Ernst und Kurzweil,

[222] von meinem Vetter an mich


Ich habe Euch in meiner Antwort unterm 22. ultimi von den »schönen Künsten und Wissenschaften« allbereits gründlichen Bericht getan, wie Ihr Euch noch gütigst besinnen werdet, und, wenn Ihr's etwa vergessen habt, an besagtem Ort nachsehen könnet; will aber gerne ferner dienen, und, wenn's wie Ihr sagt die Notdurft erfordert, weitern Bericht tun.

Der Inhalt oder der Sinn meines vorigen lief darauf hinaus: daß z.E. eine Gluckhenne die mit ihren Küchlein in ihrer Einfalt auf dem Hofe herumgeht, wenn der Habicht dahergeschnellt kommt, ohne alle Anweisung und ohne die Absicht sich hören zu lassen, allemal unfehlbar den rechten Schrei tue.[222]

Nun gab es aber unter den Hühnern des Hofes einige ästhetische Kannengießer, die bemerkt haben wollten: daß in solchem Fall eine Henne aus C – Moll schreie; wenn sie ihre Küchlein unter sich sammlen will, aus A – Dur; und wenn sie 'n Ei gelegt hat aus D – Dur usw.

Diesen schlauen Bemerkungen zufolge operierten sie nun weiter, und setzten gewisse Tonarten und Modulationes fest, wie es lauten müsse wenn's so lassen sollte und die andern Hühner glauben sollten: der Habicht komme, oder eine Henne wolle ihre Küchlein unter sich sammlen, oder es sei 'n Ei gelegt worden usw. und das nannten sie die »schönen Künste und Wissenschaften«.

Die Sache fand Beifall und der ganze Hühnerhof studierte die schönen Künste und Wissenschaften, und lernte die Molulations.

Da ereignete sich nun aber ein gewisser Kasus vielfältig, den niemand vorhergesehen hatte. Es ereignete sich nämlich der Kasus vielfältig, daß eine Henne aus c – Moll intonierte ohne den Habicht zu sehen. Und die Kapaunen und Poularden schrieen und kanterten den ganzen Tag aus A – Dur und aus D – Dur. Und das gab viel Verwirrung, und ein närrisch Gequick und Wesen.


Ernst und Kurzweil

Du hast recht, Vetter, es wird in diesen Jahren mit Empfindungen und Rührungen ein Unfug getrieben, daß sich ein ehrlicher Kerl fast schämen muß gerührt zu sein; indes wirst du doch Spaß verstehen, und den Respekt für deinen Landesherrn nicht verlieren weil es auch Pik – und Treffkönige gibt.

Wahre Empfindungen sind eine Gabe Gottes und ein großer Reichtum, Geld und Ehre sind nichts gegen sie; und darum kann's einem leid tun, wenn die Leute sich und andern was weismachen,[223] dem Spinngewebe der Empfindelei nachlaufen und dadurch aller wahren Empfindung den Hals zuschnüren und Tür und Tor verriegeln.

Will dir also über diese ästhetische Salbaderei, und überhaupt über Ernst der Empfindung und seine Gebärde, einigen nähern Bericht und Weisung geben, wenigstens zur Beförderung der ästhetischen Ehrlichkeit, und daß du auch den Vogel besser kennen mögest: denn so hoch auch die schönen Künste und Wissenschaften getrieben sind, so haben doch Ernst und Kurzweil jedwedes seine eigne Federn.

Meine Weisung ist kurz die: daß Ernst Ernst sei und nicht Kurzweil, und Kurzweil Kurzweil sei und nicht Ernst. Die Sache wird sich aber besser in Exempeln abtun lassen; und zwar will ich die Exempel an dir statuieren, da du doch ohne dein Verschulden bei vielen in dem Verdacht der Poeterei stehest, und sie dich für einen erzempfindsamen Balg halten sollen.

Zum Exempel also, du führest mit Extrapost durch 'n Dorf oder Flecken und der Postillion fiele unter die Pferde und bräch 's Bein, wie wir ja auf unsern Reisen den Fall gehabt haben. Nun, so sitz nicht auf dem Wagen und wimmere wie 'n Elendstier, kriege keine Konvulsions, und reiß dir auch die Haare nicht aus; sondern steige flugs aber vorsichtig herunter, bringe den Schwager unter den Pferden heraus und siehe ob das Bein würklich ab ist. Und wenn es damit seine Richtigkeit hat, so suche den Feldscher im Ort auf, zahl ihm wenn du willst und kannst die Taxe für 'n Beinbruch und noch etwas darüber daß er's fein säuberlich mache; und komme denn ohne alles weitere zu deinem Schwager zurück, und blase ihm eins auf seinem Horn vor bis der Feldscher nachkomme.


Ernst und Kurzweil

Quelle:
Matthias Claudius: Werke in einem Band. München [1976], S. 222-225.
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