Hans Jürgen und sein Kind

[260] Hans Jürgen, läßt du das Trinken nicht sein,

Und läßt nicht vom leidigen Branntewein,

Du wirst zur Verzweiflung mich bringen;[260]

Im Weiher dort ist's bald geschehn,

Da wirst du dein Kind mich ertränken sehn,

Mich selbst hinunter springen. –


Ach Frau, sei mir darum nicht gram,

Weiß selber kaum, wie gestern es kam,

Der goldene Löw ist schuldig;

Ich kam an der Schenke vorüber und sann,

Das Tier mich anzuglotzen begann,

Der Löw, er gleißte so guldig.


Ich ging hinein, das war nicht gut,

Ich trank, hinaus zu gehn, mir Mut,

Kam unter dem Tische zu liegen;

Wenn abermals es dem Teufel gelang,

Sei, liebes Herz, darum nicht bang,

Er soll nicht wieder mich kriegen.


Die Augen zu! Ein Wort, ein Mann.

Ich bringe dir heut, was ich alles gewann,

Und eine trockene Kehle.

So ging er zu seinem Meister hin,

Es lag ihm schwer in seinem Sinn,

Es quält' ihn in seiner Seele.


Und als es Feierabend war

Und heim er kam, da fühlt' er gar

Den leidigen Durst ihn beißen.

Die Augen zu! Er kam mit Glück

Der Klippe vorbei, da schaut' er zurück,

Er sah den Löwen so gleißen. –


Jedweder Tugend ihren Lohn!

Verdient, wahrhaftig, hab ich ihn schon,

Ein Schluck darauf wird schmecken! –

Und taumelnd gelangt' er und spät nach Haus,

Die Frau saß da, sah finster aus,

Er mußte vor ihr erschrecken.


Sie prüft' ihn mit den Augen stumm;

Sie ging ihm seltsam im Kopf herum,

Gedenkend der eigenen Schwüre.[261]

Sie aber schritt zu der Wiege hin,

Und nahm das Kind, das gelegen darin,

Und eilte hinaus zur Türe.


Er ist da nüchtern geworden fast,

Ein kaltes Entsetzen hat ihn erfaßt: –

Dahin, dahin gekommen! –

Hans Jürgen, rette, rette dein Kind!

Zum Weiher, zum Weiher! geschwind, geschwind!

Sie hat den Weg genommen. –


Er eilt ihr nach in vollem Lauf,

Ein Plätschern schallt vom Weiher herauf, –

Nur noch die Mutter zu sehen: –

Zurück! das Kind, ich hol es hervor,

Noch halten's die schwimmenden Tücher empor,

Zurück! genug ist geschehen. –


Er schreit es und springt in das Wasser hinein, –

Das Wasser, das mochte so tief nicht sein,

Die Beute leicht zu erhalten.

Er trägt das Wickelkind im Arm,

Und drückt's an die Brust so innig und warm,

Und steigt aus dem Bade, dem kalten. –


»An meinem Herzen, an meiner Brust,

Du meine Wonne, du meine Lust!«

Doch mußt du mich nicht so kratzen.

Ein gutes, schönes Kind, allein

Es kratzet doch ganz ungemein;

Was hast denn du für Tatzen? –


Und wie er's näher untersucht,

Erkennt er den schwarzen Kater und flucht,

Den Kater, ihm zum Possen. –

Ach Frau, ach Frau, wo bist denn du? –

Die sitzt zu Hause, die Tür ist zu,

Die Türe bleibt verschlossen. –


Ach Frau, das ist ein frostiger Spaß;

Es ist so kalt, ich bin so naß. –

Die Türe bleibt verschlossen;[262]

Und wie er pocht und flucht und lärmt,

Und fleht und winselt und sich härmt,

Die Türe bleibt verschlossen.


Die Nachbarsleute, die Gäste zu Hauf

Vom goldenen Löwen paßten wohl auf,

Das kann leicht einer sich denken;

Die haben wacker ihn ausgelacht,

Und haben ein Lied auf ihn gemacht,

Und singen's in allen Schenken:


Hans Jürgen, rette, rette dein Kind!

Zum Weiher, zum Weiher! geschwind, geschwind!

Doch lasse dich ja nicht kratzen.

Und schmeckt, Hans Jürgen, der Branntewein,

Komm her zu dem goldenen Löwen herein,

Wir singen ein Lied dir zum Platzen.


Quelle:
Adalbert von Chamisso: Sämtliche Werke. Band 1, München [1975], S. 260-263.
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