Über die Lehre des Spinoza,

[348] in Briefen an den Herrn Moses Mendelssohn Breslau, bei Gottlieb Löwe. 1785. 14 Bogen in 8°


Die philosophischen Systeme, die von ihren Verfassern für andre erfunden, und als Feigenblätter oder des Zanks und der Schau wegen aufgestellt werden, gehen vernünftige Leute eigentlich gar nicht an. Die Philosophen aber, die nach Licht und Wahrheit forschten für eignes Bedürfnis und um sich den Stein der Unwahrheit der sie drückte vom Herzen zu schaffen, gehen andre Menschen eigentlich und sehr nahe an. Auch wo sie irrten und verunglückten, irrten und verunglückten sie auf dem Bette der Ehren. Denn, wenn du den Trieb zu Wahrheit und dem Guten im Menschen nicht ehren willst; was hat er denn noch das du ehren mögest? Nur, es ist gewöhnlich über den Fund solcher Philosophen nicht leicht zu entscheiden. Da sie ihr System nicht in der Eile zusammenschlagen, sondern mühsam und langsam mehr ausbrüten, als machen; so wird für ihre wahre Meinung[348] ein ähnlicher Brütsinn erfodert, und wer sie aus Bruckers Choralbuch oder à livre ouvert spielen will, der läuft Gefahr fehlzugreifen. Daher kömmt es denn auch, daß es z.E. selbst Theologen gegeben, die des Spinoza Lehre für eine Stütze der Religion angesehen haben; indes andre Leute darüber aufschreien und wundern, daß Spinoza ein Spinozist gewesen.

Der verstorbene Lessing wunderte sich seines Orts nicht darüber; wie aus der angezeigten Schrift mit mehrern zu ersehen ist. Der Verfasser derselben, Hr. GR. Jacobi in Düsseldorf, hatte nämlich mit ihm als er noch lebte ein Gespräch über Spinoza, darin er sich gerade für den Spinozismus äußerte. Hr. Moses Mendelssohn hörte von solcher Äußerung als er eben an sein Werk: »Über Lessings Charakter und Schriften« Hand anlegen wollte, und wünschte das Nähere darüber zu erfahren. Hr. J. teilte ihm das Gespräch mit; und so kam es zwischen ihnen zu Briefen etc. etc. Anfangs entriert Hr. M. in die Bekanntmachung dieser Lessingschen Liebschaft, nach dem – magis amica veritas; in der Folge aber scheint er seines Freundes schonen zu wollen. Und so hielt Hr. J. nötig und nützlich das Gespräch samt den Briefen und dem ganzen Handel bekanntzumachen, und hat wahrscheinlich darin am wenigsten H. Lessings Sinn verfehlt, dessen Sache es nicht war, geschont zu werden. Viele Leute sind sehr sicher, keine Spinozisten zu werden, für andre liegt's nicht so weit aus dem Wege ...

Alle Menschen haben eine Ahndung und Idee der Wahrheit in sich; in einigen aber rührt sich der heilige Trieb zu Erkenntnis lebendiger. Doch hat der Mensch, und das fühlte Spinoza sehr wohl, kein πονδτω, bis er das Unendliche und sein Verhältnis mit dem Endlichen erkennet. Da aber hängt die Decke, die sich nicht weg demonstrieren läßt. – – – – Wenn einer indes die Wahrheit um ihrer selbst willen suchte, und sie so nicht fand; so ist das Unglück genug für ihn, ohne daß wir ihn noch höhnen dürfen. Doch können wir an seinem Exempel lernen.

Außer dem Gespräch und dem interessanten Pro und Contra zwischen zwei scharfsichtigen Männern, die beide den Spinoza studiert hatten, findet der Leser noch von Hr. J. in den Briefen an Hrn. M. manche feine Anmerkung für, über und wider den Spinoza, und eine zwiefache Darstellung seiner Lehre.

Eine paradoxe Parallele und ein Kompliment über einen Rückzug unter die Fahne des Glaubens, von dem der berühmte Hr. M. nichts wissen will sondern nur bloße Vernunftgründe zur Überzeugung[349] zulassen, veranlaßt S. 162 Erörterungen, die da hinausgehen: daß Überzeugung aus Vernunftgründen nur eine Gewißheit aus der zweiten Hand sei; und daß, wenn der Prophet nicht zum Berge will, der Berg zum Propheten komme. Und von hier an verläßt Hr. J. den Spinoza, um zu einem größern Thema zu kommen, nämlich zu der Frage: von den Wegen zu Erkenntnis und Überzeugung, darüber die authentische Weisung viel Widerspruch gefunden hat. Und über diese Frage bringt er bis zu Ende des Buchs verschiedene nicht gemeine Betrachtungen bei als die Früchte seines Forschens nach Wahrheit, voll Kopf und Herz, so daß beide Parteien wo nicht das eine lieben doch den andern achten werden.

Quelle:
Matthias Claudius: Werke in einem Band. München [1976], S. 348-350.
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