Drittes Kapitel.

Welches wenig wahrscheinliche Thatsachen enthält.


Nachdem ihr Gemahl sich entfernt hatte, wollte Fatme ihre Lectüre wieder fortsetzen, als ein alter Bramine mit zwei Frauen[49] eintrat, deren Trostbringer er zu sein vorgab, deren Tyrann er aber thatsächlich war. Fatme erhob sich eilig und empfing sie mit so bescheidener und ehrfurchtsvoller Miene, dass unmöglich war, hierin nicht getäuscht zu sein; der Bramine musste sie sogar daran hindern, dass sie sich nicht vor ihm auf den Boden warf. Er that dies mit einer so hochmüthigen Miene, die so sehr die ungeheuere Wichtigkeit verrieth, welche er aus sich selbst machte. Er war so zufrieden mit ihrer Demüthigung, denn er war davon so sehr überzeugt, dass er noch vielmehr verdiente, dass es mir unmöglich war, nicht über den dummen Wahn dieser eingebildeten Persönlichkeit zu lachen. Es war voraus zu sehen, dass zwischen diesen sehr verdienstvollen Personen das Gespräch auf Umkosten Anderer geführt werden würde. Und da es oft vorkommt, dass Leute, welche ein lustiges Leben führen, viel lästern, so glaubte ich mich dabei gut zu unterhalten. In der That beschäftigten sie sich bloß mit dem Lächerlichen, so dass ihre Nachrede für sie mehr eine Unterhaltung bildete, und sie waren nicht so schlecht, um sich eine Pflicht[50] daraus zu machen. Manchmal schaden solche Leute wohl, aber sie haben nicht immer die böse Absicht, es zu thun, oder es gestattet ihnen wenigstens ihr Leichtsinn und ihre Vergnügungssucht nicht, sie weder lange zu behalten, noch Vortheil daraus zu ziehen; diese böswillige Art, schlecht von Andern zu reden, welche man für so nothwendig sich zu bessern hält, und welche ohne die Aussicht auf Besserung verdammungswürdig erschienen würden, ist solchen Schwätzern unbekannt. Sie ... – »Wirst Du wohl bald damit fertig werden?« unterbrach der Sultan im Zorn, »ich glaube gar, Du kommst da wieder mit Deinen hündischen Betrachtungen zum Vorschein?«

»Aber, Herr,« antwortete Amanzei, »es gibt Situationen, wo sie unentbehrlich sind.«

»Ich aber behaupte, dass sie unnütz sind,« erwiderte der Sultan, »und dass es nicht wahr ist, und wenn dem so wäre, so verlange ich trotzdem, dass man mir Märchen nach meiner Laune und Fantasie erzähle. Unterhalte mich lieber und ende mit Deinem ewigen Moralisieren, dass mir Migräne verursacht. Du gefällst Dir darin, den Schönredner[51] und Sittenprediger zu machen, aber beim Teufel, ich will Ordnung machen und ich schwöre es bei meiner Sultansehre, dass ich den ersten besten hängen lassen werde, der es noch wagen wird, mir derartige Betrachtungen zu machen. Und jetzt wollen wir sehen, wie Du Dich aus der Schlinge ziehen wirst.«

»Indem ich mich künftig vor solchen Betrachtungen hüten werde, die nicht das Glück haben, Euer Majestät zu gefallen.«

»Wir wollen sehen, fahre fort,« sagte der Sultan. – »Man hat niemals die Neigung, Böses von andern zu reden, ohne sich dabei das Vergnügen zu gönnen, Gutes von sich selbst zu sprechen. Fatme und ihre Gäste hatten zu viel Scharfsinn, um sich nicht selbst sehr hoch zu schätzen und um nicht alle jene gründlich zu verachten, die ihnen nicht gleichkamen. Während die Sklaven alles zu einem Spiele vorbereiteten, führte die Gesellschaft eine sehr lebhafte Unterhaltung, deren Art den Karakter der Anwesenden durchaus nicht verleugnete. Allein der alte Bramine wagte es Gutes von einer Dame zu reden, welche Fatme bekannt war, und[52] seine Lobrede missfiel ihr sehr. Unter allen Dingen, über welche sie art meisten loszog, erschien ihr die Liebe am meisten tadelnswert. Eine Frau, die es wagte zu lieben, und wenn sie sonst die schätzenswertesten Eigenschaften besessen hätte, vermochte nichts vor dem glühenden Hasse Fatmes zu schützen; aber wenn eine Frau die abscheulichsten Laster gehabt hätte, am verworfensten und ehrlosesten gewesen wäre, und man vermochte keinen Liebhaber von ihr zu nennen, so war sie in Fatmes Augen die ehrbarste Person, deren Tugenden man nicht genug preisen konnte. Unglücklicherweise befand sich jene Frau, die der Bramine so sehr lobte, in der Lage, in welcher sie Fatmes höchste Entrüstung verdiente.« »Ein verlorenes Weib,« sagte sie in bissigem Tone, »kann es wohl solche Lobeserhebungen verdienen?« Der Bramine vertheidigte sich damit, dass er es nicht gewusst, wie verdammungswerte Sitten diese Person habe, und Fatme belehrte ihn mit großer Sanftmuth so gründlich darüber, dass er die Frau sofort verachten musste.

»Ich zweifle durchaus nicht,« sagte eine der Frauen, die bei Fatme waren, zu ihr,[53] »dass Sie, welche so großmüthig und zu allem Guten und Edlen geneigt sind, sich für das, was Ich ihnen erzählen werde, sehr interessieren werden; denken Sie nur, dass Nahami, deren Fall wir gemeinschaftlich so tief beklagt haben, dieselbe Nahami, nun müde ihres Irrthums, die schnöde Welt verlässt, sie schmückt sich nicht mehr.«

»Ach!« rief Fatme aus, »wie lobenswert ist sie doch dafür, wenn ihre Wiederkehr zum Guten nur aufrichtig ist. Aber meine Freundin, Sie sind so gutmüthig, und Frauen Ihres Karakters werden so sehr leicht hintergangen; ich weiß das aus eigener Erfahrung, wenn man mit so viel Herzensreinigkeit und Aufrichtigkeit geboren ist, wie Sie, so kann man es gar nicht begreifen, dass jemand so unglücklich sein kann, diese Reinheit nicht zu besitzen. Indes, ist es ja ein sehr edler Fehler, von Andern stets gut zu urtheilen. Aber um auf Nahami zurückzukommen, so kann ich mich dennoch nicht so ganz der Befürchtung erwehren, dass sie, deren Seele so sehr an dem Weltlichen hing, es vermöchte, so leicht ihren großen Verirrungen zu entsagen. Die Schminke verlässt man[54] leichter als das Laster, denn oft nehmen solche Leute bloß zum Scheine eine enthaltsamere und bescheidene Miene an, die weniger den Zweck hat, mit der Tugend zu beginnen, als vielmehr die Welt über die Laster, denen man heimlich huldigt, zu täuschen.«

»Nein, lieber Freund,« sagte der Sultan gähnend, »diese Unterhaltung ist zum Sterben langweilig; lasse sie mir zu Liebe unbeendigt, diese abgeschmackten Personen regen mich bis zum äußerstem Punkte auf, sage mir auf Dein Gewissen, langweilet Dich das nicht selber? mache um Gotteswillen, dass sie so bald als möglich verschwinden, Deine Tugendheuchler.«

»Oh, sehr gerne, Herr,« antwortete Amanzei. »Nachdem sie ihr Gespräch über Nahami so viel als möglich erschöpft hatten, kehrten sie zu banalen Nachredereien zurück und ich kannte in wenigen Augenblicken alle intimen Abenteuer von ganz Agra. Hierauf lobte man sich gegenseitig, erschöpfte sich in Bewunderung aller hohen Tugenden der Anwesenden und begann sehr traurig über das Los der Verlorenen zu spielen an. Man[55] setzte hohes Spiel an, betrieb es mit Habsucht und allem möglichen Geize, und ging dann befriedigt nach Hause.«

»Ich bin schon wie auf Nadeln,« sagte der Sultan, »denn Du hast mich eben sehr verpflichtet, indem Du mir versprachst, dass diese Leute nicht mehr vorkommen werden, nicht wahr?«

»Ja, Herr,« antwortete Amanzei.

»Nun wohlan!« erwiderte der Sultan, »um Dir zu beweisen, wie großmüthig ich die Dienste, welche man mir erweiset, zu belohnen weiß, ernenne ich Dich zum Emir, da Du übrigens sehr gut sticken und ausschnitzeln kannst, und Du mit großem Eifer arbeitest, so glaube ich, dass Du auch Deine Märchen sehr gut durchführen wirst – denn schließlich diese Dingen erregen mein Wohlgefallen, und dann muss man doch das Verdienst ermuthigen und belohnen.«

Nachdem der neue Emir dem Sultan seinen innigen Dank ausgesprochen hatte, fuhr er folgendermaßen fort: »Trotz der freundlicher Miene Fatmes glaubte ich doch bemerkt zu haben, dass der Besuch dieser drei Personen denselben Eindruck auf sie,[56] wie auf Euer Majestät gemacht hatte, und dass sie, wenn sie es vermocht hätte, den Tag zu anderen Zerstreuungen benützt haben würde, als es die waren, welche ihr diese langweiligen Leute verschafft hatten. Sobald sie sich entfernt hatten, wurde Fatme träumerisch, aber ohne Melancholie, ihre Augen nahmen einen zärtlichen Ausdruck an, sie irrten verlangend im Kabinete herum, es schien, als ob sie lebhaft nach etwas verlangte, was sie nicht hatte, oder was sie zu genießen fürchtete; endlich rief sie. Auf ihren Ruf eilte ein junger Sklave von mehr kräftiger als angenehmer Gestalt herbei; Fatme beobachtete ihn mit feurigen Blicken, in denen Liebe und heißes Verlangen vorherrschte.«

»Schließe die Thüre, Dahis!« sagte sie endlich, »komme, wir sind allein, Du kannst Dich ohne Gefahr daran erinnern, dass ich Dich liebe, und mir ohne Scheu Deine Zärtlichkeit beweisen.«

Auf diesen gnädigen Befehl legte Dahis sofort die ehrfurchtsvolle Miene eines Dieners ab, und nahm die eines beglückten Mannes an. Er schien mir weniger zartfühlend, wenig zärtlich, aber lebhaft undfeurig, er war ganz aufgezehrt vom heißen Verlangen und nicht bewandert in der Kunst seine glühenden Wünsche gradweise zu befriedigen, er kannte gar keine Galanterie, und fühlte nicht gewisse angenehmen Sachen, er ging nicht in zärtliche Einzelnheiten ein, er beschäftigte sich wesentlich nur mit Allem. Dahis war kein eigentlicher Liebhaber, und für Fatme, welche die geistige Unterhaltung nicht suchte, war er bloß ein sinnliches (körperliches) Bedürfnis. Er spendete ihr ein dummes, plumpes Lob, aber seine unzarten, derben Huldigungen missfielen Fatme nicht, welche bloß das Verlangen hegte, dass man ihr stark bewies, dass sie Begierden erweckte, und damit genug bewundert zu sein meinte. Fatme entschädigte sich mit Dahis reichlich für die kalte Zurückhaltung, zu welcher sie sich mit ihrem Gemahl gezwungen hatte, und war nun weit entfernt von allen strengen Gesetzen des Anstandes; ihre Augen strahlten im lebhaftesten Feuer, sie überhäufte Dahis mit den glühendsten Liebkosungen, nannte ihn bei den zärtlichsten Namen und es nicht für nothwendig haltend, das zu verhehlen, was sie fühlte, ergab sie sich völlig ihrem[59] Sinnestaumel. Nachdem sie sich ein wenig beruhigt hatte, machte sie Dahis selber auf die Schönheiten, welche sie ihm darbot, aufmerksam, und forderte ihn selber auf, neue Beweise ihrer Liebe und Gefälligkeit von ihr zu verlangen, welche er aus eigenem Antriebe kaum zu wünschen gewagt hätte.

Dahis schien jedoch von ihrer Leidenschaftlichkeit wenig gerührt zu sein, seine Augen hafteten blöde auf allen Reizen, welche die leichtsinnige Fatme ihm bot, sie machten bloß einen oberflächlichen Eindruck auf ihn, seine rohe Seele empfand nichts davon, die Freude darüber drang nicht zu seinem Herzen, und dennoch war Fatme befriedigt. Das Stillschweigen und die Blödheit Dahis verletzten ihre Eitelkeit nicht im geringsten; sie hatte zu viele andere Gründe daran zu glauben, dass er für ihre Schönheit sehr empfänglich war, um nicht sein verblüfftes Stillschweigen den feurigsten Liebesschwüren eines abgelebten Stutzers vorzuziehen.

Die Ungebundenheit, mit welcher Fatme sich den sinnlichen Wünschen des Dahis hingab, bewies mir klar genug, dass sie weder[60] Zartgefühl noch Tugend besaß, sie forderte von ihrem Liebhaber durchaus keine lebhaften Kundgebungen des Entzückens, sie verlangte nicht jene zärtlichen Richtigkeiten, welche fein fühlende Seelen und Leute von ausgesuchter Lebensart oft über die sinnlichen Freuden stellen, oder welche die eigentlichen Freuden poetischer Liebe bilden. Trotz aller Genüsse gähnte Dahis mehreremale laut und ging endlich fort.

Er gehörte zu jenen unglücklichen Personen, welche weder etwas zu denken noch zu reden verstehen, welche besser zur rohen That geeignet sind und die man nur ungern sprechen hört.

Ich hatte nun über Fatme's Unterhaltungen meine eigenen Ansichten, und musste mir selber gestehen, dass ihr nach dem Fortgehen des Dahis wohl nicht mehr viel übrig blieb, worüber sie in diesem Kabinette noch ihre Betrachtungen hätte anstellen können, und dass sie sich nun von hier entfernen würde, aber ich irrte mich darin; sie war eine in dieser Art von Betrachtungen unermüdliche Frau. Es war nicht lange darnach, was sie sich so ganz den schönen[61] Reflexionen hingab, zu welchen ihr Dahis so angenehmen Stoff gegeben hatte, als sich ihr abermals eine gute Gelegenheit bot, neue und noch bessere Betrachtungen anzustellen.

Ein ernster, aber junger und schöner Bramine trat in das Kabinet. Er war eine jener Erscheinungen, deren würdevolles Benehmen erkünstelt war und die ihre Lebhaftigkeit nicht zu verbergen vermochte.

Trotz seiner Braminenkleidung, welche so wenig geeignet ist, die männliche Schönheit zur Geltung zu bringen, sah man es sogleich, dass er so schön gewachsen war, um gewisse Gedanken bei mehr als einer Scheinheiligen zu erwecken, auch war er einer der beliebtesten Braminen von Agra, ein unvergleichlicher Trostbringer für Damen, den man am meisten zu geheiligten Handlungen benützte. Er sprach so wunderbar, sagte man, er wusste mit so unendlich viel Sanftmuth den empfänglichen Seelen die Tugend beizubringen, er kannte das Mittel, ohne dem es unmöglich war, nicht auf schlechte Wege zu gerathen. Dieses und ähnliches redete man öffentlich von ihm und wir werden uns alsbald selbst überzeugen, worüber man ihm[62] außerdem noch ganz besonderes Lob schuldete, und ob dieses Lob auch jenes war, was man ihm am lautesten spendete.

Dieser schöne und gefeierte Bramine näherte sich jetzt Fatme mit einer gezwungen süßlichen, mehr frivolen, als artigen Miene. Er hatte nicht die Absicht, eine leichtfertige Miene zur Schau zu tragen, aber ahmte jene ganz schlecht nach, die er sich zum Vorbilde erkoren hatte, und überall drang der Bramine unter der angenommenen Maske hervor. »Herzenskönigin,« sagte er lächelnd zu Fatme, »Du bist heute schöner und lieblicher als die auserwählten Glücklichen, welche zum Dienste Bramas erkoren sind. Du versetzest meine arme Seele in ein unbeschreibliches Entzücken, das etwas hehres und himmlisches an sich hat und wovon ich sehnlichst wünsche, Du mögest es mit mir theilen und mit mir empfinden.« Fatme antwortete ihm schmachtend in derselben Weise und der Bramine behielt denselben Ton bei; auf diese Weise entspann sich hierauf zwischen Beiden eine höchst zärtliche Unterredung, worin jedoch die Liebe eine sehr ungewöhnliche Sprache führte, die für ihn sehr wenig[63] schicklich war. Ohne ihre Geberden zweifle ich daran, dass ich jemals ihre Gespräche verstanden hätte.

Fatme, welche natürlich keinen Wert auf diese Art von Beredsamkeit legte, und welche, was immer sie auch darüber sagte, jene des schönen Braminen missachtete, war die erste, welche sich bei diesen äußerst gefühlvollen Gesprächen ungemein langweilte. Dem Braminen gefielen sie ebensowenig, er that sich keinen weiteren Zwang an, und ließ sie sofort fallen und diese höchst faden, süßlichen Reden endeten gerade so wie jene, welche sie mit Dahis begonnen hatte. Es war augenscheinlich, dass Fatme jetzt, obzwar sie dasselbe wie zuvor that, dennoch mehr Sorgfalt auf ihr Benehmen verwendete.

Sie bemühte sich viel empfindlicher zu sein, damit der Bramine daran glaube, dass sie bloß aus reiner Liebe zu ihm nachgäbe. Der schöne Bramine, welcher in Gestalt und Karakter dem Dahis sehr gleichkam, war jenem in gar nichts untergeordnet und verdiente das Lob, welches ihm Fatme spendete, sehr wohl.[64]

Nachdem diese beiden würdigen Personen von ihrer gegenseitigen Zärtlichkeit so viel, als sich ihnen nur darbot, genossen hatten, begannen sie gemeinsam die blöde Tugend zu verhöhnen und lächerlich zu machen; sie unterhielten sich ungemein darüber, welches Vergnügen es ihnen stets gewährt, wenn es ihnen gelingt, andere irre zu führen, und sich dann recht lustig über sie zu machen; zum Schlusse ertheilten sie sich noch gegenseitig gründlichen Unterricht in der Heuchelei.

Endlich trennten sich diese beiden abscheulichen Leute unter gegenseitigen Versprechungen und Gelübden und Fatme bereitete sich darauf vor, ihren Gemahl zur Verzweiflung zu treiben und ungeheueres Aufsehen und großen Staat mit der heroischen Kasteiung und Abtödtung ihrer Sinne zu machen.

So lange, als ich mich in Fatmes Sopha aufhielt, sah ich ihrerseits keine andere Art von Unterhaltungen und Kurzweil als diese, von welchen ich Euer gnädigen Majestät soeben erzählt habe.[65]

So klug als Fatme auch gewesen sein mag, so übereilte sie sich doch manchmal.

Eines Tages, als sie wieder allein mit ihrem frommen Braminen war, ergab sie sich wohl etwas zu heftig ihren Ausschweifungen.

Ein unglücklicher Zufall führte ihren Gemahl vor die Thüre dieses Kabinets und er hörte zu seinem Erstaunen Liebesseufzer und verdächtige Laute, welche ihn überraschten.

Die öffentlichen Beschäftigungen Fatmes ließen ihre heimlichen Belustigungen nicht vermuthen, dass ich daran zweifelte, dass ihr Gemahl es sofort errieth, von wem diese sonderbaren Worte und verdächtigen Seufzer herrührten, welche an sein Ohr drangen. Vielleicht erkannte er Fatmes Stimme, oder trieb ihn die bloße Neugierde, sich über dieses Abenteuer aufzuklären, dazu, das Kabinet zu betreten.

Zu Fatmes größtem Unglück war die Thüre diesmal schlecht geschlossen und ihr Gemahl drückte sie mit einem einzigen Fußtritte ein.

Das unerwartete Schauspiel, welches sich seinen Blicken darbot, überraschte ihn[66] so sehr, dass seine plötzliche Wuth nicht gleich zum Ausbruche kam, da er an das, was er sah, nicht glauben konnte und war mehrere Augenblicke ganz unentschlossen, was er thun sollte. »Elende!« rief er endlich aus, »empfanget für Eure Laster und Heucheleien die wohlverdiente Strafe.«

Ohne weder Fatme noch den Braminen, welche sich zu seinen Füßen stürzten, eines Blickes zu würdigen, machte er sie unter seinen wohlgetroffenen Hieben sofort erbleichen. So schrecklich auch dieser Anblick war, rührte er mich gar nicht, denn sie hatten wohl Beide den Tod verdient und sind es nicht wert gewesen, bedauert zu werden; ich war sehr zufrieden damit, dass diese schreckliche Katastrofe ganz Agra davon unterrichtete, welcher Art eigentlich diese zwei Personen waren, die man so lange für besondere Muster der Tugend und Frömmigkeit gehalten hatte.

Quelle:
Crébillon Fils: Sopha. Prag [1901], S. 47-67.
Lizenz:

Buchempfehlung

Droste-Hülshoff, Annette von

Ledwina

Ledwina

Im Alter von 13 Jahren begann Annette von Droste-Hülshoff die Arbeit an dieser zarten, sinnlichen Novelle. Mit 28 legt sie sie zur Seite und lässt die Geschichte um Krankheit, Versehrung und Sterblichkeit unvollendet.

48 Seiten, 4.80 Euro

Im Buch blättern
Ansehen bei Amazon

Buchempfehlung

Große Erzählungen der Spätromantik

Große Erzählungen der Spätromantik

Im nach dem Wiener Kongress neugeordneten Europa entsteht seit 1815 große Literatur der Sehnsucht und der Melancholie. Die Schattenseiten der menschlichen Seele, Leidenschaft und die Hinwendung zum Religiösen sind die Themen der Spätromantik. Michael Holzinger hat elf große Erzählungen dieser Zeit zu diesem Leseband zusammengefasst.

430 Seiten, 19.80 Euro

Ansehen bei Amazon