45. Der alte Schimmel.

[147] Mündlich in Platendorf.


Es war einmal ein Graf, der führte ein wildes und unordentliches Leben und glaubte nicht an Himmel und Hölle. Nun lebte in dem Dorfe auch ein alter Bauer, der war noch reicher als der Graf und brauchte weder Zins noch Zehnten zu zahlen, und all sein Geld und Gut erbte einmal seine sittige Tochter. Er hoffte ihr aber noch etwas mit zu vererben, das ihm lieber war als all sein Vermögen; und dieß war ein steinalter Schimmel. Ein klügeres Thier ist nie in der Welt gewesen! Denn wenn es vor den Wagen gespannt war, und dem Bauern wäre die Fahrt verderblich gewesen, so gieng es nicht aus der Stelle, er mochte peitschen, so viel er wollte; ehe er das wußte, hatte er einigemal ein anderes Pferd genommen und war doch losgefahren, es hatte ihm aber immer Unglück gebracht. Zuletzt hat der Schimmel noch die Tochter des Bauern vor großem Leidwesen bewahrt, und das ist also zugegangen.

Der Graf hatte einen jungen Schäfer, der überall »der Schäferssohn mit der goldenen Kron'« hieß; niemand hatte ihm den Namen gegeben, und doch nannte ihn jeder so, auch wußten seinen rechten Namen nur wenige. Diesem Schäferssohn mit der goldenen Kron' war die Tochter des Bauern von ganzem Herzen zugethan, und er liebte sie von ganzem Herzen wieder, brachte ihr jeden Abend die schönsten Blumen mit, oder irgend ein Schnitzwerk, das er für sie angefertigt hatte, und schaute ihr lange[147] nach, wenn er sie sah, und sonst niemand zugegen war. Der Vater schien nichts davon zu merken; der Graf hingegen wußte alles und war empört darüber: er selber nämlich wollte das Mädchen zur Frau haben, weil es so reich, er aber mit seinem Vermögen fertig war. So gieng er denn hin zu dem alten Bauern und hielt um die Jungfrau an; dieser verwies ihn an die Tochter, und kaum hatten die Basen und die Gevatterinnen von der Bewerbung gehört, als sie das arme Mädchen so lange abquälten, bis es endlich unter Weinen und Schluchzen sein Jawort gab. Der Vater schüttelte den Kopf, war indessen unverzagt; hatte er doch noch den alten klugen Schimmel! – Und als der Hochzeitstag war, ließ er sich's nicht nehmen, er spannte seine Pferde dem Brautwagen vor; die des Grafen zogen den zweiten. Wie aber erstaunten alle Gäste und alle Zuschauer, als der alte Schimmel nicht von der Stelle wollte! Er ward geschlagen und gezerrt – er rührte sich nicht; man wollte ihn ausspannen – er schlug wüthend um sich und fletschte die langen Zähne; der Bauer selber kam herzu – er tobte nach wie vor. Endlich stieg auch die Braut, gegen die er stets wie ein Lamm gewesen war, vom Wagen, um ihn zu besänftigen; und kaum berührte sie den Boden, da machte er einen fürchterlichen Satz, der Wagen zerschellte an der Mauer des Hofes, der Graf brach den Hals, und auch der Schimmel war todt.

Einige Wochen darauf heiratete die reiche Bauertochter den Schäferssohn mit der goldenen Kron', und sie führten ein glückliches Leben. Nur mußten sie bald den alten Vater beerdigen; denn dieser grämte sich um den alten Schimmel so heftig, daß er kurze Zeit nachher starb.

Quelle:
Carl und Theodor Colshorn: Märchen und Sagen, Hannover 1854, S. 147-148.
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