De Avaritia.

[295] Nach der Verdrossenheit will ich von dem Geize und von der Begehrlichkeit sprechen, von welcher Sünde St. Paul sagt: Die Wurzel alles Uebels ist Begehrlichkeit. Denn, fürwahr, wenn das Herz verwirrt und beunruhigt ist und die Seele ihr Behagen an Gott verloren hat, so sucht man eitlen Trost in weltlichen Dingen. Geiz ist nach der Erklärung von St. Augustin eine Lüsternheit im Herzen, irdische Dinge zu besitzen. Einige Andere sagen, Geiz begehre, sich viele Erdengüter zu verschaffen, und denen, so bedürftig sind, nichts zu geben. Doch merkt euch wohl, daß Geiz sich nicht allein auf Land und Habe bezieht, sondern zuweilen auch auf Wissenschaft und Ruhm, und eine empörende Sache ist Geiz auf jede Weise. Und der Unterschied zwischen Geiz und Begehrlichkeit ist dieser: Der Begehrlichkeit gelüstet nach Dingen, welche du nicht hast, und der Geiz bewahrt und behält unnöthiger Weise die Sachen, welche du hast. Fürwahr, dieser Geiz ist eine höchst verdammenswerthe Sünde, denn die ganze heilige Schrift verflucht ihn und spricht dagegen, weil er Unrecht gegen Jesus Christus ist, indem er ihn der Liebe beraubt, welche die Menschen ihm schulden, und diese Liebe aller Vernunft zuwider verdreht und veranlaßt, daß der geizige Mensch seine Hoffnung mehr auf sein irdisches Gut, als auf Jesus Christ setzt, und sich mehr bestrebt, seinen Schatz zu hüten, als den Dienst Jesu Christi zu thun. Und deßhalb sagt St. Paul, daß ein geiziger Mann der Sclave des Mammons ist.

Welcher Unterschied besteht zwischen einem Götzendiener und einem geizigen Manne? Keiner, als nur etwa der, daß ein Götzendiener ein bis zwei Fetische hat, und der Geizige viele, denn, gewiß, jeder Gulden in seinem Koffer ist sein Götze. Und, gewiß, die Sünde des Götzendienstes ist die erste, welche Gott in den zehn Geboten verbietet, worüber Exod. cap. XX Zeugniß giebt: Du sollst keine andere Götter haben neben mir, noch sollst du dir ein Bildniß oder irgend ein[295] Gleichniß machen. Daher ist ein geiziger Mensch, welcher seinen Schatz mehr als Gott liebt, ein Götzendiener.

Aus dieser verfluchten Sünde des Geizes und der Begehrlichkeit kommen diese harten Herren, welche die Leute mit Steuern, Zöllen und Frohnden plagen, mehr als die Pflicht und die Vernunft erheischt. Auch nehmen sie von ihren Hörigen Geldbußen, welche besser Erpressungen als Bußen genannt würden. Von welchen Geldbußen und Ranzionen einige Vögte dieser Herren meinen, daß sie rechtmäßig seien, insofern alles zeitliche Gut, welches solch ein Lump besäße, seinem Herrn gehöre, wie sie sagen. Aber, wahrlich, diese Herren thun Unrecht, ihre Hörigen der Dinge zu berauben, welche sie ihnen niemals gaben. Augustinus de civitate Dei. Liber IX. – Sicher ist, daß der Stand der Knechtschaft und ihre erste Ursache aus der Sünde kam. Genesis V. So könnt Ihr sehen, daß Schuld Knechtschaft verdiente, aber nicht Natur. Deßhalb sollten diese Herren nicht so viel Rühmens von ihrer Herrschaft machen, da sie nicht durch natürliche Bestimmung Herren ihrer Knechte sind, sondern weil die Knechtschaft erst in Folge der Sünde kam. Und wenn übrigens das Gesetz besagt, daß die zeitlichen Güter der Hörigen die Güter ihrer Herren sind, jawohl, so ist es als das kaiserliche Vorrecht zu verstehen, sie in ihren Rechten zu schützen, aber nicht sie zu berauben und zu plündern. Deßhalb sagt Seneka: Der Kluge sollte sich wohlwollend gegen seine Sclaven zeigen. Was du deine Knechte nennst, ist Gottes Volk; denn niedrige Leute sind die Freunde Christi, sie sind gleichen Standes mit dem Herrn deinem König.

Bedenke auch, daß aus demselben Samen, aus welchem die gemeinen Leute kommen, auch die Herren entspringen, und daß ein gewöhnlicher Kerl ebensowohl selig werden kann, wie ein Herr. Der Tod, der ihn hinwegrafft, der Tod nimmt auch seinen Herrn hinweg. Deßhalb rathe ich dir, thue deinem Knechte, was du wünschest, daß der Herr dir thun möge, wenn du in seiner Lage wärest. Jeder Sünder ist ein Knecht der Sünde. Ich rathe dir, Herr, dich so zu halten, daß deine Knechte dich mehr lieben, denn fürchten. Ich weiß wohl, daß ein Stand über den andern steht, wie es der Vernunft entspricht; und es gehört sich, daß Menschen ihre Schuldigkeit thun, wie ihnen zukommt. Aber, wahrlich, Quälerei und Verachtung von Untergebenen ist verdammenswerth.

Und nun lernt auch ferner recht begreifen, daß diese Eroberer und Tyrannen gar häufig die zu Sclaven machen, welche aus ebenso[296] hohem königlichen Blute entsprossen sind, als Diejenigen, welche sie besiegten. Der Name Knechtschaft war zuerst gar nicht bekannt, bis Noah sagte, daß sein Sohn Ham seiner Sünde wegen der Knecht seiner Brüder sein solle.

Was sagen wir dann von Denen, welche gegen die heilige Kirche Raub und Erpressungen verüben? Gewiß, das Schwert, welches man Jemandem giebt, welcher zuerst den Ritterschlag empfängt, bedeutet, daß er die heilige Kirche vertheidigen, aber nicht berauben und plündern soll; und wer das thut, ist ein Verräther an Christ. Wie St. Augustin sagt: Jene sind des Teufels Wölfe, welche die Schafe Jesu Christi erwürgen; denn, wahrlich, wenn der Wolf seinen Bauch voll hat, so hört er auf, die Schafe zu erwürgen, aber, fürwahr, die Räuber und Zerstörer von heiligen Kirchengütern thun nicht desgleichen, denn sie hören nie zu plündern auf. – Nun, da Sünde, wie ich gesagt habe, die erste Ursache der Knechtschaft war, so kam es auch, daß zu der Zeit, als die ganze Welt in Sünde lag, die ganze Welt auch in Knechtschaft und Unterwürfigkeit war; aber, gewiß, seitdem die Zeit der Gnade gekommen ist, hat Gott angeordnet, daß einige Leute dem Stande und Range nach höher und andere tiefer stehen und das Jeder seinem Range und Stande gemäß behandelt werden solle. Und daher macht man auch in einigen Ländern, wo es Sclaven giebt, diese aus ihrer Knechtschaft frei, sobald sie sich zum Glauben bekehrt haben; und daher ist auch sicherlich der Herr seinem Unterthanen ebenso verflichtet, wie es der Unterthan dem Herrn ist.

Der Papst nennt sich selbst den Diener der Diener Gottes. Doch da weder die Einrichtung der heiligen Kirche, noch das allgemeine Wohl, noch Frieden auf Erden bestehen könnte, wenn nicht Gott angeordnet hätte, daß einige Menschen höher und andere niedriger gestellt sind, so wurde aus diesem Grunde die Herrschaft eingesetzt, um ihre Leute und Unterthanen zu erhalten, zu unterstützen und in vernünftiger Weise zu vertheidigen, soweit es in ihrer Macht liegt, und nicht, um sie zu zerstören und verderben. Deßhalb sage ich, daß jene Herren, die Wölfen gleichen und die das Eigenthum und die Habe armer Leute ohne Erbarmen und Maß schändlicher Weise verschlingen, auch die Gnade Jesu Christi nur nach demselben Maße empfangen werden, mit dem sie dem armen Volke gemessen haben, wenn sie es nicht wieder gut machen.

Nun kommt Betrug zwischen Händler und Händler. Und du sollst wissen, daß der Handel zwiefacher Art sein kann; der eine ist[297] stofflich, der andere geistlich; der eine ist ehrlich und erlaubt, der andere unehrlich und unerlaubt. Der stoffliche Handel, der als ehrlich und erlaubt gilt, ist dieser: wo Gott es bestimmt hat, daß ein Reich oder eine Gegend ausreichend für sich selbst hat, da ist es auch ehrlich und erlaubt, daß die Leute mit dem Ueberflusse eines Landes denjenigen eines anderen Landes aushelfen, welches Mangel leidet; und deßhalb muß es Kaufleute geben, welche die Waaren von einem Land in das andere bringen. Jener andere Handel, welchen Menschen mit Betrug, Hinterlist, Täuschung, Lügen, falschen Eiden treiben, ist durchaus verflucht und verdammt. Geistlicher Handel ist eigentliche Simonie, das heißt: der dringende Wunsch, geistliche Dinge zu kaufen, nämlich solche, welche zum Heiligthume Gottes gehören und zur Pflege der Seele dienen. Selbst wenn dieser Wunsch nicht zur That wird, so ist er dennoch, wenn man eifrig strebt, ihn zur Ausführung zu bringen, Todsünde. Simonie wird dies aber nach Simon Magus genannt, der für zeitliches Gut die Gabe kaufen wollte, welche Gott durch seinen heiligen Geist St. Peter und den Aposteln verliehen hatte, und deßhalb versteht, daß sowohl die, welche geistliche Dinge verkaufen, als auch Diejenigen, welche sie kaufen, Simonisten genannt werden, mag es nun geschehen durch Hingabe von Gut, durch Vermittlung oder durch fleischliches Beten seiner Freunde, fleischlicher oder geistlicher Freunde; fleischlicher Freunde nämlich in zwiefacher Art, wie durch Verwandtschaft oder sonst Freundschaft; denn wahrlich, wenn sie für den beten, der dessen nicht würdig und bei dem es nicht zulässig ist, so ist es Simonie, sofern er daraus Vortheil zieht; doch wenn es zulässig und er würdig dazu ist, so ist es keine. Die andere Art ist, wenn Mann oder Frau für Leute beten, um sie in ihrer bösen fleischlichen Neigung, die sie zu andern hegen, zu unterstützen; und das ist greuliche Simonie. Aber, gewiß, wenn man seinen Knechten für ihren Dienst geistliche Dinge als Gegendienst giebt, so muß, wohlverstanden, der Dienst ehrenhaft sein, damit es zulässig ist, und ebenso muß es ohne Feilschen geschehen, und die Person dazu würdig sein. Denn – wie St. Damascenus sagt – alle Sünden der Welt sind im Vergleich zu dieser Sünde nichts, denn es ist die größte Sünde, welche es nach der Sünde des Lucifer und Antichrist giebt, da durch diese Sünde Gott seine Kirche und die Seele verliert, welche er durch sein kostbares Blut erkaufte, wenn Leute den Dienst der Kirche Solchen übertragen, die nicht würdig dazu sind; denn sie setzen Diebe ein, welche die[298] Seelen Jesu Christi stehlen und sein Patrimonium zu Grunde richten. Durch solche unwürdige Priester und Pfaffen haben die gemeinen Leute weniger Ehrfurcht vor den Sakramenten der heiligen Kirche; und solche Kirchenpatrone stoßen die Kinder Christi aus und setzen des Teufels eigene Söhne in die Kirchen, sie verkaufen ihnen die Seelen, indem sie die Lämmer dem Wolf zutreiben, welcher sie erwürgt; und deßhalb sollen sie niemals Antheil haben an der Weide der Lämmer, das heißt an der Seligkeit des Himmels.

Nun kommt Hasardspiel mit seinem Zubehör an Tischen und Würfeln, voraus Betrug, falsches Schwören, Schimpfen und alles Lästern, Gottesläugnen, Haß gegen den Nächsten, Verschwendung von Gut, Vergeudung an Zeit und häufig Todtschlag entsteht. Fürwahr, Spieler können nicht ohne große Sünde sein. Aus Geiz kommt auch Lügen, Diebstahl, falsches Zeugniß und Meineid; und Ihr müßt sehen, daß dieses große Sünden sind und den ausdrücklichen Geboten Gottes zuwider, wie ich gesagt habe. Falsches Zeugniß geschieht durch Wort und That; durch Wort, wenn man seinen Nächsten durch falsches Zeugniß seines guten Namens, seiner Habe oder seiner Erbschaft beraubt, wenn du aus Zorn, für Geschenke oder durch Neid falsches Zeugniß ablegst, Jemanden anklagst, um dich selbst zu entschuldigen. Nehmt euch in Acht ihr Proceßkrämer und Notare: wahrlich, durch falsches Zeugniß ward Susanna in große Noth und Sorge gebracht, und mancher Andere außerdem. Die Sünde des Diebstahls ist gleichfalls gegen den ausdrücklichen Befehl Gottes und zwar in zwiefacher Weise, zeitlich und geistlich. Zeitlicher Diebstahl ist, wenn man seinem Nächsten wider seinen Willen sein Gut nimmt, sei es durch Gewalt oder List, durch falsches Maß, durch Stehlen, durch falsche Anklagen gegen ihn und durch Entleihen von dem Gute des Nächsten in der Absicht, ihm es niemals zurückzuzahlen und dergleichen mehr. Geistlicher Diebstahl ist Kirchenraub, das heißt: Beschädigung der heiligen Dinge oder der Christus geweihten Sachen in zweierlei Beziehung, nämlich in Rücksicht auf den heiligen Ort, wie Kirchen und Kirchengut; denn jede schnöde Sünde, welche man an solchen Orten thut, oder jede Gewaltthat an solchen Plätzen kann man Kirchenraub nennen; ebenso, wenn man fälschlich die Rente und Rechte, welche der heiligen Kirche gebühren, wegnimmt. Und schlichthin und allgemein ist Kirchenraub: die heiligen Dinge aus heiligen Plätzen, oder unheilige Dinge aus heiligen Plätzen, oder heilige Dinge aus unheiligen Plätzen zu rauben.

Quelle:
Chaucer, Geoffrey: Canterbury-Erzählungen, in: Geoffrey Chaucers Werke, Straßburg 1886, Band 3, S. 295-299.
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