Rencontre

[443] HERR V. PÜSTER: Nun, meine Herren, was sagen Sie, und wie sollte es wohl um die Kreuze werden?

RAT MÄUSSLER: – Und es war aus mit ihnen.

HERR MYRTENZWEIG: Wohl, Freund! Der Himmel rötet sich, und rüstet sich allgemach zum Tagwerden.

DOKTOR HÜTHENTHÜT: Es ist allerdings ein sehr guter Anfang; doch besser wär's noch, die Sonne wäre schon am Himmel.

HERR V. PÜSTER: Fürchten Sie nicht, wir kommen ins reine.[443]

DOKTOR HÜTHENTHÜT: Eigentlich sollte man wohl bei einer so guten Sache auch nicht fürchten. Aber Menschen sind Menschen; und das Eisen kann auf halbem Wege kalt werden.

DIE GEBRÜDER BACKENZAHN: Ungeschmiedet nicht, dafür lassen Sie uns sorgen.

DOKTOR HÜTHENTHÜT: Nur vorsichtig, vorsichtig, und nichts übereilt! Chi va piano va sano.

DIE GEBRÜDER BACKENZAHN: Ei was, Doktor! Sie wollen ewig evakuieren. Der Körper ist einmal genug gereinigt, und es ist Zeit, heroische Mittel zu geben.

HERR V. PÜSTER: Bravo! Voran! Es ist so Holzmangel.

HERR WÜRZER: Wenn ich recht höre, so scheinen die Herren keine große Freunde der christlichen Religion zu sein?

HERR V. PÜSTER: Sehr große nun wohl nicht.

DIE GEBRÜDER BACKENZAHN: Wir sind daran, den – zusammenzupacken und aus der Welt zu schaffen.

WÜRZER: Und wie bald denken Sie damit fertig zu werden?

RAT MÄUSSLER: Das läßt sich wohl so bestimmt nicht sagen. Gut Ding will Weile haben.

ASMUS: Oh, ich bitte für die Kreuze, lieben Herren!

HERR V. PÜSTER: Seht doch! Und warum das?

ASMUS: Es ist so eine schöne Figur, wenn's weiter nichts wäre. Und denn sind sie doch auch manchem traurigen und betrübten Menschen zum großen Trost gewesen.

RAT MÄUSSLER: Grade das soll nicht sein. Die Menschen sollen sich damit nicht länger trösten; sie sollen nun etwas anders haben, sich zu trösten.

ASMUS: Kann man sich denn trösten, womit man will? Ich habe gemeint, man muß sich trösten womit man kann.

WÜRZER: Er hört ja, daß das Wohl der Welt in guten Händen ist. Die Herren wollen den Menschen die Kreuze umsetzen, und sie sollen reichlich dafür wieder haben.

ASMUS: Oh, ich bitte für die Kreuze, lieben Herren! Sie kennen sie nicht, und können sie nicht ersetzen.

HERR V. PÜSTER: Nun, was hat Er denn so recht und eigentlich für die Kreuze?

ASMUS: Das kann ich den Herren so en détail nicht sagen. Aber, ich möchte Sie fragen, was Sie dagegen haben?

RAT MÄUSSLER: Das können wir Ihm wohl sagen, wenn Er es nur verstehen kann.

ASMUS: Ich will mein Bestes tun.[444]

RAT MÄUSSLER: Die moralischen Schnürbrüste sind noch viel schädlicher, als die physischen.

ASMUS: Das kann ich schon nicht verstehen. Ich bitte, sagen Sie mir das noch einmal.

WÜRZER: Versteht Er, die Welt hat sich bisher genieren, und im Reifrock und Schnürbrust der Religion sitzen und Pein und Langeweile haben müssen; und sie soll nun einen lustigen Nachtag en négligée haben.

ASMUS: Laß den Herrn Rat Mäußler doch.

RAT MÄUSSLER: Ohne Figur denn: Die menschliche Natur ist eine edle reiche Natur, voll allerlei schöner Neigungen und Triebe. Man hat sie bisher durch Alfanz und Aberglauben widerrechtlich gedrückt und geknickt; und sie soll nun sich selbst und ihrem eigenen Genio überlassen werden.

WÜRZER: Soll sich selbst überlassen werden, versteht Er, und in ihrer eigenen Brühe sieden. Die schönen Triebe sollen nun einen ganz freien ungehinderten Lauf haben, und sich tummeln, wie ein Fisch im Wasser, versteht Er, und wie ein Tänzer im Ballsaal.

ASMUS: Aber, wer soll den Takt schlagen?

WÜRZER: Vermutlich ein jeder Ballgast selbst.

ASMUS: Aber, wird das nicht mancherlei Takt geben, und durcheinandergehen?

WÜRZER: Vermutlich wohl.

RAT MÄUSSLER: Vermutlich wohl nicht. Die Menschen haben alle einen Takt und eine Meinung in sich, wenn sie rein sind.

ASMUS: Da sagen Sie ein wahres Wort, Herr Rat. Das glaube ich auch; und grade das ist der Trost, damit ich mich bei der unglücklichen Verschiedenheit der Meinungen unter den Menschen aufrichte und tröste. Aber, sind denn alle Menschen rein, ich bitte Sie?

WÜRZER: Wer wird solche Fragen tun? Freilich sind sie rein, oder werden es doch auf dem Ball bald werden. Und wenn es etwa hie und da fehlen sollte; wird Herr Rat Mäußler schon nachhelfen.

ASMUS: Die Sache ist zu ernsthaft, Würzer. Wie kannst du lachen?

WÜRZER: Sie ist mir auch nicht gleichgültig. Aber laß mich, und versuche du gute Worte. Ich lache für Geld.

HERR V. PFEIL: Ein Wort im Vertrauen, Herr Asmus. Ich bin Ihrer Meinung, und glaube mit Ihnen, daß die Religion unentbehrlich[445] sei, um den Menschen eine gewisse moralische Haltung zu geben, und Ordnung und Wohlsein in der Welt zu erhalten. Es gibt Flecke, wo die Justiz und Polizei nicht hinkönnen, und da muß die Religion helfen. Und die Leute, die Religion abgeschafft wissen wollen, kennen die Welt und den Menschen nicht. Auch ist der Nutzen, den die Religion der Welt leistet, nicht geringe, sondern aller Achtung und alles Dankes wert. Aber, glauben Sie in Ernst, daß außerdem noch etwas Wahres im Christentum sei?

ASMUS: In Ernst, Herr v. Pfeil.

Quelle:
Matthias Claudius: Werke in einem Band. München [1976], S. 443-446.
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