esel wieder, und wer auf ihm in Zigeunerkleidern ritt, war der Gines Pasamonte, jener Schurke und Hauptspitzbube, den mein Herr und ich von der Kette losgemacht hatten.«

»Darin liegt nicht der Fehler«, versetzte Simson, »sondern darin, daß, ehe noch der Esel wieder vorgekommen, der Autor erzählt, wie Sancho auf diesem nämlichen Grauen geritten habe.«

»Darauf«, sagte Sancho, »weiß ich nichts zu antworten, als daß sich der Historienschreiber geirrt hat oder es ein Druckfehler ist.«

»So wird es sein«, sagte Simson, »aber wie ist es mit den hundert Goldstücken gegangen? Sind sie vergangen?«

Sancho antwortete: »Ich habe sie für mich, meine Frau und meine Kinder verbraucht, und sie machen, daß meine Frau mein Herumziehen und Landstreichen mit Geduld angesehen hat, das ich im Dienste meines Herrn Don Quixote habe tun müssen: denn wenn ich nach so langer Zeit ohne klingende Münze und ohne Esel nach Hause gekommen wäre, so hätte gewiß mein Kopf dafür klingen müssen. Wenn Ihr nun noch mehr wissen wollt, so steh ich hier, um dem Könige selbst in eigner Person Antwort zu geben, und es geht keinen in der Welt weiter was an, ob ich was gefunden oder nicht gefunden habe, ob ich es ausgegeben oder nicht ausgegeben habe; denn wenn mir die Schläge, die ich auf dieser Reise bekommen, mit Gelde sollten bezahlt werden, wenn ich auch jeden Schlag nur zu vier Maravedi rechne, so müßte ich noch hundert Goldstücke bekommen, und es wäre doch noch nicht die Hälfte bezahlt. Jeder fahre nur mit der Hand in seinen eignen Busen, und keiner nehme sich heraus, rechts links und links rechts zu nennen; denn jeder ist doch so, wie Gott ihn geschaffen hat, und oft noch viel schlimmer.«

»Ich will dafür sorgen«, sagte Carrasco, »den Autor der Historie zu erinnern, wenn sie neu aufgelegt wird, daß er nicht vergesse, was der wackere Sancho eben gesprochen hat; denn dadurch würde das Werk um vieles trefflicher werden, als es jetzt ist.«

»Gibt es in diesem Buche sonst noch etwas zu verbessern, Herr Baccalaureus?« fragte Don Quixote.

»Hin und wieder«, antwortete jener, »aber nichts von der Wichtigkeit der angeführten Fehler.«

»Und vielleicht«, sagte Don Quixote, »verspricht der Autor einen zweiten Teil?«

»Allerdings«, antwortete Simson; »er sagt aber, daß er ihn noch nicht gefunden habe, auch nicht wisse, wo er stecke, und darum sind wir ungewiß, ob er herauskommen wird oder nicht. Teils deswegen, teils auch, weil viele sagen, daß die zweiten Teile niemals etwas taugen, andere auch meinen, es sei nun genug von Don Quixotes Händeln geschrieben; auch zweifelt man, ob ein zweiter Teil kommen werde, obgleich andere, die mehr jovialisch als saturninisch sind, sagen: ›Nur mehr Quixoterien her; Don Quixote handle, und Sancho schwatze, es sei, was es sei, und wir wollen damit zufrieden sein.‹«

»Und womit hält es der Autor?«

»Damit«, antwortete Simson, »daß in demselben Augenblicke, in welchem er die Historie gefunden hat, die er mit großem Eifer sucht, er sie dem Drucke übergeben wird, mehr durch den Gewinn, den er daraus ziehen wird, als durch irgendeinen Ruhm bewogen.«

Worauf Sancho ausrief: »Der Verfasser geht also nach Geld und Gewinst? Dann wär es ein Wunder, wenn es was Gutes würde; denn da wird es wohl nur heißen: ›Spute dich! Spute dich!‹, wie bei den Schneidern den heiligen Abend vor Ostern; was aber in solcher Eile gemacht wird, kann nie so vollkommen fertiggemacht werden, wie es sich gehört. Der Herr Mohr, oder was er sonst sein mag, sehe doch ja zu, was er tut; denn ich und mein Herr, wir wollen ihm so viele Zutat zu Abenteuern und mancherlei Begebenheiten in die Hände arbeiten, daß er nicht nur den zweiten Teil, sondern wohl den hundertstenschreiben kann. Der gute Mann muß gewiß denken, daß wir auf dem Strohe hier eingeschlafen sind; aber nein, wir lassen uns schon die Eisen schärfen, und bald wird man sehen, wie wir den Tanz nicht verlernt haben. Wenigstens kann ich das wohl sagen, daß, wenn mein Herr meinem Rate folgte, wir schon wieder im freien Felde wären, um Ungebühr aufzuheben und Ungeradheiten geradezumachen, so wie es bei den braven irrenden Rittern Gebrauch und Sitte ist.«

Kaum hatte Sancho diese Worte zu Ende gesprochen, als sie das Wiehern des Rozinante vernahmen, welches Wiehern Don Quixote als eine glückliche Vorbedeutung annahm und sich entschloß, in drei oder vier Tagen einen neuen Auszug zu unternehmen. Er teilte dem Baccalaureus seinen Vorsatz mit und fragte ihn um Rat, nach welcher Gegend er seinen Zug richten solle, der ihm antwortete, daß er sich nach seiner Meinung in das Königreich Aragon begeben müsse, und zwar nach der Stadt Saragossa, wo man in kurzer Zeit beim Feste des heiligen Georg feierliche Turniere anstellen würde, in welchen er den Preis vor allen aragonischen Rittern davontragen könne, welches soviel heißt, als ihn über alle Ritter in der Welt erringen. Er lobte seinen Entschluß als den schönsten und ehrenvollsten, dabei riet er ihm aber, für sich selbst im Bestehen der Gefahren mehr Sorge zu tragen; denn sein Leben gehöre nicht ihm, sondern allen denen, die sein bedürften, damit er ihnen in ihrem Unglücke Beistand und Hülfe leisten könne.

»Das ist ja mein ewiger Verdruß, Herr Simson«, rief jetzt Sancho aus; »denn mein Herr greift hundert bewaffnete Kerle mir nichts, dir nichts an, wie sich ein vernaschter Junge an eine Tute Rosinen macht. Aber Sakkerment! Herr Baccalaureus, nicht wahr? es hat seine Zeit, anzugreifen, und es hat seine Zeit, sich zurückzuziehen! Da kann es nicht immer heißen: ›Eingehauen! und frisch drauf los!‹, besonders da ich mir habe sagen lassen – und wenn ich mich recht besinne, gar von meinem Herrn selber –, daß zwischen den beiden Äußersten der Feigheit und der Tollkühnheit die Tapferkeit in der Mitte stehe. Wenn dem nun so ist, so verlange ich nicht, daß er davonläuft, ohne zu wissen warum, daß er aber auch nicht angreift, wenn die Überzahl die Vernunft nötig macht. Vor allen Dingen sage ich meinem Herrn jetzt zur Nachricht, daß, wenn er mich mit sich nehmen will, es nur unter der Bedingung geschieht, daß er alles Scharmützeln allein über sich nimmt und daß ich zu nichts anderm verpflichtet bin, als für seine Person zu sorgen, ihn sauber zu halten und zu verpflegen, denn darin will ich ihn auf den Händen tragen; wenn er aber meint, daß ich die Hand an den Degen legen sollte, und wenn es auch gegen ganz pöbelhafte Spitzbuben in Jacke und Holzschuhen sein sollte, so hat er sich in seiner Meinung gänzlich verrechnet. Ich, Herr Simson, gehe nicht darauf aus, den Namen eines tapfern Mannes zu gewinnen, sondern ich will nur der beste und treuste Stallmeister heißen, der jemals einem irrenden Ritter diente; und wenn mein Herr Don Quixote, von meinen vielen und wackern Diensten dazu bewogen, mir eine von den vielen Inseln geben will, die man, wie er sagt, hierherum antreffen muß, so wird er mir damit eine große Gnade erzeigen; gibt er sie mir aber nicht, je nun, zur Welt kam ich, und der Mensch soll nicht von der Leberaaltät eines andern, sondern Gottes leben, und vielleicht schmeckt mir überdies das unstatthalterische Brot besser, als wenn ich ein Statthalter bin. Kann ich denn auch wissen, ob mir nicht bei der Statthalterei der Teufel ein Bein so derb unterschlägt, daß ich umfalle und mir die Zähne ausbreche? Sancho bin ich geboren, und Sancho will ich auch sterben; wenn aber doch so sachtchen sachtchen, ohne große Qual und große Gefahr der Himmel so eine Insel oder ein andres Ding der Art auf mich herabschneien sollte, so bin ich kein solcher Narr, daß ich es von mir stieße; denn man sagt ja auch: Wenn man dir schenkt die Kuh, so lauf mit dem Stricke zu, und klopft an deine Tür das Glück, so weis es nicht zurück.«

»Freund Sancho«, sagte Carrasco, »Ihr habt da wie ein Magister gesprochen; aber bei alledem vertraut nur auf Gott und auf den Herrn Don Quixote, der Euch wohl ebensogern ein Königreich als eine Insel gibt.«[35]

»Mag es mehr sein, mag es weniger sein«, antwortete Sancho, »doch muß ich dem Herrn Carrasco sagen, daß mein Herr das Königreich nicht vor die Hunde werfen würde; denn ich habe mir selber an den Puls gefühlt und befinde mich gesund genug, Königreiche zu regieren und Inseln zu statthaltern; was ich auch meinem Herrn schon mehr als einmal gesagt habe.«

»Bedenkt, Sancho«, sagte Simson, »daß die Ämter die Gesinnungen ändern und daß es möglich ist, wenn Ihr Statthalter werdet, daß Ihr die Mutter nicht wiederkennt, die Euch geboren hat.«

»Das mag mit Leuten so gehen«, antwortete Sancho, »die hinter dem Zaune wachsen, aber nicht mit solchen, die über ihre Seele vier Finger dicken Speck von alten Christen sitzen haben, wie ich; ei ja, macht Euch nur an mich und seht, ob der Undank gegen jemanden in meinem Naturell steckt.«

»Gott möge es fügen«, sagte Don Quixote, »und es wird sich offenbaren, sowie die Statthalterschaft kommt, die ich schon, wie es mir scheint, mit den Augen abreichen kann.«

Er bat hierauf den Baccalaureus, im Fall er ein Poet sei, so gefällig zu sein, ihm einige Verse zu dichten, die den Abschied enthielten, den er von seiner Dame Dulcinea von Toboso zu nehmen gedächte, und daß er es beobachten möchte, daß jeder Vers mit einem Buchstaben ihres Namens anfinge, so daß, wenn diese heruntergelesen würden, Dulcinea von Toboso herauskomme.

Der Baccalaureus antwortete, daß, ob er gleich keiner von den berühmten Poeten sei, die jetzt in Spanien lebten, deren nur drei und ein halber sein sollten, er dennoch diese Verse dichten wolle, ob sich gleich eine große Schwierigkeit in der Komposition zeige: denn der Name enthalte siebenzehn Buchstaben, wenn er also vier Kastellanen zu vier Versen mache, so bleibe ein Buchstabe übrig, mache er fünfversige Strophen, die man Dezimen oder Redondillas nenne, so fehlten drei Buchstaben; er wolle aber doch, so gut es sich tun lasse, einen Buchstaben zu verschlucken suchen, so daß in den vier Kastellanen der Name der Dulcinea von Toboso enthalten sei.

»So muß es auf jeden Fall sein«, sagte Don Quixote; »denn wenn der Name nicht klar und deutlich ausgedrückt steht, so glaubt es durchaus keine Frau, daß die Verse auf sie gemacht sind.«

So blieb es beschlossen, und auch daß die Abreise in acht Tagen vor sich gehen solle. Don Quixote bat den Baccalaureus, sie geheimzuhalten, besonders vor dem Pfarrer, dem Meister Nicolas, seiner Nichte und der Haushälterin, damit diese nicht seinen ehrenvollen und herrlichen Entschluß stören möchten. Carrasco versprach alles; dann nahm er Abschied, indem er den Don Quixote bat, ihm, sobald er Gelegenheit habe, von seinen glücklichen und unglücklichen Begebenheiten Nachricht zu geben. So schieden sie, und Sancho machte sich fort, um alles, was er zu seiner Reise nötig hatte, in Ordnung zu bringen.

Quelle:
Cervantes Saavedra, Miguel de: Leben und Taten des scharfsinnigen Edlen Don Quixote von la Mancha. Berlin 1966, Band 2, S. 30-33,35-36.
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