Zwölftes Kapitel.

[277] Ungefähr dasselbe, wie das Vorhergehende.


»Wenn auch die Unannehmlichkeit, welche Zulika widerfuhr, sie sehr verdross, so verlor sie dennoch die Geistesgegenwart nicht, die ihr bei einem so bösen Zufalle wie dieser so nöthig war.

Sie beglückwünschte Mazulhim sehr höflich, beklagte sich über allerlei andere Dinge und sprach von allem Möglichen, nur von dem nicht, was sie am meisten mit Wuth erfüllte. Um ihr früheres Ansehen zu retten, scheute sie sich nicht, ihm sogar alle Ehren zu erweisen, die er sicherlich nicht verdiente.[277]

Ich weiß nicht, ob es bloß darum geschah, um Zulika zu demüthigen, oder ob er gegen seine sonstige Gewohnheit, sich vor sich selbst rechtfertigen wollte, aber was auch immer er verschuldet hatte, er wollte es niemals zugeben, dass er das that, was sie sagte.«

»Es gibt,« sagte er hartnäckig »so unglückliche, so verfehlte Tage, an denen man, wenn man sie voraus sehen könnte, lieber sterben möchte, als sie abwarten zu müssen.« Zulika stimmte darin ein, dass es so unglückliche Tage gäbe, welche keineswegs auf glänzende Art anfingen, aber an denen man oft schließlich doch mehr zu loben, als zu tadeln fand.

»Ich gestehe Ihnen,« fügte sie mit gezwungener Zärtlichkeit hinzu, von der sie in diesem Augenblick weit entfernt war, »dass ich große Ursache hatte, an dem, was Sie mir hundertmal über meine Schönheit gesagt haben, zu zweifeln und es nicht für aufrichtig zu halten, oder dass jene Dinge, die Sie an mir zu bewundern schienen, nicht von den Fehlern verdunkelt worden wären, welche sie umsomehr abstießen, als Sie sie nicht[278] geahnt hatten; aber Sie haben mich so oft versichert, dass ...«

»Ach, Zulika!« rief der unerbittliche Mazulhim aus, »ihre Befürchtungen waren doch recht kleinlich! Ich fühle wohl alles, was ich ihrer großen Güte verdanke, aber sie verblendet mich nicht und je großmüthiger ich Sie finde, umso mehr vergrößern Sie meine Gewissensbisse.«

»Aber, welche Thorheit,« erwiderte sie, »lassen Sie sich wenigstens nicht von so falschen Ideen beherrschen, nichts ist unrichtiger.«

Nach diesen deprimierenden Erörterungen begannen Beide im Zimmer spazieren zu gehen, und waren einer vor dem anderen in Verlegenheit, so ohne Verlangen, ohne Liebe und durch ihre beiderseitige Unvorsichtigkeit eingeschränkt, welche das intime Stelldichein in einem diskreten Hause mit sich bringt und nach welchem es Sitte ist, den Rest des Tages mit einander auf eine Weise zuzubringen, die ihnen den Um ständen nach nicht gefallen konnte.

Zulika hatte Gelegenheit, schöne Betrachtungen über die Falschheit des guten Rufes[279] mancher Leute zu machen. Was sie innerlich zur Verzweiflung brachte, denn ich las sehr klar in ihrer Seele, war die Unmöglichkeit, sich an Mazulhim rächen zu können.

»Wenn ich es sagen würde, wer wird es mir glauben,« sagte sie zu sich selber; »die große Vorliebe, welche man allgemein für ihn hegt, wird es niemals gestatten, dass man daran glaubt, dass er mir so sehr Unrecht gethan hat, wenn es in meiner Macht lag, es zu verhindern. In allen Fällen würde es mir unmöglich sein, jedermann eines Bessern zu belehren.«

Derartige verdrießliche Gedanken beschäftigten sie und stimmten sie traurig. Was Mazulhim betrifft, so that er, als ob ihn das Alles nichts anginge. Beide spazierten eine geraume Zeit im Zimmer auf und ab, ohne etwas zu reden, und lächelten sich von Zeit zu Zeit kühl und gezwungen an.

»Sie träumen?« sagte er endlich höhnisch zu ihr.

»Und staunen Sie so sehr darüber?« antwortete sie spröde. »Glauben Sie denn, dass es für eine vernünftige Frau, wie ich bin, nicht eine ganz absonderliche Sache sei,[280] mit Jemanden auf dem Punkte zu stehen, wie ich mit Ihnen?«

»Nein,« erwiderte er kühl, »ich glaube, dass vernünftige Frauen an derartiges vollkommen gewöhnt sind.«

»Es scheint in der That,« erwiderte sie, »dass Sie davon keine Ahnung haben, wie nahe es uns geht, und welche Kämpfe es eine edle Frau kostet, ehe sie sich ergibt.«

»Das, was Sie mir hier sagen und zum Beispiel anführen, ist sehr wahrscheinlich,« erwiderte er, »denn nach der Art, auf die Sie sie abgekürzt haben, müssen Sie diese Kämpfe grausam ermüdet haben.«

»Das ist!« rief sie entrüstet, »einer der schlechtesten Grundsätze, die man haben kann!«

»Sie glauben wahrscheinlich, sehr viel Geist gehabt zu haben, wenn Sie derartige Dinge sprechen? Wissen Sie, dass es die echte Sprache eines Gecken ist?«

»Ich werde deshalb keine schlechtere führen,« antwortete er.

»Wenigstens werden Sie vielleicht eine genug falsche finden,« erwiderte sie, »denn[281] wenn Sie wüssten, was es mich gekostet hat, Sie zu gewinnen.«

»Was?« rief er aus, »Sie haben davon geträumt? das beleidigt mich, ich schmeichelte mir das Gegentheil und weiß Ihnen wenig Dank dafür, dass Sie mir meine Täuschung nehmen, wobei ich im Vortheil war, ohne dass Sie dabei in meinem Geiste etwas verloren hätten. Ah! sagen Sie mir gnädigst, hat Ihnen Zadis auch so viel Überlegung gekostet?«

»Was wollen Sie damit sagen?« fragte sie kühl, »was hat dies mit Zadis zu thun?«

»Ich bitte tausendmal um Verzeihung,« antwortete er spottend, »ich glaubte, dass Sie ihn sehr gut kennen?«

»Ja,« antwortete sie, »so wie man alle Leute kennt.«

»Ich glaube aber doch, dass, so wenig er Sie kennt, er doch recht böse wäre, wenn er es wüsste, dass Sie da sind, und,« fuhr er fort, »ich müsste mich sehr irren, wenn ich dächte, dass Ihre große Güte gegen mich ihn nicht sehr kränken würde. Sind Sie getrost darüber, ich weiß, dass Zadis Ihnen sehr wohl gefiel, noch ehe ich das Glück[282] hatte, Ihnen zu gefallen,« fügte er hinzu, als er sah, dass sie die Achseln zuckte, »und ich würde darauf wetten, dass Sie noch gegenwärtig sehr gut zusammen sind.«

»Das ist,« antwortete sie, »ein sehr schlechter Scherz!« – »Im Grunde,« sagte er, »wenn Sie ihm auch untreu würden; er wäre deshalb noch immer sehr glücklich, denn ein Mann, wie Zadis, ist wenig dazu geschaffen, geliebt zu werden, und ich war immer erstaunt, dass eine so lebhafte Dame von so bezaubernder Heiterkeit, wie Sie sind, einen so kühlen und schweigsamen Liebhaber wählen konnte.«

»Mazulhim,« antwortete sie, »er ist nur zartfühlend. Ich habe Ihnen denselben geopfert; es wäre unnütz, das Gegentheil zu sagen; aber ich fürchte sehr, dass Sie mich nicht zwingen, es zu bereuen.«

»Sie waren leichtsinnig,« erwiderte er, »und ich gestehe, dass ich unbeständig war, aber so wenig, als wir bis jetzt einer ernsten Neigung fähig waren, um so größeres Verdienst werden wir haben, uns ferner einer an den Andern zu fesseln.«

Nach diesen Worten geleitete er sie anmeine Seite, aber mit einer so feierlichen Miene, die leicht erkennen ließ, dass nur der Anstand seine Schritte leitete.

»Es ist wahr, dass Sie reizend sind und ohne Ihrer fast zu anständigen Miene, die Sie selbst bei mir nicht ablegen, kenne ich keine andere Frau, welche besser als Sie das höchste Glück ihres Liebhabers machen könnte.«

»Ich gestehe es,« antwortete sie »dass ich von Natur sehr zurückhaltend bin; aber Ihnen steht es nicht zu, sich darüber zu beklagen. Sie machen mich sehr glücklich, ohne Zweifel, aber Sie sind ohne Verlangen geboren und gewähren jenen, die Sie hervorrufen, nicht genug: ich fühle einen gewissen Zwang aus Allem, was Sie mir gewähren, sie ängstigen sich ohne Unterlass sich zu viel hinzugeben und unter uns, ich habe Sie in Verdacht, sehr wenig gefühlvoll zu sein.«

Indem Mazulhim so zu Zulika sprach, presste er mit leidenschaftlichem Ausdruck ihre Hände.

»Obzwar das Übermaß ihrer Reize mir schon geschadet hat,« fuhr er fort, »so vermöchte[285] ich es doch nicht, mir die Freude zu versagen, Sie dennoch zu bewundern; selbst wenn ich daran zu Grunde gehen sollte, so viele Anmuth und Schönheit dürfen mir nicht länger verborgen bleiben. Götter!« rief er mit Begeisterung aus, »machet mich meines Glückes würdig.«

Was auch immer Zulika früher zu Mazulhim über seine Gefühllosigkeit gesagt hatte, so rührte und erregte sie seine heiße Bewunderung und die Liebesschwärmerei, in der er versunken schien, es berauschte sie die Lebhaftigkeit seines Entzückens und die zärtliche Sorgfalt, womit er sich die größte Mühe gab, sie zu bewegen, seine Leidenschaft zu theilen.

»Werden Sie sich dann wieder beklagen?« sagte sie zärtlich zu ihm.

Er antwortete bloß damit, indem er ihr seine ganze Dankbarkeit beweisen wollte, aber Zulika erinnerte sich noch daran, wie wenig man sich auf ihn verlassen konnte, und fürchtete Alles von der Aufregung, in der sie ihn sah.

»Ach! Mazulhim,« sagte sie in einem[286] Tone zu ihm, der alle ihre Furcht verrieth, »werden Sie mich nicht allzu sehr lieben?«

Obzwar Mazulhim sich über ihre Angst des Lachens nicht enthalten konnte, fand sie sich weniger verliebt, als sie es zu sein fürchtete.

Ihr gegenseitiges Glück benahm beiden das gelangweilte Aussehen und den Zwang,[287] den sie sich seit einiger Zeit anthaten. Ihr Gespräch belebte sich allmählig.

Zulika glaubte Mazulhim aus den Händen der bösen Zauberer erlöst zu haben, sie triumphierte über die Mächte ihrer Reize, Mazulhim war mehr befriedigt mit sich selber und ergab sich seinem Genusse.

Als sie in der glücklichsten Stimmung waren, kam man das Mahl aufzutragen: ihre Mahlzeit war fröhlich, sie unterhielten sich lebhaft und da Zulika und Mazulhim die zwei böswilligsten Personen waren, die es am Hofe von Agra gab, so entging ihnen nichts und sie verschonten niemanden mit ihren bissigen Bemerkungen..

»Könnten Sie mir nicht sagen,« fragte Mazulhim, »weshalb Altun-Can seit einigen Tagen diese wichtige Miene zur Schau trägt, die man an ihm allgemein bemerkt?«

»Mein Gott! sicher,« antwortete sie lustig, »wissen Sie es denn nicht, dass er unendlich gut mit Aischa steht?«

»Aber, das wäre doch, wie es mir scheint,« antwortete er, »ein Grund mehr, um sehr bescheiden zu thun.«

»Ja wohl, für jemanden andern vielleicht,«[288] erwiderte sie, »aber finden Sie ihn denn nicht sehr glücklich, ihn?«

»Ich würde Ihnen versichern, dass nein,« entgegnete er; »wie lächerlich auch Altun-Can sein mag, so kann ich mich doch nicht enthalten, ihn zu beklagen; denn ein Mann, der Aischa angehört, ist ohne Widerrede der unglücklichste Mann der Welt.«

»Aber das eigenthümlichste an der Sache ist, dass Sie ein Geheimnis daraus macht,« sagte Zulika.

»Also als Vergeltung für den Streich,« meinte er, »bemühen Sie sich, ihr den Ruf eines liederlichen Lebens zu geben; Aischa hat nie ihre Liebhaber verleugnet und ich könnte darauf schwören, dass sie bei dem Alter und der unförmigen Gestalt die sie hat, weniger als jemals dazu geneigt ist. Und dennoch ist nichts so wahr als das, was ich Ihnen sage.«

»Nun wohlan, wenn dem so ist, so hat Altun-Can es verlangt, ein Geheimnis daraus zu machen.«

»Und wie geht es der reizenden Mesem, ich glaube, dass Sie dieselbe nicht mehr besuchen?«[289]

»Weil man sie überhaupt nicht mehr besuchen kann,« erwiderte sie, eine gespreizte Miene annehmend, »und weil sie eine ganz schlechte Aufführung hat.«

»Sie haben vollkommen Recht,« stimmte er sehr ernst bei, »denn nichts ist von so großer Wichtigkeit für eine Dame, die sich selbst achtet, als eine gute und gewählte Gesellschaft. Ich finde,« fuhr er fort, »dass sie immer schöner wird.«

»Ganz das Gegentheil,« antwortete sie, »sie wird abscheulich hässlich. Ich bin da durchaus nicht ihrer Meinung,« sagte sie; »sie bekommt seit letzter Zeit einen ganz gelben Teint, ein müdes Aussehen und man bemerkt eine gewisse Ermattung, die ihr sehr gut steht; wenn sie mit diesem ungesunden Aussehen fortfährt, wird sie in der That ungemein reizend werden.«

»Ich werde nicht enden, Sire,« sagte Amanzei, sich unterbrechend, »wenn ich Euer Majestät alle Äußerungen wiederholen sollte, die von der Dame gemacht wurden –«

»Ach! ich kann mir dieselben sehr leicht denken, und ich erlaube es Dir, sie abzukürzen; aber wenn ich es genau erwäge, so[290] könntest Du mich damit, wenn Du sie erzählen würdest, dennoch gut unterhalten.«

»Ich gestatte mir, Euer Majestät vorzustellen, dass darin vielleicht viele Äußerungen vorkommen könnten, die nicht genug interessant sind, um ...«

»Ja, gewiss,« unterbrach der Sultan, »das würde mich nicht interessieren; aber warum (denn ich habe bereits zwanzigmal diese Bemerkung gemacht), warum, sage ich, ist in einer Geschichte oder in einem Märchen (wie es Ihnen beliebt) nicht Alles interessant?«

»Aus sehr vielen Gründen,« sagte die Sultanin; »der Stoff, welcher dazu diente, eine Handlung herbeizuführen, dürfe zum Beispiel nicht so anziehend sein, als die Handlung selber; übrigens, wenn derartige Dinge stets auf derselben Stufe des Interesses stehen bleiben würden, so müssten Sie durch die unablässige Fortdauer der Spannung auch ermüden, der menschliche Geist kann nicht immer aufmerksam sein, das Herz könnte es nicht immer aushalten, leidenschaftlich bewegt zu sein, und eines sowohl wie das andere bedarf zu Zeiten der Ruhe.«[291]

»Ich verstehe,« antwortete der Sultan, »das ist gerade so, als das, um sich besser unterhalten zu können, es sehr rathsam ist, sich manchmal zuvor recht zu langweilen; aber wenn man sein eigenes Urtheil hat, und seine eigene Art zu denken, so bemüht sich jeder vergebens, man erräth Alles. Aber weiter, Amanzei!«

»Mazulhim war leider nach dem Speisen von Zulika Reizen ebenso wenig entzückt, als er es während des Tages gewesen, er fand unter tausenden ihrer Vorschläge zur Unterhaltung keinen einzigen, der ihm zugesagt haben würde, und Zulika schickte sich mit so verdrießlicher Miene an, wegzugehen, die mich darüber außer Zweifel ließ, dass ich sie je wieder sehen würde.

Aber trotz der üblen Laune Zulikas und der unschönen Art, mit der Mazulhim sie behandelt hatte, wagte er es dennoch, ehe er sie verließ, noch zu fragen, wann er sie wiedersehen könnte, und hinzuzufügen, dass es unbedingt in zwei Tagen sein müsse.

Obzwar sie in diesem Augenblick, wie ich merkte, gar keine Lust dazu hatte, ihm das zu gewähren, was er so glühend zu[292] verlangen schien, so antwortete sie ihm doch, dass sie es auch wünsche, aber sie sagte es in einem so kühlen Tone, der es mir verrieth, dass sie ihr Wort nicht halten wolle.

In diesem Augenblicke machte ich die Bemerkung, dass auch ich mich nach dem Weggehen Mazulhims in seinem kleinen Hause langweilen möchte, und es genügen würde, dahin zurückzukehren, wenn er selbst wiederkommen würde; ich konnte daher, um mich zu belehren und zu unterhalten, nichts klugeres thun, als Zulika in ihre Wohnung zu folgen; ich fasste diesen Entschluss und folgte ihr in ihrem Palankin.

Sobald ich in ihrem Palaste ankam, so beeilte ich mich mittelst der Anziehungskraft, womit mich Brama ausgestattet hatte, mich sofort in das erste Sopha, welches sich meinen Augen darbot, zu verbergen.

Als Zulika sich den nächsten Morgen zu ihrer Toilette setzen wollte, meldete man Zadis; sie ließ ihn bitten zu warten. Vielleicht wollte sie vor seinen Augen bloß in ihrem ganzen Liebreiz erscheinen, dm sie gewöhnlich annahm, wenn sie darauf vorbereitet war, ihre Verehrer zu empfangen,[293] oder hielt sie es für unanständig, dass er sie in der Unordnung sehen sollte, in der sie sich augenblicklich befand. Aber nach der Falschheit Zulikas zu schließen, war der letztere Grund weniger denkbar als der erste.

Endlich wurde Zadis vorgelassen; wenn man ihn auch nicht genannt haben würde, so hätte ich ihn nach dem Portrait, das Mazulhim Tags vorher von ihm beschrieben hatte, sofort erkannt haben. Er war ernst, kühl, sehr zurückhaltend, und hatte ganz das Aussehen, die Liebe mit jenen würdevollen, altmodischen Gefühlen dieser peinlichen Zartheit zu behandeln, die heute so lächerlich sind und welche vielleicht zu jeder Zeit mehr langweilig als ehrenwert waren.

Zadis näherte sich auch jetzt Zulika mit so viel Schüchternheit, als ob er ihr noch niemals seine leidenschaftliche Liebe bewiesen hätte; sie empfing ihn ebenfalls mit einer eingelernten, ceremoniellen Höflichkeit und so heuchlerischer Miene, als es nöthig war, ihn immer zu betrügen.

So lange Zulikas Dienerinnen anwesend waren, sprachen sie gleichgiltig von verschiedenen[294] Neuigkeiten und anderer nichtssagenden Dingen.

Da Zadis fest daran glaubte, der einzige zu sein, den Zulika liebte und der fand, dass selbst die zarteste Schonung nicht zu jener hinreichte, welche sie verdiente, erlaubte sich auch nicht den bescheidensten Liebesblick und Zulika, die allem Anscheine nach einen Mann genug blöde fand, sie so zu achten, ahmte seine Zurückhaltung ironisch nach oder sah ihn bloß mit heuchlerischen und gesenkten Blicken verstohlen an, welche gewöhnlich den schönen Spröden eigen sind, in welcher Lage sie sich auch befinden mögen.

Obzwar sich Zadis vollkommen beherrschte, so glaubte Zulika doch in seinen Augen eine noch ganz andere Trauer als jene, die ihnen sonst eigen war, zu lesen; sie fragte ihn vergebens, was ihm fehle.

Alle Fragen, die sie im sanften, innigen Tone an ihn richtete, beantwortete er bloß mit einer tiefen Verbeugung und noch tieferen Seufzern.

Als Zulika frisiert war, entfernten sich die Frauen.«

»Wollen Sie wohl, Zadis,« fragte sie[295] ihn in befehlendem Tone, »mir gefälligst sagen, was Ihnen fehlt? Denken Sie, dass ich bei meiner Theilnahme für Alles, was Ihre Person betrifft, die Sie wohl kennen, mich über Ihr hartnäckiges Stillschweigen nicht sehr betrüben soll? Mit einem Worte, es ist mein Wille, antworten Sie mir, ich werde es Ihnen niemals vergeben, wenn Sie darauf beharren, zu schweigen.«

»Sie werden mir vielleicht noch weniger verzeihen, wenn ich gesprochen haben werde,« erwiderte er schließlich; »denn das, was mich bewegt, darf Ihnen unter keiner Bedingung anvertraut werden.

Aber Zulika bestand auf eine so eindringliche Weise darauf, dass er glaubte, ohne sie zu beleidigen, nicht länger schweigen zu dürfen.«

»Würden Sie es wohl glauben, Madame,« sagte er über die Albernheit erröthend, die er darin fand, was er eben sagen wollte.

»Ich bin eifersüchtig.«

»Sie, Zadis!« rief sie mit erstaunter Miene aus; »Sie lieben mich ja! und ich[296] liebe Sie! und Sie können eifersüchtig sein. Haben Sie denn nicht daran gedacht?«

»Ach! Madame,« erwiderte er mit tief betrübter Miene, »strafen Sie mich nicht mit ihrem gerechten Zorne. Ich fühle ja die ganze Lächerlichkeit meines Dankens, ich erröthe ja selbst darüber. Mein Verstand widerspricht der Bewegung meines Herzens und weist sie von sich, und dennoch reißt mich die Liebe hin und alle Verehrung, die ich Ihnen schulde, verhindert es dennoch nicht, dass ich grausam gemartert werde. Selbst die Schande, die ich über mein Misstrauen empfinde, vernichtet diese Marter nicht.«

»Hören Sie mich an, Zadis« antwortete sie ihm mit majestätischer Miene, »und erinnern Sie sich dessen für immer, was ich Ihnen jetzt sagen werde. Ich liebe Sie, ich fürchte nicht, es Ihnen zu wiederholen und ich will Ihnen einen Beweis meiner Gefühle geben, der für Sie ohne Widerrede sein muss, das ist, Ihnen Ihr Misstrauen zu verzeihen. Vielleicht sollte ich Sie an die Mühe erinnern, die es Ihnen gab, mich zu besiegen und zu erringen, dann an die zurückhaltende Art, in der ich lebe, die Ihnen[297] durchaus keine Veranlassung geben kann, an meiner Treue zu zweifeln; denn eine Frau von so ehrbarem Charakter wie ich, muss jedem Manne die größte Achtung einflößen. Ich sollte sogar Ihre unbegründeten Befürchtungen verachten, oder mich darüber empören und beleidigen; aber wie viel süßer ist es für mein zärtliches Herz, Sie meiner Treue zu versichern, und meine Liebe will sich selbst bis zu einer Erklärung herablassen.«

»Ach! Madame!« rief Zadis aus, indem er sich auf die Knie warf.

»Ich glaube es nun, dass Sie mich lieben, und ich würde vor Schmerz vergehen, wenn ich denken müsste, dass der ungerechte Verdacht, den ich ja nicht lange hegte, für Sie eine betrübende Ursache war, an meiner innigen Verehrung zu zweifeln.«

»Nein, Zadis,« antwortete sie anmuthig lächelnd, »ich zweifle nicht mehr daran, aber sagen Sie mir doch, was war denn die Ursache davon?«

»Was kümmert es mich nunmehr, Madame, wenn ich nun keine mehr habe.«

»Ich will sie kennen,« erwiderte sie.[298]

»Nun wohlan!« sagte er; »die Aufmerksamkeit, die Ihnen Mazulhim zu schenken scheint ...«

»Was?« unterbrach sie ihn, »ist er es, auf den sie eifersüchtig waren? Ach, Zadis, sind Sie denn dazu geschaffen, einen Mazulhim zu fürchten und haben Sie mich wirklich so gering geschätzt, um glauben zu können, dass er mir gefallen könnte? Ach, Zadis, soll ich, kann ich Ihnen dies jemals verzeihen?«

Quelle:
Crébillon Fils: Sopha. Prag [1901], S. 277-299.
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