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Berlin

[147] Im Jahr 1831


Du, meine liebe deutsche Heimat, hast,

Warum ich bat, und mehr noch mir gegeben;

Du ließest freundlich dem gebeugten Gast

Die eigne traute Hütte sich erheben,

Und der bescheidne kleine Raum umfaßt

Ein neuerwachtes heitres reiches Leben;

Ich habe nicht zu bitten, noch zu klagen,

Dir nur aus frommem Herzen Dank zu sagen. –


Du siehst mich zweifelnd halb und halb erschrocken

Mit feuchten Augen an, mein gutes Kind,

Laß nicht den Schein in Irrtum dich verlocken,

Es ist ja nur des Abends kühler Wind,

Des Mondes bleicher Schein auf meinen Locken,

Die fast wie Silber anzusehen sind;

Ein halbes Hundert mir entrauschter Jahre

Hat nicht mein Herz berührt, nur meine Haare.


Mit duft'gen üpp'gen Blumenkränzen mußt,

Mit Rosen, du beschatten ihren Glanz;

Ich bin noch jung, noch stark, noch voller Lust,

Und windet um die Stirne sich der Kranz,

Und wieget sich mein Haupt an deiner Brust,

Und wird der Traum zur Wirklichkeit so ganz,

Erblühet zum Gesang mein heimlich Meinen,

Und alle meine Lieder sind die deinen.


Ja! Lieder, neue Lieder will ich singen;

Du, meine Muse, lauschest unverwandt,

Und wenn die Weisen dir zum Herzen dringen,

Drückst leise du belohnend mir die Hand;

Laß ungestraft um uns die Kinder springen,

Vielleicht daß sie der Geist der Lieder bannt,

Kein Zwang: es würden mich die armen dauern,

Sie dürfen nicht um unsre Freude trauern.
[147]

Und, liebes Kind, laß Tür und Fenster offen;

Erworben hab ich mir der Freunde viele,

Und habe derer manche schon getroffen,

Die Freude hatten an dem heitern Spiele;

Willkommen sei, wer lauschen will: mein Hoffen

Wär eben, daß es vielen wohlgefiele;

Wem aber unsre Lieder nicht gefallen,

Der stört uns nicht, der wird vorüber wallen.
[148]

Quelle:
Adalbert von Chamisso: Sämtliche Werke. Band 1, München [1975], S. 147-149.
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