Brief an Andres wegen den Geburtstägen

im August 1777

[170] Mein lieber Andres,

Wir haben einen recht lustigen Tag gehabt. Du weißt wohl, ich habe vieles nicht, aber 'n Geburtstag hab ich doch, und der ist gefeiert worden. Mein Vetter stellte vier Gevattern und Freunden, die alle im August geboren sind, zu Ehren 'n Fest an, und da war er so graziös, meinen Geburtstag mit einzuschließen. »Denn«, sagt er, »Ihr seid doch mein lieber Vetter.« Wir feierten also die fünf Geburtstäge. Merk aber, wie wir ihm täten.

Des Morgens vor Sonnenaufgang las ich 'n Kapitel in der Bibel, legte drauf meine rote Weste an, die ich in Japan bei der Audienz anhatte, und sah darin die Sonne aufgehen, und weckte denn alle Leut im Hause. Eine Stunde drauf feuert ich 'n Pistolenschuß los. Ich habe die Pistole noch von meinen Reisen mitbracht, und sie knallt gut wenn sie recht geladen ist, diesmal war aber durch 'n Versehn das meiste auf die Pfanne gekommen. Nachdem nun solchermaßen dem Publiko war kundgetan worden was den Tag werden sollte, waren wir einige Stunden ganz stille, den Effekt davon abzuwarten; doch wuschen wir uns während der Zeit alle im klaren Bach das Gesicht, damit es recht fröhlich aussehe, und gingen 'n kleines am Bach auf und nieder.

Um sieben Uhr ward 'n Signal gegeben, daß das Frühstück parat sei, und wir züngelten 'n wenig, und nach dem Frühstück ging 's Glückwünschen an. Die fünf Geburtstagsleute waren H – am – l, – r in W –, – y in – g, – n in – i, und ich. Die beiden letzten als nämlich – und ich, waren gegenwärtig, die drei ersten aber nicht. Wir beide empfingen also von der ganzen Gesellschaft einen Glückwunsch und Handschlag; die Abwesenden aber wurden mit Kreide auf dem Tisch gemalt, und 'n jeder von der Gesellschaft machte 'n Strich zu ihren Füßen. Weiter wurden nun allerhand Gespräche von Geburtstägen geführt, und wie Personen bei dieser Gelegenheit in Excessu oder in Defectu peccieren, Geschichten erzählt, Fragen aufgegeben, z. Ex. warum 'n Geburtstag nur alle Jahr einmal kömmt usw.

Um zwölf Uhr ward zur Tafel geblasen, und weil grade keine Trompeten und Pauken zur Hand waren, mußte ich's auf'm Triangel tun. Die Tafel war von acht Kuverts, und drei Gängen. Zuerst Reisbrei in einer großen Schale mitten auf dem Tisch, und nach kurzer Weile auch auf acht Teller rund um die Schale;[170] denn kam Butter und Kalbfleisch; und zuletzt Kuchen. Du siehst draus, daß wir hoch schmausten; zugleich kannst Du aber daraus sehen, daß der Luxus seit Abrahams Zeit um ein Drittel gestiegen ist. Mein Vetter spendierte auch einige Flaschen guten Wein, die denn gewaltig würkten und vor Gesundheiten, die aus dem Munde herauskamen, kaum hineinkommen konnten, und die Pistole brummte immer drein und zerarbeitete sich recht.

Es ist mir lieb, daß Deinem Jost die Knollen am Halse wieder vergangen sind. 's ist im ganzen menschlichen Leben so, Andres. Es werfen sich aber von Zeit zu Zeit Knollen auf; ich hab aber bemerkt, daß sie meistens auch wieder vergehen wenn man nur Geduld hat. Und denn so kommt 'nmal so 'n Geburtstag oder sonst etwas, und macht einen auf lange Zeit alle Knollen vergessen.

Nach der Tafel ward von jung und alt eine große Promenade in den Wald vorgenommen. Die Schapoos machten bei der Gelegenheit allerhand Sprünge wie die Ziegenböcke, und die Weibsleute kramten mit Blumen.


Brief an Andres wegen den Geburtstägen im August 1777

Hätt's bald vergessen, Dir zu melden. Ich habe mir seitdem eine Kanone angeschafft, die gar vortreffliche Dienste tut, und viel Metall in der Stimme hat. Wenn Du nun Geburtstag, Kindtaufe, oder sonst was zu kanonieren hast, lieber Andres, 's sei was es wolle; so schreib's mir nur, soll so gut besorgt werden als wenn's meine eigne Sache wäre.

Um fünf Uhr kamen wir wieder zu Hause, und ward gleich Ordre gegeben daß die Oper angehen sollte. Sie war von meinem Vetter, und führte den Titel: Ahasverus und Mardochai. Es war eigentlich eine Wandoper die so mit einem Stock an der Wand vorgestellt wird, und erhielt allgemeinen Beifall.

Nach der Oper wurden Bäume gepflanzt, damit die Kinder und Kindeskinder sich dabei dieses Tages erinnerten, und sich von den vier Gevattern und der Pistole und der Oper Ahasverus und Mardochai erzählten.[171]

Abends war wieder Grand Souper von Kartoffeln und Kaltenhöfer Bier; und damit war's alle, wirst Du denken. Das dacht ich auch; aber höre weiter. Es hatte schon den ganzen Tag gemunkelt, daß 'n Feuerwerk abgebrannt werden sollte; nun ward es aber hautement deklariert, und die ganze Gesellschaft begab sich in Prozession hinten in meines Vetters Garten neben dem Echafaud, das Feuerwerk anzusehen. Es bestand aus einem Petermännchen von anderthalb Zoll und reussierte ungemein. Weil so'n Ding gar zu herrlich anzusehen ist, hab ich mir von meinem Vetter das Rezept ausgebeten, und will's Dir hier kommunizieren. »Man nimmt 2 Lot Pulver, reibt es klein und tut Brunnenwasser dazu quantum satis; denn wird's 'n Teig, und man formt es, entweder kegelförmig wie 'n Kirchturm oder viereckigt wie die Pyramiden in Ägypten waren, tut oben darauf einige Körner trockenes Pulver und zündet's an.« Du mußt aber alles Pulver, wenn Du noch welches hast, vorher auf die Seite tun, auch Dich überhaupt mit dem Pulver in acht nehmen, sonst kannst Du Dir die Nase verbrennen. Um 10 Uhr 8 Minuten ging das Feuerwerk an, und währte bis 10 Uhr 8 1/3 Minute. – Du lachst Andres? Hör, das Groß und Viel tut's nicht immer, und ich schwöre Dir, daß der Großsultan, wenn er an seinem Geburtstag ein Feuerwerk von 20000 Löwentaler abbrennen laßt, nicht vergnügter sein kann, als wir bei dem Petermännchen von anderthalb Zoll waren. Der Mensch ist gottlob so gebaut, daß er mit anderthalb Zoll recht glücklich sein kann, und wenn das die Leute nur recht wüßten, so würde 'n groß Teil Ach und Weh weniger in der Welt sein. Da mischen sich aber gleich Eitelkeit und Stolz ein, und die hemmen allen Genuß, und das ist ein großes Unglück.

Um eilf Uhr gingen wir zu zu Bett, und schliefen flugs und fröhlich ein. Dein etc.

Quelle:
Matthias Claudius: Werke in einem Band. München [1976], S. 170-172.
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