Aus Newtons Observationen zum Propheten Daniel, das 11. Kapitel,

[569] darin er die Zeiten der Geburt und der Leiden Christi zu bestimmen sucht.84


Die alten Propheten nahmen, wenn sie etwas mit Nachdruck lehren wollten, ihre Allegorien nicht allein von Sachen und Zufällen, die sich gerade ereigneten, her; wie zum Exempel von dem Riß an Samuels Rock, 1. Sam. 15, von dem Sabbatjahr, Esaias 37, von den Gefäßen des Töpfers, Jerem. 18 etc. sondern sie pflegten auch, wo es daran fehlte, dergleichen durch ihre eigne Handlungen selbst zu schaffen: wie durch Zerreißung eines Mantels, 1. König. 11, durch Abschießung eines Pfeils vom Bogen, 2. Könige 13, durch Entblößung des Leibes, Esai. 20 – durch Vergrabung eines Gürtels am Ufer des Euphrats, Jerem. 13, durch Zerbrechung irdener Geräte, Jerem. 19, durch Umhängen eines Jochs um den Hals, Jerem. 27 – durch Machen einer Kette, Ezechiel 12 etc. Durch solche bildliche Vorstellungen lehrten die Propheten. Christus aber, der einen höhern prophetischen Geist hatte, und in der bildlichen Lehrart ihrer aller Meister war, lehrte nie etwas durch Handlungen (als welches unter ihn gewesen wäre und sich für ihn nicht geschickt hätte) aber auf die Dinge und Umstände, die unter Augen waren und sich wie von selbst darboten, nahm er Rücksicht, und nutzte sie zu Parabeln. – So gebot er seinen Jüngern um die Zeit des Paschafestes, zu welcher Zeit die Bäume Blätter trieben, ein Gleichnis am Feigenbaum zu lernen; »Wenn sein Zweig jetzt saftig wird«, sagte er, »und Blätter gewinnet; so wisset ihr, daß der Sommer nahe ist.« Matth. 24, 33. Luk. 21, 19. An demselben Tage erzählte er, in Rücksicht auf die Jahrszeit und auf seine zwei Tage darauf bevorstehende Leiden zugleich, ein Gleichnis von der bevorstehenden Zeit der Früchte und von dem getöteten Erben des Weinbergs, Matth. 21, 33. In der Gegend des Tempels bei den Schafställen, wo die Schafe zu den Opfern feilgehalten wurden, redete er mancherlei in Gleichnis von Schafen, dem Hirten und der Tür des Schafstalls, Joh. 10, und auf dem fruchtbaren Ölberg, Matth. 26, 30, Joh. 14, 31, wo es an Weinbergen nicht gefehlt haben kann, manches verborgen von dem Weingärtner, dem Weinstock[569] und seinen Zweigen oder Reben, Joh. 15. Zu seinen Fischern sprach er von Menschenfischern, Matth. 4, 10, und neben dem Tempel, von dem Tempel seines Leibes, Joh. 2, 19. – Von der eigentlichen Speise nahm er Gelegenheit, die Seinen über die verborgene Speise und das geheimnisvolle Essen und Trinken seines Leibes und Blutes zu unterrichten, Joh. 6, 27, 53, und an dem Tage der Laubrüsten, der am herrlichsten war und an dem die Juden eine große Menge Wasser aus dem Fluß Siloa in den Tempel zu tragen pflegten, trat Christus auf, rief und sprach: »Wen da dürstet, der komme zu mir und trinke; wer an mich glaubet, von des Leibe werden Ströme des lebendigen Wassers fließen« etc.

Quelle:
Matthias Claudius: Werke in einem Band. München [1976], S. 569-570.
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