15. Grindköpfchen.

[53] Mündlich in Herrenhausen.


Es war einmal ein König, der hatte drei Söhne, und der jüngste hieß Grindköpfchen und war ihm der allerliebste. Eines Tages rief er sie alle drei zu sich und sagte: »Meine Kinder, ich werde nun alt und schwach und kann nicht lange mehr König sein. So gehet denn hinaus ins Land und suchet umher, und wer mir den besten Hund heimbringt, soll die Krone haben.« Die drei Königssöhne zogen von dannen, und als sie ein Stück Weges gegangen waren, kamen sie an einen Wald und in dem Walde an eine Grube, an welcher Tannen und Buschwerk standen; da legten sie sich hin und aßen und tranken. Während aber Grindköpfchen fröhlich wurde vom Wein, stiegen in den beiden anderen böse Gedanken auf; und sie nahmen Grindköpfchen, der eine beim Kopf, der andere bei den Beinen, warfen ihn in die Grube, legten viel Gezweig darauf, traten dasselbe fest, daß er ersticken sollte, und giengen davon, den besten Hund zu suchen. Dem Grindköpfchen aber war kein Haar gekrümmt; tief und immer tiefer war er gefallen, bis er auf einmal vor einer großen Thür stand. Als er sich erholt hatte, klopfte er an, aber niemand sagte herein; er gieng doch hinein, kam an eine zweite Thür und klopfte wieder an, aber niemand sagte herein; er gieng auch durchs zweite Zimmer, kam an eine dritte Thür, und als er hier anklopfte, rief es herein. Als er hineintrat, fand er niemanden drinnen; eine Tafel aber stand da, gedeckt und mit dem besten[53] Eßen besetzt, und weil er gerade hungerig war und nichts beßeres zu thun hatte, gabelte er frisch darauf los. Er hatte aber kaum ein bißchen genoßen, als es rief: »Grindköpfchen, hör auf! Grindköpfchen, hör auf!« Er wußte nicht, was das bedeuten solle, legte die Gabel weg und suchte und suchte; aber es war nichts Lebendiges zu hören und zu sehen. So meinte er denn, es habe ihn geneckt, setzte sich wieder an den Tisch und aß munter darauf los. Und wieder rief es: »Grindköpfchen, hör auf! Grindköpfchen, hör auf!« Nun suchte er noch viel schärfer durch, fand aber wieder nichts. Und zum drittenmal fieng er an zu eßen, und zum drittenmal rief es: »Grindköpfchen, hör auf! Grindköpfchen, hör auf!« Da hörte er, daß die Stimme hinter dem Ofen herkam, und als er da nachsah, fand er eine Schlange. Die zischelte, als er zu ihr kam, und sagte: »Ich weiß wohl, was du willst: du suchst nach dem besten Hunde, und ich kann dir helfen, wenn du willst. Bleib acht Tage hier, spalte alles Holz entzwei, das im Hofe liegt, an Bedienung soll dir's nicht fehlen; es ist dein Glück.« Grindköpfchen willigte gern ein und gieng an die Arbeit; und an Speise und Trank war kein Mangel, und abends fand er das weichste Bett. Als die acht Tage um waren, das Holz war gespalten bis auf den letzten Stamm, da freute sich die Schlange und sagte: »Nun folge mir und such dir den schönsten Hund aus.« Und sie giengen zusammen über den Hof, wo viele Ställe waren, und kamen zuletzt an einen Stall, in dem befanden sich viele große Hunde; die waren aber häßlich und gefielen Grindköpfchen nicht. Sie giengen zu einem zweiten Stalle, da saßen noch mehr Hunde; die waren nun zwar kleiner und auch etwas hübscher, indes so recht gefielen sie Grindköpfchen doch nicht. Als sie aber in den dritten Stall kamen, wo noch viel mehr Hunde saßen, da wußte Grindköpfchen sich gar nicht zu faßen, so klein und allerliebst waren sie. Nachdem er sich hier den zierlichsten ausgesucht hatte, klopfte die Schlange an die Wand, und, was denkst du wohl! da fiel ein goldenes Halsband heraus mit Edelsteinen; das hieng sie dem Thiere um, legte Baumwolle in eine kleine Schachtel, so groß wie eine Wallnuß, in die Baumwolle[54] das Hündlein, schob den Deckel darauf und gab es Grindköpfchen hin. Er bedankte sich, steckte die Schachtel in die Tasche und sprach: »Ich kann aber nicht wieder hinaus; die Brüder haben die Grube zugeworfen.« »Geh nur hin«, sagte die Schlange; und er gieng hin und fand alles offen. Als er ein bißchen gegangen war, kamen seine Brüder auch daher, jeder mit einem großen Schlachterhunde; und sie sagten unter einander: »Ei, wie mag der nur wieder herausgekommen sein?« Als sie aber sahen, daß er keinen Hund mit sich führte, da freuten sie sich und nahmen ihn mit aufs Schloß.

Der König saß gerade bei Tisch, und als er Grindköpfchen ohne Hund eintreten sah, wurde er sehr traurig. Eben wollte er entscheiden, welches von den beiden Schlachterhunden der schönste sei, als Grindköpfchen leise die Schachtel öffnete und sein Hündlein über den Tisch laufen ließ. Da staunte der König und alle, die mit ihm bei Tische saßen, denn ein so schönes Thier war noch nicht auf der Welt gewesen; die beiden ältesten Söhne aber wurden grimmig, daß sie die Wette verloren hatten. Mochte der König nun auch Grindköpfchen am liebsten leiden, die beiden anderen waren ihm doch auch lieb, und so sprach er: »Dieß einemal soll noch nicht gelten; geht noch einmal aus, und wer mir dießmal das schönste Pferd mitbringt, soll die Krone haben.« Als die drei Königssöhne wieder an den Wald und an die Grube kamen, nahmen die beiden ältesten Grindköpfchen, warfen ihn wieder hinein und legten dießmal noch mehr Buschwerk und Tannenzweige darauf und stampften alles noch fester, so daß sie meinten, nun sei Grindköpfchen gewis todt. Er war aber nicht todt, sondern kam wieder an die erste und an die zweite Thür und klopfte an, ohne daß herein gesagt wurde; als er aber an die dritte klopfte, sagte es herein. Wieder fand er nichts Lebendiges drinnen, wohl aber eine reich besetzte Tafel, und eben hatte er zu eßen angefangen, als es rief: »Grindköpfchen, hör auf! Grindköpfchen, hör auf!« Nun wußte er gleich, woher die Stimme komme, und gieng hin zu der Schlange, die zu ihm sagte: »Ich weiß wohl, was du willst: du suchst nach dem besten Pferde, und ich kann dir helfen.[55] Bleib acht Tage hier, trag alles gespaltene Holz aus dem Hofe auf den Boden, schichte alles hübsch auf, an Bedienung soll dir's nicht fehlen; es ist dein Glück!« Grindköpfchen willigte gern ein und gieng an die Arbeit; und an Speise und Trank war kein Mangel, und abends fand er das weichste Bett. Als die acht Tage um waren, das Holz war geschichtet bis auf das letzte Scheit, da freute sich die Schlange und sagte: »Nun folge mir!« Und sie giengen zusammen über den Hof, wo die vielen Ställe waren, und kamen zuerst an einen Stall, in dem befanden sich viele schwarze Pferde; die waren aber häßlich und gefielen Grindköpfchen nicht. Sie giengen zu einem zweiten Stalle, da standen braune Pferde; die sahen zwar schon beßer aus, aber so recht gefielen sie Grindköpfchen doch nicht. Als sie aber in den dritten Stall kamen, wo lauter weiße Schimmel standen, da lachte Grindköpfchen vor Freuden das Herz im Leibe, so wunderschön waren die. Nachdem er hier den besten Schimmel ausgesucht hatte, klopfte die Schlange an die Wand, und heraus fiel ein goldenes Sattelzeug mit Edelsteinen, das legte sie dem Thiere an, überzog es vom Zipfel der Ohren bis zur Spitze des Schweifs mit grauer Leinewand, die sich anschloß, als wär's die Haut gewesen, und entließ es sammt dem Reiter durch die Grube auf die Welt. Als er ein bißchen geritten war, kamen seine Brüder auch daher und saßen auf Bauerpferden; und sie erschraken erst, als sie Grindköpfchen lebendig vor sich sahen, waren aber wieder lustig, als sie das schlechte graue Pferd desselben erblickten, und nahmen ihn mit aufs Schloß.

Der König schaute gerade aus dem Fenster, als sie ins Thor ritten, und als Grindköpfchen solch schlechtes Pferd hatte, ward er sehr traurig. Gerade aber wollte er entscheiden, welches von den beiden Bauerpferden das beste sei, als der Hengst sich schüttelte, die graue Leinewand abwarf und nun das allerschönste Ross war, das je die Sonne beschienen hat. Nun aber geriethen die beiden ältesten Königssöhne ganz außer sich vor Wuth, und als der König das sah, sprach er: »Es gilt noch die dritte Wette! Wer dießmal den schönsten Wagen mit den schönsten Pferden und der schönsten Braut heimbringt, soll die Krone haben; dabei aber[56] bleibt's gewis und wahrhaftig!« Des wurden alle drei froh und zogen fort. Als sie wieder an den Wald und an die Grube kamen, warfen die beiden ältesten Grindköpfchen nochmals hinein und bansten dießmal so viel Buschwerk, Tannenzweige und Erde darauf, daß ein ordentlicher Berg wurde, und meinten: »Dießmal soll er aber wohl da unten bleiben!« Grindköpfchen aber gieng gleich auf das dritte Zimmer los und, als herein gesagt war, hinter den Ofen, wo die Schlange ihn ganz unbeschreiblich fröhlich ansah und zu ihm sagte: »Grindköpfchen, ich weiß wohl, was du willst; thu alles genau, wie ich dir's sage, so ist es dein und mein Glück: im Hofe liegt eine Mistgabel; hole sie, steck mich darauf, trag mich auf den Boden, zünde das Holz an und halte mich darüber.« Erst wollte er lange, lange nicht; sie bat aber so dringend, so flehend, daß er sich endlich ein Herz faßte und es erfüllte. Und als er die Schlange noch nicht so lange über das Feuer gehalten hatte, als der Blitz gebraucht, um vom Himmel auf die Erde zu springen, da geschah ein fürchterlicher Knall, und das ganze Haus knisterte und krachte, und die Flamme wurde ganz anders und war kein Feuer mehr und leuchtete doch, und das Haus wurde ein prachtvolles Schloß und stieg auf die Erde, und die Schlange war die herrlichste Jungfrau von der Welt, und er und sie hatten das allerschönste Zeug an, und vor dem Schloße hielt ein wundervoller Wagen mit sechs schneeweißen Hengsten und mit Bedienten, Kutschern und Vorreitern; die Jungfrau aber weinte vor Freuden und fiel ihm in die Arme und sagte: »Du hast mich erlöst; nun werde ich deine Frau!« und sie küssten und drückten sich. Nun versahen sie alles mit schlechten grauen Überzügen, die Leute, die Rosse und den Wagen, nur allein sich selber nicht, und fuhren von dannen. Als sie ein bißchen gefahren waren, kamen die beiden anderen auch daher und hatten nur Bauerwagen mit Bauerpferden und Bauermädchen; sie sahen auch wohl Grindköpfchen's Gespann, wußten aber nicht, daß dieser darin sitze, und sagten: »Wem mag nur der schlechte Wagen dort gehören mit den scheuslichen Pferden und den grauen Bedienten?« Und sie fuhren raßelnd vors Schloß und dachten:[57] »Grindköpfchen ist todt; uns gehört die Krone!« und sagten's auch dem König. Dieser wollte schier vergehen vor Traurigkeit; da kam noch ein dritter Wagen herangedonnert, und als er still hielt, und die grauen Überzüge abfielen, da waren alle sprachlos vor Verwunderung, so blitzte und blänkerte alles; sie sprangen aber alle hoch auf vor Freuden, auch der König mit der Krone, als Grindköpfchen ausstieg mit der herrlichen Königstochter. Da jagten die beiden anderen Königssöhne in alle Welt; Grindköpfchen aber hielt Hochzeit mit seiner schönen Braut und bekam nach des Vaters Tode das Reich.

Quelle:
Carl und Theodor Colshorn: Märchen und Sagen, Hannover 1854, S. 53-58.
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