/ Neue Apologie des Sokrates

[22] oder Untersuchung der Lehre

von der Seligkeit der Heiden etc.


»Aber«, sagte Sokrates zum Beschluß seiner Bonmots zu seinen Richtern die ihn eben zum Tode verdammt hatten, »aber es ist Zeit, daß wir auseinandergehen, ihr an eure Geschäfte, und ich zu sterben; wer von uns am besten fährt, das wissen allein die Götter.«

Es hat von jeher nicht an Politikern gefehlt, die von Sokrates seiner Fahrt nicht viel Gutes vermutet haben. Da er ein Heide war, sagen sie, so ist er hingefahren wo die Heiden hingehören. Es ist freilich eine übertriebne Toleranzgrille, die alten Philosophen ohne Unterschied zu Christen machen wollen, weil sie eine hohe Moral gepredigt haben; aber auf der andern Seite ist zu Sokrates' Zeiten drei und eins so gut vier gewesen als itzo, Wasser hat damals schon Feuer gelöschet und so auch Selbstverleugnung ihre guten Folgen haben müssen. Einige von den Alten scheinen Wind von dieser Lehre gehabt zu haben, und Sokrates hatte sich unter andern dadurch bei seinen Landsleuten verhaßt gemacht, weil sie, wie alle andre Landsleute, in ihrer Knechtschaft nicht an die Frei heit erinnert noch durch das bittre Salz der Wahrheit gereizt sein wollten. Sonach würde es also ungeraten sein, dem Sokrates den Kranz, den er via legitima verdient hatte, abzureißen, und ihm die Freuden Gottes abzudisputieren, die der Lohn des Heldenganges sind: aus seinem Vaterlande und von seiner Freundschaft in ein Land das man beim Ausmarsch noch nicht sehen kann. Ein Trost für Sokrates' Freunde ist indes, daß der Wind bläst wo er will und daß Disputations die ewigen Gesetze der Körper- und Geisterwelt nicht irremachen können.[22] Plato erzählt auch, daß der obgedachte Lohn den Sokrates nicht Waise gelassen habe, und ihm im Richthause so hell in Aug und Antlitz getreten sei, daß seine Richter ihn nicht ansehen durften, und vor ihm dastanden, als sündige Verbrecher die von ihm ihr Urteil erwarteten.

Schließlich sei es bei dieser Gelegenheit erlaubt, einen sokratischen Schriftsteller über den Sokrates in Andenken zu bringen, den Verfasser der 1759 herausgekommenen »Sokratischen Denkwürdigkeiten etc.« Er zwar scheint ein Unhold zu sein der seinen Gang vor sich hingeht und sich nicht nach Beifall oder Tadel umsieht, aber dem Niemand und den Zweenen ist es nütze, daß er nicht vergessen werde, wiewohl er doch nicht viel verstanden wird. Gewisse Nachrichten aus dem Reiche der Gelehrsamkeit verwiesen ihn bei ihrer Anzeige seiner 4 Bogen in die Arbeits- und Raspelhäuser, welcher Sentenz Andenken er in einem eigenen Nachspiel gebührend gefeiert und allen Menschen, die nicht anders wollen, Freiheit gegeben hat, an den Hirschhörnern ihrer Vorurteile und Schoßneigungen ungestört fortzuraspeln.

Quelle:
Matthias Claudius: Werke in einem Band. München [1976], S. 22-23.
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