Die Versöhnung

[455] Korsische Geschichte


Die echten Korsen, welche selten nur

Von des Gebirges Höhn zu Tale steigen,

Erfüllen heut Ajaccios Präfektur.

Was bringt den tief gehegten Groll zum Schweigen,

Den diese freien Männer fort und fort

Zu den Beherrschern ihres Bodens zeigen?

Zwei Gruppen bilden sie im Saale dort;

Sie trennt der Haß und spricht aus ihren Mienen,

Doch eignet sich zu Taten nicht der Ort.

Zwei Sippen sind es, Blut ist zwischen ihnen,

Und Blut will Blut; dem Spruche zu genügen

Hat vielen schon der letzte Tag geschienen.

Ein Greis mit düsterm Blick und hohlen Zügen,

Mit langem schwarzem Bart und weißem Haar,

Scheint ungewohnt dem Zwange sich zu fügen;

Denn unterm Ziegenfell sucht immerdar

Die Hand des Dolches Griff und hält sich kaum;

Er scheint das Haupt zu sein der einen Schar.

Bereitet ist ein Tisch im mittlern Raum,

Darauf das Kruzifix ist aufgerichtet;

Der Anblick hält die Männer nur im Zaum.

Ein Bote Christi, der für sich verzichtet,

Ein Missionar, bekannt den Bergessöhnen,

Bei welchen viele Fehden er geschlichtet,

Hofft diese beiden Stämme zu versöhnen,

Die hier er am Altar zusammen brachte;

Er schaut sie scharf an, seine Worte tönen:

»So wie ich, meine Brüder, euch betrachte,

Die Trotz ihr jeder Fährlichkeit wohl bötet,

Von euch ist keiner, dem es Schande machte,

Daß nicht er mindstens seinen Mann getötet?« –[455]

Geständig sahn die Männer frei empor,

Zur Erde nur ein Knabe schamgerötet.

Da donnerte des Priesters Wort hervor:

»Du hörst es, Gott am Kreuze; hör es nicht!

Verschließe solchem frechen Hohn dein Ohr!

Geh nicht mit diesen Mördern ins Gericht;

Du hast für sie dein teures Blut gezahlt,

Das nun Verdammnis über alle spricht.

Nicht einer, nein, nicht einer, der nicht prahlt,

Er habe dir zum Hohn die Hände rot

Mit deinem, deiner Brüder Blut bemalt!

Es sei denn dieser Knabe – dein Gebot

Gehalten noch zu haben, sinnt verdrossen

Er schon vielleicht auf seines Bruders Tod.

Es hat ihr Dolch des Blutes mehr vergossen,

O Heiland! als von deinen heil'gen Malen,

Von Sünde sie zu retten, ist geflossen.

Ihr seht mich küssen sie zu vielen Malen,

Benetzen sie mit heißen Tränengüssen; –

Denkt eures Heiles und der Hölle Qualen;

Denkt Christi, der nach ewigen Beschlüssen

Für euch, ihr Sünder, Schmach und Tod erkor; –

Erfrecht ihr seine Wunden euch zu küssen?«

So hielt das Kruzifix er ihnen vor,

Sie scharfen Blickes prüfend, ob die Saat

Auf harten Felsen fallend sich verlor?

Gerührt, gebeugt und reuig in der Tat

Erweisen sich die Männer, sonst so wild;

Es haben die Getrennten sich genaht.

»Versöhnung!« spricht der Friedensbote mild,

»Lobt Christum, der euch hier zusammenführt,

Verzeiht, vergeßt und tut nach seinem Bild.«

Schon haben auf dem Kreuze sich berührt

Zwei Hände, schaudernd schnell sich auch getrennt,

Als habe jede heißes Gift verspürt.

Denn Recco, jener grimme Greis, erkennt

Sich gegenüber eben den Verhaßten,

Den er den Mörder seines Sohnes nennt.

Das Angesicht erglüht dem Schmerzerfaßten,

Die alten Wunden brechen auf, es walten

Der Zorn, der Rachedurst nach kurzem Rasten;[456]

Noch stehet tiefgebückt – ob vor dem Alten,

Ob vor dem Kruzifix? – der Jüngling bleich,

Erwartend, ob Vergebung zu erhalten;

Noch kämpft mit seinem Herzen schmerzenreich,

Gesicht und Farbe wechselnd oft, der Greise;

Noch spricht die Gnade, schreit die Rache gleich.

Und feierliche Stille herrscht im Kreise,

Indes an ihm die scheuen Blicke hangen;

Er endlich schwer aufatmend redet leise:

»Mein Sohn! – an meinem Sohn ward Mord begangen. –

Er sollte meines Namens Erbe sein! –

Er hat im Elsenbusch den Schuß empfangen. –

Still! Gnecco, still! – dort warst du nicht allein –

Ein andrer... Still! – Ich will's vergessen. Schweige!

Von seinem Blut sind deine Hände rein. –

Mein alter Stamm treibt fürder keine Zweige,

Nur eine Tochter schmückt noch seine Kron;

Es geht mit meinen Tagen auf die Neige.

Du, Gnecco, liebst die Maid, ich weiß es schon, –

Mag werden, was ich früher nicht geglaubt, –

So nimm sie, und ersetze mir den Sohn.« –

Ihm lag der Sohn in Armen sprachberaubt,

Er aber mußte schaudernd sich gewöhnen,

Noch lieb zu hegen das verfemte Haupt.

»Bin müde«, rief er aus, »dem Haß zu frönen!

Ich tat den ersten Schuß – vor Zeiten – dort, –

Vergeltung ward verübt an meinen Söhnen.

Vier Söhne raffte dieser Zwist mir fort,

Ich selber blieb verschont auf diesen Tag;

Der alte Stamm, der Äste bar, verdorrt. –

Hochwürd'ger Herr, laßt zeichnen den Vertrag,

Wer weiß, wie sonst der Menschen Sinn sich wenden,

Und was die nächste Stunde bringen mag! –

Noch laßt das Kruzifix in meinen Händen, –

Ich war ja Christ, bevor ich Vater war, –

Ich will das Gutbegonnene vollenden.«

Die Schrift verlas darauf der Missionar,

Darin des Gottesfriedens Klauseln standen,

Und ließ sie unterzeichnen am Altar;

Und denen, die zu schreiben nicht verstanden,

Führt' er die Hand zu eines Kreuzes Mal,[457]

Wodurch sie sämtlich eidlich sich verbanden.

Er zählte dann die Zeichen allzumal,

Und wieder überzählt' er sie, und fand,

Es fehle noch ein Zeichen an der Zahl.

Und abseits mit den Seinen hadernd stand,

Der nicht gezeichnet hatte, jener Knabe,

Und streckte gegen Recco seine Hand:

»Mein Vater schreit um den aus seinem Grabe!

Ich feilsche nicht um meines Vaters Blut,

Denn Blut will Blut, wie ich gelernet habe.

Fürwahr! der Priester hat zu reden gut,

Mein Vater, nicht sein Vater, ward erschlagen; –

Laßt ab von mir, schaut selber, was ihr tut.

Noch seh ich her die blut'ge Leiche tragen,

Sie legen auf den Tisch und dann entkleiden,

Und höre wild umher die Weiber klagen.

Die Mutter nur verschloß in sich ihr Leiden,

Sie weinte nicht, sie schien in starrer Ruh

Am grenzenlosen Jammer sich zu weiden.

Sie führte mich, das Kind, der Leiche zu:

›Blick her! blick her! die meuchlerische Wunde, –

Du bist ein Kind, doch wirst ein Mann auch du;

Und hast, den Ernst zu fassen, du gesunde

Gedanken, zeig es, raffe dich zusammen, –

Versprich mir, zu gedenken dieser Stunde.‹«

Des Priesters Eifer lodert auf in Flammen:

»Tomasio! sei ein Christ!« Doch er im Flug:

»Hört erst mich aus, dann mögt Ihr mich verdammen.

Ich frug: ›Was soll ich tun?‹ wie so ich frug,

Gab sie das Hemd des Vaters mir zu eigen,

Das an der Brust, hier, blut'ge Spuren trug,

Und sprach: ›Mich wissen lassen, keinem Feigen

Sei's worden, diesen Tapfern zu beerben;

Das mußt du mir an Reccos Hemde zeigen.

Du mußt es rot, so wie das deine, färben,

Denn Blut will Blut, das ist der alte Brauch‹; –

Und auf das Wort der Mutter will ich sterben.

So schwör ich...« – »Knabe! schwöre nicht; der Hauch,

Womit du Gottes Namen sprichst, ist Sünde!« –

Er murrte: »Was ich schwöre, halt ich auch.«

Es schien, als ob der alte Recco stünde[458]

Ob Stolz und Reue schwankend, zweifelnd wog

Er schuldbewußt im Herzen beider Gründe;

Und endlich trat er vor das Kind und bog

Das steife Knie vor ihm, demütig fast,

Die Hand ergreifend, die sich ihm entzog:

»Tomasio, diesem jungen Manne hast

Du mich verzeihen sehen, der, vielleicht...

Sie sagen's, legen ihm die Tat zur Last –

Auch du wirst Vater und erfährst, es gleicht

Der Vaterliebe nimmer Kindespflicht;

Von Marmor war mein Herz, es ist erweicht.

Und wenn das Fleisch von meinem Fleische nicht

Zu rächen ich, der Vater, mich bezwungen,

So leuchtet wohl auch dir der Gnade Licht.«

Den Grimm zu hegen war es nicht gelungen

Dem Knaben, der gerührt nicht wollte scheinen,

Und seine Tränen immer noch verschlungen.

Sich sträubend wandt er schnell sich zu den Seinen,

Er sah zu ihm die Hände sich erheben

Wie bittend, und die Augen aller weinen.

Noch wollt er tückisch seine Hand nicht geben

Und fühlte, wie er sie dem Greis entrang,

Sie in der Hand des Friedensboten beben.

Der zog – war's Überredung, war es Zwang? –

Ihn vor, im Namen Christi, zum Altar;

Ein Ruf, der endlich ihm zu Herzen drang.

Die Feder reicht' er ihm zum Zeichen dar

Am Fuß des Kruzifixes, wo entfaltet

Das Dokument des Gottesfriedens war,

Und führte seine Hand, bis er gestaltet

Das Kreuz, das letzte noch von allen Zeichen:

»Es ist vollbracht, der Gottesfriede waltet!

Laßt, meine Brüder, uns die Hände reichen.«
[459]

Quelle:
Adalbert von Chamisso: Sämtliche Werke. Band 1, München [1975], S. 455-460.
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