Im Herbst

[192] Niedrig schleicht blaß hin die entnervte Sonne,

Herbstlich goldgelb färbt sich das Laub, es trauert

Rings das Feld schon nackt und die Nebel ziehen

Über die Stoppeln.


Sieh, der Herbst schleicht her und der arge Winter

Schleicht dem Herbst bald nach, es erstarrt das Leben;

Ja, das Jahr wird alt, wie ich alt mich fühle

Selber geworden!


Gute, schreckhaft siehst du mich an, erschrick nicht;

Sieh, das Haupthaar weiß, und des Auges Sehkraft

Abgestumpft; warm schlägt in der Brust das Herz zwar,

Aber es friert mich!


Naht der Unhold, laß mich ins Aug ihm scharf sehn:

Wahrlich, Furcht nicht flößt er mir ein, er komme,

Nicht bewußtlos raff er mich hin, ich will ihn

Sehen und kennen.


Laß den Wermutstrank mich, den letzten, schlürfen,

Nicht ein Leichnam längst, ein vergeßner, schleichen

Wo ich markvoll einst in den Boden Spuren

Habe getreten.


Ach! ein Blutstrahl quillt aus dem lieben Herzen:

Fasse Mut, bleib stark; es vernarbt die Wunde,

Rein und liebwert hegst du mein Bild im Herzen

Nimmer vergänglich.


Quelle:
Adalbert von Chamisso: Sämtliche Werke. Band 1, München [1975], S. 192.
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