Eine Korrespondenz

zwischen mir und meinem Vetter

[343] Hochgelahrter

Hochzuehrender Herr Vetter,

Es wird dem Herrn Vetter bekannt sein, daß in den neuen Zeiten die alten Kirchenlieder verändert werden. Nun bin ich überzeugt, daß die Obrigkeit für die Untertanen nicht leicht besser sorgen, und ihnen nicht leicht etwas Bessers geben kann als ein gutes Gesangbuch. Denn über kräftige Kirchenlieder geht nichts; es ist 'n Segen darin, und sie sind in Wahrheit Flügel, darauf man sich in die Höhe heben und eine Zeitlang über dem[343] Jammertal schweben kann. Auch mögen wohl viele Lieder nicht so sein, als sie sein sollten etc. das ist alles wahr. Aber ich weiß nicht, ob's an dem Verbessern oder an den Verbesserern liegt; genug, ich kann mir nicht helfen, daß es mich um einige alte Lieder nicht dauren und leid sein sollte. Das Kleid macht, dünkt mich, den Mann nicht; und wenn der Mann gut ist, so ist alles gut. Ob da ein Knopf unrecht sitzt, oder eine Naht schief genäht ist, darauf kommt am Ende wenig an; und wer sieht darnach? Man ist einmal daran gewöhnt, und oft steckt's grade darin und muß so sein.

So ein: »Befiehl du deine Wege« z.E., das man in der Jugend, in Fällen wo es nicht so war wie's sein sollte, oft und andächtig mit der Mutter gesungen hat, ist wie ein alter Freund im Hause dem man vertraut und bei dem man in ähnlichen Fällen Rat und Trost sucht. Wenn man den nun, anders montiert, und im modernen Rock wiedersieht; so traut man ihm nicht, und man ist nicht sicher: ob der alte Freund noch darin ist – und ich sehne mich denn immer nach dem falschen Knopf und der schiefen Naht.

Und da pfleg ich wohl bisweilen in der Kirche, wenn die Gemeine nach der Verordnung singt, stillzuschweigen, und im Herzen die alte Weise zu halten; und da wollte ich nun gerne von dem Herrn Vetter wissen und vernehmen: »ob das auch gegen den Respekt ist den ich der Obrigkeit schuldig bin, und ob ich das mit gutem Gewissen tun kann; samt, wenn ich ganz allein und für mich bin: ob ich denn nur rein heraussingen darf?«

Ich hasse allen Ungehorsam von Herzen, so viel Aufhebens auch von einigen davon gemacht wird. Der ich die Ehre habe mit besondern Estim zu verharren


Hochgelahrter

Hochzuehrender Herr Vetter,

Dero

ergebenster Diener

Asmus.


Antwort

Die öffentliche Ordnung müßt Ihr nicht stören, Vetter; im Herzen könnt Ihr singen wie Ihr wollt. Denn übers Herz hat die Obrigkeit nichts zu befehlen. Und die Grad-Nähter noch weniger.

Sein Diener etc.[344]

Quelle:
Matthias Claudius: Werke in einem Band. München [1976], S. 343-345.
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