Die Ruine

[391] Ich schweifte rastlos auf den höchsten Bergen

Allein und fern von aller Menschenspur,

Mich selbst und meinen Unmut zu verbergen.

Behaglich war's mir, wo die Gemse nur[391]

Die flücht'ge Bahn sich über Gletscher bricht,

Recht einsam in der wildesten Natur.

Was mir im Busen tobte, frage nicht:

Entblößest du, der so mich fragen darf,

Die eignen Wunden an das Tageslicht?

Der Abend sank, die Winde wehten scharf;

Ein Feuer hatt ich mir zu Nacht geschüret,

Das auf das Schneefeld rote Strahlen warf.

Bald ward vom mächt'gen Zugwind aufgerühret

Der Schnee in Wirbeln, und der Felsenwand,

Die Schutz mir geben sollte, zugeführet.

Zur Flucht gedrängt, ergriff ich einen Brand,

Und suchte durch die Klüfte mich zu schlagen

Zu Tal, zur Burgruin am Waldesrand.

Die Wolken, die erst um die Gipfel lagen,

Ergossen jetzt sich wogend durch den Raum

Und schienen ein Gewitter anzusagen.

Wie ich den Ort erreicht, ich weiß es kaum,

Doch standen sie vor mir, die alten Mauern,

In Brandes-Flackerschein an Waldessaum:

»Beschirmt mich vor den kalten Regenschauern,

Seid gastlich, Trümmer ihr der alten Zeit;

Wo klafft ein Spalt, wo kann ich unterkauern?«

Ein Riß im Mauerwerke, nur so breit,

Daß mich hindurch zu pressen kaum gelang,

Gewährte vor dem Sturm mir Sicherheit.

Der führte mich in einen schmalen Gang,

In dem vorschreitend bei des Brandes Helle

Ich tief und tiefer in das Innre drang.

Hier eine Tür, ich hielt auf deren Schwelle

Den düstern Ort betrachtend, zu erfahren,

Ob das ein Grab sei, ob die Burgkapelle.

Denn Bilder, halbverstümmelt, Waffen waren

Rings aufgestellt, zerstreut auch hin und wieder,

Verschüttet und verstaubt von vielen Jahren.

Ich lagerte zur Ruhe meine Glieder

Auf Schutt gestreckt, das Haupt auf einen Stein,

Doch mied der Schlaf die müden Augenlider.

Es wirkten jene Bilder auf mich ein,

An denen ich mit stieren Blicken hing;

Der Brand verglimmend warf den letzten Schein;[392]

Und nun die Nacht, die tiefste, mich umfing –

Vermag ich mein Entsetzen da zu schildern

Beim Anblick dessen, was nun vor sich ging!

Ein bleicher Schein entströmte jenen Bildern,

Ich sah sie in der Finsternis sich regen,

Sie wurden laut, sie huben an zu wildern.

Und dumpf erscholl's: »Auf! aus dem Schlaf, ihr Trägen!«

Ein Herrscher war es, der das Wort gesprochen,

Die Hand versucht' er an das Schwert zu legen;

Das war von Holz gewesen und zerbrochen;

Nach seiner Krone griff er, – goldesbar,

Ein altes, morsches Holz, vom Wurm zerstochen.

Dem Rufe stellte bald sich eine Schar,

In Holz gewappnet halb und halb in Eisen,

Die nicht geheuer anzuschauen war.

Und ihm zur Rechten sah ich einen Greisen,

Der schwach und zornig, geistlich angetan,

Verdrossen schien, ihm Ehrfurcht zu erweisen.

Er musterte die Seinen Mann für Mann,

Dann naht' er seltsam lächelnd sich dem Alten,

Zu dem er leise flüsternd so begann:

»Schwach worden bist du, mußt an mir dich halten,

Und ich an dir, es ist nicht Hadernszeit;

Bedecke mich mit deines Mantels Falten.«

Und zu den Mannen: »Seid zum Kampf bereit;

Ihr habt noch Eisen, gut! ich muß euch loben;

Altar und Thron! das ist ein guter Streit.

Nun gilt's, einander Eintracht zu geloben:

Durch euch, für euch! ihr wißt, ich weiß es nun;

Ich weiß, ihr wißt auch, was sie schwatzen oben.

Sie wollen, Abgestandnes müsse ruhn;

Ihr aber seid noch ein bewehrter Haufen,

Und nächtlich werdet ihr das Eure tun.

Sie sagen, unsre Zeit sei abgelaufen,

Nun sei es Tag; doch, seht! es ist ja Nacht,

Und mögen sie's mit anderm Worte taufen!

Das Licht–! es ist zum Lachen! lacht doch, lacht!«

Und wie er selbst darüber wollte lachen,

Hat doch das Licht ihn stumm und starr gemacht.

Der Blitz ergoß, der grause Feuerdrachen,

Durch einen Spalt der Wölbung Lichtesgarben,[393]

Und hell erklang des Donners zürnend Krachen.

Die Bilder, die zu Holz und Stein erstarben,

Erwachten spät und zögernd nur zum Leben,

Bis wiederum die Sprache sie erwarben.

Da sah ich jenen Priester sich erheben;

Der nahm das Wort und schüttelte sein Haupt:

»Der Himmel hat ein Zeichen euch gegeben!

Er hat, daß ihr's mit Augen seht, erlaubt,

Wie Untergang er euren Feinden drohe;

Ihr aber lobt die Finsternis, und glaubt!

Und weil ich euch die Deutung gab, die frohe,

Und klärlich ihr erkannt des Herrn Gefallen,

Der zu euch sprach in seines Zornes Lohe;

So laßt vor ihm uns auf die Kniee fallen,

Lobpreisend ihn mit unsern schwachen Zungen,

Laßt Te deum laudamus laut erschallen.«

So wurde denn der Lobgesang gesungen,

Mißtönig, unerhört! mir mußte deuchten,

Als hielte Fieberwahn mich fest umschlungen.

Ich sah die zweifelhaften Wesen leuchten

Mit bleichem Schimmer, der ich spähend lag;

So schimmert morsches, faules Holz im Feuchten.

Die Zeit verstrich, die nimmer ruhen mag,

Durch jenen Spalt drang ein ein schwacher Strahl,

Verkündigend den neugebornen Tag.

Und bei dem Schein erblaßten allzumal

Die Wundersamen, ihr Gesang verhallte,

Es schwieg bald der, bald jener aus der Zahl.

Ein Angstgeschrei des Oberherrn erschallte:

»Hilf Priester du! es tagt! es darf nicht tagen!

Den Mantel her! verhänge du die Spalte!

Besteige den Altar, ich will dich tragen,

Dich halten; das Entsetzen quillt von dort

Und drohet unsre Herrschaft zu zerschlagen!«

Wohl tat der Priester nach des Fürsten Wort,

Doch wollte nicht der alte Mantel frommen,

Es wuchs die Tageshelle fort und fort.

Er aber bebte heftig angstbeklommen,

Und sank zuletzt erstarrt zu den Erstarrten,

Denn allen war des Lebens Schein genommen.

Und in der Dämmerung, der lang erharrten,[394]

Sah ich von Holz und Stein die Bilder nur,

Die halbverstümmelten, in Schutt verscharrten.

Beim Priester lag am Pfeiler die Figur

Des Oberherrn, der nächtlich wüste Graus

Zerronnen und verschollen ohne Spur.

Da lacht ich ob dem tollen Traum mich aus,

Und von des Fürsten Krone mir zum Mal

Brach ich ein Stück und nahm es mit nach Haus.

Ich stieg zu Tag: im heitern Morgenstrahl

Erglühten rings des Schneegebirges Zinnen

Und schon ergoß das Licht sich in das Tal.

Anbetend fühlt ich meine Zähren rinnen.


Quelle:
Adalbert von Chamisso: Sämtliche Werke. Band 1, München [1975], S. 391-395.
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