Zehnter Auftritt

[43] Die Vorigen. Margiana. Bostana.


KADI zu Margiana.

Zeig' deinen Schatz, mein Kind, daß glänzend er

Die Wahrheit allen Augen offenbare.

MARGIANA zögernd.

Mein Herr und Vater –

KADI.

Augenblicks gehorche!


Margiana gibt Bostana einen Wink; diese geht zur Kiste, um aufzuschließen.


CHOR leise.

Wie wird sich's wenden? Wer hat recht von beiden?

KADI.

Nun überzeugt euch – seht der Tochter Schatz!

ABUL zieht den ohnmächtig gewordenen Nureddin aus der Kiste in die Höhe und lehnt ihn an den Rand so daß er sichtbar bleibt.

Ja, sieh der Tochter Schatz,

Den ihr dein Stahl stahl!

ALLE.

Ha!!

KADI bleibt in der Stellung, die er eingenommen, als er Nureddin erblickte, wie vor Schrecken versteinert stehen. Er spielt die ganze nächste Szene wie ein Träumender, der sich von einem Alpdruck zu befreien sucht; für sich, Nureddin anstarrend.

He, Mustapha! Freund Mustapha, wach auf!

Was schläfst du auch, was machst du auch für Streiche?

Hoch schön am Himmel geht der Sonne Lauf.

Aus Träumen raffe dich, der Alpdruck weiche!

O Mustapha! Freund Mustapha, wach auf![43]

KALIF.

O Mustapha! Ein Licht geht mir nun auf,

Es spielte hier die Liebe ihre Streiche!

Sie, die allmächtig lenkend ihren Lauf,

Mich selber Sklaven nennt in ihrem Reiche.

O Mustapha! Nun geht ein Licht mir auf!

ABUL.

O Nureddin! Kein Ruf mehr weckt dich auf.

Beschlossen war's im hohen Sternenreiche;

Kein ird'scher Mund beschwört der Sterne Lauf,

Morgens rasiert – und abends eine Leiche!

O Nureddin, dich weckt kein Ruf mehr auf!

MARGIANA UND BOSTANA eilen zur Kiste und singen zu beiden Seiten derselben zu Nureddin.

O Nureddin, geliebter / verliebter Nureddin wach auf!

Daß von dem Vater der Verdacht entweiche;

Du schlummerst nur, dich wecket süße Liebe auf

Und macht zum Herrscher dich in ihrem Reiche.

O Nureddin, geliebter / verliebter Freund wach auf!

CHOR.

Weh Mustapha!

Die Rache steigt herauf!

Nicht wähne zu entrinnen ihrem Streiche,

Recht und Gerechtigkeit gehn ihren Lauf

Allüberall in des Kalifen Reiche.

Weh Mustapha, die Rache steigt herauf!

ABUL der klagend über Nureddin gebeugt lag, erhebt sich plötzlich; zum Kalifen gewendet.

Er lebt, er lebt! Beherrscher aller Gläub'gen!

Noch glimmt ein Funke Lebens hier, ich fühl' es.

KALIF.

So zeig einmal, du Prahler, deine Künste,

Ob du, ein Arzt, ihm Leben wiedergibst.

FRAUEN.

Ach, kein Barbier weckt Tote wieder auf!

MÄNNER.

Weh Mustapha, die Rache steigt herauf!

KADI.

He, Mustapha, o Mustapha, wach auf!

ABUL entfernt alle Umstehenden von der Kiste, umschreitet dieselbe feierlich und beugt sich über Nureddin, ihm ins Ohr singend, indem er ihm auf die Schulter klopft.

»Laß dir zu Füßen wonnesam mich liegen,

O Margiana!«[44]

NUREDDIN bleibt regungslos.

ABUL zupft ihn an Nase und Ohr.

»An deine Hand die Lippe trunken schmiegen,

O Margiana!


Er nimmt ein Riechfläschchen und hält es ihm unter die Nase.


Auf deinem Munde lachet holde Fülle süßer Labe.


Er nimmt die Rose, die Nureddin von Margiana bekommen und noch immer fest in Händen hält, und läßt ihn daran riechen.


Laß seinen Hauch mich atmen still verschwiegen,

O Margiana!«

NUREDDIN regt sich und erwacht.

Wonnen der Liebe –


Er wird von Abul emporgerichtet, sein erster Blick fällt auf Margiana.


ABUL.

Bunte Sommerfalter,

Lasse sie kosend um die Stirn' uns fliegen.

NUREDDIN.

O Margiana!

FRAUEN.

Habt ihr gehört, er sprach!

MÄNNER.

Ja, er sprach!

ALLE.

Seht, er erhebt sich. Er lebt!


Während der folgenden Worte führt Abul Nureddin zu Margiana, zu deren Füßen er niederkniet.


ABUL UND NUREDDIN.

»Die Welt versinkt, es leuchten helle goldnen Äthers Wogen,

Wir sind empor zum Eden schon gestiegen,

O Margiana!«

KADI mit wachsendem Erstaunen die Liebenden erblickend.

He, Mustapha! He, Mustapha, wach auf!

KALIF zum Kadi, auf die Liebenden zeigend.

Du sagtest es ja selbst und schwurst darauf:

Es ist ihr Schatz! Laß ihn ihr eigen sein!

KADI die Hände der Liebenden zusammenfügend.

So nimm ihn hin – er sei auf ewig dein!

CHOR.

Heil sei der Schönen,

Die den Schatz verborgen

In Liebessorgen,

Ihn bis zum Feste[45]

Verschloß aufs beste.

Mag er schön sie nun schmücken,

Wonniglich beglücken!

KALIF zu den Bewaffneten, auf Abul deutend.

Ergreift den Alten – und verwahrt ihn wohl!

ABUL.

Herr, übe Gnade; gnädig sind die Sterne!

KALIF.

Sei ohne Furcht, sie bringen dich zu mir,

Daß deine Künste du vor mir erprobest

Und deines Lebens Märchen mir erzählest.


Zu den übrigen.


Ihr aber, friedlich geht nun eures Wegs,

Bis ich zur Hochzeit dieses Paars euch lade,

Weil ihr ja doch einmal so freundlich wart,

Uneingeladen heut' euch einzufinden.

ABUL zu dem Kalifen gewendet.

Heil diesem Hause, denn du tratst ein:


Sich verneigend.


Salamaleikum!

SOLI UND CHOR wiederholen jedesmal, und jedesmal wird der Gruß mit tiefer Verbeugung begleitet.

Salamaleikum!

ABUL.

Heil deiner Gegenwart leuchtendem Schein.

Salamaleikum!

Sieh deine Sklaven, die dir sich weihn,

Salamaleikum!

Laß unser Angesicht weiß vor dir sein,

Salamaleikum!

Möge dein Wohl stets blühend gedeihn,

Salamaleikum!

Stets möge Allah dir Sieg verleihn,

Salamaleikum!

Nie sei geringer der Schatten dein,

Salamaleikum!

Leb' in dein tausendstes Jahr hinein,

Salamaleikum!

ALLE.

Salamaleikum!

Während der Kalif sich zum Abgehen wendet, fällt der Vorhang.
[46]

Quelle:
Peter Cornelius: Der Barbier von Bagdad. Stuttgart [o. J.], S. 43-47.
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