43. Die Querpfeife.

[141] Mündlich in Vollbüttel.


Einem Bauern starb die Frau, und als sie begraben und betrauert war, sagte der Bauer zu seinem Sohne: »Hans, ich will nicht wiederheiraten; sorge du nun für eine Hausfrau!« Da wurde Hans sehr traurig; denn er hatte noch viel weniger Lust dazu. Und der Vater wurde böse und sagte: »Was stehst du denn da, als wäre dir die Petersilie verhagelt!« Hans erwiderte: »Ich mag nicht heiraten, und mag auch nicht einmal daran denken.« »Warum nicht?« zürnte der Vater; »habe ich doch auch geheiratet und mich sehr wohl dabei befunden!« »Das glaube ich«, versetzte der Sohn, »ihr hattet die selige Mutter; ich aber, sollte ich mit einer Wildfremden leben?« Und der Vater mochte sagen, was er[141] wollte; Hans wollte nicht heiraten, und so holte jener selber eine neue Frau ins Haus. Das aber war ein Unglück für Hans; denn als die Stiefmutter einen Sohn bekam, wußte sie Hans und den Vater zu entzweien, und dieser jagte jenen aus dem Hause. Hans nahm sich die Schlackwurst aus dem Wiemen, schnitt sich einen tüchtigen Stock aus seines Vaters Busch und wanderte in die weite Welt.

Gegen Abend kam er in einen großen Wald, und er verirrte sich und war in großer Noth. Da raschelte es im Busch, und es trat ein graues Männchen zu ihm und sprach: »Ich bin hungerig; gieb mir ein wenig Eßen!« Hans griff in die Tasche, holte die Schlackwurst hervor und gab sie dem Männchen; und das Männchen griff in die Tasche, holte eine Querpfeife hervor, gab sie an Hans und sagte: »Wenn du in Noth kommst, blas!« und weg war es. Hans war müde, legte sich ins Gras und schlief ein. Am andern Morgen wanderte er weiter, und als er hungerig wurde, blies er auf der Flöte; da kamen zwei große Wolfshunde, und der eine hatte eine Wurst, der andere ein Brod im Maule. Hans aß sich satt und wanderte weiter. Gegen Abend kam ein Wolf und wollte ihn zerreißen; da blies er auf seiner Flöte, die Hunde waren da und zerrißen den Wolf. Als er am andern Tage hungerig war, blies er wieder, und die Hunde brachten ihm Brod und Wurst, und am dritten Tage machten sie's ebenso; und als am zweiten Tage gegen Abend ein Bär kam und wollte ihn zerreißen, da blies er auf seiner Flöte, und die Hunde waren da und zerrißen den Bären. Am dritten Tage gegen Abend kam er an eine Höhle; da wohnte eine Menschenfreßerin mit ihrem Sohne. Hans bat um Quartier, und jene sagten's ihm gerne zu; denn sie wollten ihn des Nachts erwürgen und freßen. Das hatte aber lange Weile! Denn als sie des Nachts in seine Kammer kamen und ihn tödten wollten, blies er auf seiner Querpfeife; da kamen die Hunde und zerrißen die Menschenfreßerin sammt ihrem Sohne.

Als Hans am andern Morgen erwachte, war er mitten in einer großen Stadt; die Hunde hatten ihn des Nachts dahin[142] getragen. Und der Wirth kam herein und sagte: »Habt ihr's schon gehört? in der vergangenen Nacht hat der Drache die Prinzessin gestohlen, und wer sie wieder holt, soll sie haben und König werden.« Hans gieng hinaus und folgte der Spur des Drachen. Es dauerte nicht so lange, so kam er wieder in den großen Wald, und unter einer großen Eiche lag der Drache, und die Prinzessin kraulte ihm den Kopf. Hans riß die Prinzessin weg; davon erwachte der Drache und wollte ihn freßen. Da blies er auf seiner Flöte, die Hunde waren da und zerrißen den Drachen. Nun brachte er die Königstochter zu ihrem Vater, und dieser sagte: »Willst du sie haben?« »Ja«, sagte er, »sie sieht aus wie meine Mutter, nur jünger und stolzer; drum will ich sie.« Und sie heirateten sich und haben lange in Frieden und Freuden mit einander gelebt.

Quelle:
Carl und Theodor Colshorn: Märchen und Sagen, Hannover 1854, S. 141-143.
Lizenz:
Kategorien: