77. Thedel von Walmoden.

[212] Des Edlen Gestrengen Weitberümbten, vnnd Streitbaren Heldes Thedel Vnuerferden von Walmoden etc. wunderbarliche Geschicht etc. in Reim gebracht durch M. Georgium Thym von Zwickaw. 1563.


Im Braunschweiger Lande lebte einst ein schlichter und ehrbarer Held, Aschen von Walmoden mit Namen, der war wegen seiner Tapferkeit und Gottesfurcht hin und her berühmt in der Welt; seine Gemahlin Bertha von Gernrode war ehrbar und tugendsam wie er, und sie lebten in Frieden und Frömmigkeit mit einander. Dafür segnete sie der liebe Gott, segnete sie mit Hab und Gut, segnete sie insbesondere mit gehorsamen Kindern. Einst bescherte er ihnen ein Söhnlein, welchem sie in der heiligen Taufe den Namen Thedel oder Dietrich gaben; den hielten sie zur Zucht und Tugend an, ließen ihn fleißig studieren und sandten ihn, damit er der Künste gewis werde, gen Paris. Thedel studierte hier fleißig fort, blieb immerdar wacker und brav, und als er[212] nach sechs Jahren frisch und gesund heimkehrte, hatten sie eitel Freude und Ehre von ihm bis an ihren späten Tod.

Als er kurze Zeit nach seiner Rückkehr einer Taufe als Gevatter beiwohnte und die ergreifenden Worte vernahm, welche der Priester über das Kindlein sprach, giengen ihm dieselbigen so sehr zu Herzen, daß er bei sich in seinem Sinn gedachte: »Wollte Gott, du wärest auch also getauft!« und er hatte nicht eher Ruhe, als bis er den Pfarrherrn gefragt, ob er dereinst auch wohl also getauft sei. Der Priester berichtete ihm, daß über ihn ganz dieselben Verheißungen der ewigen Seligkeit und des Beistandes Jesu Christi ausgesprochen seien, und da wurde der Thedel froh und unverzagt und antwortete aus seinem Gemüth und Herzensgrund: »Gott sei Lob und Preis! Nun fürchte ich mich selbst vor dem Teufel nicht, sintemal er mir nicht ein einiges Haar krümmen kann. Froh und frei wage ich's mit dem Bösewicht!« Solche Rede verdroß den Teufel sehr, und er sann hin und her, wie er den kühnen Ritter zu Fall bringen möge.

Lange nachher entschliefen des Junkers Eltern in dem Herrn; da erbte Thedel viel Geld und Gut und überkam auch das Haus Lutter am Barenberge, woselbst er von nun an lebte, wie es einem christlichen Ritter ziemet, und wie er es auch gar nicht anders gewohnt war. Einst gieng er mit seinem Schreiber auf ein weit Feld bei Brelem, welcher Ort »die Har« genannt wird, und sie lauerten Hasen und Füchsen auf. Als sie nun da so standen, siehe, da kam ein großer Zug Reiter einhergesprengt: Verstorbene waren es aus Thedels Heimat und ihm wohlbekannt; voran ritt auf einem feinen schwarzen Pferde ein schwarzer Mann mit einer großen schwarzen Fahne: der Teufel selber war es, der mit seiner unheimlichen Schar die Luft durchstreifte. Thedel, der kühne und edle Held, gab Garn und Schlingen an den Schreiber und eilte auf fünf Reiter zu, die hinterher trabten. Da kam einer derselben, der auf einer schwarzen dreibeinigen Geiß saß und dem Helden bekannt war, auf ihn zu und fragte ihn: »Was stehet ihr hier so einsam? Suchet ihr Abenteuer, und habt ihr Lust, Lieb und Sinn, mit uns nach dem heiligen Grabe zu ziehen,[213] so springet flugs aus meinen dreibeinigen Bock und sitzet hinten auf! Ihr könnet euch gar das schwarze Pferd verdienen, auf dem der stolze schwarze Mann dort sitzet; ihr müßt aber auf dem ganzen Wege nicht reden, denn sonst bräche euch der böse Feind den Hals. So ihr mitziehet, könnet ihr daselbst ohne Strafe und Pein verweilen bis in die andere Nacht; wenn aber dann zum drittenmal der Kirchring umgezogen wird, so müßt ihr nicht länger säumen.« Thedel schwang sich in Gottes Namen auf und machte sich unverzagt ins Feld. Als sie ans Meer kamen, setzten sie über die kleine Pfütze und waren in der heiligen Stadt; Thedel betete am Grabe des Erlösers, verewigte dort sein Gedächtnis durch eine gemalte Denktafel, gieng zum heiligen Abendmahl und trauete Gott dem Herrn.

Als der Held sich nun weiter in Jerusalem umsah, erblickte er unvermuthet ein gar liebes Gesicht: Herzog Heinrich war es mit seinem Löwen. Kaum hatte der gewaltige Fürst ihn gesehen, als er ihm die rechte Hand gab und zu ihm sprach: »In zwei Jahren habe ich nun nichts aus dem deutschen Land vernommen; wie kommst du hieher, und wie steht's daheim? wie geht's zumal unserer lieben Gemahlin mit den Kindern? und wie unseren Räthen sammt allen Getreuen?« Thedel erzählte ihm sein Abenteuer und berichtete alsdann, wie es der fürstlichen Gemahlin und den Kindern sammt dem ganzen Lande wohlgehe; »doch«, fügte er hinzu, »das Gerücht ist landkundig, ihr wäret mit allen Rittern ertrunken, und so ihr nicht auf Michaelis wiederkehrt, will die edle Fürstin den Pfalzgrafen ehelichen.« Der Herzog erschrak, nahm den Thedel mit in seine Herberge, ließ ihn mit sich speisen und gab ihm dann wichtige und wohlpetschierte Briefe, die er daheim besorgen solle.

Je näher die bedungene Frist ihrem Ende kam, um so eifriger suchte der Teufel den Ritter zum Sprechen zu bewegen; Thedel indes widerstand allen Lockungen, so schlau sie auch berechnet waren, und nachdem er sich auf solche Weise das schwarze Pferd errungen hatte, saß er auf und ritt von dannen und ritt immerzu, bis er bei Lutter auf die Har kam, allwo er den Schreiber noch[214] beim Hasengarn antraf. Der treue Diener, der vor Schrecken und Angst grau geworden war, wurde hoch erfreut, als er den lieben Herrn stark und gesund wiederkehren sah, pries und lobte Gott, hieng das Jägergarn an das schwarze Pferd, und die beiden trabten wohlgemuth gen Lutter. Hier brachte ein Knecht das Thier in den Stall, erkundete von dem Helden mit Fleiß, auf welche Weise es anzubinden, zu zäumen und zu satteln sei, und mußte es nach des Schwarzen Anweisung mit glühenden Kohlen und Dornwachsen füttern. Nun hätte schier jedermann gar gern gewußt, woher das seltsame Thier stamme; der Ritter indes verrieth nichts, denn der Schwarze hatte zugleich gedroht, sobald jener melde, woher er es genommen, müße er am dritten Tage darauf gewislich sterben.

Nachdem Thedel von seiner Hausfrau Anna herzlich bewillkommnet war, und er auch ihr das Abenteuer erzählt hatte, ohne jedoch den Geber des Pferdes zu nennen, giengen sie zu Tisch und aßen und tranken mit Lust und Wonne, wobei indessen auch Gottes nicht vergeßen wurde. Nach der Mahlzeit hätte nun des Junkers Hausehr gar zu gern das Nähere über das Thier hören mögen; er aber wich ihr aus und antwortete: »Ich habe es gegen baares Geld von einem Kaufmann aus Niederland erstanden, des Namen ich nicht erfahren habe.« Des andern Morgens sodann machte er sich mit dem Schreiber und einigen Knechten auf gen Braunschweig, klopfte am Thor der Burg, über brachte der edlen Frau die Grüße des Herzogs und sprach: »Der durchlauchtige Herr entbeut euch


So viel Heiles und guter Nacht,

Als manch roth Mündlein im Jahr lacht,

Desgleichen auch, als viel Sandkorn

Im Meer sind und in allen Born,

Daneben, so viel Grasstiel sind,

Die man auf dem ganzen Weg findt

Von Braunschweig bis Jerusalem.


Das ist euch ja ein sicheres Zeichen, daß er's noch herzlich gut mit euch meint, die auch ihr so oft um ihn geweint habt!« Mit diesen Worten übergab er ihr zum Wahrzeichen die Briefe, welche[215] erst ehegestern geschrieben und gesiegelt waren. Die Herzogin wurde hoch erfreut, küsste die Briefe inbrünstig, dankte dem lieben Gott für den Schutz, welchen er ihrem Gemahl hatte angedeihen laßen, und ließ, während sie selber las, den Thedel aufs beste bewirthen; hierauf ließ sie in der Freude ihres Herzens einen güldenen Ring herholen, schenkte ihm denselben nebst einem Hut mit einem güldenen Kranze, gab ihm außerdem ein prächtig Gewand, hieng ihm eine Kette von ungar'schem Golde um, die wog wohl hundert Gülden schwer, versicherte ihn ihrer ferneren fürstlichen Huld und reichte ihm zum Abschied die Hand. Thedel dankte, befahl die edle Frau dem lieben Herrgott und gieng wohlgemuth in seine Herberge. Als er sich hier von dem Wirth die Rechnung erbat, hörte er zu seiner neuen Überraschung, daß auch die bereits von der gütigen Fürstin quittiert sei.

Auf der Heimreise sprach er beim Grafen von Schladen ein, und hier versuchte ihn der Böse aufs neue. Der unverzagte Held Thedel hatte sich nämlich anheischig gemacht, daß er sich nimmer erschrecken laßen und selbst in der größten Gefahr nimmer ein Kreuz vor dem Teufel schlagen wolle. Nun hatte man bei Schladen einen Pferdedieb gehangen, und den nahm der Böse vom Galgen und setzte ihn in ein abgelegenes Gemach, wohin man wohl des Tages einmal zu gehen pflegt. Als Thedel in tiefer Nacht sich zu Bette begeben wollte und gleichfalls zuvor dort einkehrte, fand er den Leichnam, und das behagte ihm über die Maßen; er faßte ihn beim Schopf, setzte ihn zur Seite und sprach: »Armer Schelm! was hast denn du hier noch zu schaffen?« wobei er doch über die kindische List des Teufels gar herzlich lachen mußte; nachher setzte er den Erhenkten an seine vorige Stelle, gieng gemüthlich zu Bett und schlief sanft und behende ein. Der Schreiber jedoch und am andern Tage auch der Graf wären fast umgekommen vor Entsetzen, obgleich Thedel, bevor sie sich dahin begaben, sie von dem Vorfall bereits in Kenntnis gesetzt hatte. Der Graf ließ nun flugs den Henker kommen und den Dieb wieder an den Galgen tragen; der unverzagte Held[216] unterdes that sich gütlich an der Morgensuppe, nahm heiteren Sinnes Abschied und ritt mit seinem Gefolge heim.

Eine Zeit darauf kehrte Herzog Heinrich mit seinem Löwen aus Jerusalem zurück und bat viele Fürsten, Grafen, Ritter und Herren zu sich; auch Thedel der unverzagte Held wurde huldvoll geladen und ritt hin. In Braunschweig angekommen, that er ein prächtiges Kleid an und gieng an Hof. Kaum war der Herzog sein ansichtig worden, da gab er ihm die Hand und hieß ihn herzlich Gott willkommen, nahm ihn auch mit in sein Gemach, um die andern Gäste mit zu empfangen. Nach der Mahlzeit, bei welcher viel gesungen wurde, begann ein Ringen und Springen, ein Tanzen, Fechten und Turnieren, und dabei wurde mit Trommeln und Pfeifen hantiert, wie dergleichen bis dahin noch niemals im deutschen Reiche erhört gewesen, noch ersehen. Thedel der unverzagte Held war bei allem gegenwärtig und fand im Ringen und Springen, im Rennen und Turnieren, im Kampf mit Schwert und Hellebarde, desgleichen im Reden und Tanzen nicht seines Gleichen, so daß sich alle baß verwunderten und ihn höchlich lobten, und die, so vom Saal zusahen, allzumal laut ausriefen:


»Der Thedel hat das Beste gethan

Heut diesen Tag auf offnem Plan

Beid im Turnieren und im Rennen,

Im Fechten, und wie man's mag nennen!«


Auch der Herzog selber hatte des ein Gefallen, ließ ihn zu sich holen und sprach mit hellen Worten: »Du hast uns heute gar sehr erfreuet, sintemal du dich vor männiglich so gar ritterlich bewiesen! Wir haben auf unseren Reisen manch ehrlich Ritterspiel mit Rennen und Stechen, mit Fechten und Turnieren angesehen; doch so wie du heute hat niemand gestritten. Ist doch dein schwarzes Pferd nicht einmal gestrauchelt, und hast du doch in allem den Preis davon getragen!« – Nachdem nun aufs neue reichlich gegeßen war, als Lachs, Forellen, Karpfen und Hecht, imgleichen Schweine, Hirsche, Rehe und Hasen, und daneben der köstlichsten Weine und Biere getrunken, überkam der unverzagte[217] Held einen güldenen Kranz, an welchem ein gülden, mit Edelgestein durchwirktes Kleinod hieng; den setzte ihm eine zarte Jungfrau aufs Haupt. Thedel dankte minniglich, trat mit der Jungfrau hin an den Tanz und ergötzte sich in Zucht und Ehren.

Es war aber ein Neider unter der Schar der Edelleute, der suchte Thedels Ruhm zu schmälern und sprach zum Herzog: »Es giebt niemanden in der Welt, den man nicht erschrecken könnte, auch den Thedel nicht ausgenommen! Wenn ihr morgen früh zur Kirchen reiten wollt, alsdann steckt ein dünnes Federlein in euren Bart, und wenn Thedel alsdann, wie er gewislich thun wird, die Feder auszupfen will, so beißet ihm nach der Hand. Ich sage euch bei meiner Seelen, alsdann wird er sich erschrecken wie ein Mäuslein; denn ihr seid ein gar erschrecklicher Held, und der Thedel stellt sich nur so unverzagt.« Der Herzog gieng auf diesen Rath ein, und als ihm der unverzagte Held am andern Morgen das Federlein wegziehen wollte, neigte sich jener leise gegen ihn und schnappte ihm jählings nach der Hand. Da reichte ihm Thedel der unverzagte Held einen herzhaften Backenstreich und sprach mit zornigem Mund: »Seid ihr gar ein Hund worden, daß ihr also beißen thut? oder wolltet ihr mich mit solcher Gefahr erschrecken?« Der Herzog sprach zu ihm: »Thedel, wir schwören es dir, wenn uns das ein anderer gethan hätte, er sollte es theuer büßen! Dir aber bleiben wir huldreich zugethan, du bist ein unerschrocken Held, und wir haben den Narrenlohn wohl verdient mit unserm thörichten Thun. Doch dich losen Schelm und Bösewicht«, fuhr er gegen den neidischen Ritter und kindischen Rather fort, indem er sich hoch aufrichtete, »dich sollten wir um deine Thorheit und Böswilligkeit aufs Rad flechten, so gram sind wir dir! Scher dich von Stund an aus unseren Landen, sonst möchte dir's noch übel ergehen!« Der rothe Ritter schied also, und dem unverzagten Helden schenkte der Herzog nach der Mahlzeit ein edles braunes Ross.

Als Thedel gen Lutter heimkehrte, fand er einen Fehdebrief vor, den ihm der Bischof von Halberstadt geschrieben hatte. Flugs sammelte der unverzagte Held dreihundert Reiter und tausend[218] Landsknechte, besiegte die zahlreichen Scharen des Bischofs und nahm diesen gefangen, machte auch reiche Beute und verheerte das feindliche Gebiet. Bald darauf entschlief des Helden Gemahlin in dem Herrn, und nachdem dieselbe zu Goslar mit großer Pracht beigesetzt war, übergab jener all sein Gut seinem Sohne, trat in den deutschen Orden und ritt gen Liefland wider die Unchristen. Hier verrichtete der unverzagte Held zu Jesu Ehren große Thaten und machte in gar kurzer Zeit das ganze Land seinem Orden unterthan, weshalb ihn denn der Deutschmeister sehr lieb und werth hielt. Eines Tages begehrte derselbige zu wißen, woher der Thedel das seltsame schwarze Pferd genommen. Dieser bat, es verschweigen zu dürfen, denn sobald er das entdecke, müße er des dritten Tages sterben. Der Meister jedoch, der das nicht glauben mochte, forderte bei seines Gehorsams Pflicht Auskunft, und nun durfte sich der Thedel nicht länger weigern. Er bat deshalb um vierzehn Tage Frist, beichtete in mittlerer Zeit und empfieng das heilige Abendmahl; alsdann berichtete er, und am dritten Tage entschlief er fein gemach, indem er betete:


»Vater, ich befehle meinen Geist in deine Hände!«


Und damit hat nun auch diese Geschichte ein Ende.

Quelle:
Carl und Theodor Colshorn: Märchen und Sagen, Hannover 1854, S. 212-219.
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