Minnedienst

[220] Während dort im hellen Saale

Lustberauscht die Gäste wogen,

Hält ein Ritter vom Gedränge

Einsam sich zurückgezogen.
[220]

Wie er von dem Sofa aufblickt,

Wo er ruhet in Gedanken,

Sieht er neben sich die Dame,

Der er dienet sonder Wanken.


»Sind es Sterne, sind es Sonnen,

Die in meiner Nacht sich zeigen?

Sind's die Augen meiner Herrin,

Welche über mich sich neigen?«


»Schmeichler, Schmeichler! Sterne, Sonnen

Sind es nicht, wovon Ihr dichtet;

Sind die Augen einer Dame,

Die auf Euch sie bittend richtet.« –


»Herz und Klinge sind Euch eigen,

Schickt mich aus auf Abenteuer,

Heißt im Kampfe mich bestehen

Riesen, Drachen, Ungeheuer.« –


»Nein, um mich, mein werter Ritter,

Soll kein Blut den Boden färben;

Um ein Glas Gefrornes bitt ich,

Lasset nicht vor Durst mich sterben.« –


»Herrin, in dem Dienst der Minne

Wollt ich gern mein Leben wagen,

Aber hier durch das Gedränge

Wird es schwer sich durchzuschlagen.«


Und sie bittet, und er gehet, –

Kommt zurück, wie er gegangen:

»Nein! ich konnte, hohe Herrin,

Kein Gefrorenes erlangen.«


Und sie bittet wieder, wieder

Wagt er's, immer noch vergebens:

»Nein! man dringt durch jene Türe

Mit Gefahr nur seines Lebens.«


»Ritter, Ritter, von Gefahren

Sprachet Ihr, von Kämpfen, Schlachten;[221]

Und Ihr laßt vor Euren Augen

Ohne Hülfe mich verschmachten.«


Und ins wogende Gewühle

Ist der Ritter vorgedrungen,

Dort verfolgt er einen Diener,

Hat den Raub ihm abgerungen.


Und die Dame schaut von ferne,

Wie mit hochgehaltner Schale

Er sich durch den Reigen windet

In dem engen, vollen Saale;


Sieht in eines Fensters Ecke

Glücklich seinen Fang ihn bergen,

Sieht ihn hinter die Gardine

Ihren Augen sich verbergen;


Sieht ihn selber dort gemächlich

Das Eroberte verschlingen,

Wischen sich den Mund und kommen,

Ihr betrübte Kunde bringen:


»Gern will ich mein Leben wagen,

Schickt mich aus auf Abenteuer,

Heißt im Kampfe mich bestehen

Riesen, Drachen, Ungeheuer.


Aber hier, o meine Herrin,

Hier ist alles doch vergebens,

Und man dringt durch jene Türe

Mit Gefahr nur seines Lebens.«


Quelle:
Adalbert von Chamisso: Sämtliche Werke. Band 1, München [1975], S. 220-222.
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