No. 15. Schreiben von Görgel an seinen Herrn, d.d. 1777

[122] Ich komme morgen nicht zu Hause. »Warum nicht Görgel?« Darum nicht, mein lieber Herr! ich komme nicht und kann nicht kommen.

's wird Ihm bekannt sein, daß unser lieber Erbprinz sich morgen vermählt, und daß alle Leute im Lande, Vornehme und Geringe[122] so was machen und tun wollen, so 'n Carmina, oder Illumination, oder Musik, Tanz und dergleichen, ein jeder nach seiner Art und wie ihm der Schnabel gewachsen ist, alles aber damit der Erbprinz sehen soll, wie lieb sie ihn und seine Braut haben. Und da wollen wir alten Invaliden auch was tun, sieht Er, mein lieber Herr! und da wollen unser etliche zusammenkommen in unsern Sonntagsröcken und mit weißen Vorärmeln, und denn will ich vor ihnen hintreten und eine Rede halten.

Er kann leicht denken, was das für eine Rede werden, und daß es nicht gehauen und nicht gestochen sein wird. Aber 'n jeder macht's so gut er kann, und kurz ich werde ohngefähr so sagen: »Kamraden, wir haben alle graue Haare und sollen bald sterben; hofieren und schmeicheln steht uns nicht an. Aller Welt Lust und Herrlichkeit ist eitel und vergänglich, und am Ende besteht nichts, als wenn man Gott fürchtet und recht tut! Kamraden, auch die besten Fürsten sind Menschen, und darum muß man bei aller Gelegenheit für sie beten. Glück zu denn heute unserm geliebten Erbprinzen und seiner Braut! wenn sie der Pfarrer einsegnet und sie einander die Hände geben, so segne sie Gott ein, und die Sonne scheine milde und freundlich vom Himmel herab! – Und wenn er einst, wir erleben's nicht, wir liegen denn alle schon im Grabe, aber wenn er einst die Regierung seines Landes übernimmt, so erfülle Gott unsre Hoffnung, und gebe, daß er ein guter Regent werde, damit er in Himmel zu uns komme.«

Wenn ich das sage, »daß er ein guter Regent werde etc.« dann sollen alle Kamraden die Hüte und Kappen abtun, und denn wollen wir 'n »Vater Unser« beten, und hernach uns hinsetzen und unsers gnädigen Herrn Landesfürsten, des Erbprinzen, der Erbprinzessin und aller F. Herrschaften, und des Herrn Präsidenten seine Gesundheit trinken, in 66er wenn uns der Wirtsmann nicht betriegt. Addies lieber Herr, schreib Er mir doch 'nmal, Er hat mir so lange nicht geschrieben, und schenk Er mir einen krummen Kamm in meine Haare.


Sein Diener etc.

Görgel

Quelle:
Matthias Claudius: Werke in einem Band. München [1976], S. 122-123.
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